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Walther Kabel: Was Tiere träumen (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 6)

in Frage kommen. Ich möchte hier nur einen Fall schildern, der recht eindringlich für diese Annahme spricht. Eines Tages im Sommer war durch ein Versehen meines Gärtners die Tür des Wolfzwingers offen gelassen worden. Auf seinem unerlaubten Spaziergang war der Wolf auch vor den Affenkäfig gelangt. Die Kapuzineräffchen und der Pavian, die den Raubtiergeruch witterten, gerieten in furchtbare Aufregung und Angst und verübten einen solchen Lärm, daß ich schleunigst aus dem nahen Treibhause herbeieilte. Nachdem der Wolf wieder eingesperrt worden war, suchte ich das Affenvölkchen durch Darreichung verschiedener Leckerbissen zu beruhigen. Das gelang aber nur schwer. Noch mehrere Nächte nach jenem Vorfall träumten die Tiere derart lebhaft, wie ich es nie zuvor beobachtet hatte. Immer wieder fuhren sie kreischend aus dem Schlaf empor und starrten wild um sich, während ihre Hände gar nicht zur Ruhe kamen. Ohne Zweifel sahen sie im Traum stets aufs neue den Wolf vor sich, wie er sich beutelüstern an den Gitterstäben hochreckte.“

Wie Doktor Bernhard künstlich bei seinen Pfleglingen bestimmte Träume hervorrief, das schildert er in einem besonderen Abschnitt seines Buches. „Mein treuester vierbeiniger Freund Bermal, jener Hund ganz unbestimmter Rasse, den ich von der Straße auflas, liegt zu meinen Füßen vor dem Kamin. Vor einer halben Stunde sind wir von unserem Abendspaziergang heimgekehrt. Bermal hat sich dabei auf dem Felde einen strengen Verweis zugezogen; er jagte einen Junghasen auf, der bereits von irgendeinem geflügelten Räuber, wie ich nachher sah, böse zugerichtet worden war. Trotz meiner Zurufe verführte den Hund die Jagdleidenschaft. Er trieb den Hasen vor sich her, tat ihm aber nichts zuleide. Als ich dazukam, lag das Tierchen am Boden, keuchend, mit verängstigten Augen. Es starb auf dem Heimweg. Trotzdem nahm ich es mit mir, um es im Garten zu verscharren.

Der schlafende Hund bringt mich auf einen Gedanken. Ich gehe leise hinaus, hole den toten Junghasen und warte eine Weile, bis Bermal wieder fest schläft. Dann lege ich vorsichtig

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Was Tiere träumen (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 6). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1916, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_Tiere_tr%C3%A4umen.pdf/5&oldid=- (Version vom 1.8.2018)