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nationalen Eitelkeit (zu der jetzt noch der Siegestaumel getreten ist) großzügig dieselbe internationale Schicklichkeit aufs gröblichste verletzt und immer mehr zeigt, wie dünn der Kulturlack die „grande nation“ bedeckt, dann sollten gerade wir desto strenger darauf sehen, die Höhe unserer Kultur durch ein Benehmen zu erhärten, das unserem ernsten, gediegenen Volkscharakter entspricht. Gewiß – der unglücklich verlaufene Krieg hat unserer Volksseele einen harten Stoß versetzt. Vieles ist ins Wanken gekommen auf dem Gebiete der Sittlichkeit und des guten Tons. Freiheit darf nie zur Zügellosigkeit werden. Man hüte sich davor, des Glaubens zu sein, ein freies Volk könnte von früher her überlieferte moralische Grundanschauungen mit dem Achselzucken eines modernen Geistes in die Rumpelkammer tun! Die Geschichte der Völker lehrt, daß alle Kulturnationen, die das Freiheitsgefühl falsch auffaßten und den alten geheiligten Tempel der Moral verfallen ließen, selbst in kurzem einem rapiden Verfall anheimfielen. Zur Moral im weiteren Sinne gehört aber auch der Anstand, die Schicklichkeit, – das Benehmen.

Was ist Anstand? Wie verhält er sich zur Sittlichkeit schlechthin?

Anstand, lateinisch Decorum (daher die Redensart: „Das Dekorum wahren“) ist die Beachtung solcher Formen des äußeren Verhaltens, die einmal der Würde der sittlichen Persönlichkeit im Menschen, dann aber auch den Anschauungen entsprechen, die sich mit der Zeit, aber stets dem Wandel unterworfen, innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft (Volk, Nation) über gewisse Einzelheiten dieses Verhaltens herausgebildet haben. Diese Formen sind veränderlich. Zur Zeit Friedrichs des Großen war es zum Beispiel durchaus üblich, mit dem Waschwasser sehr sparsam am eigenen Körper umzugehen. Die Damen ersetzten das Händewaschen morgens vielfach durch Auftragen von Puder. Heute versteht sich eine gewisse Pflege der Hände (Sauberkeit dieser braucht nicht erwähnt zu werden) von selbst.

Anstand bezieht sich also auf Äußerlichkeiten unseres Verhaltens. Sittlichkeit betrifft stets die Gesinnung

Empfohlene Zitierweise:
W. von Neuhof: Wie benehme ich mich?. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1921, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wie_benehme_ich_mich.pdf/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)