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doch nicht ganz harmloser Natur sind, wenn sich auch die Sachlage von hier aus kaum zutreffend beurteilen läßt.“

Harald Harst legte die Zeitung auf den Tisch zurück. Er hatte mit steigender Spannung die Zeilen überflogen. Trotzdem behielt sein Gesicht den kühl-gelassenen Ausdruck bei. Und als er nun Schraut mit einem „Wirklich recht eigenartig!“ leicht zunickte, verriet auch der Ton seiner Stimme nichts von seinen bereits der Gegenwart weit vorauseilenden Gedanken. Nur eins tat er: er entnahm seiner goldenen Zigarettendose eine jener dicken, etwas süßlich duftenden Zigaretten, die er nur für sich in einer Fabrik nach seinen eigenen Angaben aus bestimmten Tabaksorten herstellen ließ und denen er den Namen Mirakulum (Wunderwerk) gegeben hatte, zündete sie mit dem ihm[1] eigenen gemessenen und doch keineswegs gezierten Bewegungen an, blies ein paar tadellose Rauchringe in die Luft und fügte dann dem „Wirklich recht eigenartig“ ganz plötzlich lebhafter hinzu: „Ah – wir bekommen wirklich Besuch. – Gehen Sie, lieber Schraut, und öffnen Sie dem Herrn die Haustür, der da soeben die Gartenpforte zuwirft. Fraglos ein temperamentvoller Mensch! Auch etwas rücksichtslos. Würden alle Besucher die Pforte derart zuschmettern, wäre sie bald erneuerungsbedürftig. Bleiben Sie dann hier im Zimmer. Setzen Sie sich dort an den Mitteltisch und tun Sie, als ob Sie mit einer Schreibarbeit beschäftigt wären.“

Der Herr trat ein. Es war ein schlanker, sehr gut gekleideter, jüngerer Mann, etwa Ende der Zwanziger. Er trug den blonden, starken Schnurrbart lang ausgezogen und hatte ein leicht gebräuntes Gesicht mit einem nie ganz daraus verschwindenden hochmütigen Zug um den schmallippigen Mund.

„von Blenkner,“ stellte er sich Harst vor und nahm dann sofort auf dem ihm angebotenen Klubsessel neben dem Schreibtisch Platz, schlug ein Bein über das andere, schaute sich recht zwanglos in dem mit vornehmem Geschmack eingerichteten Zimmer um und sagte mit einem Blick auf den scheinbar eifrig im Hintergrunde schreibenden früheren Schauspieler: „Könnte ich Sie allein sprechen, Herr Harst?“

  1. Vorlage: ihn
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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/48&oldid=- (Version vom 1.8.2018)