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kränklichen, schwächlichen Menschen: vornübergebeugt mit vorgedrückten Schultern.

„Wer sind Sie?“ fragte er barsch. – Harst zog den schäbigen Filz und erwiderte ganz bescheiden: „Ein Drehorgelspieler – sehr zu dienen. Ich wollte –“

„Ihre Papiere? – Her damit! – Nun – wird’s bald!“

Das war eine böse Patsche für Harst. – Papiere – daran hatte er nicht gedacht.

„Ich – ich habe sie in der Herberge in meiner Drehorgel gelassen –,“ meinte er nun doch recht zuversichtlich.

„Was wollten Sie hier beim Gemeindevorsteher?“

„Um leichte Arbeit bitten. Mein Geschäft geht schlecht.“

Der Graf lachte auf. „Arbeit! Euereiner und Arbeit?!“

Da mischte sich die Gräfin ein. „Erwin, so laß doch den Mann – Bollschwing wartet auf dich.“

„Mag er warten!“ rief er unwirsch. „Du kannst Dir wohl denken, Tilla, weshalb ich –“ Er beendete den Satz nicht, wandte sich wieder an Harst: „Gehen Sie langsam voraus nach der Herberge. Aber – ich warne Sie vor einem Fluchtversuch. Ich trage einen Revolver bei mir. Ich bin hier gleichzeitig Amtsvorsteher.“

Harst verließ den Vorgarten. Der Graf und die Gräfin folgten dicht hinter ihm im Wagen. Vor der Herberge rief Lippstedt: „Holen Sie Ihre Papiere!“ – Inzwischen hatte Harst sich schon überlegt, wie er aus dieser Klemme am besten herauskäme.

Max Schraut saß im Gastzimmer und las in einem alten Kalender. Der Wirt war schnell hinter dem Schenktisch hervorgestürzt und bedienerte nun draußen das gräfliche Paar. „– Her mit Ihren Papieren,“ raunte Harst seinem Gehilfen zu. „Graf Lippstedt will sie sehen. Bisher hat er nach meinem Namen nicht gefragt. – Oh – das fehlte gerade noch!“ Er hatte einen Blick zum Fenster hinausgeworfen. „Er hat einen Gendarm herbeigewinkt. Doch – vielleicht ist’s ganz gut so. – Man wird mich sicher einsperren, Kollege. Gehen Sie zum Gemeindevorsteher und stellen Sie sich als Harald Harst vor. Die Schimmecks sind den Gutsherrschaften nicht sehr gewogen. Bitten Sie Schimmeck um strengste Diskretion

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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/64&oldid=- (Version vom 1.8.2018)