Vögel als Flugkünstler

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Walther Kabel
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Vögel als Flugkünstler
Untertitel:
aus: Illustriertes Sonntags-Blatt, Beilage zum Delmenhorster Kreisblatt. Nr. 5, S. 39
Herausgeber: Greiner & Pfeiffer in Stuttgart
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1916
Verlag:
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Delmenhorst
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Ebenfalls erschienen in: Die Burg, 1. Jahrgang 1912/13, Heft 31, S. 490–491
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]
Editionsrichtlinien:


[39]

Vögel als Flugkünstler.
Von Walter Kabel.
(Nachdruck verboten.)

Bekanntlich steigen viele Vögel, so z. B. Störche, Adler, Habichte, Albatrosse, Geier usw., wenn sie eine größere Höhe erreichen wollen, in einer weiten Spirale aufwärts und nicht etwa in einer aufwärts führenden Linie. Dieser Erscheinung hatte man bisher keine tiefere Bedeutung beigemessen. – Erst die moderne Aviatik, die sich notwendig auf das eingehendste mit den Prinzipien des Vogelflugs beschäftigen mußte, hat hierfür eine sichere Erklärung gefunden. Würden die betreffenden Vögel nämlich in geradem Fluge größere Höhen aufsuchen, könnte dies nur unter gleichzeitiger und gleichmäßiger Anstrengung beider Flügel geschehen. Man hat nun mit Hilfe von zahlreichen photographischen Aufnahmen festgestellt, daß bei den großen Kreisen, die die aufsteigenden Vögel ziehen, stets nur der eine, äußere Flügel, die Hauptarbeit leistet, während der zweite, innere, mehr als Tragfläche benutzt wird und daher geschont werden kann. – Weiter ist beobachtet worden, daß jeder in Spiralen hochfliegende Vogel in regelmäßigen Zwischenräumen die Flugrichtung derart ändert, daß der bisher zum Aufwärtstreiben verwandte Flügel nunmehr die Stelle der Tragfläche übernimmt. Diese Teilung der Arbeitsleistung zwischen den beiden Flügeln kommt besonders deutlich bei Störchen und Albatrossen, und zwar schon in geringeren Höhen zum Ausdruck, wovon sich leicht jeder mit eigenen Augen überzeugen kann.

Auch die herbstlichen Wanderflüge der Wildgänse und Wildenten bieten einen interessanten Beleg für die hochentwickelte Intelligenz dieser Vögel. Die Wildgänse ziehen bekanntlich in gerader Linie zu je acht bis sechzehn Stück hintereinander. Der führende Vogel hat dabei die schwerste Arbeit zu leisten, weil er durch seinen Körper die Luft beiseite drängen und sie gleichzeitig durch die Schläge seiner Flügel in eine schaukelnde Wellenbewegung versetzen muß, die sich dann nach rückwärts fortpflanzt und den in bestimmtem Abstand folgenden Tieren insofern zugute kommt, als die auf und ab gehenden Luftwellen ihnen die Flugarbeit erleichtern. Dieser Abstand – auch das hat die moderne Aviatik festgestellt – ist genau so weit bemessen, daß die von dem vorderen Vogel erzeugte Luftwelle die Flügel des folgenden Tieres mit ihrem aufwärtsstrebenden Luftstrome trifft, wodurch dann eben die Erleichterung des Fluges eintritt. Der Abstand von einem Wellenberg zum andern beträgt ungefähr das Vierfache der mittleren Flügelbreite, und ihn halten die Vögel genau ein. Nach einiger Zeit nun verläßt der führende Vogel seinen Platz und schließt sich als letzter der Kette wieder an. Auf diese Weise übernehmen alle Vögel abwechselnd nacheinander die ermüdende Arbeit der Führung.

Die Wildenten wiederum ziehen in Form eines gleichseitigen, rückwärts offenen Dreiecks von 60-70 Grad Schenkelabstand dahin. Auch hier arbeitet der Vogel an der Spitze am schwersten, indem er dieselben schräg auseinandergehenden Luftwellen erzeugt (ähnlich den Bugwellen bei einem fahrenden Schiff), die den Flügelschlag der anderen Tiere erleichtern. Außerdem finden die in der Dreiecksfläche innen befindlichen Flügel dadurch eine teilweise Rast, daß in dieser Innenfläche die Wellenbewegung der Luft doppelt so stark ist. Deshalb wechseln die Vögel auch von Zeit zu Zeit ihren Platz von einem Schenkel des Dreiecks zum andern, wodurch dann der ausgeruhte Flügel wieder stärker in Anspruch genommen wird. Ebenso wird auch der führende Vogel regelmäßig abgelöst. – Diese Flugform der Wildenten bietet aber noch Gelegenheit zu einer anderen Beobachtung. Des öfteren hatten Jäger bemerkt, daß in dem Flugdreieck ziehende Wildenten zwischen beiden Schenkeln ein oder zwei Tiere allein dahinflogen, deren schwerer, unbeholfener Flügelschlag auf eine Verwundung oder Krankheit der betreffenden Ente hindeutete. Früher nahm man nun allgemein an, die Vögel wollten ihre kranken Artgenossen auf diese Weise unter ihren Schutz nehmen. Diese Ansicht ist durch die neuesten Forschungen widerlegt worden. Die Hauptursache, weswegen flügellahme, matte Tiere in der Mitte des Dreiecks fliegen, ist die, daß ihnen an dieser Stelle, wie durch Versuche und Berechnungen jetzt tatsächlich erwiesen ist, die Flugarbeit durch die von den rechts und links ziehenden Vögeln erzeugten Luftwellen um die Hälfte erleichtert wird.