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„Lady Milford“ und „Ferdinand von Walter“

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Textdaten
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Autor: Ferdinand Dieffenbach
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Titel: „Lady Milford“ und „Ferdinand von Walter“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 313–314
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[313]
„Lady Milford“ und „Ferdinand von Walter“.


„Das Stück ist kraß,“ hört man in unserer Zeit nach einer Aufführung von „Kabale und Liebe“ manchmal ausrufen. Was würde erst ein großer Theil unserer nervenschwachen und blutarmen Generation empfinden, wenn er in die Umgebung versetzt würde, in welcher jenes Jugendwerk unseres großen Dichters entstand! Was würde er empfinden bei dem Anblick des Tyrannen Karl Eugen? Schubart hat uns in seiner „Fürstengruft“ ein portraitähnliches Bild dieses Despoten entworfen, der den Wohlstand seines Landes und das Glück zahlloser Familien in sträflichem Leichtsinne vernichtet hat.

„Beräuchert das durchlauchtige Gerippe mit Weihrauch wie zuvor,“ spricht der Dichter zu den Höflingen;

„Er steht nicht auf Euch Beifall zuzulächeln,
Und wiehert keine Zoten mehr,
Damit geschminkte Zofen ihn befächeln,
Schamlos und frech wie er.“

Auch bei den Schiller’schen Stücken fühlt man, daß dem Dichter kein anderes Vorbild vorgeschwebt haben kann, als dasjenige des württembergischen Despoten. Man erräth zwar diese schreckliche Gestalt nur hinter den Coulissen. Die Gründe, warum der Dichter keinen „Herzog“, keinen „Fürsten“ auf den Brettern erscheinen ließ, liegen zu nahe, als daß wir sie hier zu berühren brauchten, allein man fühlt es, daß das Vorbild jenes Staates, dessen Fürst und Minister Alles, was dem Menschen heilig, mit Füßen treten, nur in Württemberg gesucht werden kann.

„Gestern sind siebentausend Landeskinder nach Amerika fort,“ erzählt der Kammerdiener. „Es traten wohl so etliche vorlaute Bursche vor die Front heraus und fragten den Obersten, wie theuer der Fürst das Joch Menschen verkaufe. – Aber unser gnädigster Landesherr ließ alle Regimenter auf dem Paradeplatze aufmarschiren und ließ die Maulaffen niederschießen. Wir hörten die Büchsen knallen, sahen das Gehirn auf das Pflaster spritzen, und die ganze Armee schrie: Juchhe, nach Amerika!“

Allein nicht blos solche Vorgänge, auch die Hofscenen und Schilderungen der gesellschaftlichen Zustände gleichen der damaligen Umgebung des Dichters; in einzelnen Figuren tritt uns sogar die Wirklichkeit entgegen. Dieses Weib, das in Ferdinand einen Erretter aus dem Schmutze des Hoflebens sucht und mit ihm „in den äußersten Winkel der Welt“ fliehen will, erinnert an Vorfälle mit einzelnen Geliebten, namentlich an eine dieser Unglücklichen, die sich mit Entsetzen und Ekel von ihrem Gebieter hinwegwandte. Eine Venetianerin, verließ sie ihn, als sie mit ihm auf einer Reise nach Italien den Boden ihres Vaterlandes betreten hatte.

„Ich bin nicht mehr in Ihren Staaten,“ sagte sie, „sondern in Venedig. Ich habe nunmehr, Gott sei gelobt, meine Freiheit wieder. Ich bin sicher vor Ihren Mißhandlungen und trenne mich hier von Ihnen. Sind Sie das nicht zufrieden, so fordern Sie mich vor die Tribunale meines Vaterlandes, das mich schützen wird.“

Noch mehr erinnern uns einzelne Züge aus dem Bilde Ferdinand’s an einen wirklichen Vorgang.

Der Geheimerath von Volkstädt stand seit mehr als einem halben Jahrhundert in den Diensten des herzoglichen Hauses. Dem guten Manne wurde noch in späten Jahren eine Tochter geboren, welche zu einer blendenden Schönheit heranwuchs. Der Fürst sah sie, entführte sie, und ihr grauer Vater, der von dem Schicksale seines Kindes noch keine Ahnung hatte, mußte die furchtbare Schmach erleben, ihr nach wenigen Tagen auf einem Hofballe in hellblauseidenen Schuhen – dem Abzeichen der herzoglichen Geliebten – zu begegnen. Der alte Volkstädt bat um seine Entlassung und eilte mit seiner tiefgebeugten Gattin auf eines seiner Güter, um nicht Zeuge von Juliens Schande zu sein.

[314] Es dauerte nicht lange, nur wenige Wochen, und eine Andere reizte die Sinnlichkeit des Herzogs. Er beschloß, sich der Volkstädt durch ihre Verheirathung zu entledigen.

Auf einem einsamen Forsthause, zwanzig Meilen von Stuttgart, lebte ein junger Edelmann, Eduard von Schilling, der durch seinen trefflichen ehrliebenden Charakter die allgemeine Achtung genoß. Er lebte bei seinem Vater, dem achtzigjährigen Oberforstmeister von Schilling, der schon unter dem Großvater des Herzogs seine Laufbahn begonnen hatte. Dieser war der gewissenhafteste und rechtlichste, aber auch vielleicht der ärmste aller herzoglichen Beamten.

Eines Tages erhält Eduard den Befehl, sich zu dem Herzoge zu begeben.

„Hör’ Er,“ sagt der Herzog, „ich will Ihn versorgen.“

„Eure Durchlaucht sind sehr gnädig.“

„Ich will Ihn mit dem Fräulein von Volkstädt verheirathen. Er wird Jagdjunker und Seinem Vater adjungirt.“

„Wie, Ihrer Durchlaucht Geliebte? Bedenken Sie meine Ehre!“

„Von Seiner Ehre wird Er sich nicht satt essen.“

„Bedenken Ihre Durchlaucht meine Ahnen!“

„Sie sind todt.“

„Mein Wappen, die Verachtung der Welt!“

„Ist Einbildung.“

„Mein Gefühl empört sich.“

„Trink’ Er ein Glas Wein mehr.“

„Und mein Vater, Durchlaucht?“

„Muß wollen.“

„Gezwungen? Unmöglich!“

„Mit einem Worte, ich will es. Er muß. Und wenn Er sie nicht nimmt, so ist Er entlassen sammt seinem Vater, dann könnt Ihr sehen, wer Euch zu fressen giebt.“ –

Eduard von Schilling heirathete die Geliebte des Herzogs.

Der Herzog hatte auf seine Kosten für die Hochzeit die großartigsten Anstalten getroffen. Die Trauung fand in einem zu einer Capelle hergerichteten Gemache seines Schlosses statt. Eduard erschien in prächtiger Galakleidung, allein das heitere Grün seiner Jagduniform stimmte nicht zu dem matten Ausdrucke seiner edlen Gesichtszüge, zu den tiefen blauen Ringen, welche sein sanftes Auge umrahmten. Vor dem Altare erhielt die Braut, deren Gesicht eine tiefe Schamröthe überfloß, aus der Hand des Fürsten den Solitär, welchen sie an des Bräutigams Finger steckte. Ein prächtiges Souper schloß die kirchliche Feier.

Nach Mitternacht führte der Herzog das Paar zu der auf seinem eigenen Schlosse zubereiteten Brautkammer. Eduard machte eine tiefe Verbeugung und begab sich, nachdem sich der Fürst verabschiedet, nach einem nahe gelegenen Bedientenzimmer, wo er sich ein Lager auf einigen Stühlen herrichtete, indeß die Braut unter Thränen und Seufzern dem Morgen entgegenharrte.

Den anderen Tag machte er mit ihr seine Besuche, ohne auch nur ein einziges Mal ein Wort an sie zu richten. Als er ihr den Arm bot, berührte er zum letzten Mal in seinem Leben ihren Körper. Von diesem Unglückstage an würdigte er sie keines Blickes mehr. Sie wohnte mit ihm auf seinem Forsthause, allein er floh sie, und lag sie ermattet und von Fieberhitze gepeinigt auf dem Krankenbette, so stürzte er hinaus in die Wälder und suchte durch wilde Jagdfreuden den Wurm, der an seinem Herzen nagte, zu vergessen.

Julie war nicht so allen Gefühls baar, daß der Gemüthskummer ihres dem Wahnsinne zueilenden Gemahls spurlos an ihr vorübergegangen wäre, und ihr abgehärmtes Gesicht zeigte bald die tiefen Spuren der Reue, welche sie ergriff. Es dauerte nur wenige Jahre, und das Grab barg zwei Menschen, deren Existenz, sammt dem Glücke ihrer Angehörigen, die rohe Sinnenlust eines einzigen Menschen vernichtet hatte.

Wer erinnert sich nicht bei diesen einem Zeitgenossen nacherzählten Mittheilungen des Verhältnisses zwischen Schiller’s Ferdinand und Lady Milford und namentlich jener ergreifenden Scene, in welcher der jugendliche Held der fürstlichen Geliebten, die ihn heirathen will, seine Ehre, sein Wappen, seinen Stand als Officier entgegenhält?

Das eigentliche Charakterbild der Lady Milford hat unser Dichter unzweifelhaft der schönen Franziska von Hohenheim entnommen, der späteren Gemahlin Karl Eugen’s, einem Wesen, das bekanntlich, reich an Zügen edler Weiblichkeit, durch wohlthätiges Wirken die öffentliche Meinung mit sich auszusöhnen verstand und auch vor dem Richterstuhle der Geschichte seine Rechtfertigung erlangte. Indem Schiller den einzig und allein der Stimme seiner Ehre Gehör schenkenden Jüngling einem Weibe von trefflicher Charakteranlagen gegenüberstellt, gelangt er zu den ergreifendsten dramatischen Conflicten, in welchen sich seine ganze dichterische Größe offenbart.

„Die Wollust der Großen,“ rechtfertigt sich die Geliebte, „ist die nimmersatte Hyäne, die sich mit Heißhunger Opfer sucht. Fürchterlich hat sie schon in diesem Lande gewüthet, hat Braut und Bräutigam getrennt, hat selbst der Ehe göttliches Band zerrissen, hier das stille Glück einer Familie geschleift, dort ein junges unerfahrenes Herz der verheerenden Pest aufgeschlossen, und sterbende Schülerinnen schäumten den Namen ihres Lehrers unter Flüchen aus. Ich stellte mich zwischen das Lamm und den Tiger, nahm einen fürstlichen Eid von ihm in einer Stunde der Leidenschaft, und diese abscheuliche Opferung mußte aufhören.“

In der That wurde die schöne Franziska eine Wohlthäterin des Landes. So wie Karl’s frühere Jahre durch Ausschweifungen aller Art, Verschwendung und Prunksucht berüchtigt sind, so ist es auch gewiß, daß er sich unter dem Einflusse Franziska’s bemühte, durch Ordnung und eine weise Regierung seine furchtbare Vergangenheit einigermaßen wieder gut zu machen. Noch lange nach ihrem Tode seufzten die Bürger, wenn sie den Namen „Franziska“ aussprachen, und wünschten sich ihre gute Landesmutter zurück.

Ferdinand Dieffenbach.