ADB:Arntz, Aegidius Rudolph Nicolaus
[56] Attentat vom 3. April 1833 gegen alle diejenigen, welche seit 1826 Mitglieder der Burschenschaft gewesen waren, eine allgemeine Untersuchung eingeleitet wurde wegen Theilnahme an einer hochverrätherischen, burschenschaftlichen Verbindung, wurde auch A. mit betroffen. Am 20. Mai 1834 wurde er in Cleve, wo er als Auscultator fungirte, um 7 Uhr Morgens von dem Bürgermeister und einem Gensdarmen im elterlichen Hause im Bett arretirt. Er weigerte sich, Folge zu leisten und hielt durch seinen Widerstand die Autorität während sechs Stunden hin, bis es ihm gelang, fast vor den Augen des Gensdarmen, aus dem Fenster zu springen und die damals nur zwei Stunden entlegene Grenze zu erreichen. Er begab sich dann nach Lüttich. Im September 1834 hatte er zu Tegelen bei Venloo mit seiner Familie eine Zusammenkunft, und bei der Gelegenheit traf er Maynz, der, rechtzeitig gewarnt, direct von Berlin kommend, sich dorthin auf belgischen Boden geflüchtet hatte. Gegen A. wurde ein Steckbrief, sowie das Urtheil des Berliner Kammergerichts, welches ihn in contumaciam zu 15 Jahren Festungshaft verurtheilte, aus dem Januar 1837, in mehreren deutschen und belgischen Blättern veröffentlicht.
Arntz: Aegidius Rudolph Nicolaus A., berühmter Jurist und Publicist, geboren am 1. September 1812 zu Cleve, † am 23. August 1884 zu Brüssel. Nach Absolvirung des Gymnasiums zu Cleve, wo sein Vater, der aus Holland stammte, eine hervorragende Stellung als Arzt einnahm, bezog A. 1830 die Universität zu München. Bald nach seiner Immatriculation in der juristischen Facultät brachen Unruhen aus und sämmtliche fremde Studenten wurden ausgewiesen. A. begab sich zunächst nach Jena, von dort ging er nach Bonn, dann nach Heidelberg und endlich wieder nach Bonn zurück. Auf der Universität hatte er zur Burschenschaft gehört, und als nach dem FrankfurterIn Lüttich nahm A. zunächst die Universitätsstudien von neuem auf und trat, nachdem er das Doctor-Juris-Examen glänzend bestanden, als Stagiar bei einem Advocaten ein. Kurz vorher war die Universität Brüssel gegründet worden und erhielten auch Ausländer in liberaler Weise Berufungen. 1838 wurde A. der Lehrstuhl für Pandekten und seinem Freunde Maynz derjenige für Institutionen übertragen. In seiner Grabrede auf seinen Freund und Schicksalsgenossen, welcher ihm um 1½ Jahr im Tode voranging, erwähnte A. jenes ersten gemeinschaftlichen Beginnes ihrer akademischen Lehrthätigkeit: „Wir verbrachten ganze Tage und häufig auch die Nächte bei der Berathung über die beste Lehrmethode, bei der Besprechung der schwierigsten Fragen und dem Versuche, die dunkelsten Materien in Klarheit zu entwickeln.“ Beide sind dann auch hervorragende Meister der Methode geworden, und ihr Wirken hat sich segensreich für ihr Adoptivland erwiesen.
Bei der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm’s IV. wurden die in contumaciam Verurtheilten von der Amnestie für politische Vergehen ausgeschlossen, sie wurden angewiesen, auf preußisches Gebiet zurückzukehren und von dort aus die Gnade des Königs anzurufen. A. unterwarf sich dieser Bedingung während der Weihnachtsferien und erhielt dann auch am 17. Mai 1841 zu Brüssel seine Begnadigung ausgehändigt. Von nun an besuchte er jeden Herbst und oft auch im Frühjahr seine Familie in der Heimath. Als nach den Märztagen das preußische Volk seine Abgeordneten für die constituirende Nationalversammlung zu wählen hatte, erinnerten sich die Clevener des Flüchtlings von 1834 und erwählten ihn, eine einzige gegnerische Stimme abgerechnet, einstimmig zu ihrem Vertreter. Während seiner kurzen, aber thätigen, parlamentarischen Laufbahn betheiligte sich A. lebhaft an den Commissionsarbeiten und zwei Mal kam es zu Unterhandlungen für seinen Eintritt in das Ministerium. Sowohl in der Nationalversammlung, wie dann auch in der 2. Kammer hielt sich A. zur Linken, ohne jedoch seine Unabhängigkeit zu opfern. Seine politische Gesinnung ist stets liberal im edelsten Sinne gewesen und bis an seinen Tod geblieben. In einer 1848 veröffentlichten Broschüre bestritt er das Recht der Regierung, den Sitz der Versammlung nach Brandenburg zu verlegen. Er schloß sich den Mitgliedern an, welche in Berlin blieben, und billigte den Steuerverweigerungsbeschluß. Er sprach sich gegen die octroyirte Verfassung aus („Beitrag zur Beleuchtung der preußischen Verfassung vom 5. December 1848“, Cleve 1849), und als dann die 2. Kammer ebenfalls aufgelöst wurde, kehrte er nach Brüssel zurück und nahm seine Professur und Advocatur wieder auf, [57] um sie nicht mehr zu verlassen. Maynz, welcher inzwischen par interim die Vorlesungen über Pandekten gehalten, behielt dieselben jedoch definitiv, und A. übernahm eine der beiden Professuren für Civilrecht, dazu die Vorlesungen über Naturrecht, denen er bald auch noch diejenigen über Staatsrecht und über Völkerrecht hinzufügte. Während 35 Jahren hat er fortab, wie Professor Prins als Decan der juristischen Facultät in einer dem Andenken Arntz’s gewidmeten Rede im October 1884 hervorhob, „in sich die juristische Facultät Brüssels verkörpert“, und ist deren Gedeihen in hohem Grade seiner Persönlichkeit, seiner Lehrthätigkeit und dem Ansehen, dessen er bei dem Richter- und Advocatenstande genoß, zuzuschreiben. Beim Anhören seines Vortrages fühlte man, daß sein Wissen nicht nur aus Büchern geschöpft war, sondern die Frucht eigener Erfahrung und eigenen Denkens sei, daß er sich nicht auf Autoritäten verließ, sondern selbst Meister sei. Keines der juristischen Gebiete war ihm fremd. Oft hatte er als Advocat und Rathgeber Gelegenheit, handelsrechtliche Fragen zu behandeln, und in der Finanz- und Industriewelt hatte man absolutes Vertrauen nicht nur in sein Wissen und seinen Scharfblick, sondern auch in seine Kenntniß der geschäftlichen Verhältnisse. Der Jurist war zugleich Financier, Diplomat und Publicist. Gerne gehört an hoher Stelle, ist er öfter consultirt worden, als bekannt geworden.
Sein Gutachten über die von der belgischen „Association Africaine“ erworbenen Rechte wurde im Senat der Vereinigten Staaten vorgelegt (englische Uebersetzung von Senator Morgan vom 15. December 1883). Auch hat er für die Verfassung des zukünftigen Congostaates vorgearbeitet. 1876 wurde A. zum Mitglied der belgischen Akademie und 1877 zum Mitglied des Instituts für Völkerrecht, als dessen Vicepräsident er starb, ernannt. In allen Sitzungen desselben war er zugegen und betheiligte sich namentlich an den Arbeiten, welche das internationale Privatrecht, die Auslieferungsfrage, die Gerichtsbarkeit im Orient und das Seebeuterecht betrafen. Während acht Jahren war er Mitglied der Redaction der „Revue de Droit International et de Législation Comparée“, des in Brüssel erscheinenden Organes des Instituts. Neben den reichsten Geistesgaben, erhabener und umfassender Auffassung, besaß A. die trefflichsten Eigenschaften des Herzens und Gemüths. In dem kräftigen Körper wohnte eine starke Seele, und er war einer jener edlen und ehrenfesten Charaktere von gutem, alten Schlage, welche immer seltener werden.
Arntz’s publicistisches Hauptwerk, welches seine reichen Erfahrungen und die Früchte seines lebenslangen Denkens enthält, ist sein „Cours de droit civil français, comprenant l’explication des lois qui ont modifié le code civil en Belgique“, dessen erste Ausgabe 1860–1875 in 2 Bänden erschien. Es ist dies ein Werk von großem wissenschaftlichen Werthe, vollständig trotz seiner Bündigkeit, und anerkanntermaßen eines der besten Lehrbücher für französisches Civilrecht. „Ich habe mir vorgenommen“, schrieb er in der Vorrede, „in einem möglichst geringen Umfange die rationelle und historische Erklärung der Grundsätze des französischen Civilrechts zusammenzufassen und dabei die hauptsächlichsten Controversen, welche sich an dieselben anknüpfen oder aus ihrer Anwendung entstanden sind, kurz zu besprechen. Der inneren Geschichte des Rechts habe ich viel Aufmerksamkeit gegeben. Ich habe mich bemüht, dem Ursprunge einer jeden Bestimmung des Gesetzbuchs nachzuforschen und darzulegen, welche Umwandlung sie im Laufe der Zeit durchgemacht hat.“ 1879–1880 erschien dann in 4 Bänden die 2. Ausgabe, welche der Verfasser für den gleichzeitigen Gebrauch französischer Juristen und Studirender vervollständigt hatte. Zu diesem Behufe führte er nebst den erforderlichen Erklärungen alle diejenigen Gesetze an, welche den Code civil in Frankreich modificirt haben. Alle Umwandlungen, welche die bürgerliche Gesetzgebung [58] in den beiden Ländern, Belgien und Frankreich, erfahren hat, befinden sich somit in diesem Werke neben einander hingestellt und sind ferner die Entscheidungen der Gerichte beider Länder bis zum Tage des Druckes der einzelnen Bogen aufgenommen worden.
A. war Mitarbeiter an mehreren juristischen Zeitschriften, namentlich auch an der von ihm selbst 1842 mitbegründeten „La Belgique judiciaire“ und bis 1854 auch an dem „Journal du Palais“, für Marquardsen’s „Handbuch des öffentlichen Rechts“ und v. Holtzendorff’s „Handbuch des Völkerrechts“ hatte er seine Mitwirkung zugesagt, als der Tod ihn ereilte. Von seinen Arbeiten, welche in der „Revue de Droit International“ veröffentlicht wurden, sind hervorzuheben: Bd. VIII, 1876, Lettre sur la Théorie de la Non-intervention; Bd. IX, 1877, De la situation de la Roumanie au point de vue du Droit International; Bd. XII, 1880, Observation sur la question de l’immutabilité du régime conjugal en cas de changement de domicile des époux; Observations sur le procès intenté au nom du gouvernement portugais à M. M. Battarel et le Comte de Reilhac devant le tribunal correctionnel de la Seine; Bd. XIII, 1881 Du différend né entre la Grèce et la Turquie par suite du Traité de Berlin; Bd. XIV, 1882, Les droits des étrangers en Suisse; Bd. XV, 1883. Le Portugal et l’Institut de Droit International. Ferner sind von ihm noch nachfolgende Schriften erschienen: 1866 „Ce que doit être la science“, Discours rectoral; 1867 „De la nécessité des études historiques“, Discours de prorectoral; 1876 „Précis methodique des réglements consulaires en Belqique“; 1878 „Consultation sur la validité de la naturalisation et du second mariage de Mme. la princesse de Bauffremont“; 1882 „Programme du Cours de droit des gens à l’Université de Bruxelles“.
- Professor Alphonse Rivier hat in Bd. XVI, 1884, der „Revue de Droit International“ A. einen Nachruf gewidmet, auf welchen wir als Quelle verweisen.