Zum Inhalt springen

ADB:Bülow, Bernhard von

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Bülow, Bernhard von“ von Hermann von Petersdorff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 350–355, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:B%C3%BClow,_Bernhard_von&oldid=- (Version vom 26. November 2024, 23:54 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 47 (1903), S. 350–355 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Bernhard Ernst von Bülow in der Wikipedia
Bernhard Ernst von Bülow in Wikidata
GND-Nummer 117065013
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|47|350|355|Bülow, Bernhard von|Hermann von Petersdorff|ADB:Bülow, Bernhard von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117065013}}    

Bülow: Bernhard Ernst von B., deutscher Staatsmann, wurde, wie so viele Mitarbeiter Bismarck’s, so Hermann Wagener und Graf Fritz Eulenburg, und wie Bismarck selbst, im J. 1815 und zwar am 2. August zu Cismar im östlichen Holstein nahe an der Lübecker Bucht geboren. Dort war sein Vater Adolf v. B. (geboren 1787 zu Schwerin) seit zwei Jahren dänischer Amtmann. Seine Mutter war eine geborene Gräfin Susanne Baudissin, Tochter eines dänischen Generallieutenants und Gouverneurs von Kopenhagen. Der preußische Minister des Auswärtigen und Schwiegersohn Wilhelm’s v. Humboldt, Heinrich v. Bülow († 1846), bekannt durch seine englandfreundliche Politik, war der Bruder seines Vater. Diesen verlor er bereits in frühester Jugend, im December 1816. Seine erste Schulbildung genoß er auf dem Gymnasium zu Plön. Hierauf besuchte er die Universitäten Berlin, Göttingen und Kiel, um dann gleich seinem Vater in den dänischen Staatsdienst zu treten, in dem er 1839 zum Assessor ernannt wurde. Anfänglich in Kopenhagen in der schleswig-holstein-lauenburgischen Kanzlei beschäftigt, kam er später ins Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, wurde 1842 Legationsrath, 1847 Geschäftsträger Dänemarks in den Hansestädten. Daß er den berüchtigten offenen Brief vom 8. Juli 1846 verfaßt habe, wie der ihm nicht besonders wohlwollende Moritz Busch angibt, ist doch sehr fraglich. Es scheint vielmehr, daß er zwar an den staatsrechtlichen Vorarbeiten wesentlichen Antheil hatte, dabei aber zu anderen Schlußfolgerungen gelangte. Der von Christian VIII. zur Erörterung der schleswig-holsteinschen Erbfrage eingesetzten Commission, auf deren Gutachten hin der Brief entstand, gehörte er jedenfalls nicht an (vgl. Treitschke V, 575). Auch spricht die Thatsache, daß er bei Beginn der schleswig-holsteinschen Erhebung seinen Abschied aus dem dänischen Dienste nahm und sich am 9. April 1848 der provisorischen Regierung der Elbherzogthümer zu Kiel zur Verfügung stellte, dagegen. Auffälliger Weise wurden seine Dienste von der provisorischen Regierung nicht angenommen, was einen Stachel bei ihm hinterlassen hat. Durch seine diplomatische Thätigkeit bei den Hansestädten war er in nähere Berührung mit der Hamburger Kaufmannswelt getreten und hatte sich aus diesen Kreisen die Lebensgefährtin geholt. Louise Victorine Rücker, die älteste Tochter des Consuls Johann Wilhelm Rücker auf Perdöl bei Plön, mit der er sich im J. 1848 verheirathete, brachte ihn in den Besitz außerordentlicher Geldmittel. Er trat nun (1849) wieder in den dänischen Staatsdienst und wurde jetzt mit der Vertretung Dänemarks beim Reiche betraut, die so außerordentlich wichtig werden sollte. Bereits auf die Circularnote Oesterreichs vom 26. April 1850 hin, die die deutschen Regierungen zur Wiederbeschickung des Bundestages einlud, wurde er am 10. Mai als dänischer Kammerherr und Herzoglich Holsteinischer und Lauenburgischer Gesandter nach Frankfurt a. M. entsandt. Von dort zu den Dresdener Conferenzen gehend, in denen Preußen schweren Herzens den Rückzug zum Bundestag antreten mußte, hat er als Vertreter seiner Regierung wesentlich dazu beigetragen, um angesichts der Uebergriffsbestrebungen Oesterreichs die Wiederherstellung des alten Bundestages zu beschleunigen, indem er Einspruch gegen die Schaffung der Vollziehungsgewalt und gegen die Beseitigung der unseligen Einstimmigkeit der Beschlüsse erhob. Auch erklärte er sich mit der Minderheit gegen die Schaffung einer Volksvertretung. [351] Beim Wiederzusammentritt des Bundesplenums bezog er in Frankfurt eine der schönsten Wohnungen, die er später mit dem Anselm Rothschild’schen Hause vertauschte. Sehr bald gewann der preußische Bundestagsgesandte v. Bismarck-Schönhausen nähere Fühlung mit ihm, der in ihm sofort einen gewandten und geschäftskundigen Kopf erkannte. Gelegenheit dazu gaben die Verhandlungen Bismarck’s mit ihm wegen des Verzichts des Augustenburgers. Zwar machte B. sich zum Theil die rechtswidrigen Anschauungen seines Hofes zu eigen, doch theilte er nicht dessen Auffassung über die Tragweite des augustenburgischen Verzichts. Zudem bewies er eine außerordentliche Geschicklichkeit bei den schwierigen Verhandlungen, die er am meisten durch einen gewissen Grad von Zurückhaltung im Gegensatz zu hastiger Betreibung zu fördern meinte. Abweichend von der großen Mehrzahl der Vertreter am Bundestage ließ er sich, wie Bismarck bald mit Vergnügen herausmerkte, in keiner Weise von der öffentlichen Meinung bestimmen, sondern handelte lediglich nach staatsmännischen Erwägungen, mit scharfer und kalter Consequenz den Nutzen seines Staates verfolgend. Diese Consequenz dehnte er auch auf das gesellschaftliche Verhältniß aus, indem er den in Frankfurt seine Angelegenheiten betreibenden Augustenburger mit einer gewissen Virtuosität ignorirte. Herzog Christian wollte lieber mit einem Mittelsmann wie Bismarck als mit B. verhandeln. B. war ganz damit einverstanden, sagte aber schon gleich zu Anfang (October 1851) voraus, daß nach seiner Kenntniß des Charakters Christian’s wenig Nachgiebigkeit und Neigung zum Abschlusse bei jenem zu finden sein würde. Schließlich kam es doch dazu, daß B. unmittelbar mit dem Augustenburger zu verhandeln hatte, und der Herzog änderte jetzt rasch seine Ansicht, indem er (November 1852) gegen Bismarck erklärte, er sei überzeugt, daß er mit B. schon längst zum Abschluß gekommen wäre. B. räumte ihm alle möglichen Billigkeitsgründe ein, verwandte sich in diesem Sinne bei der dänischen Regierung und zeigte dem unglücklichen Herzoge auf jede Weise, daß sein Mißtrauen gegen ihn unbegründet gewesen war. Bismarck’s Eingenommenheit für B. wuchs mit den Jahren. Ging B. in der schleswig-holsteinschen Frage mehr mit Oesterreich als mit Preußen, so beobachtete er in allen nicht dänischen Angelegenheiten eine parteilose Zurückhaltung. Am nächsten stand ihm der luxemburgische Gesandte v. Scherff, den er gewöhnlich mit seiner Vertretung beauftragte, einer der treuesten Freunde Preußens. In der Behandlung der Pensionsfrage der holsteinschen Officiere gelangte er anscheinend zu einer andern Ansicht als seine Regierung, sah sich jedoch nicht im Stande mit Erfolg dagegenzuwirken. In der orientalischen Frage hielt er mit Beharrlichkeit zu Preußen und dessen Neutralitätspolitik. Nicht geringe Verlegenheiten bereitete ihm der Radicalismus der dänischen Politik und die Unzuträglichkeiten, die durch das Regiment der Maitresse König Frederik’s, der Gräfin Danner, herbeigeführt wurden. In seiner Noth hat er sich wol an den ihm befreundeten Fürsten Gortschakoff mit der Bitte um Rath gewandt. Die Gesammtverfassungspolitik der Eiderdänen schien ihm je länger je mehr unhaltbar, doch meinte er, daß man Dänemark Zeit gewähren müsse, um sich zum Verlassen dieses Wegees zu entschließen. Versuche man durch Druck etwas zu erreichen, so würde man dadurch die Gefahr einer englisch-französischen Einmischung heraufbeschwören. Den Gedanken Gortschakoff’s, die Dinge dadurch in Fluß zu bringen, daß man die Gräfin Danner durch Sicherung ihrer Zukunft gewinne, wies er nicht ab. Sehr selten ließ er sich aus der Ruhe bringen. Er besaß in hohem Grade die Fähigkeit fließend zu sprechen, „ohne“, wie Bismarck sich mit leiser Ironie ausdrückt, „dem Zuhörer einen Eindruck von dem Sinne des Gesagten zu [352] hinterlassen“. Neben der holstein-lauenburgischen Sache bearbeitete er am Bunde besonders die Angelegenheiten der Standesherren und das handelspolitische Gebiet. Bei der Zuspitzung der holsteinschen Frage wurde seine Stellung unhaltbar. Infolge dessen wurde er am 20. October 1862 von Frankfurt abberufen. Gleich darauf trat er in den Dienst von Mecklenburg-Strelitz. Er knüpfte damit nur alte Bande wieder an; war doch seine Familie mecklenburgisch und auch sein Vater noch dort geboren und nur durch seine Heirath an Dänemark gefesselt worden. Bis zum Herbst 1867 hat er in Mecklenburg-Strelitz das Ministerium geleitet. In dieser Stellung war er jahrelang als Landtagscommissarius thätig und lernte dabei die dortigen Verhältnisse gründlich kennen. Sodann versah er die Geschäfte eines Bevollmächtigten für beide Mecklenburg am Norddeutschen Bunde und später beim Reiche. Als solcher ist er sowol der geschickteste Anwalt der mecklenburgischen Verfassung als auch ein thatkräftiger Förderer des Reichsbaues gewesen. Drei Mal hat er vor dem Reichstage den Ansturm des Liberalismus gegen die gänzlich veraltete Verfassung zu bestehen gehabt, im Frühjahr 1869, im Herbst 1871 und im Frühjahr 1873. Immer aufs neue brachte der Mecklenburger Büsing seinen Antrag auf Einführung einer regelrechten parlamentarischen Vertretung in seiner Heimath ein, hierin von der Mehrheit des Reichstages unterstützt. B. war sich klar über die Verbesserungsbedürftigkeit der mecklenburgischen Verhältnisse, konnte aber mit Erfolg den Rechtsstandpunkt gegen Eingriffe des Norddeutschen Bundes und des Reiches geltend machen. Fast wäre es indeß bei dem letzten Vorstoß dem Reichstage gelungen, sein Ziel, das Einschreiten der Reichsregierung, zu erreichen. B., selbst keine Kämpfernatur, hatte gegenüber der stürmischen Beredsamkeit Treitschke’s und der gewandten Dialektik Miquel’s einen schweren Stand. Seine Ruhe, seine Klarheit und seine allseitig anerkannte Liebenswürdigkeit waren dem gegenüber nicht ausreichende Waffen. Er machte geltend, daß „je größer die Gewalten sind, welche hier in einem Körper, im großen Centrum des Reiches, vereinigt sind, desto mehr der Gedanke naheliegen kann und muß, nicht alles nach einem Schema zu concentriren und einzuzwingen … Ich berufe mich auf das ius omnium, auf das Recht, das alle bindet, das für den einen nicht gebrochen werden kann, wenn es für alle gehalten werden und segensreiche Früchte tragen soll“ (2. November 1871). „Es ist nicht die Form, welche entscheiden kann, und alles deckt, sondern es ist der Sinn und die Tüchtigkeit, mit der es geleistet wird“ (14. Mai 1873). Als man ihm tactlos und unberechtigter Weise zum Vorwurf machte, daß er früher eine andere Sache vertreten habe, konnte er gelassen (19. Mai 1870) erklären: „Ich erlaube mir zu bemerken, daß ich die mecklenburgischen Verhältnisse vollständig genug kenne, um jedes Wort, welches ich in der vorigen Sitzung (13. Mai) wohlbedacht gesprochen habe, hier aufrecht zu erhalten. Zu widerrufen habe ich nichts. Wenn ich früher in andern Verhältnissen gestanden habe, so habe ich darin jedenfalls gelernt, objectiv und ruhig die Rechtsverhältnisse aufzufassen, über die ich zu sprechen und ein Urtheil abzugeben die Ehre habe. Ich habe einen guten und richtigen Weg eingehalten und hoffe ihn auch ferner einzuhalten“. Am wirksamsten mußte natürlich sein Hinweis auf die ernstlichen Reformgedanken der mecklenburgischen Regierungen sein. Im Bundesrath trat man ihm anfangs ohne Schwierigkeiten bei; namentlich hatte er Bismarck auf seiner Seite. Doch nach der letzten Berathung im Reichstage ließ ihn auch die Reichsregierung, geführt von Delbrück, fast im Stich. Da bot B. seine ganze Beredsamkeit auf: Octroyiren könnten und wollten die Großherzöge nicht, sie rechneten auf den Schutz des Reichs für die ungestörte Reform. Die einfache [353] Ablehnung des Reichstagsbeschlusses würde die Durchführung der landesherrlichen Entschließungen erleichtern. Es gelang ihm endlich auch dies Mal durchzudringen, und voller Genugthuung konnte er am 27. Juni 1873 dem Großherzog Friedrich Franz II. berichten, daß dies Ergebniß das wichtigste und erfreulichste wäre, welches in dem langwierigen Kampfe gegen die gesammte liberale Partei bisher erreicht sei. An diesen Bericht knüpfte er indeß auch dringliche Mahnungen zur Ausführung der Reformpläne: „Es bedarf kaum der Erwähnung, daß der Bundesrath sich mit diesem Beschlusse nicht unbedingt und für immer zu unserer Schutzwehr gegen den Reichstag gemacht hat. Die einberichteten Erklärungen der einzelnen Bevollmächtigten und des Ausschusses sind officielle Aeußerungen der Regierungen und lassen und bezwecken die Freiheit, sich je nach Umständen wieder zu degagiren und das letzte Wort vorzubehalten. Mit einem Wort, es ist … nur Schutz für ruhige Verhandlung und Gestaltung der als unerläßlich allerseits anerkannten Reformen. Je rascher und vollständiger diese ins Leben gesetzt werden können, je leichter wird die definitive Anerkennung des Bundesraths zu erreichen sein“. Im weiteren ging er auf die erforderlichen Reformen näher ein und empfahl vor allem Regelung der Finanzfrage. Während er dies schrieb, rechnete er bereits mit seiner Uebernahme in den Reichsdienst.

Als im November 1870 die Verträge mit den süddeutschen Staaten geschlossen wurden, nahm er lebhaft Anstoß an den Baiern in der Reichsverfassung eingeräumten Reservatrechten. Er befürchtete davon eine Störung der Geschäfte im Bundesrath, ja er fand, daß die Stellung Baierns für die andern Regierungen verletzend wäre. Unliebsame Erinnerungen an das Dreikönigsbündniß von 1849 stiegen bei ihm auf angesichts der Bildung des diplomatischen Ausschusses, bestehend aus Baiern, Sachsen und Württemberg. Doch sagte er sich, daß „Graf Bismarck diesen Vertrag als ein Ganzes, als einen großen politischen Act betrachtet habe, den er so nicht abgeschlossen hätte, wenn Baierns Eintritt wohlfeiler und mehr im System und Schema der Verfassung zu haben gewesen wäre. Eine andere Frage ist es, ob Baiern nicht klüger gehandelt hätte, einfach als primus inter pares einzutreten, auf sein Recht und eigenes Gewicht vertrauend“. Er empfahl dem im Felde weilenden Großherzog Friedrich Franz den Beitritt und stimmte schon ehe er Instruction erhielt auf eigene Verantwortung dafür (Bericht vom 10. December 1870).

Die ungewöhnliche Gewandtheit, die B. in der Führung der mecklenburgischen Angelegenheiten beim Bundesrathe bewies, brachte im Fürsten Bismarck den Gedanken zur Reife, den alten Mitarbeiter in den Reichsdienst zu ziehen. Indem er im Juni B. deswegen sondirte und im Herbst 1873 seine Ernennung zum Staatssecretär des Auswärtigen an Stelle des ein Jahr vorher zurückgetretenen Hermann v. Thile, des Freundes der Kaiserin, bewirkte, gewann er sich eine außerordentlich starke Stütze in den jetzt entstehenden beispiellosen Reibungen. Das zeigte sich sofort in seinem Kampfe mit Graf Harry Arnim. B. hat die meisten und viele der wichtigsten Erlasse gegen den verblendeten Botschafter geschrieben. Er bediente sich dabei vielfach einer zu seinem sonstigen gewinnenden Wesen in Widerspruch stehenden schroffen Ausdrucksweise, die zeigt, daß er ganz mit der Anschauung des Reichskanzlers übereinstimmte und ihm sozusagen bedingungslos ergeben war. Ja, er verstieg sich zuweilen zu Maßregeln, die ganz fraglos das Ansehen der Chicane haben, wie jene Möbelrechnung vom 8. Februar 1875, die an die einst gegen Hassenpflug geübte Chicane erinnert. Trotzdem gelang es ihm auch beim Kaiser ein Vertrauen zu finden, wie es der leitende Staatsmann gerade in jenen Jahren weniger bei [354] Wilhelm I. besaß, sodaß er in der Lage war, Bismarck über mancherlei innere höfische Vorkommnisse Nachricht zukommen zu lassen und von dem Fürsten öfter benutzt wurde, um Verstimmungen des Hofes zu beseitigen. Er ahnte das Kissinger Attentat auf seinen großen Freund (vgl. Anhang zu Ged. u. Erinn. II, 453 ff.). Der König ernannte den ausgesprochen evangelisch empfindenden Mann zum Mitglied der Generalsynode. Dort stimmte er jedoch anfangs gegen die Generalsynodalordnung (14. December 1875). Bismarck bediente sich seiner auch mit Erfolg, um eine Verständigung mit dem Finanzminister Otto Camphausen zu erzielen, wie die berühmten Briefe des Fürsten an B. vom 15. und 21. December 1877 beweisen. Daß B. es dem Fürsten hierin nach Wunsch machte, verräth die Stelle des Briefes vom 21: „Sie werden den Fluch der guten That daran erkennen, daß sie fortdauernd Bitten und Zumuthungen gebiert“. Ferner bearbeitete B. in seinem Fache die ersten colonialpolitischen Geschäfte des Reiches, so in Sachen der Fidjiinseln und betreffend den Freundschaftsvertrag mit Samoa (1879). Ebenso führte er mit dem französischen Vertreter Gontaut-Biron Verhandlungen wegen der französischen Heeresvermehrungen und veranlaßte schließlich die Abberufung dieses der Bismarck’schen Politik höchst unbequemen Gesandten. Seit dem 26. December 1875 versah er das Amt eines preußischen Bevollmächtigten im Bundesrath. Nach Beendigung der Kanzlerkrisis im Frühjahr 1877 bestellte ihn Fürst Bismarck (April 1877) zu seinem Vertreter in den auswärtigen Angelegenheiten des Reiches. In dieser Stellung fand er namentlich im russisch-türkischen Kriege Gelegenheit, seine russenfreundliche Gesinnung zu bethätigen. Auf dem Berliner Congresse im Juni und Juli 1878 war er neben Bismarck und Hohenlohe Bevollmächtigter des deutschen Reiches, trat indeß vollständig hinter der Riesengestalt des Reichskanzlers zurück. Nach den Protocollen scheint er kaum je das Wort ergriffen zu haben. Nebenbei war er lange Vorsitzender der Prüfungscommission für das diplomatische Examen. Nicht in gutem Einvernehmen scheint er mit Lothar Bucher gestanden zu haben, der stets allerhand kleine Bosheiten gegen ihn in seinen Gesprächen mit Busch aufzutischen hatte. Eine seiner letzten Handlungen war der Vortrag, den er am 30. August 1879 Kaiser Wilhelm I. über die furchtbar gespannte politische Lage unmittelbar vor dessen Abreise nach Alexandrowo zur Zusammenkunft mit Zar Alexander II. hielt, in dem es ihm gelang, den Herrscher zur Billigung der Unterhandlungen Bismarck’s mit Andrássy zu bewegen. Bald darauf ereilte den 64jährigen Mann infolge Ueberanstrengung bei seinen Arbeiten ein heftiger Krankheitsanfall, der ihn nöthigte, einen längeren Urlaub anzutreten. Es stellte sich heraus, daß sein Leben nicht mehr von langer Dauer sein konnte. Am 6. October nahmen Fürst und Fürstin v. Bismarck von ihm in Potsdam für immer Abschied. Dann trat er eine Reise nach Italien an. Auf ihr überraschte ihn an der langjährigen Stätte seines Wirkens, in Frankfurt a. M., an dem Tage, an dem er vor 17 Jahren von dort abberufen worden war, ein Nervenschlag, der seinem arbeitsreichen Leben ein Ende machte. Am 24. October wurde er auf dem Zwölfapostelkirchhof zu Berlin begraben, nachdem vorher in der Matthäikirche Büchsel im Beisein des greisen Kaisers eine Gedächtnißfeier abgehalten hatte. Er hinterließ sechs Söhne, von denen der älteste, der am 3. Mai 1849 zu Flottbeck geborene Bernhard, am 17. October 1900 zum Kanzler des Deutschen Reichs ernannt wurde. Eine Tochter war ihm im Tode vorangegangen.

Sein Aeußeres athmete Behaglichkeit und Vornehmheit. Er war ein Aristokrat von der alten Holstenart, conservativ vom Scheitel bis zur Sohle und zugleich von hoher Bildung. Dies vereint mit seinen Gaben verschaffte ihm die Freundschaft seines größten Zeitgenossen, dem er außerdem wegen [355] seiner außerordentlichen Arbeitskraft unschätzbar war. Ist er auch im wesentlichen das bloße Werkzeug desselben gewesen, so sichern ihm doch seine erstaunliche Geschicklichkeit, seine ungewöhnliche Einsicht und seine aufopfernde Treue, die er in hervorragenden Stellen bewiesen hat, einen Platz in der Geschichte.

Preußen im Bundestag, I–IV (besonders I, 19, 90, 95, 178, 259; III, 412; IV, 281). – Horst Kohl, Bismarck’s Briefe an General Leopold v. Gerlach, bes. S. 6. – Protokolle des Bundestags. – Jansen-Samwer; Schleswig-Holsteins Befreiung, Wiesbaden 1897, besonders S. 49. – Sybel, Begründung des deutschen Reiches II. – Horst Kohl, Bismarckjahrbuch V (Briefe Wentzel’s). – Sigmund Münz, Bernhard v. Bülow (in Nord und Süd, Breslau 1898, April, S. 212 ff.). – Kölnische Zeitung, Octbr. 1879. – Grenzboten, 1879, 4. Viertelj. (Moritz Busch) 90, 208–210. – H. v. Poschinger, Bismarck u. der Bundesrath I–IV, besonders I, 73 ff. – Stenogr. Berichte des Reichstages. – H. Kohl, Bismarckregesten. – H. Kohl, Reden des Fürsten v. Bismarck, VII. – Fürst Bismarck, Gedanken u. Erinnerungen I, 125 f., II, 167 f., 183 f., 203. Anhang z. G. u. E., bes. Bd. II. – M. Busch, Tagebuchblätter. – Bismarck. Some secret pages of his history. Diary by Moritz Busch III, 257 ff. – L. v. Hirschfeld, Friedrich Franz II., Großherzog von Mecklenburg-Schwerin, II. Leipzig 1891. – Duc de Broglie, La Mission de Gontaut-Biron à Berlin. Paris 1896. – Darstellung der in der Untersuchungssache wider den W. G. R. Grafen v. Arnim vor dem Kgl. Stadtgericht zu Berlin im Dec. 1874 stattgefundenen öffentl. Verhandlungen. – Martens (Samwer), Recueil général de traités etc., II. Serie, III. Bd. (Protokolle des Berliner Kongresses).