Zum Inhalt springen

ADB:Bernhardy, Gottfried

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Bernhardy, Gottfried“ von Friedrich August Eckstein in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 462–465, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bernhardy,_Gottfried&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 12:19 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Bernhardinus, Marcus
Band 2 (1875), S. 462–465 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Gottfried Bernhardy in der Wikipedia
Gottfried Bernhardy in Wikidata
GND-Nummer 116146516
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|2|462|465|Bernhardy, Gottfried|Friedrich August Eckstein|ADB:Bernhardy, Gottfried}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116146516}}    

Bernhardy: Gottfried B., Philolog, geb. am 20. März 1800 in Landsberg am der Warthe, † in Halle am 14. Mai 1875. Er war der Sohn eines jüdischen Kaufmanns, dessen Vermögensverhältnisse durch verschiedene Unfälle sich so verschlechtert hatten, daß der Knabe keine Aussicht auf eine wissenschaftliche Ausbildung hatte. Als er aber das neunte Lebensjahr erreicht hatte, boten zwei vermögende Brüder seines Vaters, die in Petersburg wohnten, die nöthigen Mittel und er konnte 1811 das Joachimsthal’sche Gymnasium in Berlin besuchen. Nach sechsjährigem Aufenthalte (drei Jahre in der ersten Lateinclasse) bezog er 1817 die Berliner Universität, um Philologie zu studiren. Er hatte das Glück, noch den alternden F. A. Wolf zu hören, so wenig auch dessen akademische Thätigkeit damals der glänzenden halle’schen Periode entsprach, aber A. Böckh stand in der Blüthe seiner Kraft, auch Buttmann zog ihn an. Die philosophischen Studien wurden neben dem Hauptfach auch nicht vergessen. Er war dritthalb Jahr Mitglied des philologischen Seminars, wurde 1820 auch Mitglied des pädagogischen Seminars und übernahm damit die Verpflichtung, an einem der Berliner Gymnasien Unterricht zu ertheilen. Er wurde dem Friedrich-Werderschen überwiesen, hatte aber namentlich in den unteren Classen wegen der Keckheit der Berliner Jugend sich keines besonderen Erfolges zu erfreuen. Am 30. Oct. 1822 erlangte er die philosophische Doctorwürde und veröffentlichte noch in demselben Jahre seine erste Schrift, „Eratosthenica“, eine Sammlung der weit zerstreuten und vielartigen Fragmente des Alexandriners, in deren schwieriger Erklärung er seine umfassende Gelehrsamkeit und scharfe Combinationsgabe schon glänzend bewährte. 1823 habilitirte er sich und am 18. März 1825 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. Neben seinen Vorlesungen und der Leitung einer Abtheilung des philologischen Seminars ertheilte er 1825 und 1826 auch in der Cauer’schen Erziehungsanstalt zu Charlottenburg Unterricht, der auf die oberste Classe und auf die Vorbereitung weniger Zöglinge zur Universität beschränkt die besten Früchte trug. Die Bearbeitung des Eratosthenes hatte ihn auf das Studium der griechischen Geographen geführt; er beabsichtigte eine neue Ausgabe der kleineren Geographen, von denen aber nur der sogenannte Dionysius periegeta mit weitschichtigem Commentar 1828 erschienen ist. Die Fortsetzung unterblieb wol mit Rücksicht auf die hierbei ihm schneller vorangehenden Franzosen, und nur einmal kehrt er in einer akademischen Gelegenheitsschrift auf dieses Gebiet zurück. Bedeutender [463] war die „Wissenschaftliche Syntax der griechischen Sprache“ (Berlin 1829); er stellte sich darin die große Aufgabe, die syntaktische Kunst der Griechen in ihren Gesetzen uns Anschauungen zu begreifen und den Zusammenhang ihrer geschichtlichen Entwicklung an den Eigenthümlichkeiten der wechselnden Sprachperioden nachzuweisen, Die historische Syntax wollte den lebendig fortwachsenden Organismus der Sprache nachweisen; dazu genügte nicht die genaue Kenntniß des zu allen Zeiten dafür Geleisteten (eine solche besaß B. wie Wenige), sondern es war eine selbständige Prüfung der verschiedenen Stilgattungen und die Erkenntniß des inneren Zusammenhangs des Lebens und der Litteratur erforderlich. Männer, wie Lobeck, sprachen sich sehr lobend über dieses Werk aus, dessen unmittelbare Folge die Ernennung zum ordentlichen Professor der classischen Philologie und Director des philologischen Seminars in Halle war, 9. April 1829. In Halle fand B. als seine Special-Collegen den hochbejahrten Schütz, dessen Thätigkeit schon seit Jahren nicht mehr gerechnet werden konnte, und den fast gleichalterigen Meier, der mehr die realen Gebiete der Alterthumswissenschaft vertrat, also für sich einen weiten Wirkungskreis. Aber er kam als Nachfolger Reisig’s, dessen Andenken nur allmählich aus der Erinnerung der studirenden Jugend wich und dessen Virtuosität als Lehrer B. mit seiner ruhigen und klaren Entwickelung, mit seiner mehr gründlichen als anregenden Darstellung nicht erreichen zu können schien. Auch sein Ton in dem persönlichen Verkehr wollte nicht behagen. Aber das änderte sich bald und es sammelte sich um ihn ein Kreis sehr tüchtiger Schüler, die seinem Unterrichte und noch mehr seinen Anregungen zu lebhaftem Danke sich verpflichtet fühlen und diesen auch äußerlich vielfach bethätigt haben. Neben der Interpretation lateinischer und griechischer Schriftsteller, bei der er meistens über die schönen litterargeschichtlichen Einleitungen nicht weit in den Text hinein kam, las er über philol. Encyclopädie, römische Alterthümer, römische und griechische Litteraturgeschichte und leitete daneben die Uebungen des Seminars mit besonderer Sorgfalt und Strenge. Mit diesen Vorlesungen hing fortan auch seine litterarische Thätigkeit zusammen. Schon 1830 erschien der schmächtige „Grundriß der römischen Litteratur“, der in jeder neuen Bearbeitung (1850, 1857, 1865, 1872) nicht blos an äußerem Umfange gewann. 1832 veröffentlichte er „Grundlinien zur Encyclopädie der Philologie“. Noch größer war der „Grundriß der griechischen Litteratur“ angelegt, dessen erster Theil 1836 zum ersten, 1861 zum dritten Male erschienen ist; erst neun Jahre später folgte der zweite, die poetische Litteratur umfassende Theil, dessen zweite Bearbeitung 1856, 1859, die dritte 1867, 1872 nöthig wurde. Dazu die Prosa zu bearbeiten hat er wol nie ernstlich Anstalt gemacht. In das Wolf’sche Schema einer inneren und äußeren Geschichte hat er diese Arbeiten zerlegt und bei dem zweiten Theile durch Scheidung der Formen der Darstellung auch die Schriften eines und desselben Schriftstellers zu trennen sich genöthigt gesehen. Hier konnte er den Umfang seiner Lectüre, das Massenhafte seines Wissens, die Schärfe und Feinheit seiner Kritik zeigen und nur selten merkt man subjective Neigungen oder temporäre Stimmungen. Er beherrschte das von ihm behandelte Gebiet. Hätte er in seiner Darstellung nicht zu sehr nach knapper Kürze gestrebt, den reichen Inhalt behaglicher behandelt und dadurch fließendere Sprache und größere Klarheit geboten, diese Werke würden noch allgemeinere Verbreitung gefunden haben als in der jetzigen Form, welche von jedem Leser ernstes Nachdenken und aufmerksames Studium fordert. Die immer wiederkehrenden neuen Bearbeitungen nahmen viel Zeit in Anspruch und es blieb zumal in dem Drange vieler amtlicher Geschäfte wenig Muße zu andern gelehrten Arbeiten. Die 1838 unter seiner Redaction begonnene „Bibliotheca scriporum latinorum“ kam nicht über den ersten Band hinaus, weil die Art seiner redactionellen Aenderungen und Zusätze die Mitarbeiter abschreckte [464] und schon für den zweiten Band (Tacitus) der Herausgeber Döderlein sich dergleichen verbat. Daneben hatte er im J. 1833 durch die Schwetschke’sche Buchhandlung zu einer neuen handlicheren Ausgabe des Suidas sich bestimmen lassen und war rüstig an die Arbeit gegangen, als 1834 die große Ausgabe von Gaisford in Oxford erschien. Aufgeben wollte man den Plan nicht, aber er mußte jetzt geändert werden. Der reiche kritische Apparat des Engländers wurde gesichtet, umgestaltet, durch eigene Vergleichung der besten Handschriften auch berichtigt, darnach wurde der verdorbene Text verbessert und von Interpolationen gereinigt, die lateinische Uebersetzung vielfach neu gemacht, die weitschichtigen Commentare abgekürzt, neue bündige, durch Gelehrsamkeit ausgezeichnete Anmerkungen hinzugefügt. Es war eine mühselige Arbeit (labor aerumnosus), die nur langsam gefördert werden konnte, so daß erst nach fast zwanzig Jahren 1851 das große Werk zum Abschluß kam. Die Widmung an den König von Preußen erwiderte dieser mit der Verleihung eines Ordens. B. spricht in dem Vorworte zum Suidas von occupationes et morae munerum academicorum; es waren ihm in der That deren viele aufgebürdet und er zeigte in solcher geschäftlichen Thätigkeit große Gewandtheit und Sicherheit. Ein Menschenalter blieb er Mitglied der wissenschaftlichen Prüfungs-Commission für die Candidaten des höheren Schulamts und trug hauptsächlich dazu bei, daß die halle’schen Zeugnisse großer Achtung sich erfreuten; weniger zufrieden waren manche Gymnasien mit seinen scharfen Urtheilen über die Leistungen der Abiturienten, obschon er auch hier nur die Erhaltung des alten Ruhmes sächsischer Gymnasien im Auge hatte. Das Dekanat der philosophischen Facultät hat er wiederholt verwaltet; zwei Jahre hintereinander (1841–1843) war er Prorector. Dazu kam 1844 die Stelle eines Ober-Bibliothekars der Universitäts-Bibliothek, wo es darauf ankam, eingewurzelte Uebelstände zu beseitigen, zahllose Lücken auszufüllen, zweckmäßig und doch billig zu erweitern und zu bereichern und dazu mehr Hülfsquellen zu beschaffen, die Katalogisirung neu einzurichten und möglichst durchzuführen. Mit unglaublichem Eifer hat er hier gearbeitet; dies ist wahrlich nicht der kleinste Theil seiner Verdienste um die halle’sche Universität. Auch die Stadt ehrte ihn dadurch, daß sie ihn 1867 zum Mitgliede des Curatoriums für das neu errichtete städtische Gymnasium wählte. Bei solchen Nebenarbeiten konnte er an neue große wissenschaftliche Arbeiten nicht mehr denken. Den Plan einer kritischen Bearbeitung der Scriptores historiae Augustae, zu der er nach einem Casaubon und Saumaise besonders befähigt war, gab er auf. Kleinere Abhandlungen lieferte er zu den Proömien der Lectionskataloge und zu akademischen Festschriften; für die „Allgemeine Encyclopädie“ ausgezeichnete Artikel über griechische Dichter (wie z. B. Epicharmos und Euripides), Aufsätze auch in Prutz’ „Litterarhistorischem Taschenbuche“. Die Recensirarbeit, der er für die „Berliner Jahrbücher“ und für die „Allgemeine Litteratur-Zeitung“ eifrigst obgelegen, war mit dem Aufhören dieser Institute abgeschlossen. Seine letzte Arbeit war (1869) die Sammlung von Wolf’s kleinen Schriften in lateinischer und deutscher Sprache (2 Bde.), deren Verdienstlichkeit Jedermann anerkennt, deren Sorgfalt aber nur Wenige würdigen können, weil die Schwierigkeit der Arbeit hier nicht auf der Hand liegt. – Seine Jugend war eine harte und trübe gewesen; mit Schwierigkeiten und Entbehrungen kämpfend hatte er seine Kraft gestählt und Selbstbewußtsein erworben. Daher kamen die scharfen Urtheile über Persönlichkeiten und Lebensverhältnisse, die nichts schonten und die oft verkannt wurden von denen, die ihm nicht näher standen. Er sah es gern, wenn ihm in gleich scharfer Weise erwidert wurde. In Halle erst erschlossen sich ihm die Freuden des Familienlebens, denn Pfingsten 1829 hatte er sich mit Henriette Meyer aus Berlin verheiratet. Wer ihn in dem Familienkreise (vier Töchter waren ihm geschenkt) verkehrend gesehen hat, wie er [465] dort Freunde und Schüler um sich versammelte, der weiß, welch weicher Kern unter der harten Schale verborgen war. Der Verlust der trefflichen Gattin im Juli 1853 war für ihn sehr herb, so sehr auch die Töchter sich beeiferten, denselben zu ersetzen. Die reiferen Jahre brachten ihm wohlverdiente Ehren an Titel und Orden. Schon 1862 ward er zum geheimen Regierungsrath ernannt. Mehr als solche Auszeichnungen erfreute ihn an seinem funfzigjährigen Doctorjubiläum im J. 1872 die Theilnahme seiner alten Schüler, die eine Bernhardy-Stiftung zu Stipendien für Studirende der Philologie begründet und dazu 1000 Thaler gesammelt hatten, die Verehrung seiner Collegen und der Lehrer an den Gymnasien, von denen zahlreiche Festschriften ihm überreicht wurden. Sein Professor-Jubiläum in den Ostertagen 1875 wurde wegen der akademischen Ferien nur in engerem Kreise gefeiert. Er hatte sich stets einer rüstigen Gesundheit erfreut und alljährlich auf weiten Reisen oder auch wol durch eine Sommerfrische in den Thälern Thüringens Erholung gesucht von sehr angestrengter Arbeit. Um so unerwarteter kam sein Tod, der durch ein anfangs verheimlichtes Blasenleiden nach einer Krankheit von wenigen Tagen in der Nacht vom 13. zum 14. Mai 1875 erfolgt ist. Nach seinem Willen ist er ohne Pomp beerdigt; Prof. Beyschlag hat ihm eine vortreffliche Leichenrede gehalten.