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ADB:Lobeck, Christian August

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Artikel „Lobeck, Christian August“ von Ludwig Friedländer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 29–35, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lobeck,_Christian_August&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 02:26 Uhr UTC)
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Band 19 (1884), S. 29–35 (Quelle).
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Lobeck: Christian August L., einer der hervorragendsten Philologen dieses Jahrhunderts. Er wurde am 5. Juni 1781 zu Naumburg geboren, wo sein Vater Rector der Domschule war. In dieser, deren fünf Lehrer ehemalige Theologen waren, erhielt er einen dürftigen, fast ganz auf Latein und Griechisch (und auch dies innerhalb enger Grenzen) beschränkten Unterricht. Schon seit seiner Knabenzeit war er mit August Seidler (geb. 1779, † 1851) befreundet, mit dem er bis zu dessen Tode in engster Verbindung blieb; sie lasen zusammen Virgil, Matthison, Salis und Bürger und hofften dereinst selbst als Dichter zu glänzen. Im 16. Jahre bezog L. die Universität Jena, um dort Jura zu studiren und hörte im Vorbeigehen auch Griesbach, Paulus, Ilgen und Fichte. Im zweiten Semester ging er nach Leipzig und zur Theologie über. In der Absicht sich auf die Stelle eines Gymnasiallehrers vorzubereiten, suchte er seine [30] von der Schule mitgebrachten mangelhaften Kenntnisse durch den angestrengtesten Privatfleiß zu ersetzen. Er hörte Beck und G. Hermann; der letztere (geb. 1772), der ihm anfangs noch zu hoch war, wirkte am anregendsten auf ihn; zwischen beiden entwickelte sich eine herzliche Freundschaft, die in ununterbrochener Innigkeit bis zu Hermanns Tode (1848) fortdauerte. Lobeck’s Leben auf der Universität war ein höchst eingezogenes; zu seinen dortigen Freunden gehörte Erfurdt (1780–1813), sein Vorgänger im Amt zu Königsberg, und Karl Förster, Uebersetzer des Petrarca (1784–1841). Nach Ablauf des Trienniums erhielt er von dem Consistorium zu Zeitz das Zeugniß als Predigtamtscandidat und hat auch einige Male gepredigt. Im J. 1802 habilitirte er sich zu Wittenberg als magister legens (Privatdocent) mit der (gegen eine Bemerkung in Lessing’s Schrift „Wie die Alten den Tod gebildet haben“ gerichteten) „Disputatio de diis veterum adspectu corporum exanimium non prohibitis“ (wieder abgedruckt in den Programmen der Königsberger Universität, 1876, I und III) und wurde kurz darauf Adjunctus der dortigen philosophischen Facultät. Er las über griechische und lateinische Classiker und hielt ein Disputatorium, in dem bisweilen auch griechisch gesprochen wurde. Zu seinen Zuhörern gehörten unter Anderen F. A. Spohn (1792–1824), G. W. Nitzsch (1790–1861), F. Tr. Friedemann (1793–1853), Fr. Lindemann (1792–1854). Als Custos an der Universitätsbibliothek bezog L. ein festes Gehalt von ungefähr 50 Thalern nebst freier Wohnung; das zum Unterhalt Fehlende verschafften nothdürftig Privatstunden, namentlich mit jungen Medicinern, Uebersetzungen ihrer beim Facultätsexamen einzureichenden Abhandlungen ins Lateinische und mündliche Uebungen. Die Schläge, welche die Universität Wittenberg trafen, veränderten auch Lobeck’s Verhältnisse. Er war nun (1807) genöthigt dort eine Schulstelle als Conrector am Lyceum anzunehmen, wurde aber gleich darauf Rector, in welchem Amte ihm zuerst Weichert, dann Spitzner folgte. In diese Zeit fällt seine Ausgabe des Sophokleischen Ajax (1809) und die Ernennung zum außerordentlichen, dann zum überzähligen ordentlichen Professor. Während der Belagerung Wittenbergs durch die Preußen war L. nach dem benachbarten Schmiedeberg ausgewandert. Hier erhielt er kurz vor der Schlacht bei Leipzig seine Berufung nach Königsberg als Professor der Beredtsamkeit und Alterthumswissenschaft an Erfurdt’s Stelle. Im Mai 1814 trat er dies Amt an, das er dann ohne Unterbrechung bis 1857 verwaltet hat, wo beginnende Altersschwäche es ihm unmöglich machte.

Als Universitätslehrer hatte L., der in Königsberg bis zur Ernennung von Lehrs (1845) der einzige ordentliche Professor der classischen Philologie war, die Aufgabe, die Studirenden in das ganze Gebiet der Alterthumswissenschaft einzuführen. Er hielt zu diesem Zweck in jedem Triennium sechs vierstündige Vorlesungen, die er auch stilistisch mit größter Sorgfalt ausarbeitete und so vortrug, daß sie wörtlich niedergeschrieben werden konnten: über griechische und römische Alterthümer, griechische und römische Litteraturgeschichte, Mythologie und Einleitung in die griechische Grammatik. In der Interpretation der alten Schriftsteller, deren er aus beiden Sprachen eine sehr große Zahl erklärte, gab er eine mehr populäre Erläuterung und vortreffliche Uebersetzungen in den Versmaßen der Originale (Proben der letzteren sind von E. Grosse im Philologus, Bd. XXII S. 347–369 herausgegeben worden). Im zweiten und dritten Jahrzehnt des Jahrhunderts galt es in Königsberg für Studirende aller Fächer, die sich um allgemeine Bildung bemühten, als unerläßlich, diese Interpretationen zu hören, später wurde der Besuch immer spärlicher und zuletzt stellte L. sie ein. Im philologischen Seminar, das er bis 1851 allein, dann mit Lehrs zusammen leitete, gewöhnte er seine Schüler an gewissenhaftes Sammeln des Materials, genaues Beobachten und Unterscheiden, und lehrte sie die scheinlose Wahrheit der glänzenden [31] Möglichkeit vorziehen und die Untersuchung nicht eher abschließen, als bis alle zu Gebote stehenden Mittel zur Beantwortung der aufzuwerfenden Fragen erschöpft waren.

Da L. neben seiner Professur noch mehrere geschäftsvolle Aemter bekleidete (er war Redner der Universität, Oberbibliothekar, Examinator und zugleich Director der zur Prüfung der Schulamtscandidaten eingesetzten Commission), konnten seine großen schriftstellerischen Leistungen nur durch eine ebenso großartige, „ohne Hast aber ohne Rast“ thätige Arbeitskraft, sowie durch die geizigste Benutzung der Zeit ermöglicht werden; er wünschte oft die Zeit kaufen zu können, die Andere vergeudeten. Wer die Reihe seiner Werke überblickt und ihren Inhalt ermißt, kann nicht genug staunen, daß ein einziges Leben hingereicht hat, dies Alles zu vollbringen. Staunenerregend ist aber auch der Umfang seines auf der Bibliothek zu Königsberg aufbewahrten litterarischen Nachlasses: es sind 130 zum Theil sehr starke Quartbände und zusammengeschnürte Fascikel, die (außer Collegienheften und akademischen Reden) Sammlungen und Excerpte grammatischen und mythologisch-antiquarischen Inhalts und unvollendete Manuscripte enthalten. (Vgl. Lehnerdt, Auswahl aus Lobeck’s Reden, S. 1–29.) Dies unablässige Schaffen, dem jedes erreichte Ziel nur der Ausgangspunkt einer neuen Bahn ist, läßt das Wort verstehen: Genie ist Fleiß. Doch die immer neu zuströmende Fülle des Stoffs vermochte ihn nie, den Abschluß einer begonnenen Arbeit zu beschleunigen. Er hat einmal scherzend gesagt, daß alle, die vor ihrem Tode Bücher herausgäben, ihm zu sehr zu eilen schienen. An die Vollendung der Form machte er nicht minder hohe Ansprüche als an die des Inhalts, beides ist in seinen Werken wie aus einem Gusse, nirgends die Spur einer Nachlässigkeit, am allerwenigsten einer Trivialität. Nur für eines seiner Bücher, die erste Ausgabe des Ajax, hat die Horazische Frist von neun Jahren ungefähr ausgereicht, alle übrigen haben das Doppelte, ja Dreifache erfordert.

Lobeck’s schriftstellerische Thätigkeit hat sich auf zwei weit auseinander liegende Gebiete erstreckt: das der griechischen Religionsgeschichte und das der griechischen Sprachforschung. Auf dem ersteren hatte er sich schon durch die Schrift „De morte Bacchi“, 1810, und die Recension des ersten Bandes von Creuzer’s Symbolik 1811, als Meister gezeigt. Als Verfasser der letzteren, die in der Jenaer Litteraturzeitung anonym erschien (wieder abgedruckt in Friedländer’s Mittheilungen aus Lobeck’s Briefwechsel, S. 173–187), galt J. H. Voß, bis 1818 dessen Sohn Heinrich den Recensenten zur Nennung seines Namens aufforderte, und L. sich nannte. Wie in dieser Recension hat L. sich auch in seinem großen, auf die Religionsgeschichte bezüglichen Hauptwerk hauptsächlich die Bekämpfung irriger Grundanschauungen zur Aufgabe gemacht, die einen weit über die Kreise der Fachgenossen hinausreichenden schädlichen Einfluß gewonnen hatten, und ohne deren Wegräumung eine richtige Erkenntniß der Entwickelung der griechischen Religion nicht möglich war. Die Vertreter der von Heyne begründeten Ansicht, daß den rohen Urbewohnern Griechenlands die Gotteserkenntniß in der ihrem Verständniß angepaßten Form des Mythus von orientalischen Missionären überliefert worden sei, vor Allem Creuzer, unterstützten und ergänzten diese Ansicht durch die Annahme, in den Mysterien, die man sich als eine Art geheimer Orden dachte, sei den Eingeweihten von einer gebildeten Priesterkaste eine reinere Gotteslehre gepredigt worden. Daß diese Ansicht, die unter dem Einfluß der damals sehr lebhaften Sympathien für geheime Verbindungen und hierarchische Tendenzen entstanden war und denselben ihre Verbreitung verdankte, grundfalsch sei, glaubte L. nur auf Grund der sorgsamsten Prüfung der Ueberlieferung des ganzen Alterthums und der bezüglichen, ebenso weitschichtigen als unerfreulichen modernen Litteratur darthun zu können: eine Riesenarbeit, an der manche Kraft erlahmt wäre, und für die auch er fast 20 Jahre bedurfte. Sein „Aglaophamus sive de theologiae mysticae Graecorum [32] causis libri tres“ (welche die Eleusinischen, Orphischen, Samothracischen Mysterien behandeln) erschien 1829: ein Buch, von welchem W. v. Humboldt sagte, es sei unmöglich, in einem höheren Grade Tiefe der Forschung und Vollendung der Darstellung zu verbinden. Hier ist unumstößlich und für immer bewiesen, daß die Religion der Mysterien weder von der nationalgriechischen wesentlich verschieden, noch esoterisch war, daß sie nicht aus dem Orient als etwas Fertiges eingeführt ist, endlich daß der Priesterstand als solcher in Griechenland eine höhere Gotteserkenntniß weder gelehrt noch besessen hat. Wenn diese Wahrheiten jetzt so allgemein anerkannt sind, daß sie schon als trivial gelten können, so ist dies wesentlich das Verdienst Lobeck’s. Ist übrigens auch das Resultat des Aglaophamus vorwiegend ein negatives, so ist durch dies Werk doch auch die positive Kenntniß der religiösen Entwickelungen in Griechenland nach den verschiedensten Richtungen gefördert: um hier nur die große Sammlung der Ueberreste der Orphischen Litteratur zu erwähnen. Die Frage nach dem Wesen der griechischen Mystik freilich so weit zu beantworten als es überhaupt möglich ist, dazu bedürfte es einer Natur, die dem mystischen Element in der Religion überhaupt weniger fremd und abhold gegenüberstände als die ganz rationalistische Lobeck’s. Wenn es aber jemals gelingen sollte, eine vollkommenere Einsicht in diese Sphäre des griechischen Geisteslebens zu gewinnen, so wird es nur auf dem Boden möglich sein, den L. erst geschaffen hat.

Auf dem Gebiete der griechischen Sprachforschung hatte L. sich schon 1809 den meisten Mitlebenden durch die Ausgabe des Ajax überlegen gezeigt, die eine große Anzahl von bedeutenden sprachlichen Beobachtungen und Untersuchungen aller Art enthält; denn dergleichen Arbeiten mußten damals als Zugabe zu einem alten Autor gegeben werden, da sie in der philologischen Welt noch zu wenig Theilnahme fanden, um selbständig erscheinen zu können. Nicht minder bewundernswürdig ist die Gelehrsamkeit sowie die Beherrschung und Durchdringung des Stoffes in der Ausgabe des Atticisten Phrynichus (1820), für welche L. „die meisten griechischen Schriftsteller sorgfältig und dieselben zwei- auch dreimal“ gelesen hatte; die zweite Hälfte des Buches besteht aus einer Reihe von Abhandlungen zur Wortbildungslehre. Nach der Vollendung des Aglaophamus wendete sich L. den sprachlichen Untersuchungen ausschließlich zu. Von seinen größeren, hierher gehörigen Arbeiten erschienen die zweite Ausgabe des „Ajax“ 1835, die „Paralipomena“ 1837, die „Zusätze zu Buttmann’s griechischer Grammatik“ 1839, „Pathologiae sermonis Graeci Prolegomena“ 1843, „Rhematicon“ 1846, „Pathologiae Graeci sermonis Elementa“, vol. I. 1853, vol. II. (herausgegeben von C. F. W. Müller), 1862. Vorzugsweise bewegen sich diese Arbeiten auf dem Gebiet der Lehre von der Wortbildung (im weitesten Sinne des Worts), und zwar ist die Betrachtung meistens nicht auf die ersten Anfänge und Ursprünge der Formen gerichtet, sondern auf die durch zahllose Processe entstandenen späteren Bildungen und die Gesetze ihrer im Flusse der Sprachentwickelung unaufhörlich eintretenden Veränderungen und Affectionen. Lobeck’s Gefühl für die Aeußerungen des sprachlichen Bildungstriebes war das feinste. Vor Allem die innigen Wechselbeziehungen zwischen Form und Inhalt, zwischen Bildung und Gebrauch der Wörter übersah er zugleich im weitesten Umfange und bis in die kleinsten Eigenthümlichkeiten. So vermochte er aus unzähligen entstellten Resten die einstigen Formen der Gestalten zu erkennen, den ungeheuren, unendlich fragmentirten Stoff mit neuem organischen Leben zu durchdringen. „Aus der Zerstreutheit des Einzelnen“, sagt Lehrs, „strebte er, selbst um das Einzelne zu verstehen, zum Ganzen. Ein für geringere Geister endloses Ganze erfassend, stürzte er sich in das Meer der Untersuchung, so weit und bewegt es war; zwischen dem Kleinsten und Größten, zwischen dem Einzelnen und Ganzen war im Gebiete der Wissenschaft für ihn ebenso wenig [33] eine Trennung möglich als etwa für Spinoza im Gebiete des Universums. Und das gibt jeder Seite, die er geschrieben, den ganz eigenthümlichen Stempel, die Fülle ohne Atomistik, das Emporquellen bald wie aus einem Chaos, bald Emporringen der zum Zusammenwirken präformirten Elemente.“

L. stand noch im besten Mannesalter, als die vergleichende Sprachforschung für die griechische Wortbildungs- und Formenlehre eine völlige Umwälzung der Grundvorstellungen herbeiführte und sie auf einen neuen, umfassenderen Boden stellte, der sich je länger je mehr befestigte und erweiterte. Was ihn gleichwol abhielt sich den neuen Gewinn anzueignen, das war nicht die Schwierigkeit, sich von den gewohnten Vorstellungen loszureißen, auch nicht die anfangs oft abschreckend rohe und verständnißlose Behandlung, die das Griechische „von jenen Mezzofantis erfuhr, die es nach Durchblätterung einiger Wörterbücher und Compendien zu verstehen glauben und mit verhängten Zügeln durch hundert Sprachen schweifen.“ Warum es ihm unmöglich war, von den Resultaten der vergleichenden Sprachforschung für seine Arbeiten Nutzen zu ziehn, das hat er für jeden, der seine Natur begreift, klar und verständlich ausgesprochen: „Wenn es“ – so schrieb er 1837 (Paralip. p. 127) – „die Natur uns vergönnte ‚zum zweiten Male jung und wieder alt zu sein‘, so würde ich diese doppelte Lebensdauer zwischen beiden Studien vertheilen, da die einfache kaum zur Kenntniß einer Sprache hinreicht.“ In der That forderte die Kenntniß einer Sprache, wie sie für ihn allein Werth hatte, ein ganzes Leben; eine bloße Darlegung ihres Organismus, an einer beschränkten Zahl von Formen nachgewiesen, konnte ihm nicht genug thun: ihm war die grammatische Kenntniß der Formen, die lexikalische der Wörter etwas Todtes und Aeußerliches, ohne die Möglichkeit, ihr Leben und Weben in der Sprache und im Gebrauch geschichtlich verfolgen zu können. Allerdings sind nun die Ergebnisse von Lobeck’s Untersuchungen durch die vergleichende Sprachforschung mannigfach in Frage gestellt, berichtigt und umgestoßen worden. Doch hat er dafür gesorgt, daß der Gehalt seiner Arbeiten eine erhebliche Werthverminderung ertragen kann: auch wird dies von den competentesten Vertretern der neuen Richtung anerkannt. Benfey, der L. einen der ausgezeichnetsten Sprachforscher nennt, sagt, daß er die bedeutendsten Vorarbeiten zu einer griechischen Grammatik geliefert habe, insbesondere in seiner Ausgabe des „Phrynichus“ (Geschichte der Sprachwissenschaft, S. 637 und 640). Curtius bemerkt, daß L. seine volle Größe da zeigt, „wo er einen reichen Stoff verschiedenartiger Bewährung und Prägung nach seinen Distinctionen eintheilt, auf Färbung und Geltung einer Wortgattung aufmerksam macht und von da aus Verkehrtes zu beseitigen, Mißverstandenes zu berichtigen unternimmt.“ Auch seine verfehlten Etymologien „sind immer mit einer solchen Fülle der Gelehrsamkeit, so feiner philologischer Unterscheidung und so sorgfältiger Berücksichtigung der Ueberlieferung verbunden, daß sie dennoch zum Verständniß des griechischen Sprachbaues viel beitragen, und daß auch da, wo die Resultate der Untersuchung nicht gebilligt werden können, ihre Auffindung durch den darin verarbeiteten Stoff überaus werthvoll ist“ (Grundzüge d. Gr. Etymol., S. 13 u. 16).

Als sogenannter Professor der Eloquenz hatte L. jährlich zwei öffentliche Festreden (am Krönungstage des ersten Königs von Preußen und am Geburtstage des regierenden Königs) zu halten, wozu bei außerordentlichen Gelegenheiten noch manche andere kamen, wie die mit Recht bewunderte bei der dritten Säcularfeier der Universität zu Königsberg (3. August 1844). Jene Festreden hielt er 1822–1846 in lateinischer, früher und später meist in deutscher Sprache: in beiden zeigt er sich auch hier als vollendeter Meister des Ausdrucks. Er pflegte hier in geistvoller Weise „die Gegenwart im Lichte des Alterthums oder das Alterthum im Lichte der Gegenwart“ zu betrachten, oft mit feiner Ironie. Er besaß die seltene Gabe des Witzes in hohem Maße und sein Witz [34] wirkte am unwiderstehlichsten unter der Maske würdevollen Ernstes. Gab er sich seiner heiteren Laune hin, so sprudelten die köstlichsten Einfälle in Fülle hervor. Er selbst wollte an diesen Reden nur anerkannt wissen, daß sie nie viel über eine Viertelstunde dauerten; auch war er weit davon entfernt sie drucken zu lassen. Eine „Auswahl aus L.’s akadem. Reden“ ist 1865 von A. Lehnerdt herausgegeben worden.

Lobeck’s Leben, das seit seiner Uebersiedlung nach Königsberg an Ereignissen sehr arm war, darf man ein glückliches nennen. Im J. 1815 führte er die ihm längst lieb gewordene älteste Tochter des Superintendenten Kuntze in Bischofswerda als Gattin in die neue Heimath, und das Glück dieser Ehe war ein durchaus ungetrübtes. Seine Frau, die ihn lange überlebte (sie starb 1879 im 91. Jahr), nahm ihm die kleinen Sorgen des täglichen Lebens ab, die ihm bei seiner großen Unbehülflichkeit in geschäftlichen Dingen sehr lästig geworden wären; sie hielt alles von ihm fern, was seine Ruhe oder Sammlung stören konnte; wenn er, was bei seiner Hypochondrie leicht der Fall war, zu trüben Gedanken neigte, fand er in ihrem kräftigen, muthvollen, gleichmäßig heiteren Sinn Trost und Beruhigung. An Stelle der eigenen Kinder, die dieser Ehe fehlten, wuchsen zwei Pflegetöchter heran. Lobeck’s Gesundheit, die durch lange Ueberanstrengung sehr erschüttert war (in Wittenberg und Leipzig hatte er sich bei Nachtarbeiten mit kaltem Wasser gewaltsam wach erhalten), stellte sich nach einem dreimaligen Gebrauch von Salzbrunn so völlig her, daß er nie eines Urlaubs bedurfte; in seinen früheren Jahren vermochte er mehrere Meilen zu Pferde in raschem Trabe ohne Ermüdung zurückzulegen. Die Abgeschiedenheit Königsbergs, das er nur selten und auf kurze Zeit verließ, sagte ihm so sehr zu, daß er nie den Wunsch empfand, es mit einem anderen Orte zu vertauschen, wozu sich mehr als eine Gelegenheit bot (so erhielt er 1833 auf Hermann’s Veranlassung einen Ruf nach Leipzig). Sein Einkommen war bei seiner hohen Genügsamkeit, ja Bedürfnißlosigkeit, für ihn weit mehr als ausreichend. Ueber dem Streben nach Vortheilen, Einfluß und Auszeichnungen (welche letzteren ihm im reichen Maße zu Theil wurden) war er unendlich erhaben. Seine Vorlesungen hielt er stets unentgeltlich. Daß er den Charakter eines geheimen Raths erhalten hatte, erfuhr seine Frau erst einige Tage später durch den Glückwunsch eines Collegen. Seinem Wahlspruch vive latenter blieb er stets im strengsten Sinne treu; den Tag seines 50jährigen Amtsjubiläums (1852) verlebte er in ländlicher Zurückgezogenheit. Seine Interessen waren vielartig und ausgedehnt, doch übte er das Recht einer abgeschlossenen und großartigen Existenz, sich seine Kreise nicht durch Heterogenes verwirren zu lassen. Den lebendigsten Antheil nahm er an der Entwickelung der politischen Zustände; seine Ansichten waren hier die eines entschiedenen Liberalen, auf religiösem Gebiet die eines Rationalisten. Er, der mit jeder Minute kargte, gewann es über sich, ganze Stunden bei Urwahlen zuzubringen, und ist wiederholt Wahlmann gewesen.

Lobeck’s Natur war eine durchaus milde und friedliche, in seinem Wesen eine unbeschreibliche Mischung von Anmuth und Würde; einzig war er in der völligen Unbewußtheit seines eignen Werths, die jede Art von Exclusivität ausschloß. Nie kam es ihm in den Sinn, mit irgend jemand, mochte er auch noch so gering sein, anders als auf gleichem Fuße zu verkehren; wol nie hat er einen Besuch, einen Brief unerwidert gelassen. Es war darin nichts Ceremonielles oder Gemachtes, wovon seine Natur keine Faser enthielt; es war ein schönes menschliches Wohlwollen, das eine Annäherung nicht anders als gütig aufnehmen konnte und ihm alle Herzen gewann. Auch auf seinen Spaziergängen war er für Jedermann zugänglich, und „der alte Lobeck“ war in Königsberg eine sehr populäre Persönlichkeit; man war auch in Kreisen, wohin nur ein dunkles Gerücht von seiner [35] Gelehrsamkeit drang, stolz darauf, daß er der Stadt angehörte, deren mythenbildende Thätigkeit sich mit ihm gern und viel beschäftigte. Die Altersbeschwerden machten sich bei ihm erst etwa drei Jahre vor seinem Tode geltend, wo er seine Vorlesungen aufgeben mußte; doch konnte er seine Arbeiten noch fortsetzen. Als auch dies unmöglich wurde, besonders da seine Augen immer mehr abnahmen, wurde ihm das Leben, das für ihn nur ein ununterbrochenes Schaffen gewesen war, zur Last. Er entschlummerte ohne eigentliches Leiden am 25. August 1860. – L. war klein und hager von Gestalt, das Gesicht sehr pockennarbig, Nase und Kinn lang und spitz, die blauen Augen seelenvoll und leuchtend.

Lehrs, Erinnerungen an Lobeck. N. Preuß. Provinzialblätter Bd. 17 (1860), S. 143–160. L. Friedländer, Nekrolog. Ebendas. S. 180–184. Derselbe, Mittheilungen aus Lobeck’s Briefwechsel. Nebst einem litterarischen Anhang (der auch die autobiographische Skizze L.’s: Biologisches ad amicos enthält) und einer zur Feier seines Gedächtnisses gehaltenen Rede. Leipzig, Teubner 1861. A. Lehnerdt, Auswahl aus Lobeck’s akademischen Reden. Berlin, Weidmann 1865.