Zum Inhalt springen

ADB:Lobe, Johann Christian

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Lobe, Johann Christian“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 24–29, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lobe,_Johann_Christian&oldid=- (Version vom 11. Oktober 2024, 21:40 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Lo, Peter
Band 19 (1884), S. 24–29 (Quelle).
Johann Christian Lobe bei Wikisource
Johann Christian Lobe in der Wikipedia
Johann Christian Lobe in Wikidata
GND-Nummer 117068098
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|19|24|29|Lobe, Johann Christian|Robert Eitner|ADB:Lobe, Johann Christian}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117068098}}    

Lobe: Johann Christian L., Flötenvirtuos, Componist, Theoretiker, Musikschriftsteller und Feuilletonist, geb. am 30. Mai 1797 in Weimar. Eine [25] echte Faustnatur. Trotz seines schwächlichen Körpers hat er Riesenaufgaben sich gestellt, von denen eine genügte, um ein ganzes Menschenleben auszufüllen. Stets in ärmlichen Verhältnissen lebend, mußte er den Heißhunger nach Wissen mit den größten Entbehrungen stillen, mußte sich durch alle Irrungen hindurchkämpfen, alles bittere Erdenleid durchkosten bis in ein Alter von 84 Jahren, als Mensch gewiß bewundernswerth! Seine geistigen Anlagen traten eigentlich nirgends bedeutend hervor. Ohne den staunenswerthen Fleiß, den unersättlichen Schaffensdrang, der ihn beseelte, hätte er es nicht weiter gebracht als die große Masse. Etwa 20 Jahr alt – seit 9 Jahren schon als Flötenvirtuos geschätzt und seit 6 Jahren bereits Kammermusikus an der Hofkapelle in Weimar, ergreift ihn der Drang eine Oper zu schreiben. Er faßt den Gedanken, sich selbst einen Text zu dichten. Ohne Vorkenntnisse, ohne die gehörige Schulbildung, ohne etwas von dramatischen Bedingungen, oder von Prosodie zu wissen – er selbst schildert uns den Zustand in treffender Weise in seinem Buche „Aus dem Leben eines Musikers“ (Leipzig 1859, S. 30) – hielt er doch an seinem Entschluß fest. Er sagt selbst „Alles mußte erst gelernt werden. Um dies zu können, war vor allem Zeit zu schaffen, galt es Entsagung, Zurückziehen von den Freunden, von aller Gesellschaft, allen Lustbarkeiten. Ich kann wohl sagen, um Ruhm zu gewinnen, gab ich jeden Lebensgenuß auf. Ich schloß mich ab und oft auch ein. Es gab Tage – an denen kein Theater und keine Probe mich riefen – wo ich mich sehr früh des Morgens an meine Bücher setzte und um Mitternacht noch dabei saß. Selbst zu Tisch nahm ich ein Buch mit und genoß abwechselnd einen Bissen Fleisch und einen Bissen Geschichte, Dramaturgie, Prosodie. Um mir die Bücher zu verschaffen, aus denen ich in aller Geschwindigkeit lernen wollte, lief ich auf die großherzogliche Bibliothek und schleppte zusammen, was mir brauchbar zu sein schien, Bücher die paßten und nicht paßten, Aristoteles, Horaz, Quintilian, Sulzer’s Theorie der schönen Künste. Lessing’s Dramaturgie etc., ferner Moritz’ Prosodie, – Geschichtswerke, – um mich über die Zeit und die Kämpfe Karls des Großen und der Sachsen zu belehren. Zugleich trug ich an dramatischen Werken, Schau- und Trauerspielen, nicht weniger an Operntexten zusammen, was ich nur erlangen konnte. Alle Stühle im Stübchen lagen voll solcher gebundenen und ungebundenen Weisheit. Ich nahm ein Werk nach dem andern vor, las und excerpirte und – excerpirte. So studirte ich Tag und Nacht; Tragkörbe voll solcher Excerpte habe ich später in die Papiermühle geschickt, um dafür – neues unbeschriebenes Papier zu erhalten, das wieder in solcher Weise verbraucht werden sollte“. Goethe äußerte einst zu L.: „Ihr Schreiben an mich war gut abgefaßt. Wie haben Sie Ihren Stil gebildet?“ Worauf L. (ebendort S. 89) sagte: „Excellenz, wie Franklin es mit dem Addison’schen Zuschauer, habe ich es mit einigen Ihrer Werke gemacht, sie gelesen, den Inhalt gemerkt, nach einiger Zeit diesen in eigenen Ausdrücken nachgeschrieben, das Geschriebene dann mit Ihrer Schrift verglichen und so in das Wesen Ihres Stils einzudringen gesucht“. In dieser Weise verschaffte sich L. all’ sein Wissen, wie ein Robinson die Lebensbedürfnisse auf einsamer Insel. Der Vater Lobe’s war ein armer Illuminator für die Bertuch’sche Kupferdruckerei in Weimar. L. erzählte sebst, daß sein Großvater den Dudelsack in den abendlichen Dämmerstunden ganz wunderbar spielte und – fährt er fort – „so fuhr, wie der Schreibeteufel nach Jean Paul in Siebenkäs’ Seele, aus jenem Dudelsack der Teufel der Töne in die meinige und setzte sich fest, und ließ lange Zeit nichts Anderes hinein. Es giebt eine Krankheit im menschlichen Körper, wo aller Nahrungsstoff sich in Zucker verwandelt, so bei mir alles in Töne“. Auf Verwendung der Großfürstin Maria Paulowna erhielt er Unterricht bei dem Kapellmeister Müller und Musikdirector [26] Riemann im Flöten- und Violinspiel. Mit 11 Jahren trat er im Theater bereits als Flötenvirtuos auf. Sehr hinderlich bei seinen Virtuosenleistungen war ihm die unüberwindliche Schüchternheit. „Ich habe (äußert er 1820 gegen Zelter a. a. O. S. 115) regelmäßig das Angstfieber, wenn auch weniger der Fingerei, doch des Ausdrucks wegen. Ich möchte wie Orpheus Steine bewegen, mein Spiel aber kommt mir gegen das, was ich fühle, so kalt und hölzern vor, daß ich glaube, die Zuhörer müßten eher dabei erstarren, als warm werden. Der Virtuos aber, der mir nicht die Thränen ins Auge treiben kann, steht mir kaum so hoch wie ein geschickter Seiltänzer“. Bei so hohen Ansprüchen an sich selbst war es natürlich, daß ihn jede Arbeit nur so lange erfreute, als er sich selbst von ihr gefesselt fühlte, geistig wie physisch, und sie bald verabscheute, sobald sie vollendet, aufgeführt oder gedruckt war. Wenn diese Erfahrung auch jeder Künstler mehr oder weniger an sich macht, da sie eine ganz natürliche Folge seines Fortschreitens ist, so liegt doch hier die Ursache nicht sowol im Fortschreiten, als vielmehr im Verkennen seiner geistigen Veranlagung und im Zersplittern seiner Thätigkeit. Neben seinem Virtuosenthum und seinen amtlichen Pflichten als Orchestermitglied componirte er, trieb neuere Sprachen, Philosophie, schrieb sich die Textbücher selbst, unterrichtete in Theorie und Praxis. So erlangte er nirgends eine fertige Meisterschaft, mit der er sich selbst hätte genügen können und das machte ihn dann wieder nur noch unsteter. L. gesteht oft ein, daß ihm das Componiren sehr leicht und rasch von der Hand ging und er darin eine reiche Naturbegabung erkannte; auch errangen sich manche seiner Instrumentalwerke den Beifall des Publikums und wurden vielfach aufgeführt, auch durch mehrfache Auflagen verbreitet. Blickte er aber von seinen Werken auf Meister seiner Zeit, wie Hummel und Zelter, so erschienen ihm seine eigenen Werke verblaßt und abgeschmackt und er suchte stets den Mangel in dem Fehlen jeglichen regelmäßigen Unterrichts. Er überschätzte aber sein musikalisches Miniaturtalent, dem versagt war, Sinfonien und Opern zu schaffen. Viel trug auch die damalige Kritik dazu bei, sein unbedeutenderes Musiktalent auf Abwege zu führen, denn das Mittelgut wucherte und wurde bis in den Himmel gehoben, während die Meisterwerke eines Bach, Händel, Mozart, Beethoven entweder unbekannt blieben oder gar als Verirrungen, als das Langweiligste vom Langweiligen gescholten wurden. Die damals allgewaltige „Allgemeine musikalische Zeitung“ war die personifizirte Trägerin des Mittelguts und der Halbheit. Rob. Schumann, der schon im J. 1834 mit seiner neuen Zeitschrift für Musik andre Bahnen anzutreten unternahm, hatte einen schweren Stand gegen diesen Geist der Geistlosigkeit. Ihm und Mendelssohn gebührt das Verdienst, nicht nur die Klassiker wieder zur Geltung gebracht, sondern auch durch Wort und That ein besseres Urtheil herangebildet zu haben. Auch L. sollte Schumann’s kritische Feder empfinden, ehe er zum Einsehen kam. Lobe’s Oper „Die Fürstin von Grenada oder der Zauberblick“, wurde am 28. September 1833 zum ersten Male in Weimar aufgeführt und erschien im folgenden Jahre in Partitur und Clavierauszug bei Schott’s Söhnen in Mainz. Ueber die Aufführung berichtet die Allgem. musik. Zeitung Bd. 35, Sp. 709 und nochmals Sp. 809 in den höchsten Tönen des Lobes: „Seit M. v. Weber’s herrliche Meisterwerke auf die Weimar’sche Bühne gebracht wurden, hat sich wol nicht wieder eine neuere Oper daselbst eines größeren und lebhafteren Beifalls zu erfreuen gehabt. Herr L. wird durch diese jüngste Schöpfung seiner Muse nicht nur die Vorurtheile und Widerwärtigkeiten, welche gewöhnlich dem Propheten in seinem Vaterlande entgegenstehen, siegreich überwinden, sondern auch seinen bereits im Auslande gewonnenen Ruf für immer befestigen und vergrößern. So viel glauben wir jetzt schon vorläufig mit gutem Grunde behaupten zu [27] können: es faßt sehr Vieles in sich, was ihm den Beifall der Kenner und fast Alles, was ihm den lebhaftesten Applaus des größeren musikliebenden Publikums gewinnen und für lange Zeit sicher stellen kann“ etc. Ueber das Textbuch sagte er noch: „obgleich keineswegs ein rein dramatisches Meisterwerk, bietet es doch dem Componisten durchgängig echt musikalische Situationen und erschöpft äußerlich fast Alles, was Werken der Art allgemeines Interesse verleihen kann“. Dann „die Ouvertüre ist ein Pracht- und Feuerstück voll origineller, bald lieblicher, bald kräftiger Effekte“. Darauf theilt er in Partitur die interessantesten Stellen mit, aus denen wir aber heute keineswegs ein großes Genie erkennen, sondern rechte Alltagsmusik mit einer starken Dosis Trivialem, das mehr nach Gartenconcert als nach idealem Kunstwerk schmeckt. So stand es damals mit der Kritik. Als Rob. Schumann seine helle Stimme dawider erhob, und sich die wahren und strebsamsten Jünger der Kunst freudig um ihn scharten, darunter auch L. selbst, da zog sich freilich Mancher bald mit verbrannten Flügeln zurück und nur wenige gingen geläutert aus den Flammen hervor. Auch Lobe’s Name glänzt nur auf dem ersten Bande der „Neuen Zeitschrift für Musik“, denn schon im 2. Bande derselben wird auch über seine gerühmte Oper Gericht gehalten und – er zieht sich zurück. Schumann, oder einer seiner Mitarbeiter rückt zuerst dem Text zu Leibe und gelangt zu dem Urtheile, daß der Stoff in jeder Hinsicht abgeschmackt in Wahl und Bearbeitung sei. Dann fährt er fort: „Im vorigen Jahrhundert gab es, wie bekannt, in der bildenden Kunst eine sogenannte Perückenzeit. Der Name ist viel zu schlimm für die Sache; unsern Künstlern fehlt ein Hauptvorzug jener Zeit, das Handwerk. Die Gemälde jener Zeit erwärmen uns nicht durch die Erfindung, aus ihnen blitzt nicht der Funke des Genies, aber sie sind mit tüchtiger Praxis gemalt; die Statuen haben geschmacklosen Faltenwurf in den Gewändern und kleinliche Formen, aber sie zeugen von geschicktem Meißel. – In diese Kategorie stelle ich die Musik Lobe’s … Sobald seine Musik sich zum tragischen Cothurn erheben will, kleidet sie sich, statt sich mit Stahl und Eisen zu bewaffnen, oft in Panzer und Helm von Pappe, will sie die Feen- und Zauberwelt gaukelnd und üppig umflattern, so erlahmen ihr die Flügel und sie sinkt matt zum Irdischen herab; endlich entkleidet sie sich des lyrischen Gewandes und will Thalias Maske vornehmen – und das beleidigt unser Gefühl. Dies unklare Streben macht, daß wir einen bestimmten eigenthümlichen Charakter des Componisten gar nicht kennen lernen.“ L., damals im 38. Lebensjahre stehend, mußte von diesem klaren, offenen und scharfen Urtheile wie niedergeschmettert sein und mag wol den Entschluß gefaßt haben keine Note mehr zu schreiben, denn es vergingen Jahre, in denen sein Name in keinem Verlagskataloge mit einem neuen Werke erscheint. Interessant aber ist zwei Jahre später sein eigener Herzenserguß, den er in dem in Gesprächsform gekleideten Aufsatz „Künstlerstadien“ derselben Zeitung zum Abdruck übersendet und der ein lebhaftes Bild von seinem Seelenzustande entwirft; denn mit Recht dürfen wir wol dieses sein Bekenntniß auf ihn selbst beziehen (Neue Ztschr. f. M. Bd. VI, S. 63 u. f.). Die Unterhaltung zwischen einem Musiker und einem Archivarius dreht sich um des Künstlers Erdenwallen. „Willst du dich den Unsinnigen beizählen – rief der Musiker aus – welche behaupten, die Sorge sei ein wohlthätiges Uebel für den strebenden Künstler? – Himmel! was soll denn der vor allen Dingen thun und können? Frei und leicht hinflattern in alle Ecken und Enden der Welt, wo irgend seine Kunst getrieben wird – einsaugen alle ihre Reize … Nun flattere aber einmal und suche, wenn das Schicksal an deine Wiege trat und dir nichts weiter hinein legte, als einen leeren Geldbeutel mit der Devise: „Geschenk fürs ganze Leben“. Nachdem er darauf einen Jungen in drastischer Weise geschildert hat, der alles nachmacht was er sieht, fährt er fort: „Dieser Junge [28] war ich und dieser Trieb schob mich auch in das Gebiet der Musik. Ich machte manches, aber ich schuf nichts. Meine Mittel reichen nicht aus für die Unsterblichkeit; ich bin ein geschickter Schiffer auf bekannten schon befahrenen Meeren, werde aber nie ein Columbus werden, der einen neuen Welttheil entdeckt. Mit einem Wort, ich habe mich erkannt, resignirte und schlüpfte aus dem unglücklichen Häuflein der vergeblich Strebenden in den großen Kreis der heiter und vernünftig Genießenden hinüber“. Doch wie auch der hier geschilderte Musiker seinem Grundsatz ungetreu wird in dem Glauben, er werde aus der Natur die neuen Ideen schöpfen, so hat auch L. noch bis ins Jahr 1844 sich immer wieder an Compositionen herangewagt und sogar im letztgenannten Jahre noch eine komische Oper auf die Bühne gebracht. Dies blieb aber die letzte Arbeit und wandte er sich von da an ganz der Schriftstellerei zu, als Musiktheoretiker und als ein wegen seines in Heinescher Manier sarkastisch witzelnden Tones gern gelesener Feuilletonist. Schon 1841 gründete er in Weimar ein Institut für theoretischen Musikunterricht, nahm dann 1845 den Abschied als Kammermusiker und erhielt vom Großherzog den Professortitel. 1846 nach Leipzig übergesiedelt, errichtete er dort ein Musikinstitut und übernahm die Redaction der Allgemeinen musikalischen Zeitung, deren Hinsterben aber gerade er, der starr am Veralteten hing, am wenigsten aufzuhalten vermochte. Sie entschlief sanft am Ende des Revolutionsjahres 1848. L. war indessen ein weit und breit bekannter Theoretiker geworden und die Zeitschriften rissen sich um seine mit Humor gewürzten Feuilletonartikel. Er glaubte dies Alles am besten für sich nutzbar zu machen, wenn er selbst eine Musikzeitung gründete, doch auch dazu reichte wieder sein Talent nicht aus; denn die Würze darf nicht die Speise selbst ausmachen; die Zeitschrift ging nach kurzer Zeit wieder ein. Im J. 1852 gab er seine „Musikalischen Briefe, Wahrheit über Tonkunst und Tonkünstler. Von einem Wohlbekannten“, heraus. Sie enthalten viel Wahres, aber auch viel Irrthümer, besonders aber eine Verneinung alles dessen, was über sein eigenes doch recht enges musikalisches Begriffsvermögen geht. Bach als Fugencomponist, Händel als Oratoriencomponist sind ihm langweilige Begriffe. So sagt er S. 73: „Hören Sie selbst ein Oratorium von Händel, einem der größten Componisten – seiner Zeit. Ich für mein Theil scheue mich nicht auch hier die nackte Wahrheit zu sagen und bin der Ueberzeugung, daß jeder Unbefangene, der sich weder von der Furcht vor dem historischen Recht, noch von der Majestät des allgemeinen Credo, noch durch Kunstgelehrte, noch durch fanatische Verehrer des Alten und Hergebrachten einschüchtern läßt, der sich nicht selbst belügt, sondern überall nur der Wahrheit die Ehre giebt, auf die Frage, was er empfunden habe, sich die Antwort geben wird: ich habe bei den meisten Nummern einschläfernde Langeweile, bei einigen wenigen allerdings andächtige Stimmung, im Ganzen nur Mißstimmung und Zerrissenheit empfunden.“ Auch hier macht ihm das Fehlen der allgemeinen Bildung einen bösen Strich. Ebenso ist ihm Beethoven nur bis zur mittleren Zeit seiner Thätigkeit als Componist begreiflich und Richard Wagner’s Musik gar reizt ihn bis zur blinden Feindseligkeit. Ebenso grundfalsch ist sein Urtheil über Kirchenmusik, wenn er z. B. S. 81 sagt: „die Composition muß von der Art sein, daß das melodische Element in ihr vorwaltet“. Da das melodische Element der Musik den Menschen sinnlich aufregt, die Musik in der Kirche aber den Zuhörer vor Allem in eine fromme ruhige Stimmung versetzen soll, so würde sie nach Lobe’s Lehre ihren Zweck vollständig verfehlen. Es würde uns zu weit führen ihm durch alle Irrgänge zu folgen, wir haben nur andeuten wollen, wie sein Urtheil der Nachhall der kläglichen Zeit, in die seine Entwickelung fiel, geblieben ist und wie trotzdem aus dem einst so schüchternen und zaghaften Jünglinge ein sehr zuversichtlicher Mann geworden [29] ist, der sich gerne reden hört und von seiner Weisheit ganz durchdrungen ist. – Es erübrigt noch einen Blick auf seine musiktheoretischen Werke zu werfen, die von 1844 ab bis 1867 erschienen; sie beginnen mit der Compositionslehre der modernen Instrumentalformen und schließen mit der Oper. Auch hier war er ganz ein Kind seiner Zeit und that nicht einen Schritt weder zurück noch darüber hinaus. Auch hier zeigt er stets die Abneigung gegen die Fugenform. So sagt er 1844: „wird der Schüler zuerst in contrapunktischem Stile geübt, so hat er sich dann gewöhnlich so in den gebundenen und überhaupt Fugenstil eingedacht und gesponnen, daß alle seine Gedanken, wenn sie freie, moderne Formen schaffen wollen, in jenem Gewande erscheinen“. Wie falsch diese Voraussetzung ist, wurde ihm schon damals nachgewiesen, doch blieb er stets ein Verehrer der freieren Musikform. Dagegen legte er dem Schüler wieder andere unbequeme Fesseln an; stets seine eigene Jugend im Auge und den Fehlern ausweichend, die er selbst begangen hatte, führte er den Schüler einen wahren Schneckenweg. Sein „Lehrbuch der musikalischen Composition“, welches in vier Bänden erschien und sich mit Recht eines guten Rufes erfreute, so daß manche Bände zwei bis drei Auflagen erlebten, setzt einen Schüler voraus, der mit den denkbar geringsten Anlagen versehen und den päppelt er mit einer Langmuth zum Componisten heran, die wirklich bewundernswerth ist. Als besonders praktisch erwies sich sein „Katechismus der Musik“ (Leipzig bei J. J. Weber), der im J. 1866 schon seine 9. Auflage und 1883 die 22. erlebte. 1879 sammelte er die ihm am werthvollsten erscheinenden Artikel aus seiner Feder, die sich zerstreut in Zeitschriften fanden und gab sie unter dem Titel „Consonanzen und Dissonanzen“ heraus. Ein stattlicher Band von 461 Seiten in groß Octavo. Sie haben heute meist nur noch das historische Interesse, zu zeigen wie man vor 50 und mehr Jahren dachte und empfand. Vortrefflich und in ihrer Weise unübertrefflich sind aber alle die Artikel, in denen er sich seiner sarkastischen und humoristischen Neigung ungezwungen hingiebt. Hier bleibt er immer neu, immer anziehend. Der alte L. war nicht nur in Leipzig eine allbekannte und geschätzte Persönlichkeit, sondern die ganze musikalische Welt verehrte ihn. Sein redliches unablässiges Streben nach der Wahrheit, wenn es auch vielfach durch Irrthümer getrübt war, sein bis ins hohe Alter stetig gleichbleibender Fleiß, seine Gewissenhaftigkeit in Ausübung übernommener Verpflichtungen, hatte ihn Allen, mit denen er in Berührung kam, lieb und werth gemacht. Trotz seines schwächlichen Körpers ertrug er ein höheres Alter leichter als man glauben sollte. Erst als die Achtzig immer näher rückten, zog er sich von jeder öffentlichen Thätigkeit zurück und erwartete still und zurückgezogen sein Ende, welches ihn erst im 85. Lebensjahre erreichte. Einst noch Zeitgenosse Beethoven’s, Goethe’s und Zelter’s verschied er erst am 27. Juli 1881 zu Leipzig.