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ADB:Zelter, Karl Friedrich

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Artikel „Zelter, Karl Friedrich“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 46–52, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zelter,_Karl_Friedrich&oldid=- (Version vom 30. Dezember 2024, 18:54 Uhr UTC)
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Zelter: Karl Friedrich Z., Bauherr und Musiker, geboren in Berlin als Sohn eines Maurermeisters und Bauunternehmers am 11. December 1758, † daselbst am 15. Mai 1832. Seinen ersten Unterricht erhielt er durch einen Hofmeister, kam dann mit 14 Jahren in die Quarta des Joachimsthal’schen Gymnasiums. Der Vater nahm auf seinen häufigen Geschäftsfahrten nach Potsdam den Knaben öfters mit. Dieser lernte bei solchem Anlaß Sänger der königlichen Oper, die ebenfalls mitfuhren, kennen, und diese nahmen ihn dafür [47] im Winter mit ins Opernhaus. Hier schlug sein schon geweckter Sinn für Musik tiefe Wurzeln. Der sonst so wilde Bube, zu tollen Streichen so aufgelegt, daß seine Schulzeit einst infolge einer Prügelei eine bedrohliche Unterbrechung erlitt, fühlte sich beim Anhören der Musik wie durch eine höhere Macht ergriffen und gebunden. Daß die erste Oper, die er bei solchem Anlaß hörte, Graun’s „Phaeton“ war, ist bezeichnend für seine Entwicklung, denn der Geist der Graun’schen Kunstrichtung, wie sie sich zunächst in Fasch fortsetzte, schlug schon den Knaben in Bande, in denen er bis zu gewissem Grade zeitlebens blieb. War er aber auch ein unbändiger Knabe, wie er selbst in Aufzeichnungen über sein früheres Leben aussagt, so war er dabei doch ein braver Bursche voll guten, eifrigen Willens, gesund, stark und, wie er schreibt, „voller Saft“. Nach jener Prügelkatastrophe ward er 1773 wieder ins Gymnasium aufgenommen. Mit dem Lernen wollte es indessen nicht recht fortgehen und da er 1774 das nöthige Alter erreicht hatte, um in den ihm vorbestimmten Lebensberuf seines Vaters einzutreten, so verließ er die Schule, besuchte die Kunstakademie, um sich in Geometrie und Zeichnen zu vervollkommnen und trat dann, trotz persönlicher Abneigung, in kindlichem Gehorsam gegen den Vater als Maurerlehrling ein. Sein musikalischer Sinn war aber inzwischen weiter geweckt und genährt, ohne daß der Vater es beachtet hatte oder viel darum wußte. Bei dem Organisten Roßkämmer hatte er besonders im Orgelspiel Unterricht; bei dem Geiger Joh. Christoph Schulz spielte er Violine, hatte auch einigen theoretischen Unterricht. Besonders angeregt und gefördert ward er aber durch einen Dilettanten, den ihm befreundeten jungen Kaufmann Possin, der ein vortrefflicher Clavierspieler war. Mit Jammer sah Z. die Zartheit seiner Hände unter der harten Handwerksarbeit schwinden. Aber er fügte sich als guter Sohn. Nicht unbedenklich war die Gesellschaft, in die ihn um diese Zeit seine Musikleidenschaft führte, indem er in der Bande des Stadtmusikanten Lorenz George zu seinem Vergnügen mitwirkte und allerlei Instrumente zu behandeln lernte. Die Gefahren dieses Treibens, in denen es auch an kleinen Liebschaften nicht fehlte, wurden doch rechtzeitig empfunden und beendet.

Am 10. Februar 1777 hatte Z. seine Lehrjahre als Maurer vollendet und ward zum Gesellen losgesprochen. Heimlich setzte er daneben aber auch in der begonnenen eifrigen Weise sein Musiktreiben fort. Bei seinen Compositionsversuchen empfand er es peinlich, daß es ihm an festem Boden fehle. Da ihn Kirnberger, der damals in Berlin den Ruhm des vornehmsten theoretischen Lehrers genoß, abwies, wandte er sich an Fasch, der neben jenem die erste Stelle einnahm, und dieser nahm ihn wirklich in seine Lehre. Da Fasch damals während der Sommerzeit in Potsdam wohnte, machte Z. jeden Freitag die 4 Meilen hin und 4 zurück zu Fuß, um seinen Unterricht dort zu genießen, was ebenso sehr für seinen Eifer als für seine rüstige Jugendkraft zeugt. Daneben mußte er als Maurer sein praktisches und theoretisches Meisterstück fertig liefern und wurde am 1. December 1783 zum Meister gesprochen. Der Vater übergab ihm jetzt einen Theil seiner Kundschaft, um sich selbst zu entlasten. Erst 1786 nahm sein Leben die entscheidende Wendung. Als in diesem Jahre Friedrich der Große gestorben war, componirte Z. eine Trauercantate auf des Königs Tod, die in der Garnisonkirche zur Aufführung kam. Sie wirkte auf die Trauerversammlung tief ergreifend und fand auch bei den Künstlern große Anerkennung. Der Vater war zugegen ohne den Componisten zu kennen. Als er durch einen Bekannten die Sache erfuhr, überkam ihn das besorgliche Gefühl, den Sohn in eine verkehrte Bahn geführt zu haben und er gab ihm jetzt völlige Freiheit. Z. war aber ein viel zu braver Sohn um den Vater plötzlich im Stich zu lassen: er baute rüstig weiter, betrieb aber nun seine Musik nicht mehr heimlich, [48] sondern nach Lust und Zeit. Besonders widmete er sich der Liedcomposition, gab auch Musikunterricht. – Sein Vater starb 1791. Nicht lange darauf verheirathete sich Z. Auch bei diesem Anlaß zeigte sich sein treuherzig kindlicher Sinn. Es war ein Wunsch seiner sehr leidenden und pflegebedürftigen Mutter, der ihn bestimmte sich mit einer jungen Wittwe Namens Flöricke zu verheirathen, die ihm einen Sohn aus erster Ehe zubrachte. Er wurde indessen schon 1795 Wittwer und verheirathete sich das Jahr darauf mit Julie, der jüngern Tochter des Finanzraths Pappritz, einer ausgezeichneten Sängerin und unentbehrlichen Stütze der späteren Singakademie.

Mit diesem Namen treten wir in den Kreis, dem Z. hauptsächlich seine Bedeutung in der Musikgeschichte dankt. Fasch hatte bekanntlich 1790 einen Gesangverein von Dilettanten gegründet, zuerst mit nur wenig Mitgliedern. Als die Zahl zu groß wurde für private Räume wurde für die Uebungen und Aufführungen ein Saal der Akademie gewährt; darüber kam im Volksmund der Name „Singakademie“ auf, der sich seitdem für ähnliche Vereinigungen eingebürgert hat. Als Schüler von Fasch war Z. eines der thätigsten Mitglieder, half am Clavier oder im Orchester, da er gerüstet war, überall wo es gerade fehlte, einzutreten. Fasch war aber wenig geeignet einen Chor zu leiten, dachte auch, indem er vor allem seine eigenen vielstimmigen Compositionen singen ließ, wenig an ein wirkliches Einstudiren, so daß in den Uebungsstunden das Theetrinken und Plaudern die Musik bedenklich überwog. Es ist Zelter’s Verdienst, das Ganze in ernstere Bahnen geleitet zu haben. Er richtete zunächst auf eigene Hand mit einzelnen der Sänger einen Uebungsabend ein, in dem er nach und nach von leichteren Gesängen zu schwereren Aufgaben überging. Jetzt folgte auch Fasch diesem Beispiel; da er aber bereits sehr kränklich war, so ging schließlich die ganze Arbeit und Leitung auf Z. über. Als dann am 3. August 1800 Fasch gestorben war, übernahm Z. ohne weiteres, gewissermaßen als eine natürliche Erbschaft die Leitung der Singakademie, ward auch in dieser Stellung von allen Seiten unbedingt anerkannt. Es verdient übrigens bemerkt zu werden, daß er, der äußerlich keineswegs in glänzender Lage war, die mehr und mehr Zeit und Arbeit kostende Thätigkeit an der Singakademie ohne jede Vergütung leistete.

Z. hatte sich mit seinen Compositionen schon früh dem Goethe’schen Liede zugewandt. Durch Vermittlung der Frau des Verlagsbuchhändlers Unger theilte er Goethe im J. 1796 einige seiner Compositionen mit, an denen dieser großes Gefallen fand. Daran entspann sich zwischen beiden ein Briefwechsel, durch den im Laufe der Jahre eine immer wärmere persönliche Freundschaft entstand und die bis an Goethe’s Tod, somit kann man sagen bis an den Tod Beider, dauerte. Seit dem Jahre 1802, in welchem Z. Goethe in Weimar besuchte, traten kurze persönliche Begegnungen belebend hinzu. Dieser merkwürdige Briefwechsel in 6 Theilen von F. W. Riemer herausgegeben (Berlin, Duncker & Humblot 1833) ist eine überaus schätzbare Quelle sowol für die Auffassung Goethe’s in musikalischen Dingen, als für die Geschichte des Berliner Musiklebens und Zelter’s Stellung dazu. Während es erklärlich genug ist, was den biedern Berliner Meister so unauflöslich an seinen „göttlichen Freund“, wie er ihn später gerne anredet, band, hat man oft genug gefragt, was denn Goethe in so herzlicher und tiefer Weise an eine solche Persönlichkeit fesseln konnte. Zunächst muß man darauf antworten: eben diese Persönlichkeit; denn es war Zelter’s kerniges, thatkräftiges, gerades und von scharfem Berliner Witz gefärbtes Wesen, an dem der Dichter ein in den Briefen überall hervorleuchtendes Gefallen fand, selbst Zelter’s oft überderbes und knorriges Wesen trug dazu bei. Es kommt aber ein zweites hinzu. Goethes Sinn für Musik war wenig entwickelt und er [49] fühlte sich in seinem Verständniß unsicher, indem er sich wohlbewußt war, daß es ihm an einer ästhetischen Grundlage dafür fehle. Daher war ihm der tüchtige Techniker, der ihn belehren konnte und dessen Urtheil er richtig trauen zu dürfen glaubte, eine willkommene Ergänzung des eigenen Mangels. Hierin lag freilich eine thatsächliche Täuschung, weil Zelter’s Urtheil beschränkt und enge war. Ueber die ersten Lieder Zelter’s, welche Goethe kennen lernte, hatte übrigens dieser nicht unrichtig geurtheilt; es waren zwei von Zelter’s glücklichsten Compositionen darunter: „Ich denke dein“ und: „Wer sich der Einsamkeit ergiebt“. Die erstere hatte Z. ursprünglich zu einem Gedichte gleichen Eingangs von Friederike Brun geschrieben; sie ergriff Goethe so sehr, daß er sein herrliches Lied vielmehr zu Zelter’s Musik dichtete. In wichtigen Fragen aber hat dann freilich der Musiker den Dichter wenig glücklich gelenkt. Es ist in dieser Hinsicht bezeichnend, daß, in dem von 1796–1832 dauernden Briefwechsel, die Namen Zumsteeg, Löwe und Franz Schubert nicht zu finden sind. Das Dogma der Zelter’schen Musik war eben gefesselt in den Bannkreis des Berliner Musiklebens, wie es aus der Fridericianischen Zeit von Graun durch Fasch herabstammte. Zwar waren außer Händel und Bach vor Ablauf des 18. Jahrhunderts auch Gluck, Haydn und Mozart in den Kreis der Berliner Musik eingetreten, während Beethoven gegenüber Z. noch lange verständnißlos blieb. Noch 1808 schreibt er, nachdem er Beethoven’s „Christus am Oelberg“ gehört hatte: „Talente von der größten Bedeutung wie Cherubini, Beethoven u. m. entwenden Herkules’ Keule um Fliegen zu klatschen; erst muß man erstaunen und nachher gleich drauf die Achsel zucken über den Aufwand von Talent, Lappalien wichtig und hohe Mittel gemein zu machen“. Wenn viel später bei einer zweiten Anhörung (1831) sein Urtheil über dies Oratorium ganz anders ausfällt, so hatte inzwischen offenbar merkwürdigerweise der Dichter den Musiker corrigirt, zwar nicht inbetreff Beethoven’s speciell, sondern indem er ihn über die Bedeutung des Genies dem Talent gegenüber eines bessern belehrte. Es knüpfte sich dies an eine etwas geringschätzige Bemerkung, die Z. über Molière gemacht hatte (Brief vom 4. April 1807). Was Goethe ihm, vielleicht erst gelegentlich mündlich, darauf geantwortet hatte, sieht man aus einem Briefe Zelter’s vom 13. Mai 1820, und Z. war scharfsinnig genug, um die ihm ertheilte Belehrung auch auf sein eigenes Gebiet der Musik anzuwenden, indem er jetzt erkennt, daß es eben das Genie war, was ihn an Beethoven zurückgestoßen hatte. Seitdem spricht er von Beethoven überhaupt nur im Tone höchster Bewunderung. Weber freilich kam weniger gut bei ihm fort. Ueber die Begeisterung, mit der Berlin 1821 den „Freischütz“ aufnahm. schreibt er spöttelnd und nennt ihn ein „colossales Werk ex nihilo“, der ihn geschaffen sei eben ein „K:änkling“. Auch in seiner Anerkennung der „Euryanthe“ (1824) ist er recht zurückhaltend. Schlimmer noch kommt bei dieser Gelegenheit Spontini weg: der König, schreibt Z. (Th. IV, S. 63), habe doch Recht, er „mag all’ das Zeugs vor’n Teufel nicht“, womit Spontini, Weber u. s. w. gemeint sind. Am allerschlimmsten aber erging es dem genialen Berlioz. Dieser hatte Goethe 1823 seine Composition zu Theilen des Faust mit einem sehr schönen Begleitschreiben übersandt und Goethe schickte sie Z. zur Beurtheilung: Er möchte, schreibt er dabei, im Anschauen so wunderlicher Notenfiguren beruhigt werden. Zelter’s Urtheil faßt sich dahin zusammen: Es sei eine Abgeburt aus greulichem Incest entstanden. Das wird denn wol der Grund sein, weshalb der arme Berlioz von Goethe nicht einmal eine Antwort erhielt.

Wir kehren nach dieser Abschweifung zur Erzählung zurück. Im J. 1800 als Fasch starb, war Z., wie sein Enkel und Biograph Rintel urtheilt, ein in [50] sich vollständig abgeschlossener Charakter. „Ein sicheres Gefühl geistiger und körperlicher Gesundheit und Kraft lebte in ihm, hinderte ihn aber nicht jede überlegene Kraft mit einer liebenswürdigen Bescheidenheit und Verehrung anzuerkennen. Rührend ist namentlich die Pietät, mit der er Fasch verehrte, und jede Gelegenheit benutzte, das Andenken dieses vortrefflichen Mannes frisch und rege zu erhalten.“ Ueber seine eigenen Liedcompositionen spricht Z. in seinen autobiographischen Aufzeichnungen mit großer Bescheidenheit und doch waren es gerade diese, die ihn vor allem der damaligen Welt werth machten. In seinem Wissen und Können hielt er sich niemals für abgeschlossen, entwickelte vielmehr auf allen Gebieten des Wissens einen unermüdlichen Drang nach Belehrung. Vor allem waren es aber die Kunststudien seines großen Freundes in Weimar, die in ihm den lernbegierigsten Jünger fanden. Das bezeugt eine Menge von Auszügen und Aufsätzen aus allen Kunstgebieten, die sich in seinem Nachlaß vorfanden. Als Componist war und blieb er ein Kind seiner Jugendzeit, in der die Form den Gedanken beherrschte. Selbst in seinen Liedern waltet in der frühern Zeit noch die steife und gesuchte Manier vor, wie sie damals modisch war. Erst später, als seine Kraftnatur die Mode überwunden hatte, ließ er der eigenen Empfindung freieren Lauf und schrieb wie es ihm ums Herz war. Seine Declamation ist trefflich und der Ausdruck dringt oft auch tiefer in den Sinn des Gedichtes ein (man denke nur an seine so fein gedachte wie empfundene Composition des Königs von Thule); immer aber spürt man noch etwas von jener Steifheit und Unbehülflichkeit in der Empfindung und Erfindung wie er sie mit seinen norddeutschen Zeitgenossen theilte, und es blieb erst seinem Schüler und Liebling Mendelssohn vorbehalten, mit dieser Tradition im freien Herzenserguß zu brechen.

Am 17. März 1806 verlor Z. durch den Tod auch seine zweite Frau, die ihm eine Familie von 11 Kindern hinterließ. Das Schreckensjahr 1806 führte ihn in die städtischen Angelegenheiten ein. Zwar lehnte er es ab an die Spitze der Verwaltung zu treten, weil er der französischen Sprache nicht mächtig genug sei und schlug den, dann statt seiner gewählten Buchhändler de la Garde vor; er selbst kam aber doch als Mitglied des comité administratif in die wenig beneidenswerthe Lage, sich durch die Ausführung der Befehle der Fremdherrschaft unter seinen Mitbürgern manchen Haß zuzuziehen. Es war eine schwere Zeit; alle Verhältnisse waren aufgelöst, aller Verdienst hörte auf. Auch die Singakademie mußte ihre Sitzungen einstellen. Erst im folgenden Jahre rückten sich die Dinge allmählich wieder zurecht und auch die Singakademie begann am 10. Februar 1807 ihre Uebungen aufs neue, indem sie ein Concert zum Besten ihres Directors veranstaltete, um ihn wenigstens der nächsten Nahrungssorgen zu entheben. Er selbst warf sich jetzt mit seiner ganzen Energie auf die Erziehung von Sängern und Sängerinnen; errichtete auch einen Orchesterverein, in dem sich Dilettanten und Musiker zu einem wöchentlichen Uebungsabend verbanden. So schuf er sich die Mittel zur Aufführung von Oratorien, Messen und andern größeren Gesangswerken. Die Mitgliederzahl der Singakademie war bis auf 173 gestiegen. Sie veranstaltete um diese Zeit zum Besten der Armen ein Concert im Opernhause, welches dadurch besonders einen nachwirkenden Erfolg hatte, daß darin nur Gesänge a capella vorgetragen wurden. Solcher Gesang war im Laufe der Zeit völlig verloren gegangen und erfüllte die Zuhörerschaft mit Staunen und Bewunderung. Ans Ende des Jahres 1808 fällt dann auch die Gründung der Liedertafel, in der der mehrstimmige Männergesang gepflegt werden sollte. Ihr Meister war Z. und blieb es bis an sein Ende. Solcher mehrstimmige Männergesang war etwas ebenso unbekanntes, wie der Gesang [51] a capella, und beide haben sich dann von Berlin aus in rascher Folge über ganz Deutschland verbreitet.

Inzwischen hatte die Regierung längst ihr Augenmerk auf Z. geworfen und beschlossen der Musik eine ähnliche staatliche Unterstützung und Ueberwachung zu theil werden zu lassen, wie den andern Künsten. Im Juni 1809 wurde Z. als Professor an der kgl. Kunstakademie mit festem Gehalte angestellt. Seiner Thätigkeit ward hier ein weites Feld eröffnet: Prüfungen von sich meldenden Organisten, Abnahme von neuen oder reparirten Orgeln, Prüfung von Gesuchen um Aufnahme in das Institut für Kirchenmusik, Referate in Kunstangelegenheiten für das Ministerium des Unterrichts neben vielerlei Anderem, was ihm eine Unmasse schriftlicher Arbeiten auflud. Trotzdem fand er immer noch Zeit zum Componiren und zur Abfassung eigener Arbeiten über Musik und Anderes. Nach Gründung der Universität in Berlin bemühte er sich auch um die musikalische Erziehung der Studenten. Er hatte bis zum Jahre 1812 sein Handwerk noch nicht aufgegeben, nur daß sein Stiefsohn das Bauwesen z. Th. leitete, indem er den halben Nutzen davon zog. Er sollte es ganz übernehmen; da aber traf Z. das schwere Unglück, daß dieser Stiefsohn sich erschoß, worauf er selbst aus der Gewerkschaft austrat. Als er Goethe von seinem schmerzlichen Verluste in Kenntniß setzte, redete ihn dieser, tief ergriffen, in seiner Antwort mit dem brüderlichen „Du“ an. Z. schreibt darauf: „So hat mein tiefes Leid, das mich so unselig von aller Welt abbog, mir Ihr Vertrauen verdoppelt, insdem Sie mir ein Bruderherz offen zeigen, so habe ich gewonnen indem ich verlor und den Verlust kaum zu überwinden glaubte“. Auch er mußte aber dann das Du erwidern.

Nach den Befreiungskriegen begann für Z. eine Zeit der äußeren Ruhe und geistigen Sammlung, die er zur Arbeit auf den verschiedensten Gebieten, zu einem ausgedehnten Briefwechsel mit vielen hervorragenden Persönlichkeiten benutzte. Diese Briefe, die einen neuen Beweis seiner ungewöhnlichen geistigen Regsamkeit bieten, harren noch der Veröffentlichung. Seine Hauptsorge blieb es aber, die Singakademie so selbständig zu machen, daß sie den Stürmen der Zeit in einem eigenen Heime trotzen könne. Seinen Bemühungen ist es zu danken, daß der Staat ihr das Grundstück an der Dorotheenstraße schenkte und nun am 28. Juni 1824 der Bau eines Hauses auf Actien zum Beschluß erhoben wurde. Mit der Ausführung wurde der Baumeister Ottmer betraut, am 25. November 1826 fand das Richtfest statt und schon am 2. Januar zog Z. in das neue Haus. Am 8. April erfolgte die Einweihung des Saales und am 13. April wurde Graun’s „Tod Jesu“ aufgeführt, wie er noch bis in die jüngste Zeit in der Charwoche hier zur Aufführung gelangte. Im J. 1827 waren der Mitglieder 436.

Zelter’s letzte Lebensjahre sind durch seinen größten Schüler Mendelssohn erhellt und erwärmt worden. Zwölfjährig trat dieser 1821 in die Singakademie ein und Z. hat ihn bis an sein Lebensende an seinem Herzen gehalten; er erkannte von Anfang an die ganz ungewöhnliche Begabung des Knaben und Jünglings, überwachte ihn mit treuester Hingebung in all seinem musikalischen Thun und erkannte nach wenig Jahren mit ebenso richtigem Verständniß als inniger Freude, wie der noch so junge Schüler zur Meisterschaft und mehr und mehr zu einer selbständigen musikalischen Persönlichkeit emporwuchs. Schon im October 1821 nahm er ihn mit sich nach Weimar zu Goethe und es ist bekannt wie große Freude auch der Altmeister an dem rasch aufsteigenden Sterne empfand. Bekannt ist auch, daß die berühmte und folgenreiche erste Aufführung der Bach’schen „Matthäuspassion“ in der Singakademie am [52] 11. März 1829 bei Z. von Mendelssohn durchgesetzt und von diesem geleitet wurde.

Die Nachricht von Goethe’s Tod erschütterte Z. so tief, daß seine Kraft seitdem gebrochen schien; er folgte dem Freunde nach wenigen Wochen ins Grab. In der Leitung der Singakademie ist ihm zunächst Rungenhagen, dann Grell gefolgt. Daß das Institut die weniger günstigen Folgezeiten glücklich überdauern konnte, ist dem festen Grunde zu danken, auf den es durch Z. gestellt war.

Dr. Wilh. Rintel, Carl Friedr. Zelter. Eine Lebensbeschreibung nach autobiogr. Manuscr. bearbeitet. Berlin 1861. Schon Gerber bringt im Neuen biogr. Lexikon einen Theil der Selbstbiographie. Ein Verzeichniß der Werke auch bei Ledebur, Tonkünstlerlexikon Berlins s. v.