ADB:Birlinger, Anton
*): Anton B. wurde am 14. Januar 1834 im Wirthshause zum Löwen in Wurmlingen bei Tübingen-Rottenburg geboren, am Fuße der Capelle gelegen, welche Uhland und Andere besungen haben. Der Elementarschule des Ortes verdankte er seinen ersten Unterricht. Seine nächsten Anverwandten väterlicherseits waren seit langem die Lehrer des Ortes; ebenso die Vögte der Gemeinde bei Vorderösterreichs Zeiten, dessen Grenzen bis zum nahen Hirschau, eine Stunde von Tübingen sich ausdehnten. Durch seine Fertigkeit im Zeichnen wurden Lehrer und Pfarrer auf den Knaben aufmerksam und man bestimmte ihn zum Lehrer. Aber gegen den Willen der Mutter ertheilte ihm der Ortspfarrer lateinischen Unterricht. Den Vater hatte B. verloren, als er kaum fünf Jahre alt war. Die Mutter heirathete dann den Dorfschulzen Groß, einen Veteranen der Freiheitskriege, welcher 1859 starb. Des Stiefvaters ausgedehnte Oekonomie drohte dem Studium des Knaben den Garaus zu machen, was jedoch glücklicherweise verhindert wurde. In den Jahren 1848–1850 finden wir B. auf der Lateinschule zu Rottenburg am Neckar. Nach Absolvirung des bekannten württembergischen Landexamens trat er ins Rottweiler Convict ein, wo er von 1850–1854 war. Nachdem er sein Abiturientenexamen abgelegt hatte, studirte er von 1854–1858 an der Universität Tübingen katholische Theologie und germanistische Fächer, welch letzteren er durch Rector Lauchert in Rottweil zugeführt worden war. Befremdend ist es, daß B. seiner persönlichen Beziehungen zu Uhland, welche in dieser Zeit zu Stande kamen, in seinen Aufzeichnungen keine Erwähnung thut. Im J. 1858 machte B. die theologische Staatsprüfung und ging 1859 zehn Monate ins Priesterseminar zu Rottenburg. Nach empfangener Priesterweihe (1859) war er kurze Zeit in der praktischen Seelsorge [760] thätig und ging dann mit Staatsunterstützung behufs Fortsetzung seiner altdeutschen Studien nach München (1861), wo Vollmer großen Einfluß auf ihn ausübte. Im J. 1868 ging er nach Breslau, 1869 nach Berlin. Im Jahre 1869 habilitirte er sich in Bonn. Hier wurde ihm 1872 ein außerordentlicher Lehrstuhl für deutsche Philologie übertragen. Bei der Bewegung, welche sich aus Anlaß des Vaticanischen Concils unter den Katholiken Deutschlands erhob, trat er entschieden auf die Seite der Altkatholiken und ist ihnen bis zum Lebensende mit ganzem Herzen zugethan geblieben. Am 15. Juni 1891 verschied er zu Bonn nach längerem Leiden.
BirlingerAls akademischen Lehrer zeichnete B. ein oft derber Humor aus, der freilich auch nicht frei von Jovialität war. Seine Vorlesungen, welche sich auf die verschiedensten Gebiete der Germanistik erstreckten, erfreuten sich darum einer großen Beliebtheit. In seinem Aeußeren hatte er etwas Burschikoses; seine reckenhafte Gestalt bewegte sich in zwangloser Kleidung und Haltung. Ein warmes Herz für die, denen er einmal seine Freundschaft zugewandt hatte, zeichnete den bescheidenen, selbstlosen Gelehrten aus, dessen Größe in der Erforschung des Kleinen liegt.
Für seine Arbeiten kam ihm eine außerordentliche Belesenheit in allen Epochen der deutschen Litteratur zu statten, namentlich auf dem seltener betretenen Gebiete der Handschriften. Dabei unterstützte ihn eine hervorragende Sammlung werthvoller Bücher und eine Fülle gelehrter Collectaneen des schwäbischen Landes und ein treffliches Gedächtniß. Seine Bedeutung für die Wissenschaft liegt entschieden auf dem schriftstellerischen Gebiete. Vor allen Dingen muß hier seiner „Alemannia“ gedacht werden, Zeitschrift für Sprache, Litteratur und Volkskunde des Elsasses, Oberrheins und Schwabens (Bonn 1873 ff.); sie wird ein unerschöpflicher Born für schwäbisch-elsässische Volkskunde bleiben. Werke von bleibendem Werthe sind ferner: „Volksthümliches aus Schwaben“; „Augsburger Mundart“; „Schwäbisch-Augsburgisches Wörterbuch“; „Aus Schwaben“; „Des Knaben Wunderhorn“ (in Verbindung mit Wilh. Crecelius herausgegeben) etc. Seine schriftstellerische Thätigkeit war in erster Linie auf die Erforschung der süddeutschen Sagen, Sitten, Gebräuche, Lieder und Sprache gerichtet.
Nicht nur in der Gelehrtenwelt, sondern auch in fürstlichen Kreisen fanden seine Arbeiten die wohlverdiente Anerkennung: im J. 1862 erhielt er die kleine goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft in Preußen; 1865 dieselbe in Württemberg; 1863 die Medaille „Bene merenti“ vom Fürsten Karl Anton von Hohenzollern; 1865 die goldene Medaille für Wissenschaft vom Herzog Max von Baiern.
- Nach den eigenen Aufzeichnungen im Vereins-Album des Bergischen Geschichtsvereins zu Elberfeld, der Kölnischen Zeitung vom 17. Juni 1891 und meinem Nekrolog in der Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde I, 449 f.
*) Zu Bd. XLVI, S. 560.