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ADB:Bruhns, Christian

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Artikel „Bruhns, Christian“ von Siegmund Günther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 293–295, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bruhns,_Christian&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 08:01 Uhr UTC)
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Band 47 (1903), S. 293–295 (Quelle).
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Bruhns: Karl Christian B., Astronom, geboren am 22. November 1830 zu Plön, † am 25. Juli 1881 zu Leipzig. B. stammte aus einer geachteten, aber wenig bemittelten holsteinischen Handwerkerfamilie und wandte sich, nachdem er die Realschule seiner Vaterstadt besucht und dort bereits Proben sehr guter mathematischer Befähigung abgelegt hatte, dem väterlichen Gewerbe, dem eines Schlossers, zu. Im J. 1851 kam er als geschickter Mechaniker in eine Berliner Werkstätte, aber mit der Thätigkeit in dieser war seine Zeit nicht ausgefüllt, und da er von Professor Petersen in Altona einen Empfehlungsbrief an Encke, den Director der Berliner Sternwarte, mitgebracht hatte, so fand er Gelegenheit, zur Sternkunde, die bisher schon in Mußestunden von ihm gepflegt worden war, in nähere Beziehung zu treten. Encke erkannte bald das außerordentliche Talent des Jünglings für schwierige Rechnungen und übertrug ihm solche, die er dann bei Nacht ausführte, während er tagsüber mit Schraubstock und Feile thätig war. Doch dauerte dieses Verhältniß nur ein Jahr, denn schon im Sommer 1852 schied B. aus der Praxis, um bei seinem Gönner die Stelle eines zweiten Assistenten einzunehmen. Zwei Jahre später wurde er erster Assistent, und als 1860 D’Arrest von Leipzig nach Kopenhagen ging, gleichzeitig aber Moebius die Direction der dortigen Sternwarte niederlegte, wurde B. als Professor der Astronomie an die sächsische Universität berufen, welcher er bis zu seinem Tode angehörte. Docent an derjenigen zu Berlin war er nur zwei Jahre lang gewesen. Seine erste große Aufgabe im neuen Wirkungskreise bestand darin, an Stelle des den modernen Ansprüchen in keiner Weise mehr genügenden Observatoriums auf dem Thurme der Pleißenburg eine neue Sternwarte zu schaffen, die er denn auch zu einer Musteranstalt gestaltete. Als Lehrer hat er hier treffliches geleistet; eine ungemein vielseitige Anregung ging von ihm aus, und die Anzahl der von ihm herangebildeten Astronomen ist eine große.

Als Beobachter hatte B. in Berlin, wo ihm zuerst das große Aequatoreal, nachher der Meridiankreis überlassen war, Planeten und Kometen ausdauernd verfolgt. In Leipzig nahmen ihn zahllose Verpflichtungen so vielfach in Anspruch, daß der erste Theil der die von ihm und seinen Mitarbeitern angestellten Beobachtungen enthaltenden Publicationen der Leipziger Sternwarte erst posthum von seinem Nachfolger, Professor H. Bruns, herausgegeben werden konnte. Die eigentliche Stärke des in allen Sätteln gerechten Mannes lag im Calcul, den er wie wenige beherrschte, und es ist nach seinem Ableben dem Bedauern darüber Ausdruck gegeben worden, daß die Leipziger Periode die Hoffnungen, welche Viele auf Bruhns’ weitere Förderung der theoretischen Astronomie gesetzt hatten, sich nicht voll verwirklichte, weil eben zu schwere Lasten seinen freilich tragfähigen Schultern aufgebürdet waren. Zumal die [294] kleinen Planeten hatte er vorher in seine Obhut genommen; ihnen galt seine Inauguraldissertation „De planetis minoribus inter Martem et Jovem circa Solem versantibus“ (Berlin 1856). Kometenbahnen hat er mehrfach berechnet, auch einige Kometen zuerst aufgefunden.

Viele Arbeit verursachte ihm der allerdings durch die Natur der Dinge geborene Umstand, daß die königlich sächsische Regierung, als das Baeyer’sche Project einer mitteleuropäischen Gradmessung verwirklicht werden sollte, B. die astronomisch-geodätischen Arbeiten übertrug. Als Leiter der astronomischen Section im Preußischen Geodätischen Institute war er bei der Herausgabe mehrerer Bände der Publicationen dieser Anstalt (Leipzig 1860–1874) hervorragend betheiligt. Auch dienten diesem Zwecke die vielfachen Untersuchungen über die geographischen Coordinaten Leipzigs, welche B. anstellte; mit Berlin, Wien, Paris, München verband er telegraphisch seine Sternwarte und gewann so für deren geographische Länge höchst exacte Werthe. Leipzig wurde durch ihn zu einem der gesichertsten Fixpunkte des großen deutschen Dreiecksnetzes erhoben.

Auch für die Meteorologie und Klimatologie Sachsens hat B. tüchtiges geleistet. Er richtete ein regelmäßiges Beobachtungssystem ein, begründete neue und verbesserte die alten Stationen und suchte insbesondere die landwirthschaftlichen Kreise für eine bessere Werthschätzung des geregelten Wetterdienstes zu gewinnen. In Leipzig wurde eine Centralstelle begründet, und diese rief allenthalben Agrarprognosen ins Leben. Die von B. verfaßte Schrift („Ueber das meteorologische Bureau für Witterungsprognosen im Königreich Sachsen“, Leipzig 1879) kann als eine vortreffliche Einführung in die Gesammtheit der hier obschwebenden Fragen betrachtet werden. Auch an der internationalen Organisation der Witterungsforschung betheiligte er sich lebhaft.

Die seltene Gewandtheit, welche B. als astronomischen Rechner auszeichnete, veranlaßte ihn, der Verbesserung der Logarithmentafeln Beachtung zu widmen. Sein „Neues logarithmisch-trigonometrisches Handbuch auf sieben Dezimalen“ (2. Auflage 1881) gehört zweifellos zu den vollendetsten Werken dieser Art. Auch der populären Schriftstellerei blieb er nicht fremd. Sein „Atlas der Astronomie“ (Leipzig 1872) dient dem Zwecke, weiteren Kreisen das Verständniß der Wissenschaft, ihrer Objecte und Instrumente zu vermitteln, und wird demselben auch vollkommen gerecht.

Lebhaften Sinn hat der die neuesten Phasen seines Faches in seltenem Maaße beherrschende Mann gleichwol auch für geschichtliche Studien bethätigt. Seine Jugendarbeit war die Lösung einer 1855 von der philosophischen Facultät Berlins gestellten Preisaufgabe; erst sechs Jahre später erfolgte der Druck der zum Buche angewachsenen Abhandlung („Die astronomische Strahlenbrechung in ihrer historischen Entwicklung“, Berlin 1861). Fast gleichzeitig erschien „Geschichte und Beschreibung der Leipziger Sternwarte“ (Leipzig 1861). Mit dieser Schrift steht in innerer Beziehung das höchst lesenswerthe Universitätsprogramm, durch welches B. 1877 die Uebernahme des Rectorates seiner Hochschule einleitete („Die Astronomen der Sternwarte auf der Pleißenburg in Leipzig“). Es ist dies ein ganz eigenartiger Beitrag zur neueren Wissenschafts- und Universitätsgeschichte. Seinem Lehrer setzte B. ein pietätvolles litterarisches Denkmal („Biographie Encke’s“, Leipzig 1869). Mit Recht gewann man deshalb auch diese ausgezeichnete, schöpferische Kraft für die Oberleitung des biographischen Werkes, mit welchem das Andenken des größten deutschen Naturforschers aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gefeiert werden sollte. B. verband sich für dasselbe („Alexander v. Humboldt“, [295] 3 Bände, Leipzig 1872) mit J. Loewenberg, A. Dove, Avé-Lallemant, H. W. Dove, Wiedemann, Ewald, Peschel, Grisebach, Carus und Wundt; er selbst lieferte die sehr eingehende Schilderung der Verdienste, welche sich Humboldt um Mathematik, Astronomie und geographische Ortsbestimmung erworben hat. Humboldt hatte auch in Bruhns’ Lebensgang noch wohlwollend eingegriffen. Es darf auch die Thatsache nicht unbeachtet bleiben, daß die astronomischen Artikel der A. D. B. bis zum Buchstaben K – hier überraschte ihn der Tod – von B. verfaßt worden sind.

Gewiß ist dies eine stattliche Aufzählung von wissenschaftlichen Thaten, die von einem in den besten Mannesjahren dahingegangenen Gelehrten namhaft zu machen waren. Allein man würde doch seinem Andenken nicht völlig gerecht werden, wollte man nicht auch daran erinnern, daß B. durch seine Persönlichkeit ebenso sehr wie durch seine Feder gewirkt hat, daß er recht eigentlich im Mittelpunkte der astronomischen Forschungsarbeit stand. Und diese Imponderabilien sind wahrlich nicht gering zu achten! Die Astronomische Gesellschaft hat ihm viel zu danken, und auf seine Initiative ist großentheils die Ausrüstung und Aussendung der ersten astronomischen Expeditionen Deutschlands zurückzuführen. Ein Nekrolog schließt mit den folgenden bezeichnenden Worten: „Innerhalb der Gemeinschaft der deutschen Astronomen und innerhalb eines engeren Kreises von Fachgenossen war er die Seele, das zusammenbringende Prinzip edler gemeinsamer Hingebung an nützliche Arbeiten, und sein Tod löste gerade in dieser Beziehung eine schwer auszufüllende Lücke“.

Nekrolog, Astronomische Nachrichten, Nr. 2385. – W. Foerster, K. C. Bruhns, Vierteljahrsschr. d. Astron. Gesellschaft, 18. Jahrg., S. 1 ff.