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ADB:Burdach, Karl Friedrich

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Artikel „Burdach, Karl Friedrich“ von Carl von Voit in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 578–580, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Burdach,_Karl_Friedrich&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 06:54 Uhr UTC)
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Burdach: Karl Friedrich B., geb. 12. Juni 1776 zu Leipzig, † 16. Juli 1847 zu Königsberg, Professor der Medicin. Er war das einzige Kind des [579] in jungen Jahren gestorbenen Docenten der Medicin und praktischen Arztes zu Leipzig, Daniel Christian Burdach. Früh entschlossen Medicin zu studiren, besuchte er die Unterrichtsanstalten und die Universität seiner Vaterstadt. Die damals in voller Blüthe stehende Naturphilosophie Schelling’s brachte auf den regen Geist des Studenten eine so mächtige Wirkung hervor, daß er sich ihren Fesseln nie mehr ganz zu entziehen vermochte. Nachdem er sich als Docent an der Leipziger Hochschule habilitirt hatte, begab er sich noch zu seiner Ausbildung in der Medicin nach Wien, wohin ihn besonders Peter Frank zog, und trat dann nach seiner Rückkehr im 23. Lebensjahre als Docent und praktischer Arzt in Leipzig auf. Er hätte sich damals gerne eigenen Untersuchungen und Beobachtungen hingegeben, aber es stand ihm kein Material zur Verfügung, weshalb er auf die Verwerthung der Beobachtungen Anderer angewiesen war. Zudem sah er sich, da er unter schwierigen Verhältnissen für sich und seine Familie den Lebensunterhalt verdienen mußte, genöthigt, für buchhändlerische Speculationen zu schreiben. So entstand zu dieser Zeit in rascher Folge eine große Anzahl medicinischer Schriften, welche alle sein, allerdings fruchtloses Bestreben zeigen, die Erscheinungen in naturphilosophischem Sinne aus allgemeinen Gesichtspunkten aufzufassen. – Nach mancherlei fehlgeschlagenen Bewerbungen gelang es ihm (1811) eine Professur für Anatomie, Physiologie und gerichtliche Medicin in Dorpat zu erhalten. Daselbst begann für B. ein neuer Lebensabschnitt; er war den Nahrungssorgen enthoben, und hatte endlich einen freien Wirkungskreis und die Gelegenheit, selbständig zu arbeiten, erlangt. Er trug vorzüglich Anatomie, Physiologie und Bildungsgeschichte des Embryo, für welche letztere er sich lebhaft zu interessiren begann, vor. In seinen Vorlesungen, in denen er stets auf Grund naturphilosophischer Anschauungen der Empirie einen tieferen Sinn abzugewinnen trachtete, fand er großen Beifall. – Trotz der angenehmen Lebensverhältnisse in Dorpat zog es B., besonders nach der Neugestaltung der Dinge in Deutschland, in sein Vaterland zurück, und er nahm 1814 einen Ruf als Professor der Anatomie an die Universität Königsberg an. Dort gründete er die anatomische Anstalt, und legte unter Mithülfe seiner Prosectoren C. E. v. Baer und H. Rathke, der nachmals berühmten Embryologen, die Sammlung an. Im 51. Lebensjahre legte er die Stellung als Director der anatomischen Anstalt nieder, und beschränkte sich von da an auf seine übrigen Vorlesungen und seine vielen anderen Amtsgeschäfte. – Um Burdach’s Wesen und Wirken zu verstehen, muß man festhalten, daß er in naturphilosophischen Grundsätzen auferzogen war. Vereinzelte Thatsachen erschienen dieser Richtung bekanntlich geistlos, und die Aufstellung allgemeiner Gründe der Erscheinungen allein befriedigend. Man vergaß, daß man nur durch die sorgfältigste Erforschung der Thatsachen zu Gesetzen gelangt, und gab sich der Täuschung hin, daß mit einer solchen Speculation auch eine Erklärung der Erscheinungen gegeben sei, während doch dadurch, selbst unter der Annahme der völligen Richtigkeit derselben, für die Naturforschung, in der es sich nur um die Erkennung der Ursachen der Erscheinungen handelt, gar nichts erreicht ist. – B. kannte sehr wohl die Thatsachen und schritt vom Besonderen zum Allgemeinen fort; aber es interessirten ihn nur Dinge, bei welchen er alsbald eine Beziehung zu allgemeinen Ansichten erkannte, womit er dann das Wesen der Erscheinungen verstanden zu haben glaubte. Charakteristisch für seine Richtung ist sein Urtheil über den ihm so sehr überlegenen Joh. Müller, daß derselbe sich bei empirischem Reichthum und philosophischem Raffinement in vereinzelten materialistischen Theorien verloren habe; Magendie, der ihm die wichtigsten Versuche vorführte, machte keinen Eindruck auf ihn. Darum konnte er sich nie mit dem Bestreben befreunden, die Lebenserscheinungen aus der Form und Mischung abzuleiten. [580] Eine Mechanik der Nerventhätigkeit erschien ihm als gehaltloses Zeug. B. hat schätzenswerthe specielle Forschungen ausgeführt, aber er leistete darin, seiner ganzen Anlage nach, nichts besonders Hervorragendes. Er hat Untersuchungen und Beobachtungen gemacht über den Bau und die Thätigkeit des Gehirns, über die Function des fünften und siebenten Gehirnnerven, den Einfluß des sympathischen Nerven auf die Eingeweide, die Form der Verzweigung der Haargefäße, den Mechanismus der Herzklappen, die Bildung der Stimme, und vorzüglich über die Erzeugung und Entwicklung des Embryo, welche größtentheils in seinen Berichten aus der anatomischen Anstalt niedergelegt sind. Ein ganz besonderes Verdienst hat er sich durch die Herausgabe seines großen Handbuches: „Die Physiologie als Erfahrungswissenschaft“ erworben, in welchem er einen vollständigen Bericht über die Thatsachen und Erscheinungen zu geben versuchte, und zu dessen Bearbeitung er sich mit ausgezeichneten jüngeren Forschern in verschiedenen Zweigen der Naturwissenschaft, wie mit Baer, Rathke, Müller, Wagner, Valentin, Siebold, Moser etc. verband. Er wollte ursprünglich das Werk auf alles das ausdehnen, was auf das Leben von Einfluß ist; es blieb aber leider unvollendet, da die drei beabsichtigten letzten Bände, welche über die Bewegung, die Empfindung und die Seelenthätigkeit handeln sollten, nicht erschienen. – In einem hervorragenden Vortrage auf der Naturforscherversammlung zu Berlin (1828): „Ueber Psychologie als Naturwissenschaft“ drang er darauf in diese bis dahin kaum zu der Naturwissenschaft gerechnete Disciplin die comparative Methode einzuführen und die Aeußerungen des Seelenlebens auf allen Stufen des Thierreichs zu beobachten. Sehr Ersprießliches leistete B. als Dirigent des Medicinalcollegiums, in dem er viele Gutachten abgab. Auch den öffentlichen Angelegenheiten z. B. den Kleinkinderschulen widmete er eifrig seine Theilnahme, was in der damaligen Zeit für einen Gelehrten selten war. Bei der dritten Säcularfeier der Universität Königsberg verwaltete er in würdigster Weise das Amt des Prorectors und vertrat dabei in Anwesenheit des Königs von Preußen energisch die Interessen seiner Hochschule.

Ausführliche Selbstbiographie in: Blicke ins Leben, 1844. 3. Band.