ADB:Burow, Julie (2. Artikel)
Julie Burow, wurde am 24. Februar 1804[1] zu Kydullen im ehemaligen Neu-Ostpreußen als die Tochter des Salzinspectors Burow geboren. Der letztere wurde durch die in Folge des Tilsiter Friedens eingetretenen politischen Umgestaltungen brotlos, erhielt aber bald darauf eine andere Anstellung in Elbing, und hier verlebte Julie eine trostlose, traurige Jugendzeit. Nicht allein, daß Mangel und Noth stehende Gäste im Elternhause waren, so daß Julie schon als elfjähriges Kind selbst den Versuch machen mußte, ihre Kleider und Schulbücher selbst zu erwerben: auch die Herzen der Eltern waren sich fremd geblieben, und ihre gegenseitige Abneigung steigerte sich in dem Grade, daß Julie und ihre Mutter 1816 das Elternhaus verließen und zu Verwandten nach Tilsit zogen. Nachdem Julie hier ihre Schulbildung vollendet, siedelte sie 1819 mit der Mutter zu einer Schwester der letzteren nach Laggarben über. Da aber hier die Mutter von einer schweren Krankheit befallen wurde und eine erfolgreiche Cur deren Ueberführung nach Tilsit nöthig machte, entschloß sich Julie, eine Stelle als Erzieherin anzunehmen. Sie fand eine solche in Pohiebels bei Rastenburg und fühlte sich wohl darin. Indessen das Heimweh und die Sehnsucht nach ihrer Mutter machten sie ernstlich krank, und da um diese Zeit die Mutter sich entschlossen hatte, zu ihrem Gatten zurückzukehren, der als Regierungssecretär in Danzig ein einträgliches Amt gefunden hatte, so gab Julie ihre Stellung auf und kehrte ins Vaterhaus zurück. In Danzig lernte sie einen jungen Baubeamten, namens Pfannenschmidt, kennen, mit dem sie sich im Januar 1831 verheirathete und dann nach Neufahrwasser zog, wo der Gatte seine Arbeitsstation hatte. Wiederholte Versetzungen des letzteren führten sie auch nach Driesen in der Neumark, wo sie durch den Professor Wilhelm Klutz zur Schriftstellerei angeregt wurde, und später nach Züllichau. Hier traf die Familie ein Schlag, dessen größte Schwere auf das Haupt des Hausvaters fiel. Denuncianten hatte seine politischen Gesinnungen verdächtigt; man dispensirte den thatkräftigen, an Arbeit gewöhnten Mann, mußte ihn aber nach achtmonatlicher Quälerei mit allen Ehren in sein Amt wieder einsetzen. Bald darauf erfolgte seine Versetzung nach Bromberg, und hier verlebte Julie in unermüdlicher Thätigkeit ihre ferneren Jahre. Sie starb am 19. Februar[2] 1868, nachdem sie wenige Stunden vorher im Theater von einem Schlaganfall betroffen worden war. – Außer einer Sammlung von „Gedichten“ (1858), die in zart weiblichem Sinne das häusliche Leben und die Liebe besingen, hat Julie P. vorwiegend Romane und Novellen geschrieben. An ihrem ersten Werke, „Frauenloos“ (II, 1850), welches die Stellung des weiblichen Geschlechts in der bürgerlichen Gesellschaft und die Grausamkeit derselben gegen die Gefallenen behandelt, hat sie zehn Jahre gearbeitet, ehe sie es der Oeffentlichkeit übergab. Dann folgten „Aus dem Leben eines Glücklichen“ (III, 1853); „Novellen“ (II, 1853); „Ein Arzt in einer kleinen Stadt“ (1854); „Bilder aus dem Leben“ [605] (1854); „Ein Lebenstraum“ (III, 1855); „Erinnerungen einer Großmutter“ (II, 1856); „Der Armuth Leid und Glück“ (III, 1857); „Der Glücksstern“ (1857); „Johannes Kepler“ (III, 1857); „Lebensbilder“ (Novellen, II, 1858); „Künstlerliebe“ (1859); „Laute Welt – stilles Herz“ (1860); „Das Glück eines Weibes“ (1860); „Walter Kühne“ (1860); „An der polnischen Grenze“ (1861); „Ein Bürgermeister“ (III, 1862); „Die Kinder des Hauses“ (1863); „Den Frieden finden“ (Novelle, 1864); „Aus den letzten Tagen der polnischen Revolution“ (1864); „Die Preußen in Prag“ (1867) und „Im Wellenrauschen“ (II, 1869). Viele der genannten Schriften sind nur für den Tag geschrieben und darum auch mit dem Tage verschwunden, für den sie geschrieben waren; andere dagegen verdienten wol für die Nachwelt erhalten zu werden. Julie P. hat ein unleugbares Talent für Darstellung des Familienlebens, der einfachen bürgerlichen Verhältnisse, und daher haben ihre Romane und Erzählungen aus dem Kreise des Familienlebens ein gewisses Aufsehen erregt. „Was sie auszeichnet, ist ein durchaus gesunder, praktischer Sinn, eine verstandesmäßige, naturwissenschaftliche Aufklärung. Zwar verbreitet dieselbe über die ganze Existenz eine Nüchternheit, welche viele still waltende Motive der Poesie ausschließt; doch gewinnt die Darstellung der Schriftstellerin dadurch an Klarheit und Sicherheit, und ein einfaches, mit seinen wesentlichen Interessen vertrautes Gemüth, dessen Wärme alle ihre Werke belebt, schützt sie vor allzu flacher Versandung. Bei aller Strenge der sittlichen Tendenz ist indessen in den Romanen eine gewisse Keuschheit des Seelenlebens, welche sich in der Dämmerung wohl fühlt, zu vermissen; denn die Verhältnisse des Lebens und der Natur sind doch nicht so evident, wie sie uns in der oft aufdringlichen Beleuchtung dieser Schriftstellerin erscheinen.“ Der kleinstädtische Zug, der sich in ihren sämmtlichen Werken findet, erklärt sich aus den Lebensschicksalen der Verfasserin, über welche sie in dem „Versuch einer Selbstbiographie“ (1857) Aufschluß giebt. Mehrere Anthologien der Dichterin – darunter einige in hohen Auflagen – haben ihre Zugkraft bis auf die Gegenwart behalten.
Pfannenschmidt: Julie P., als Schriftstellerin bekannt unter dem Namen- J. B. Heindl, Galerie berühmter Pädagogen u. s. w. München 1859, II. Bd., S. 81 ff. – Litterarische Erinnerungen von F. Brunold, Zürich 1881, II. Bd., S. 161 ff. – R. v. Gottschall, Die deutsche Nationallitteratur des 19. Jahrh., IV. Bd. S. 291.
[Zusätze und Berichtigungen]
- ↑ S. 604. Z. 13 v. o. l.: 1806 (statt 1804). [Bd. 36, S. 790]
- ↑ S. 604. Z. 10 v. u. l.: 20. (statt 19.) Februar. [Bd. 36, S. 790]