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ADB:Bursian, Konrad

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Artikel „Bursian, Konrad“ von August Baumeister in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 401–406, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bursian,_Konrad&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 22:21 Uhr UTC)
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Bursian: Konrad B., Philolog und Alterthumsforscher. Er wurde geboren am 14. November 1830 in Mutzschen bei Leipzig, wo sein Vater ein Rittergut in Pacht hatte. Der Vater, der selbst immer vom Streben nach weitergehender Bildung erfüllt war, ließ den einzigen Sohn vom Pastor unterrichten und siedelte 1843, da seine Vermögensumstände es ihm erlaubten, nach Leipzig über, wo B. in der Tertia der Thomasschule Aufnahme fand. Hier machte er bei leichter Auffassung unter des gründlichen Stallbaum Rectorat so rasche Fortschritte, daß er Michaelis 1847, kaum 17 Jahre alt, die Universität beziehen konnte. Der Vater war schon früher gestorben; auch die Mutter starb 1851; diesem traurigen Umstande verdankte B. die frühe Gewöhnung an Selbständigkeit und Sicherheit seiner Entschließungen, die einen Grundzug seines Charakters bildete. Das Studium der Philologie hatte er zeitig und fast instinctiv erwählt. Den Meister des Faches Gottfried Hermann konnte er noch ein Jahr lang hören, ohne ihm jedoch näher zu treten; nach dessen Tode wurden Moriz Haupt und Otto Jahn seine vornehmsten Lehrer, denen er auch persönlich nahe treten durfte (er war Jahre lang Haupt’s Famulus) und bis an ihr Ende eng verbunden geblieben ist. Daß der treue Schüler in den Jahren des Sturmes und Dranges (1848–49) auch dieser Männer Gesinnungsgenosse in der Betrachtung der vaterländischen Verhältnisse wurde und an der Verkennung und Verurtheilung ihrer Bestrebungen mit innerstem Herzen Antheil nahm, lag in der Lebhaftigkeit seines Gefühls und in der Unmittelbarkeit seines ganzen Wesens. Uebrigens konnte man, als B. später sich an der Universität Leipzig als Docent habilitiren wollte, inbetreff seiner Führung aus den Acten nur hervorholen, daß er zu jener Zeit eine Studentenversammlung berufen und eine Beifallsadresse an die 21 renitenten Professoren beantragt hatte – ein Anstand, den er jedoch durch persönliche Vorstellung bei dem Minister hinwegräumte. Nach 4jährigem Studium in Leipzig und halbjährigem in Berlin (Winter 1851/52), wo er hauptsächlich Boeckh zu hören sich aufhielt, und nach erfolgter Doctorpromotion in Leipzig begab er sich auf eine größere Reise, um Handschriften zu vergleichen und Kunststudien zu treiben, daneben um die Welt zu sehen; wozu ihn günstige Vermögensverhältnisse, bei genauer Haushaltführung, befähigten. Er besuchte vom Sommer 1852 ab zunächst Belgien, dann Paris und Montpellier, im Frühjahr 1853 Italien und im Hochsommer durchzog er Sicilien, von wo er im October 1853 nach Athen hinüberfuhr. Griechenland war sein Hauptziel; mehrfache Bekanntschaften mit studirenden Griechen hatten ihm den Anstoß zu dem Entschlusse gegeben, den classischen Boden selbst aufzusuchen. Ohne besondere Verabredung hatte der Verfasser dieser Zeilen, der mit B. schon als Student bekannt geworden war, denselben Plan verfolgt, und beide trafen zusammen bei einem gemeinsamen griechischen Freunde, Georgios Papasliotis (geboren im Dorfe Papasli bei Magnesia am Sipylos), der eben in Athen Gymnasiallehrer geworden war; seine alte Mutter führte nun ihm und den beiden Deutschen anderthalb Jahr lang den gemeinsam und echt griechisch eingerichteten Haushalt, wozu noch ein 12jähriger Bruder, der bis vor kurzem die Gänse in Kleinasien gehütet hatte, und eine zur Bedienung angenommene 14jährige Magd von der Insel Andros zu rechnen waren. Hierdurch, ebenso auch durch den ungezwungenen Verkehr mit Neuhellenen aller Stände, wurden nun die beiden Germanen rasch in die Sitte des Landes eingebürgert und [402] mit dem schon früher studirten Idiom so vertraut, daß sie, ungerechnet kleinere Ausflüge, im folgenden Frühjahre ohne weitere Begleitung eine größere Reise durch die Hauptorte des Peloponnes und einen Theil Nordgriechenlands unternehmen konnten, bei welcher es nicht an ergötzlichen Abenteuern fehlte. Pausanias, Leake und Curtius wurden als Reisebegleiter gewissenhaft ausgenutzt; daneben fühlten wir uns aber auch im Stande, wenigstens die Wein- und Speisekarte von Morea aus dem Gedächtnis zu zeichnen. Im Sommer 1854 machte B. epigraphische Studien auf der Akropolis und grub mit Rangabé (damals noch Professor der Archäologie) den Heratempel bei Argos aus, bei welcher Gelegenheit er sich ein Wechselfieber zuzog, das ihn erst Jahr und Tag nachher in Deutschland wieder verließ. Der folgende Winter brachte neben der Aufregung über den Krimkrieg noch die Cholera nach Athen; im Frühjahr 1855 aber durchzog B. die Insel Euboia und darauf mit dem deutschen Bildhauer Siegel, der längst ganz Grieche geworden war, die wenig bekannte Maina mit ihrer eigenthümlichen Bevölkerung bis zum Vorgebirge Tainaron. Dann aber übernahm er die Begleitung eines jungen Griechen aus angesehener Familie, der sich in Deutschland weiterbilden sollte; er sah sein Leipzig wieder, und die Tochter seines Oheims, eines Landpastors, fesselte ihn mit zarten Banden, so daß er kurz entschlossen sich in Leipzig an der Universität als Privatdocent niederließ. Als Habilitationsschrift publicirte er „Quaestionum Euboicarum capita selecta“ (1856), denen er später in den Berichten der Sächs. Gesellschaft der Wissenschaften: „Mittheilungen zur Topographie von Boiotien und Euboia“ (1859) und „Archäologisch-epigraphische Nachlese aus Griechenland“ (1860) anschloß. In Gerhard’s Denkmälern und Forschungen (1855) schrieb er einen Aufsatz über die dryopische Bauweise in Euboia, und in den Abhandlungen der Münchener Akademie über das Vorgebirge Tainaron – lauter wissenschaftliche Ergebnisse der Reise, denen später andere in Zeitschriften folgten. Eine kritische Ausgabe der Schrift des Julius Firmicus Maternus de errore profanarum religionum erschien 1856 und eine grundlegende Recension der Declamationen des Rhetors Annaeus Seneca 1857 bei Breitkopf & Härtel in Leipzig. Die Arbeit war Fr. Haase und Otto Jahn gewidmet, die ihn durch Rath und Ueberlassung von Handschriften unterstützt hatten. Neben dieser wissenschaftlichen Leistung begann nun B. als Docent eine Wirksamkeit, zu der ihn seine Lebhaftigkeit und körperliche Rüstigkeit ganz besonders befähigten; war er doch von Haus aus eine lehrhafte Natur, und das Dociren sein Lebenselement. Ohne gerade durch äußere Verhältnisse darauf hingewiesen zu sein, ertheilte er schon als Student Unterricht, besonders an junge Griechen, die sich der Philologie widmeten. Auch während des Aufenthalts in Athen unterrichtete er zeitweilig junge Leute im Deutschen und Lateinischen. In Leipzig übernahm er als unbesoldeter und bald verheiratheter Privatdocent an dem Hauschild’schen sogen. „Modernen Gesammtgymnasium“ das Griechische in den obersten Classen mit wöchentlich mehr als zwölf Stunden, daneben Culturgeschichte in einem Töchterinstitut, und las wiederum mit jungen Griechen lateinische Dichter. In seinen Universitätsvorlesungen war der Vortrag äußerst lebhaft, in den Anfangsjahren oft überhastend und durch anakoluthische Redeweise zuweilen formlos, aber durch die Frische und Ursprünglichkeit höchst anregend; die Sicherheit und Präcision seiner Ausdruckweise nahm rasch zu und zeugte, wie auch sonst immer, von der ihm eigenen klaren und festen Anschauung und Auffassung der Gegenstände. Er sprach eine ganze Stunde hindurch fließendes und gewähltes Latein mit Leichtigkeit, wie der Schreiber dieses aus einer in Zürich 1869 gehörten Vorlesung über Catull bezeugen kann. Schon nach zwei Jahren wurde er zum [403] außerordentlichen Professor ernannt, auch zum Mitgliede der Sächs. Gesellschaft der Wissenschaften. Und vorher schon hatten den Privatdocenten seine Mitbürger zum Stadtverordneten erwählt, ein ehrendes Zeugniß für seine nicht einseitig fachgelehrte Bildung. Dennoch nahm er zu Ostern 1861 eine außerordentliche besoldete Professur in Tübingen an. Hier, wie überall, fand er sich bald in Wesen und Sitte des Ortes, paßte seine Vorlesungen den veränderten Verhältnissen an und gewann durch heiteren Freimuth Alle außer dem Minister, der ihm die Zugehörigkeit zu dem damals in Württemberg verpönten National-Verein übel nahm. Da er hiernach auf Beförderung nicht rechnen konnte, so siedelte er Ostern 1864 gern nach Zürich als Ordinarius über, wo er ebenfalls bald so heimisch wurde, daß seine Abberufung nach Jena zum Herbst 1869 lebhaftes Bedauern erregte. Aber auch der freie ungezwungene Ton von Jena war seinem Empfinden sehr sympathisch, da er wissenschaftliche Arbeit und heiteren Lebensgenuß in glücklicher Harmonie zu vereinigen verstand. Und nicht minder durften beide contrahirende Theile befriedigt sein, als er zu Ostern 1874 dem an ihn ergangenen Rufe nach München Folge leistete. Denn weit entfernt von diplomatischer Schlauheit, gewann B. vielmehr durch unbefangene Heiterkeit und offene Hingebung die Herzen seiner Umgebung; er war nie Streber; er ließ gern alle Anderen neben sich gelten. Und so fand er sich auch in München bald völlig zu Hause und wurde von den Einheimischen in seiner Eigenart geschätzt.

Der häufige Ortswechsel, der übrigens jedes Mal in den äußeren Verhältnissen begründet war und ihm zuletzt eine ausgedehntere Wirksamkeit an einer der besuchtesten Universitäten gewährte, brachte ganz natürlich eine nach Lage der Umstände gerichtete Abwechslung in den Kreis seiner Vorträge, die sich allmählich so ziemlich über alle Zweige der Alterthumswissenschaft ausdehnten: Litteraturgeschichte und Mythologie der Griechen, dazu alte Geographie, Epigraphik, Geschichte der Philologie und bis zu seiner Berufung nach München auch Kunstgeschichte nebst dem ganzen Felde der Archäologie wurden dabei bevorzugt. Von Schriftstellern erklärte er mit Vorliebe die griechischen Tragiker, Aristophanes, Demosthenes, Theokrit, unter den Lateinern Lucrez, Juvenal und die Elegiker. In den philologischen Seminarien stellte er zeitweise stilistische Uebungen an und ging bei Prüfung der Specialstudien seiner Zuhörer auf die gewählten Themata stets mit ungeheucheltem Interesse ein. Freilich, eine Schule im engeren Sinne des Wortes hat er nicht herangezogen; er hat nicht wie andere große Philologen, Dutzende seiner Zuhörer auf die besonderen von ihm betretenen Pfade gewiesen und so an seine Spuren zu fesseln gesucht; seine Absicht war eher, die Jünger auf die Höhepunkte des classischen Alterthums zu führen, ihnen von dort aus einen Ueberblick über das reiche Gebiet zu erschließen und Begeisterung anzufachen, übrigens aber Jeden nach seiner Eigenart wählen zu lassen. Die so häufige Verkümmerung in der Beschränkung auf mikrologische Studien hielt er mit Recht bei der Mehrzahl künftiger Gymnasiallehrer für eine Gefahr. Und dazu stimmte auch seine eigene geistige Beweglichkeit in der schriftstellerischen Production. Er wählte sich nicht, gleich manchen Anderen, ein Specialfach, dem er sich Jahrzehnte lang ausschließlich hingegeben hätte; er ist nicht Bahnbrecher in einer Einzelforschung geworden; seine Lebhaftigkeit und die Mannichfaltigkeit seiner Interessen ließ es zu dieser bei Andern so fruchtbaren Selbstbeschränkung nicht kommen. Dagegen hat er gezeigt, daß er in vielen Sätteln gerecht war und mit seltener Arbeitskraft, unterstützt von einem starken Gedächtnisse, gewaltige Stoffmassen in kurzer Zeit bewältigte und sie schließlich zu formen im Stande war. Eine Reihe von Jahren hindurch bildete die Geographie Griechenlands, [404] mit der er sich schon während der Reise trug, den Mittelpunkt seiner Forschung, deren zusammenfassendes Ergebniß er in zwei Bänden (1862 und 1868–1872) niedergelegt hat; ein Werk, das zum mindesten für die größere Hälfte, Nordgriechenland, Hellas und die Inseln, eine grundlegende Bedeutung beanspruchen darf, während bei der Bearbeitung des Peloponnes das vorzügliche Buch von E. Curtius schon vorlag. Gleichzeitig aber schrieb er nebenher einen Abriß der griechischen Kunstgeschichte für die Encyklopädie von Ersch u. Gruber (Sect. I, Bd. 82, Lpz. 1864), einen „Artikel“, aber dem Umfange nach ein Buch, das den damaligen Stand der Forschung gewissenhaft wiedergibt. Dazu kamen fortwährend zahlreiche kleinere Abhandlungen aller Art in Universitätsschriften, Zeitschriften und oft an Orten, wo man sie nicht leicht sucht, z. B. über griechische Schauspieler in Raumer’s (später Riehl’s) Histor. Taschenbuche, V. Folge, Bd. 5. An der neuen Auflage des ersten Bandes von Pauly’s Realencyklopädie betheiligte er sich mit vielen topographischen Artikeln, namentlich einem über Athen. Das Einzelne aufzuzäh1en ist hier nicht der Ort; doch sei erwähnt die Herausgabe einer Tragödie „Erophile“ in vulgärgriechischem Dialekte, die Untersuchung der Ruinen des alten Aventicum im Schweizerjura; die Abhandlung über den Rhetor Menandros. Zu alledem kommt endlich seine ständige Mitarbeit an Zarncke’s Literarischem Centralblatt, wofür er von 1856 an fast 30 Jahre lang mehrere Tausende von Beurtheilungen geliefert hat, hauptsächlich im Fache der Archäologie. Auch dies Geschäft trieb er mit Ernst und Fleiß, wie die Fachgenossen wissen.

Aber auch damit war es noch nicht genug für den unermüdlichen Arbeiter, der mit eigener umfassender Uebersicht über die meisten Thei1e seiner Wissenschaft eine ausgebreitete Bekanntschaft unter den Berufsgenossen verband und mit anspruchsloser Hingabe seiner Person den Ueberblick über das Ganze zu vermitteln und zu erleichtern bestrebt war. In Jena ergriff er den kühnen Plan zu der Herausgabe der „Jahresberichte über die Fortschritte der klassischen Alterthumswissenschaft“, jenes kritisch referirenden Sammelwerkes, von welchem bis zu seinem Tode in zehn Jahrgängen fast 33 Bände erschienen. Neben der eigentlichen Redaction und der Leitung von mehreren Dutzend Mitarbeitern mit allen zeitraubenden Kleinigkeiten lieferte er selbst darin die Berichte über griechische Geographie und über Geschichte der Philologie. Gemeinschaftlich mit K. Halm übernahm er auch die Abfassung der Lebensläufe vieler Philologen für die „Allgemeine Deutsche Biographie“. Und letztere Arbeiten galten hinwiederum als Vorstudien für die von ihm schon vor seiner Uebersiedlung nach München übernommene Aufgabe in der Reihe der von König Max II. angeregten und unterstützten Darstellungen der Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Die „Geschichte der klassischen Philologie in Deutschland bis auf unsere Tage“ bildete während eines Decenniums den Mittelpunkt seiner mit innigster Liebe gehegten Studien und Forschungen; aber leider! sollte der schönen Frucht nicht die nöthige Zeit verbleiben, um völlig auszureifen. Im Frühjahr 1882 wurde ein schon längere Zeit heimlich schleichendes Leiden (Darmkrebs) ärztlich festgestellt, und bald war auch dem Betroffenen kein Geheimniß mehr, daß seine irdischen Tage gezählt seien. Der so rüstige Körper des lebensfreudigen Mannes mußte zwar langsam aber sicher dem tückischen Wurme erliegen. Seine Freunde konnten nur noch mit innerster Wehmuth sehen, wie er allmählich dahinsiechte, wie er im folgenden Winter noch in rührender Pflichterfüllung täglich sich zum Hörsaale schleppte und den übrigen Tag, soweit die schwindenden Körperkräfte und die quälenden Schmerzen es gestatten wollten, in gewohnter Arbeitsamkeit hinbrachte, während er aller Geselligkeit zu entsagen gezwungen war. Ablenkende Trostreden [405] wies er mit der Andeutung der ἀνάγκη von sich; er ging gefaßt dem Schicksal entgegen. Zwar schien im beginnenden Frühjahr 1883 der durch den Einfluß der milden südtiroler Luft in Bozen eingetretene Stillstand des Uebels seine Hoffnung neu zu beleben; mit der Sonnenwende jedoch, als er wieder diesseits der Berge war (in Tölz), schwand er sichtlich dahin, bis er Mitte September nach München zurückgebracht, allmählich in Bewußtlosigkeit fiel und sein festgebauter Körper im 53. Lebensjahre, am 21. September 1883 erlag.

Auf dem Todtenbette hat er in den letzten Wochen noch die letzten Druckbogen der „Geschichte der Philologie“ eigenhändig revidirt; das Werk erschien gleich darauf im Verlage von R. Oldenbourg in zwei starken Bänden. Wer die angeführten Umstände betrachtet, wird es nicht wunderbar finden, daß eine gewisse Ueberhastung und Ungleichmäßigkeit, ja auch Stilmängel sich darin fühlbar machen; aber dem gewaltigen Fleiße wird Niemand seine Anerkennung versagen, und die meist kurze und energische Charakteristik ist mit sicherem Blick für das Wesentliche ausgestattet und fordert selten den Widerspruch heraus.

B. war schon 1872 zum auswärtigen Mitgliede der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gewählt worden; mit Antritt seines Lehramtes wurde er ordentliches Mitglied. Er war auch schon lange Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom, sowie mehrerer anderer gelehrten Gesellschaften. In seinen letzten Lebenstagen erfreute ihn die Wahl zum Ritter des Maximiliansordens für Kunst und Wissenschaft. – Wer aber B. nur aus seinen Schriften gekannt hat, möchte glauben, daß der ganze Mann im Büchergelehrten aufging; alle Näherstehenden wissen jedoch, daß er sich keineswegs von seinem Fache absorbiren ließ, sondern stets ein gutes Theil Zeit und Kraft für andere menschliche Interessen zu erübrigen verstand. Ich lasse die innige Anhänglichkeit, die zärtliche Sorge für die Seinen (er besaß von seiner Frau einen Sohn und eine Tochter) und die tägliche Erquickung, die er in seinem Familienglück empfand, hier unberührt und gedenke nur des regen und ausgebreiteten freundschaftlichen Verkehrs, den zu pflegen ihm überall, wohin er kam, Lebensbedürfniß war. Er war eine durchaus sociale Natur; so hoch er auch seine Wissenschaft schätzte, so sehr er lernend und forschend in ihr lebte, war er doch kein „Stockphilologe“, der sich mit Nachtarbeit abplagte. Und wie ihm in der Wissenschaft der Aufbau des Ganzen mehr am Herzen lag, als die kritische Zersetzung und Bemängelung des Einzelnen, so verhielt er sich auch in der Gesellschaft und im Freundeskreise nicht als ein kritisch beobachtendes Element, sondern warm und thätig theilnehmend, fördernd und auf alle guten Interessen willig eingehend. Im Vollgefühle leiblicher und geistiger Gesundheit war er dem Frohsinn und allem erlaubten Lebensgenuß zugethan; Nichts lag ihm ferner als krankhafte Sentimentalität. Daß er den bildenden und zeichnenden Künsten aller Zeiten und namentlich auch der Gegenwart hohes Interesse zuwandte, bedarf nicht erst der Versicherung; aber auch das feinere Verständniß für Musik fehlte ihm nicht und in seinem häuslichen Kreise fand die edle Kunst tägliche Pflege. Uebrigens gehörte er auch nicht zu den sogenannten „vornehmen“ Naturen, die in künstlicher Kühle den Schein höherer Sphären zu wahren wissen; er gab sich Jedem, wie er war, und erwarb Hochachtung durch völlige Offenheit. Ohne durch künstlich aufgespeicherte Witzworte zu glänzen, war er in der Unterhaltung vielseitig und anregend, er liebte auch Karten- und Kegelspiel, letzteres besonders als Mittel kräftiger Leibesbewegung. Nach einem Ortswechsel pflegte er anfänglich wol zu klagen, daß es ihm schwer werde rechten Anschluß zu finden, aber ebenso regelmäßig sah er sich bald von einem Freundeskreise umgeben, an dem er mit treuer [406] Liebe hing und der ihm später die Trennung ebenso sehr erschwerte, wie er selbst von den Freunden vermißt wurde. Es ist leicht ersichtlich, daß bei seinem so gearteten geselligen Wesen ihm die süddeutsche Lebensweise mehr behagte, als der steifere Ton und die Zurückhaltung mancher norddeutschen Städte; darum kann man auch darin eine Huld des Geschickes sehen, daß er sein Leben in einer Reihe ihm zusagender Orte verbringen durfte, welche von jeher den Ruf der Ungebundenheit und Leichtigkeit des geselligen Verkehrs genießen. Selbst in der Schweiz, wo der deutsche Gelehrte hin und wieder nur als nothwendiges Uebel gilt, sah man B. höchst ungern scheiden und widmete ihm seltene Zeichen der Anerkennung. Am tiefsten jedoch hatte er in München Wurzel gefaßt und nicht bloß, weil er dort die längste Zeit lebte; er gewann auch noch Herzensfreunde außerhalb des Universitätskreises und wuchs fortwährend in allgemeiner Hochachtung. Auch die ungeheuchelte Vaterlandsliebe, die ihn erfüllte, trug nicht wenig dazu bei. Er blieb ganz deutsch in der Schweiz und kehrte froh in die verjüngte Heimath zurück. In den Jahren der Erfüllung jubelte er hell auf, und in München hat er seinen patriotischen Sinn häufig auch in der Bürgerschaft bethätigt, indem er, ohne sich als Politiker von Fach zu geriren, durch schöne, hoch begeisternde Ansprachen in allgemein verständlicher Form, durch eine von jedem Extrem und jeder Doctrin sich fernhaltende reichsfreundliche Gesinnung im schönsten Sinne populär wurde. „Obgleich kein Baier von Geburt, ward er doch zuletzt als ein Münchener Kind geachtet“, sagte sein Freund und College Wilh. Christ in der Grabrede vor dem zahlreichen Trauergeleite.

Hauptsächlich nach meinem Nekrolog i. d. Beilage zur (Augsb.) Münch. Allg. Zeitung v. 3. Oct. 1883, Nr. 275. – Vgl. Iwan Müller’s Jahresberichte im Biogr. Jahrb. VI, 1883, S. 1–11, v. Rich. Richter (Bursian’s Schwager). – Nekrolog von Prantl in Sitz.-Berichte d. Bayer. Akademie 1884, S. 248–255, wo auch die kleineren Schriften aufgezählt sind.