Zum Inhalt springen

ADB:Chemnitz, Martin (evangelischer Theologe)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Chemnitz, Martin“ von Adolf Brecher in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 116–118, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Chemnitz,_Martin_(evangelischer_Theologe)&oldid=- (Version vom 27. November 2024, 21:59 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 4 (1876), S. 116–118 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Martin Chemnitz in der Wikipedia
Martin Chemnitz in Wikidata
GND-Nummer 118829157
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|4|116|118|Chemnitz, Martin|Adolf Brecher|ADB:Chemnitz, Martin (evangelischer Theologe)}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118829157}}    

Chemnitz: Martin Ch., auch Kemnitz, Superintendent in Braunschweig und einer der bedeutendsten nachlutherischen Theologen, geb. am 9. Nov. 1522 zu Treuenbrietzen, † am 8. April 1586 zu Braunschweig, erhielt seine Schulbildung zu Wittenberg und Magdeburg und erwarb sich in kleinen Schulämtern zu Calbe und Wriezen die Mittel zum Studium in Frankfurt a. O. (1543) und Wittenberg (1545.) Luther ferner stehend, studirte er auf Melanchthon’s Rath Mathematik und kam durch diese zur Astrologie, die ihm bei seiner Armuth bis zu einer festen Lebensstellung die Mittel zum Unterhalt erwerben half. Wegen [117] der Unruhen des schmalkaldischen Krieges wendete er sich, seinem Vetter G. Sabinus folgend, nach Königsberg i. Pr. (1547), leitete dort eine Zeit lang die Kneiphöfische Schule, wurde als einer der Ersten zum Magister der neuen Universität promovirt 1548 und erhielt vom Herzog Albrecht das Amt eines Bibliothekars der Schloßbibliothek 1550. Jetzt erst frei von äußeren Sorgen gewann er Zeit, seine Kräfte dem Studium einer Wissenschaft ausschließlich zu widmen. Unter Melanchthon’s Beirath studirte er drei Jahre lang Theologie mit außerordentlichem Fleiße. Aber der Osiandrische Streit raubte ihm seine Stellung und zwang ihn nach Wittenberg zu Melanchthon zurückzukehren (April 1553). Seine eben begonnene akademische Thätigkeit unterbrach ein Ruf nach Braunschweig als Coadjutor Mörlin’s, dem er von Königsberg bekannt war. Mit der Uebernahme dieses Amtes (Dec. 1554) begann seine umfassende Thätigkeit als Lehrer, Prediger, Ordner und Vertheidiger der braunschweigischen, wie der gesammten lutherischen Kirche. – Obgleich er, wie es scheint, anfänglich bemüht war, den Zusammenhang mit Melanchthon festzuhalten (Vorlesungen über die „Loci communes“, herausgegeben von Polyc. Leyser 1591), so erlosch doch der Einfluß desselben auf ihn allmählich, ohne jedoch wie in anderen ähnlichen Fällen geradezu in Feindschaft überzugehen. Mörlin’s streithafte und gewaltsame Natur, der er nicht gewachsen war, zog ihn bald in die heftigen theologischen Kämpfe hinein, die die junge lutherische Kirche zu erschüttern drohten. An seiner Seite erscheint er in Wittenberg zur Beilegung der adiaphoristischen Streitigkeiten und auf dem Wormser Colloquium (1557); seine theologische Gelehrsamkeit liefert auch den Gegnern Hardenberg’s im Abendmahlsstreit die Waffen zum Siege (1561). – Aber bei weitem größer und recht auf dem ihm eigenen Gebiete erscheint Ch. im Kampfe gegen die katholische Kirche. Seiner Wachsamkeit war die stille aber erfolgreiche Thätigkeit des jungen Jesuitenordens nicht entgangen. Er war der erste, der den Evangelischen die Augen öffnete über die Gefahren die ihnen von dieser Seite drohten in seiner Schrift: „Theologiae Jesuitarum praecipua capita“ 1562 und gleich darauf unterzog er die Beschlüsse des kurz vorher geschlossenen Concils von Trident einer sorgfältigen und für alle Zeiten epochemachenden Kritik in einem „Examen concilii Tridentini“, tom. IV, 1565–73. Sein theologischer Ruhm ward durch diese Schrift weit über die Grenzen Deutschlands hinaus verbreitet. Er galt unbezweifelt als der bedeutendste Dogmatiker Norddeutschlands und vor allem als der Hort der reinen lutherischen Lehre. Von vielen Seiten ergingen daher Berufungen an ihn. Er wies sie alle zurück, besonders da ihn Braunschweig nach dem Weggange Mörlin’s 1567 durch die Uebertragung der Superintendentur und auch sonst auf jede Weise ehrte. Der Unterstützung jedoch bei der Ordnung mehrerer Landeskirchen in Norddeutschland konnte er sich nicht entziehen. Schon 1567 hatte er mit Mörlin der preußischen Kirche das Corpus doctrinae Prutenicum gegeben; 1569 entstand unter seiner Mitwirkung das Corpus doctrinae Julium für Braunschweig-Wolfenbüttel. Aber mehr und mehr gestaltete sich seine organisatorische Thätigkeit zu einer nicht selten gewaltsamen Unterdrückung der nicht streng lutherischen Gegner, besonders der Kryptocalvinisten. Mehr als irgend einer der gleichzeitigen Theologen durch Erfahrung, Gelehrsamkeit und rastlosen Eifer für das Wohl der Kirche befähigt, die großen Grundsätze der Reformation zu entwickeln und lebendig zu gestalten, ließ er sich bei einem nicht zu läugnenden Mangel an charaktervoller Selbständigkeit und Freiheit durch ausartendes Streben nach Kircheneinheit zu einseitigem Drängen nach Lehrreinheit und Lehreinheit fortreißen und trug durch seine Theilnahme an der Abfassung der „Concordienformel“ (1577, 1580) und seine Bemühungen um die Einführung derselben in die lutherischen Kirchen Norddeutschlands neben Jakob Andreä am meisten die Schuld daran, die Entwicklung der Reformation zum Stillstand gebracht und den kirchlichen Frieden für lange Zeit untergraben [118] zu haben. Die aufreibenden Kämpfe, in die er hierbei zuletzt sogar mit Andreä selbst und den Helmstädtern verwickelt wurde (1581 und 82), trübten den Frieden seines Lebensabends, so daß er, ermattet von übermäßigen Anstrengungen, 1584 sein Amt niederlegte und nach einem Zustande völliger Erschöpfung 1586 starb.

Hauptquelle für sein Leben und seine Schriften: Ph. J. Rehtmeyer, Antiquitates ecclesiasticae inclytae urbis Brunsvigae tom. III. p. 273–536. Unter den sehr umfassenden Biographien neuerer Zeit sind zu erwähnen: Th. Pressel, Martin Chemnitz. Elberfeld 1862. C. G. H. Lentz, Dr. Martin Kemnitz. Gotha 1866. Hermann Hachfeld, Martin Chemnitz nach seinem Leben und Wirken, insbesondere nach seinem Verhältnisse zum Tridentinum. Leipzig 1867.