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ADB:Dippel, Johann Conrad

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Artikel „Dippel, Johann Conrad“ von Alphons Oppenheim in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 5 (1877), S. 249–251, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Dippel,_Johann_Conrad&oldid=- (Version vom 16. November 2024, 17:34 Uhr UTC)
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Dippel: Johann Konrad D., Alchemist, Arzt und Theologe, geb. am 10. Aug. 1673 (nach Jöcher 1672) zu Frankenstein bei Darmstadt, gest. am 25. April 1734 auf Schloß Wittgenstein bei Berleburg. Sein Geburtsort diente seinem Vater Johann Philipp D., einem Prediger zu Nieder-Ranstadt oder Ramstadt, als Zufluchtsort gegen Verfolgungen. Es war die Zeit unduldsamer Kämpfe zwischen orthodoxen Lutheranern und Pietisten, in die D. schon als Kind durch Unterricht rein theologischer Färbung hineingezogen ward. Zweifel an verschiedenen Fragestücken des Katechismus äußerte er bereits im neunten Jahre und sein Eifer und Verstand ließen die Lehrer in ihm einen Genius vermuthen, den sie mit den als höheren Wissenschaften damals bezeichneten Anschauungen zu speisen unternahmen.

So bezog er mit einem wohlgenährten Selbstbewußtsein und voll theologischer und mystischer Lehren achtzehnjährig die Universität Gießen, wo er als feuriger Disputant die Partei der damals herrschenden Orthodoxen ergriff. Er freute sich, wie er sagt, daß der Adel gleich einem alten Thurm baufällig ward, die Gottesgelehrten dagegen ihre Würde immer mehr vergrößerten. Er wollte ein geistlicher General werden, beklagte daß es in seiner Vaterstadt keine Gelegenheit gebe, sich so hoch empor zu schwingen, und beschloß früh auszuwandern und einen Ort zu suchen, wo er zu solchen Würden gelangen könne. Mittlerweile hatten die Pietisten an Einfluß gewonnen und suchten D. durch Versprechungen zu sich hinüber zu ziehen. Aber die Furcht, durch Uebertritt verächtlich zu werden, hielt ihn zurück und er suchte durch Fechten und lockere Gesellschaft zu zeigen, daß er ein „rechtschaffen lutherisch Gesinnter“ sei, der nicht durch eingezogenes Leben in den Geruch der Ketzerei gerathen wolle. Freilich suchte er die Sünden des Tages durch sorgfältig geheimgehaltenes nächtliches Gebet wieder auszulöschen. Im J. 1693 disputirte er pro gradu magistri über eine gedruckte Dissertation „De nihilo“, einem inhaltlosen Gegenstande[1], den er aus Paradoxie gewählt, und nach drei Jahren, welche er als Hauslehrer eines Beamten im Odenwalde verlebt, weiter ausführte, um durch eine neue neue Disputation eine außerordentliche Professur in Gießen zu gewinnen. Er suchte vor dem versammelten Hof, der damals in Gießen residirte, und vielen Gelehrten aus Wetzlar und Marburg nachzuweisen, daß unser Verstand nicht ausreiche, irgend etwas zu erkennen. Die Universität verbot den Druck der Schrift, welche der Hof verstattete und welche ihm alle Aussicht auf Beförderung versperrte. In Wittenberg von dem Theologen Dr. Hannecker, an den er empfohlen war und mit dem er später in öffentlichen Streit gerieth, ohne Wolwollen empfangen, wandte er sich nach Straßburg, wo er die Orthodoxen für die herrschende Partei hielt. Auch hier hatte jedoch der Einfluß Spener’s die theologischen Verhältnisse umgestaltet. Er fand Widersacher, legte sich nun auf Arzneikunde und hielt Vorträge über Chiromantie und Astrologie. Daneben las er die Kirchenväter, und seine [250] Begriffe über Orthodoxie geriethen ins Wanken. Ein verschwenderisches Leben brachte ihm Schulden und Duelle. Einer seiner Freunde ward tödtlich verwundet und er floh, um der Verhaftung zu entgehen, nach Landau, Neustadt und Worms, unter Gefahren, welche der französische Krieg vergrößerte, und ohne Geld, so daß er seine Effecten im Stiche ließ, dem Wirthe in Worms ein Manuscript wider die Pietisten, einem anderen in Oppenheim seinen Magisterring als Pfand ließ, bis er als Spion verhaftet und nur mit Mühe von den Seinigen befreit in die Heimath zurückkehrte. Hier gewann er durch Predigten und Pietismus die Gnade des Hofes, „in der Haut ein Schalk, der vornehmlich nur den Nutzen dieses Lebens suchte, eine fette Stelle und eine nicht geringere Heirath“. Obgleich er eine Schrift gegen Hannecker zum Zeichen seiner Umkehr nach Gießen schickte, mißlangen diese Pläne; doch gewann ihn Gottfried Arnold völlig für die Sache des Pietismus und half ihm zu dem wahren Durchbruch und der wahren neuen Geburt. Unter dem Namen Christianus Democritus, weil Democrit sich die Augen ausgestochen, um die Wahrheit zu erkennen, schrieb er zur Vertheidigung des Pietismus die wichtigsten seiner sehr zahlreichen theologischen Schriften, „Orthodoxia Orthodoxorum“ (1697) und namentlich den „Papismus protestantium vapulans oder das gestäupte Papstthum“ (1698). Diese bald verbotene Schrift läugnete die göttliche Eingebung der Bibel und verwickelte ihn in endlosen Streit, der ihn wiederum von der Theologie abwandte und der Arzneikunst und Alchemie zuführte. Durch die erstere erwerbend verlor er große Summen durch die letztere sowie durch übermäßige Freigebigkeit und entfloh seinen Gläubigern 1704 nach Berlin. Hier miethete er einen Palast und betrieb gemeinsam mit J. G. Rosenbach die Goldmacherei. Zufällig dabei erlangte Resultate, auf denen sein Nachruhm beruht, werden weiter unten besprochen. Auf Verlangen Karls XII. von Schweden ward er wegen einer Streitschrift gegen den Superintendenten von Pommern, Mayer, arretirt. Nach acht Tagen entlassen, floh er aus Berlin (1707) in schwedischer Uniform und wandte sich nach Holland, wo er bei Maarsen am Canal zwischen Amsterdam und Utrecht ein Haus und das Bürgerrecht erwarb und medicinisch und alchemistisch weiter arbeitete. Im Jahre 1711 gewann er zu Leyden die medicinische Doctorwürde mit einer Dissertation „De vitae animalis morbo et medicina“, in welcher er das noch heute nach ihm benannte Dippel’sche Oel, das Destillationsproduct thierischer Substanzen, welches als Ausgangspunkt wichtiger Untersuchungen später in der Chemie Bedeutung gewann und seiner Zeit in der Medicin Geltung hatte, gegen Wechselfieber empfahl. Durch Schulden oder durch eine Streitschrift „Alea belli muselmannici“ aufs neue vertrieben, ging er 1714 nach Altona, wo er zum königl. dänischen Kammerherrn ernannt ward. Aber bald ward er durch Angriffe auf die Verwaltung der Stadt genöthigt, in Hamburg zu leben. An Dänemark ausgeliefert und in Ketten nach Kopenhagen gebracht, ward er 1719 zur Verbannung auf Schloß Hammershuus auf der Insel Bornholm verurtheilt, wo er, als Arzt geliebt, in leichtem Gewahrsam festgehalten ward, bis ihn 1726 ohne sein Zuthun die Fürbitte der Königin von Dänemark befreite. Aus dieser Zeit stammt eine Schrift über auf Bornholm gefundene goldene Figuren, denen er ägyptischen Ursprung zuschrieb. Auf der Rückreise über Schweden ward er daselbst durch den Wunsch des Königs und der Ritterschaft als Arzt festgehalten, während die Geistlichkeit ihn als Pietisten verfolgte und Ende 1727 seine Ausweisung durchzusetzen wußte. Jetzt lebte er mit Alchemie beschäftigt in Lauenburg, Lüneburg, Celle und Liebenburg bei Goslar, bis der Haß des Superintendenten Mayenberg in Clausthal seine Ausweisung aus Hannover durchzusetzen vermochte. In Berleburg und Wittgenstein verlebte er die Jahre 1729–1734. Am 25. April des letztern Jahres ward er als Gast des Grafen Wittgenstein [251] auf dem gleichnamigen Schlosse todt im Bette gefunden, wahrscheinlich von einem Schlagfluß getroffen.

Während sein theologischer Hader, seine ärztlichen Leistungen und sein bewegtes Leben kaum hinreichen würden, um sein Gedächtniß bis heute zu erhalten, läßt ihn seine zufällige Beziehung zu einer überaus wichtigen Substanz, dem Berliner Blau, nicht mehr aus der Geschichte der Chemie verschwinden. G. E. Stahl theilt darüber in seinen Experimentis Observationibus Animadversionibus etc.[2] (1731) folgendes mit: Ein Berliner Farbenkünstler Diesbach wollte Florentinerlack bereiten durch Niederschlag eines Absuds von Cochenille mit Alaun und etwas Eisenvitriol durch fixes Alkali und bat D., ihm zu diesem Zwecke etwas von dem Kali zu überlassen, über welches D. das nach ihm benannte thierische Oel destillirt hatte. Bei Anwendung dieses Alkalis erhielt Diesbach statt des erwarteten rothen Pigmentes ein blaues. Er theilte diese Beobachtung D. mit, welcher einsah, die Bildung der blauen Farbe müsse auf der Einwirkung des gebrauchten Alkalis auf den Eisenvitriol beruhen. Das Berliner Blau ward später in anderen Händen der Ausgangspunkt zahlreicher wichtiger Entdeckungen, so des Blutlaugensalzes, der Blausäure und vieler anderer. Ueber Diesbach irgend welche Nachrichten zu erhalten ist nicht gelungen. Diesfallsige Nachforschungen, welche auf Veranlassung des Schreibers dieser Zeilen der Secretär des Vereins für Berlinische Geschichte Herr Professor Holtz in städtischen und Staats-Archiven in neuerer Zeit anstellen ließ, sind ebenfalls ohne Resultat geblieben.

J. C. G. Ackermann, Das Leben J. C. Dippel’s, Leipzig 1781; Schrieder[3], Hessische Gelehrten- und Schriftsteller-Geschichte, Bd. III, daselbst auch ein Verzeichniß seiner Schriften.[4]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 249. Z. 14 v. u. l.: einen inhaltslosen Gegenstand. [Bd. 5, S. 796]
  2. S. 251. Z. 8 v. o. l.: CCC (st. etc.). [Bd. 5, S. 796]
  3. S. 251. Z. 22 u. 23 v. o. l.: Strieder. [Bd. 29, S. 774]
  4. S. 251. Z. 24: Vgl. ferner Wilh. Bender, J. K. Dippel, der Freigeist aus dem Pietismus. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Aufklärung. Bonn 1882. [Bd. 16, S. 798]