Zum Inhalt springen

ADB:Duvernoy, Gustav

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Duvernoy, Gustav“ von Eugen Schneider in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 217–219, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Duvernoy,_Gustav&oldid=- (Version vom 18. November 2024, 21:34 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Dohm, Ernst
Band 48 (1904), S. 217–219 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Gustav von Duvernoy in der Wikipedia
Gustav von Duvernoy in Wikidata
GND-Nummer 116258969
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|48|217|219|Duvernoy, Gustav|Eugen Schneider|ADB:Duvernoy, Gustav}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116258969}}    

Duvernoy: Heinrich Gustav D. stammt aus der ehemals württembergischen Grafschaft Mömpelgard; sein Vater, Hermann Heinrich D., Major und Generalkriegskassierer, stand in Stuttgart in Diensten, als ihm der Sohn am 9. Juli 1802 geboren wurde. D. widmete sich der Rechtswissenschaft zu Tübingen und Jena, erlangte auf der erstgenannten Hochschule mit einer Abhandlung über die Entstehung der Königswürde bei den Germanen den Doctorgrad, und zog es vor, ohne sich einer Staatsprüfung zu unterwerfen, als Privatgelehrter ebenda seinen Studien zu leben. Als er auf den Wunsch seiner Verwandten 1829 nach Stuttgart übergesiedelt war, schien es, als ob er in der bescheidenen Dachstockwohnung, die er bis zu seinem Ende beibehielt, sich still von der Welt abschließen wollte. Aber die liberale Opposition gegen die Regierung mit ihren Führern Uhland, Paul Pfizer, Friedrich Römer riß ihn hin. Bei einer Nachwahl im Oberamte Oehringen ließ er sich von [218] seinen Freunden vorschlagen und siegte glänzend. D. war eben in die Kammer eingetreten, als die Pfizer’sche Motion gegen die Karlsbader Beschlüsse (siehe Pfizer, Paul) zur Auflösung führte (22. März 1833). Die Neuwahlen von 1833 brachten nur die bedeutendsten Männer der Opposition, darunter D., wieder in die Kammer; 1839 zog sich auch von ihnen die Mehrzahl von der politischen Thätigkeit zurück; D. blieb. In seiner sachlichen, zähen Weise verlangte er immer wieder Herstellung der verfassungsmäßigen Preßfreiheit, trat für milde Bestimmungen in der neuen Strafproceßordnung ein und wirkte für Anlage von Eisenbahnen durch den Staat. Als die Wahlen von 1845 die Gesinnungsgenossen Duvernoy’s gestärkt hatten, wuchs sein Einfluß. Er war es auch, der 1845 den Antrag durchsetzte, die Regierung solle kräftige Maßregeln zur Rettung der Selbständigkeit Schleswig-Holsteins ergreifen. Um dieselbe Zeit wurde D. in den Stuttgarter Stadtrath gewählt. So wurde er, als König Wilhelm sich im März 1848 gezwungen sah, liberale Minister zu berufen, der Vertraute der Krone und des Landes. D. weigerte sich, allein einzutreten, und bestand auf der Berufung des thatkräftigeren Römer; auch ihre Freunde Pfizer und Goppelt[WS 1] wurden angenommen. D. übernahm das Departement des Innern. Seine Ruhe und Aengstlichkeit paßte nicht recht in die aufgeregte Zeit und oft genug kam er noch bei Nacht an Römer’s Bett, um ihn um Rath zu fragen; aber andererseits war es gerade seiner Ruhe zu verdanken, wenn in dem allgemeinen Durcheinander befriedigende Anstalten getroffen wurden. Das Gesetz über die Volksbewaffnung, dem D. durch Pflege persönlicher Beziehungen zu der Stuttgarter Bürgerwehr Nachdruck gab, das Gesetz über die Volksversammlungen, das erste Gesetz über die Ablösungen, das er später lange zu vertheidigen hatte, geben dafür Zeugniß. Auch die Schaffung der Centralstellen für die Landwirthschaft und für Gewerbe und Handel fallen in diese Zeit. Beim Streit des Ministeriums mit dem König im April 1849 wegen Anerkennung der Reichsverfassung stand D. Römer treu zur Seite und setzte mit ihm die Anerkennung durch. Noch gelang es ihm, das Wahlgesetz vom 1. Juli 1849 mit seinem Stimmrecht für jeden volljährigen Steuerzahler unter Dach zu bringen, – nach seiner Auffassung unbedingt nur zum Zweck der Berathung einer Verfassungsänderung unter Anerkennung anderer Befugnisse ausschließlich aus praktischen Gründen, während später die dauernde Gültigkeit des Gesetzes behauptet wurde. Wie aber zu erwarten war, brachten die Wahlen der entschiedeneren Linken die Mehrheit, so daß D. mit seinen Freunden seine Entlassung anbot. Der König nahm diese nicht an, da er die Verfassungsdurchsicht abwarten wollte. Trotzdem kam es bald zum Bruch: D. billigte des Königs und Römer’s ablehnende Haltung gegen das Dreikönigsbündniß nicht, sondern wollte sich Preußen nähern. Als er sah, daß er nicht durchdrang, nahm er am 19. October 1849 mit Goppelt seine Entlassung; am 28. war schon das ganze Ministerium durch ein gefügigeres ersetzt. D. trat gleich seinen Genossen mit seinem Titel als Staatsrath und unter Verzicht auf einen Ruhegehalt in das Privatleben zurück; er konnte das Bewußtsein mitnehmen, daß er das Seinige dazu beigetragen hatte, daß Württemberg von einer Revolution verschont blieb.

Den verfassunggebenden Landesversammlungen gehörte D. nicht an. Als aber 1851 wieder der alte Landtag ins Leben gerufen wurde, trat er als Vertreter Schorndorf’s ein und blieb bis 1868 Mitglied der Kammer. In diesem Jahre wurde er nicht mehr gewählt, weil in den neuen politischen Kämpfen seine früheren Verdienste von der Menge vergessen wurden und er selbst sich nicht in die persönlichere Wahlbewerbung schickte. Gleich 1851 wurde er, nachdem das Präsidium der Kammer an Römer übertragen worden war, [219] von dieser in erster Linie zum Vicepräsidenten vorgeschlagen, aber vom König übergangen; 1857–1861 und 1864–1868 wurde ihm das Ehrenamt wirklich übertragen. Er hielt sich zur gemäßigten Linken, trat aber seltener mehr hervor. Wo er das Wort ergriff, wie zum Widerstand gegen Maßregeln des wiederhergestellten Bundestages, in der kurhessischen und schleswig-holsteinischen Frage, im Kampf gegen das Concordat von 1857, bot er eingehende geschichtliche und rechtliche Begründungen, eine wahre Gelehrtenarbeit. 1866 gehörte er zu den ersten Württembergern, die den Anschluß an Preußen verlangten.

Eine willkommene Unterbrechung seiner unfreiwilligen Muße brachte ihm die Wahl in die 1869 einberufene erste württembergische Landessynode. Die damals im Vordergrunde stehenden Aufgaben der Ausbildung und Weiterentwicklung des kirchlichen Verfassungslebens fanden bei dem frommen Christen und überzeugten Protestanten volle Hingebung und Förderung. Auch in der immer wieder angeschnittenen Frage der Ausscheidung des Kirchengutes war er der Sachkundigsten einer. Beinahe einstimmig wurde er zum Präsidenten der Synode gewählt und behielt sein Amt bei der zweiten, 1875 und 1878 zusammengetretenen Landessynode bei. Allerdings ließ seine Leitung des jungen kirchlichen Parlaments manchmal die Kraft zur Eindämmung des losgebrochenen Redestroms vermissen; und seine übergroße, bisweilen peinliche Gewissenhaftigkeit verstand nicht, über kleinere Bedenken hinwegzukommen. Als er 1886 auch in die dritte Landessynode gewählt worden war, verzichtete der Greis auf weitere Theilnahme an den Verhandlungen. Am 24. December 1890 ist er in seiner Vaterstadt der Schwäche des Alters erlegen. – Was D. auszeichnete, war unermüdliche Pflichttreue, reine Vaterlandsliebe, Unbeugsamkeit des Charakters, umfassendes Wissen. Oeffentliche Thätigkeit entsprach seiner Natur wenig. Wenn er sich ihr doch in gefährlichen und bewegten Zeiten widmete, so war er dazu durch das Vertrauen, das seine ganze Persönlichkeit genoß, und damit eben durch die Pflicht berufen.

Schwäbische Kronik 1890, Nr. 306. – Privatmittheilungen. – E. Schneider[WS 2], Württembergische Geschichte S. 512 ff.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Adolf Goppelt (1800–1875), Kaufmann aus Heilbronn; vom 9. März 1848 bis 28. Oktober 1849 Chef des Finanzressorts im Kabinett Römer der Landesregierung im Königreich Württemberg (sog. „Märzministerium“).
  2. Eugen Schneider (1854–1937), Direktor des württembergischen Staatsarchivs.