Zum Inhalt springen

ADB:Flattich, Johann Friedrich

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Flattich, Johann Friedrich“ von Karl Friedrich Ledderhose in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 7 (1878), S. 103–106, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Flattich,_Johann_Friedrich&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 01:10 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Flatt
Band 7 (1878), S. 103–106 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Friedrich Flattich in der Wikipedia
Johann Friedrich Flattich in Wikidata
GND-Nummer 118533711
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|7|103|106|Flattich, Johann Friedrich|Karl Friedrich Ledderhose|ADB:Flattich, Johann Friedrich}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118533711}}    

Flattich: Johann Friedrich F., geb. 3. Oct. 1713 zu Beihingen bei Ludwigsburg, gest. 1. Juni 1797 als Pfarrer zu Münchingen, wird mit Recht unter die Originale Würtembergs, deren es so manche zählt, gerechnet. Sein Urgroßvater war ein Edelmann in Böhmen, verließ um des Evangeliums willen seine Heimath und ließ sich in Würtemberg nieder. Flattich’s Vater war Amtmann und starb, noch ehe der Knabe das fünfzehnte Lebensjahr erreicht hatte. Die Mutter hatte ihn frühe zum geistlichen Berufe bestimmt, es ging aber dabei durch Noth und Armuth. Täglich marschirte er in die lateinische Schule nach Ludwigsburg. Im Mai 1729 hatte er das Glück, in das Kloster zu Denkendorf aufgenommen zu werden. Hier wirkte bekanntlich der große Theologe Joh. Albrecht Bengel, der auf seine Zöglinge einen nachhaltigen Einfluß ausübte. F. verdankte Bengel seine so reich gesegnete theologische und pädagogische Richtung. Nachdem er noch zwei Jahre in dem höheren Kloster zu Maulbronn [104] sich ausgebildet hatte, bezog er im October 1733 das Stift zu Tübingen. Er legte sich hier außer seinen theologischen Studien auf Mathematik und Philosophie, und weil er sich allem Leichtsinn und aller Eitelkeit entzog, so machte er gute Fortschritte. Er fing schon dort an, junge Leute zu unterrichten. Weil er wünschte, etwas zu lernen, was man auch in der Ewigkeit forttreiben könne, so suchte er als ein ächter Schüler Bengels in der heiligen Schrift und fand in 1. Cor. 13, 8–13, was er wünschte. Die Liebe wurde ihm die Hauptsache, und er faßte den Entschluß der Liebe nachzuleben, die er am besten in dem Unterrichten und Erziehen der Jugend üben könne. „Ich habe als Student in Tübingen“, erzählt er späterhin, „viele junge Leute umsonst informirt, nur weil ich dienen wollte, und dies war auch der Grund, warum ich Kostgänger hielt.“ Nachdem er im December 1737 sein Examen bestanden hatte, trat er Vicariatsdienste an, aber weil er leidend war, hielt er es für geeignet, sich auch körperlich zu beschäftigen, und er wählte sich das Drechsler-Handwerk. Das Arbeiten mit der Hand stählte seine Gesundheit. Seine erste Pfarrei war Hohenasperg, eine tief herabgekommene Gemeinde, die er durch sein praktisches Eingreifen, wie Oberlin im Steinthal, nach fünf Jahren in die Höhe gehoben hatte. Seine Besoldung bestand nur in einem halben Gulden täglich, mit dem er aber bei großer Sparsamkeit und Anspruchslosigkeit durchkam. Dazu wirkte freilich seine Frau, eine geborene Groß, das Muster einer Pfarrfrau, mit. Im Jahr 1747 bezog er die Pfarrei Metterzimmern. Auch hier nahm er Zöglinge zur Erziehung ins Haus, so daß mit seiner eigenen Familie zwischen 20–30 Personen am Tische saßen. Aber nicht um des Gewinnes willen hielt er Kostgänger, sondern er wollte in Liebe dienen, war er doch ein solcher Armenfreund, daß er den Rock und das Hemd vom Leibe verschenkte. Doch wegen der geringen Besoldung strebte er nach einer einträglicheren Pfarrei. Während der Präsident des Consistoriums ihn barsch abwies, übertrug ihm der bekannte Herzog Karl die gut dotirte Pfarrei Münchingen, der einst an einem Sonntag auf der Jagd in der Nähe Metterzimmerns vom Geläute der Glocken sich ziehen ließ, in die Kirche zu treten. Die Predigt gefiel ihm so sehr, daß er im Pfarrhaus F. das Versprechen gab, ihm die erste gute Pfarrei, die ausgehe, zu überlassen. Von der Zeit an schätzte der Herzog den einfachen Dorfpfarrer sehr hoch. Man darf aber nicht denken, daß F. dem in so mancher Hinsicht übeln Fürsten geschmeichelt habe. Als ihn einst der Herzog an seinem Geburtstag auf der Straße fragte, was er heute gepredigt habe, erwiderte F., er habe gepredigt, daß Fürsten fürstliche Gedanken haben sollen.

In Münchingen entfaltete er nun 38 Jahre lang seine ausgezeichnete Thätigkeit in der Gemeinde, die mit großer Liebe an ihrem Pfarrer hing, dessen Liebe und Treue bis in sein hohes Alter sie stets erfuhr. Seine Predigten waren durchweg populär und praktischer Natur, von weisheitsvoller Erfahrung durchwürzt. Es ist schade, daß man keine seiner Predigten nachgeschrieben hat, denn die Paar, die man aus seinen hinterlassenen Papieren besitzt, halten sich im homiletischen Geleise, während er sich auf der Kanzel gehen ließ und alsdann die Blitze seiner eigenen Gedanken seine Predigten eigentlich so anziehend machten, daß die Leute von vielen Seiten der Umgegend her nach Münchingen strömten, um diesen Salomo im Predigtgewand zu hören. Noch bis jetzt nach hundert Jahren erzählt man sich originelle Gedanken, auch humoristische Aussprüche von ihm. Seine Selbstlosigkeit zog nicht minder alle an, die einen Sinn für solche Demuth haben. Von einem Schüler Bengels kann man nichts anderes erwarten, als daß er auf der in der heiligen Schrift gegründeten Lehre seiner Kirche feststand und sie dem damals schon hereinbrechenden Rationalismus gegenüber behauptete. Er hat wenig drucken lassen, aber was er drucken ließ, trägt den Stempel [105] der Originalität. Dahin gehören seine „Dreißig Hausregeln“ , in denen man ihn kennen lernen kann. Sie sind oft aufgelegt worden, Jemand hat sie goldene Hausregeln genannt. Würden sie in den Häusern Geltung finden, wie wohl stünde es in denselben!

Sein Hauptverdienst liegt jedoch auf einem andern Gebiete, nämlich auf dem pädagogischen; es ist der Unterricht und die Erziehung, oder wie er es gern bezeichnet, die Information der Jugend. Er nahm, wie wir schon gehört, junge Leute in Unterricht, Kost und Logis auf, und zwar bis in sein hohes Alter, so daß er hunderte von Zöglingen nach und nach ausbildete. Wol die meisten derselben waren wurmstichig, entweder waren sie in Kenntnissen zurückgeblieben oder sie gehörten zu der Zahl der Thunichtgute. Wenn sie nirgends gut thaten, war das Pfarrhauss von Münchingen für bekümmerte Eltern die letzte Zuflucht. Nicht blos die ausgezeichneten Kenntnisse, die F. besaß, und die originelle naturgemäße Art, die Kenntnisse seinen Kostgängern beizubringen, sondern seine ihnen dienende Liebe bewirkte so Großes. „Ich bin froh“, sagt er irgendwo, „daß ich in meinem Hause viele Leute um mich haben darf, daß ich mich in der Liebe üben und Freude an Menschen haben kann; wobei ich erfahre, wenn ich nur wider einen einzigen Menschen in meinem Hause einen Widerwillen habe, so komme ich in ein Mißvergnügen. Wenn ich aber alle lieben kann, so bin ich vergnügt.“ Nur ein Beispiel: Ein Oberamtmann brachte ihm seinen Sohn, freilich mit der betrübten Einleitung, daß mit dem Schlingel nichts anzufangen sei. Er habe alles mit ihm probirt, doch vergeblich. Auf die Frage Flattich’s was er denn mit ihm gemacht habe, erhielt er zur Antwort, er habe ihn unbarmherzig geschlagen, habe ihn eingesperrt, ihm nichts zu essen gegeben. Ob dies alles sei, was er probirt habe, fragte F. Was man denn noch thun könne? war die Gegenantwort des Oberamtmanns. Ob er nicht für seinen Sohn gebetet habe? Fast ärgerlich erwiderte derselbe: „Was kann man für einen solchen Kerl beten? Bei dem ist Hopfen und Malz verloren.“ Nun, was der Vater versäumt habe, versprach F., das wolle er thun, er wolle mit und für den Sohn beten. Und er hielt Wort, der junge Mensch ward in der Atmosphäre einer solchen dienenden Liebe ein tüchtiger, brauchbarer Mann. Doch muß man nicht denken, daß F. seinen Zöglingen das Christenthum aufgedrängt habe. Wie er selber alle Heuchelei für sich haßte, so lag es ihm ferne, in seinem Hause Heuchler zu bilden. Er ließ seinen Zöglingen ziemliche Freiheit, so daß er sogar deshalb Vorwürfe hören mußte. Während er es in der ersten Zeit der Erziehung liebte, nach der Weise der damaligen Zeit fleißig den Stock zu brauchen, kam er später ganz davon ab und fast möchte man sagen, er verfiel ins andere Extrem.

Man hat sich schon mehrmals Mühe gegeben, aus den nur vorhandenen schriftlichen Aufzeichnungen Flattich’s ein System herauszufinden, wie man von Systemen Franke’s, Basedow’s, Pestalozzi’s u. s. f. spricht. Das ist aber ein vergebliches Bemühen. Will man eins suchen, so ist’s die Bibel, in welcher er die Grundsätze seiner Erziehung suchte. „Ich nahm mir vor“, schreibt er, „auch meine Information und andere Dinge in der Bibel zu suchen.“ Der berühmte Prälat Oetinger, häufig der Magus aus Süden genannt, forderte F., der sich damals als Erzieher einen Namen erworben hatte, auf, seine Erziehungsgrundsätze niederzuschreiben. Er that es in dem „Sendschreiben von der rechten Art Kinder zu unterweisen“. Diesen Aufsatz nahm Oetinger in seine Zeitschrift: „Die güldene Zeit“ auf. Hier entwickelte F. seine Grundsätze auf eine anschauliche Weise, indem er den historischen Nachweis gab, wie er überhaupt dazu gekommen sei, Kinder zu informiren. Es ging durch Probiren und zum Theil schmerzliche Erfahrungen. Er hatte Zöglinge von 10–20 Jahren, aus allen Ständen und zu allen Berufsarten bestimmt. Er ließ sich besonders „die Cultur [106] des Verstandes angelegen“ sein. Die deutsche und lateinische Sprache trieb er bei allen. Seinen Unterricht ertheilte er in besonders geschriebenen Aufsätzen, nach denen seine Zöglinge arbeiten mußten. Obwol er einen Vicar hielt, um in seinem Pfarramte nichts zu vernachlässigen, so war er doch durch dasselbe gebunden, und mußte sich dadurch helfen, daß seine Kostgänger schrieben. Längere Zeit stand er, wie er bekennt, in dem Irrthum, daß der Verstand den Willen regiere, wie man jetzt ebenfalls im Unverstande meint, während gerade das Umgekehrte der Fall ist. Die Sünde hindert im Lernen. Das lernte er aus Erfahrung an seinen Schülern. Deshalb suchte er auf ihren Willen zu wirken, aber nur in den äußersten Nothfällen mit Strafen, sonst nur mit Liebe und Geduld. Er erlebte die Freude, daß von den mehr als zweihundert seiner Kostgänger die meisten gerathen sind.

Schubert, Altes und Neues. I u. II. Dr. Barth, Süddeutsche Originalien. III. Heft. Völter in Schmids Encyclopädie II. Band. Ehmann, Pädagogische Lebensweisheit aus den nachgelassenenen Papieren Flattich’s. Weitbrecht, Programm, enthaltend Flattich’s psychologische Beiträge zur Gymnasial-Pädagogik. Die Hauptschrift ist: K. F. Ledderhose, Leben und Schriften Flattich’s. 5. Auflage. Heidelberg bei C. Winter.