ADB:Geßler, Theodor von

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Artikel „Geßler, Theodor (v.)“ von Paul Friedrich von Stälin in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 335–336, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ge%C3%9Fler,_Theodor_von&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 22:59 Uhr UTC)
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Geßler: Theodor (v.) G., geboren zu Ellwangen am 16. August 1824, † zu Urach am 27. Juli 1886, hervorragender württembergischer Gelehrter und Staatsmann. Sohn des Ellwanger Cameralverwalters G., auf den Universitäten Tübingen und Heidelberg gebildet, war er zuerst als praktischer Jurist thätig, erhielt aber im J. 1856 einen Lehrauftrag für Strafrecht und Strafproceß an der Universität Tübingen, im J. 1857 die ordentliche Professur für diese Fächer. Daneben leitete er criminalistische und civilistische Praktika und las auch weiter mehrmals namentlich Civilproceß, sowie württembergisches Privatrecht. Als größeres Werk veröffentlichte er 1860 eine Schrift: „Ueber den Begriff und die Arten des Dolus“, welche v. Wächter in seinem deutschen Strafrecht als das beste Werk über diese Lehre bezeichnete. Daneben ließ er noch eine größere Menge kleinerer Arbeiten erscheinen und war Mitherausgeber der Zeitschrift: „Der Gerichtssaal“. Im J. 1864 erhielt G. die Stelle des Regierungsvertreters bei der Universität, des Kanzlers. Schon zuvor, im J. 1862, seitens der conservativen Richtung vom Oberamt Crailsheim in die Kammer der Abgeordneten gewählt, kam er in seiner neuen Stellung in die Classe der Privilegirten, war in vielen Commissionen, öfters als Berichterstatter, thätig. Im J. 1868 wurde er nach einem heftigen Kampfe mit dem Candidaten der Demokratie im siebenten Wahlgang zum Präsidenten gewählt. Für die Festschrift der Stände zur Feier des 50jährigen Bestehens der Verfassungsurkunde von 1819 bearbeitete er die neuere Zeit von 1805 an. Als im Frühjahr 1870 ein Theil des Ministeriums seine Entlassung erhielt – darunter der großdeutsch gesinnte Cultusminister (v.) Golther und Geßler’s älterer Bruder, der Minister des Innern Ernst (v.) G. – übernahm er, auf dem durch die Verträge des Jahres 1866 geschaffenen Boden stehend und in der treuen Festhaltung an der Weiterbildung des hier erreichten die richtige Lösung der deutschen Frage erkennend, nach längerem Zögern das Ministerium des Kirchen- und Schulwesens. In dieser Stellung, in der er sich beim Ausbruch des Krieges mit Frankreich ohne Zaudern im Rathe der Krone in nationalem Sinne aussprach, erwartete seiner eine umfangreiche Geschäftslast. Das Verhältniß des Staates zur katholischen Kirche wurde alsbald infolge der Beschlüsse des vaticanischen Concils ein heikles, allein G. suchte im Anschluß an die Absichten König Karl’s und in Verbindung mit dem württembergischen Bischof (v.) Hefele, welcher als der letzte deutsche Bischof die Beschlüsse des Concils publicirte, zwar den Standpunkt des Staates gegenüber der extremen katholischen Partei möglichst zu wahren, aber doch den Frieden thunlichst zu erhalten. Die Regierung erklärte, sie gestehe den Beschlüssen des Concils keinerlei Rechtswirkung auf staatliche und bürgerliche Verhältnisse zu, werde jeden Versuch eines Uebergriffs in das staatliche Gebiet mit allen gesetzlichen – auch vorbeugenden – Mitteln zurückweisen und erkenne keine Verpflichtung an, zur Durchführung der Concilsbeschlüsse den weltlichen Arm zu leihen. Wenn es daher auch nicht an mancher Aufregung fehlte, so blieb der kirchliche Frieden doch im Lande im allgemeinen erhalten. Im Gebiete der evangelischen Kirche wurde durch G. die Gemeindevertretung in der Landeskirche auf oberster Stufe durch die Landessynode, die schon von seinem Vorgänger eingeführt worden war, auf seinen Antrag aber die ständische Zustimmung erhielt, vollends zum Abschluß gebracht, sowie eine genauere Bestimmung der Befugnisse des Ministeriums, des Consistoriums und des Synodus inbezug auf das Kirchenregiment (das jus in sacra) gegeben, auch eine neue rechtliche Organisation der evangelischen und katholischen Ortskirchengemeinde besonders in vermögensrechtlicher Beziehung eingeleitet, die jedoch in der vorgeschlagenen Fassung zunächst die Genehmigung der Stände nicht fand. Neben seinem eigenen [336] Ministerium hatte G. in Abwesenheit des Präsidenten des Staatsministeriums dessen Stelle zu vertreten. Am 28. Februar 1885 mußte er, infolge seiner aufreibenden Thätigkeit an Schlaflosigkeit leidend, sich in den Ruhestand versetzen lassen – unter Anerkennung der von ihm geleisteten treuen und ausgezeichneten Dienste. Nachgerühmt wurde ihm besonders rasche Auffassung, juristischer Scharfsinn und große Geschäftsgewandtheit, unterstützt durch ein treffliches Gedächtniß, eine außerordentliche Arbeitskraft, große Ruhe und Selbstbeherrschung, ein bedeutendes Vermittlungstalent besonders in der parlamentarischen Wirksamkeit.

Nekrolog im Schwäbischen Merkur (Schwäbische Kronik) vom 12. Dec. 1886, S. 2245 u. 2246.