Zum Inhalt springen

ADB:Gilbert, Robert Otto

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Gilbert, Robert Otto“ von Th. Vogel. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 351–354, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gilbert,_Robert_Otto&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 03:17 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Gilbert, Gustav
Band 49 (1904), S. 351–354 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Robert Otto Gilbert in der Wikipedia
Robert Otto Gilbert in Wikidata
GND-Nummer 117544329
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|49|351|354|Gilbert, Robert Otto|Th. Vogel.|ADB:Gilbert, Robert Otto}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117544329}}    

Gilbert: Robert Otto G., geboren am 18. September 1808 im Pfarrhause zu Limbach bei Chemnitz, entstammte dem vor der Reformation im Hennegau begütert gewesenen, aus Anlaß des Glaubenswechsels nach Kursachsen übersiedelten Geschlechte Gilbert de Spaignard. Der Sohn des 1521 zum Protestantismus übergetretenen Ahnherrn, Martin G. de Sp., war ein Freund [352] Luther’s und wurde von diesem als Superintendent in Liebenwerda bei Merseburg eingewiesen. Die Glied für Glied urkundlich nachweisbare Nachkommenschaft des Genannten in directer Linie bewahrte drei Jahrhunderte lang insofern die Familientradition, als stets einer der Söhne sich dem geistlichen Stande widmete; das Adelsprädicat, welches das Geschlecht lange Zeit geführt hatte, kam infolgedessen allmählich außer Gebrauch, ohne daß es je förmlich aufgegeben worden wäre. Die anfängliche Neigung von G. war der Officierslaufbahn zugewendet gewesen, ohne Zweifel infolge der tiefen Eindrücke, die das Gemüth des lebhaften Knaben bei den verschiedentlichen Truppendurchmärschen durch das stille Pfarrdorf Limbach erhalten hatte. Schließlich entschied er sich aber doch für den Beruf seines Vaters, den geistlichen. Vorgebildet auf dem Lyceum zu Chemnitz, studirte G. von Michaelis 1828–1832 in Leipzig Theologie. Nachdem er im letztgenannten Jahre die Candidatur erlangt und 1833 in der philosophischen Facultät promovirt hatte, wirkte er drei Jahre in Leipzig als Vesperprediger der Universitätskirche und Lehrer an dem damals in hoher Blüthe stehenden Hander’schen Privatinstitute. In dieser Doppelstellung hatte der völlig Mittellose (der Vater war 1832 gestorben) sich so viel erworben, daß er den lange schon im stillen gehegten Plan einer Habilitation in der Leipziger theologischen Facultät 1836 zur Ausführung bringen konnte. Die Verhältnisse in der genannten Facultät waren aber einer erfolgreichen Durchführung seines Vorhabens nicht günstig, so daß er sich, obschon seine exegetischen und homiletisch-katechetischen Vorlesungen Anklang gefunden hatten, nach neun Semestern akademischer Thätigkeit genöthigt sah, als es galt, einen Hausstand zu begründen, um ein geistliches Amt sich zu bewerben. Von 1841–46 war er Diakonus zu Frankenberg, von 1847–49 Anstaltsgeistlicher und Assessor bei der Kreisdirection in Zwickau. In letzterer Eigenschaft hatte er in dem bewegten Jahre 1848 Gelegenheit, sich durch Umsicht, Geschäftsgewandtheit und Takt in der Behandlung schwieriger Angelegenheiten hervorzuthun. Infolgedessen ward dem damals 41jährigen Manne die Auszeichnung zu Theil, Ostern 1849 als Kirchenrath in die Kreisdirection Bautzen berufen zu werden. In dieser einflußreichen Stellung als Berather einer Mittelbehörde in allen Kirchen- und Schulangelegenheiten sammelte er nicht nur reiche Erfahrungen auf diesen beiden Gebieten ein, sondern lenkte auch bald durch vorzügliche Dienstleistung und hervorragende persönliche Eigenschaften die Aufmerksamkeit des unvergeßlichen Ministers Dr. Paul v. Falkenstein auf sich, der seit 1852 dem Departement des Cultus und öffentlichen Unterrichtes vorstand. So kam es Ostern 1855 zur Berufung des Dr. G., der im Jahre vorher von der theologischen Facultät zu Breslau zum Ehrendoctor der Theologie ernannt worden war, in das Cultusministerium mit dem Titel und Range eines Geheimen Kirchen- und Schulraths. 24 Jahre lang, bis zu dem Uebertritt in den ehrenvollen Ruhestand Michaelis 1879, war er Mitglied dieser Oberbehörde, von Jahr zu Jahr an Gewicht und Bedeutung in dieser zunehmend, seit Michaelis 1874 Königl. Geheimer Rath, zwei Jahre später durch das Comthurkreuz zweiter Classe des Verdienst-, 1879 durch das erster Classe des Albrechtsordens ausgezeichnet.

Die Größe der Arbeitslast und Verantwortung, die der damals 47jährige Mann mit dieser neuen Stellung übernahm, kann nur der einigermaßen ermessen, der sich die damaligen sächsischen Schulverhältnisse klar macht. Erfreulichst war schon 1855 wie das gewerbliche Unterrichtswesen, so das Volksschul- und Seminarwesen im Königreich Sachsen entwickelt, so daß das kleine Land in dieser Beziehung wol für manches größere vorbildlich sein konnte. Dagegen war Sachsen rücksichtlich des höheren Schulwesens in der ersten Hälfte des [353] Jahrhunderts entschieden hinter anderen Bundesstaaten zurückgeblieben, nicht nur der Zahl der Schulen nach, sondern auch im Punkte der energischen Staatsaufsicht und kräftiger Staatsbeihülfe. Neben acht Lehrerseminaren hatte das damals schon dicht bevölkerte Königreich 1855 nur sieben Realanstalten (davon zwei an Gymnasien angegliedert) und zehn Gymnasien; rein staatlich waren von den letztgenannten nur die beiden Fürstenschulen, alle übrigen städtischer oder gemischter Collatur. Beim Ausscheiden von G. aus seinem Amte gab es 18 Lehrer- und Lehrerinnenseminare, 29 Realanstalten, 14 Gymnasien. Wie großen Antheil der energische, geschäftsgewandte und hoher Werthschätzung im ganzen Lande sich erfreuende G., der bis 1868 der einzige Ministerialreferent für das ganze Schulwesen war, an den Schulneugründungen und Schulumwandlungen jener Zeit gehabt hat, ist dem älteren Geschlechte in Sachsen noch jetzt in dankbarer Erinnerung. Unvergessen ist aber auch, was der die Aufgaben der Erziehung und des Unterrichts unter höchsten Gesichtspunkten ansehende Mann zur Hebung des inneren Standes der Schulen und zur Herbeiführung löblicher Ordnung in ihren Einrichtungen wie in ihrem Betriebe, weniger durch scharfe Maßnahmen als durch treue Ueberwachung und liebevolle Berathung, beigetragen hat. Auch auf die günstigere Gestaltung der äußeren Verhältnisse (Schulgebäude, Sammlungen, Lehrergehalte u. s. w.) hat er einen weitreichenden Einfluß ausgeübt. Nicht unerwähnt darf bleiben, daß G. infolge der Vertrauensstellung, die er unter dem Minister v. Falkenstein (bis Mich. 1871) einnahm, auch in Universitätsangelegenheiten häufig Beirath geleistet hat. Zahlreiche Berufungen nach Leipzig sind auf seine gutachtliche Aeußerung, seine persönlichen Eindrücke hin erfolgt.

Von 1874 ab beschränkte sich G., da mittlerweile drei schultechnische Räthe in das Ministerium eingetreten waren, im wesentlichen auf das Referat über die Gymnasien, denen immer seine besondere Liebe zugewendet gewesen war. Großen Einfluß übte er aber bei dem Gewichte seiner Persönlichkeit und seiner vielseitigen Amtserfahrung nach wie vor auch auf die Behandlung allgemeiner Schulangelegenheiten aus. Wie alle Sachkundigen wissen, hat G. an den Arbeiten für die beiden noch jetzt geltenden grundlegenden Normen (das Volksschulgesetz von 1873 und das Gesetz für die höheren Schulen nebst Lehrordnungen von 1876) einen hervorragenden Antheil gehabt.

Erwähnung finde noch, daß G. von 1869–72 der Bundes-, von 1873 bis 79 der Reichsschulcommission als ständiges Mitglied angehört hat. Es darf mit Sicherheit angenommen werden, daß diese Commission bei ihren grundlegenden Arbeiten im ersten Jahrzehnt von den reichen Erfahrungen und den abgeklärten Anschauungen ihres sächsischen Mitgliedes vielfach Nutzen gezogen hat.

Veröffentlicht hat G. abgesehen von Predigtsammlungen 1. als Privatdocent: die Bücher „De officiis“ und das „Hexaemeron des Ambrosius“ in zwei Bänden für Gersdorf’s Bibliotheca patrum eccles.; 2. als Ministerialrath: eine kritische Ausgabe der Katechismen Luther’s, 1856 und „Reden bei Schulfeierlichkeiten“ (gehalten 1856–74), Leipzig 1874.

Hat somit G. weder in der Geschichte einer Fachwissenschaft noch in der der Pädagogik eine Rolle gespielt, so hat der sächsische Schulbereich allen Anlaß, das segensreiche Wirken und Walten dieses Scholarchen von Gottes Gnaden dankbar in Erinnerung zu behalten, nachdem der Hochbetagte am 20. Januar 1891 zu seiner Ruhe eingegangen ist, tief betrauert von drei Töchtern und sechs Söhnen, von denen zwei ehrenvolle Stellungen an sächsischen Fürstenschulen noch jetzt einnehmen. Daß G. ein zunftmäßiger Fachmann nicht war, [354] erwies sich nicht nur in der Zeit als segensreich, da er als einziger Referent in Schulsachen mit dem gesammten Unterrichtswesen von der Dorfschule bis zur Universität sich zu beschäftigen hatte, auch die Gymnasien haben allen Anlaß, sich dazu Glück zu wünschen, daß sie in der Zeit des sich ungeberdig breit machenden Specialistenthums in ihrem Vorgesetzten einen Mann verehrten, der mit ausreichender Kennerschaft auf den Hauptgebieten des Gymnasialunterrichtes die treue Fürsorge dafür verband, daß Fachinteressen sich nicht auf Kosten der harmonischen Geistes- und Herzensentwicklung der Jugend vordrängten. Wie segensreich der liebenswürdig-wohlwollende, zart-feinsinnige, durchaus human gerichtete Mann persönlich auf Hunderte von Lehrern eingewirkt hat, das kommt noch jetzt bei festlichen Anlässen häufig zum dankbaren Ausdruck. An dieser Stelle muß es genügen, der Thatsache einfach Erwähnung zu thun.

Th. Vogel.