ADB:Falkenstein, Paul Freiherr von
C. A. Just, der als tüchtiger Leiter des Kreisamtes Tennstädt weit über die Grenzen Thüringens bekannt war und die angesehensten Männer zu seinen Freunden zählte. Auch Goethe verkehrte während eines Curaufenthaltes in Tennstedt Sommer 1816 häufig in seinem Hause und nahm den aufgeweckten jungen F. gern auf seine Spaziergänge mit. Der alte Just und seine treffliche Gattin, eine Frau von tiefem Gemüthe und poetischer Veranlagung, thaten alles, ihrem Pflegesohne das Elternhaus zu ersetzen. Von ihnen selbst in den Elementarfächern unterrichtet, später von einem wenig geeigneten Hauslehrer, Namens Hennig, im Lateinischen und in Geschichte weitergebildet, trat er 1814 in die Klosterschule zu Roßleben ein, die in jeder Beziehung das Abbild einer Fürstenschule war. Als Primus omnium verließ er sie 1819 mit einem vorzüglichen Reifezeugnisse. Der auf dem Gymnasium verbrachten Zeit erinnerte er sich bis in sein höchstes Alter gern und bewahrte seinen Lehrern, namentlich dem Rector Wilhelm, der sich seiner väterlich angenommen hatte, stets ein liebevolles Andenken. Nach einer kurzen Erholungsreise, auf der er seinen bald nachher verstorbenen Vater in Schleusingen kennen und schätzen gelernt hatte, bezog er die Universität Leipzig. Als Student der Rechte schloß er sich an die damals berühmten Juristen Biener, Wenck und Haubold an. Mehr aber als diese fesselte ihn der geniale Philolog Gottfried Hermann, von dessen Vorlesungen er während seiner Studienzeit keine versäumt zu haben sich rühmt. Nachdem er sein juristisches Staatsexamen, wie schon seine Reifeprüfung, mit der ersten Censur cum elogio bestanden und den Acceß gleichzeitig beim Leipziger Kreisamte und Stadtgerichte gemacht hatte, habilitirte er sich, seiner früh erwachten Neigung folgend, als Privatdocent an der Universität Leipzig. Seine zum Theil lateinisch gehaltenen Vorlesungen über Institutionen, Pandekten, Ehe-, Obligationen- und sächsisches Privatrecht waren meist sehr gut besucht. Seine mit besonderen Vergünstigungen verbundene Ernennung zum Rathe in latere nobilium (adelige Bank) beim Oberhofgerichte in Leipzig am 13. September 1824 hielt ihn nicht von der Fortsetzung seiner Collegien und Examinatorien, sowie von mannichfachen litterarischen Arbeiten ab, unter denen ihn besonders eine gegen den Heidelberger Rechtslehrer Thibaut gerichtete Abhandlung über die „Theorie vom Beweise der Eigenthumsklage“ (Archiv für die civilistische Praxis, Band X) bekannt machte. Trotz seiner sehr anstrengenden Thätigkeit fand er auch Zeit zu geselligem Verkehre. Gern ließ er sich in dem Hause des als Sachwalter berühmten Stadtrichters Winter, des Bürgermeisters Sickel, des Rathsmitgliedes Dr. Blümner und der Professoren Wenck, Weiße und G. Hermann sehen. Am häufigsten aber war er bei dem Kaufmann Gruner, zu dessen Tochter Constanze er frühzeitig Neigung faßte, und bei dem Buchhändler Göschen, der oft die berühmtesten Schriftsteller in seinem Hause vereinigte und [490] seinen Landsitz Hohnstädt bei Grimma zum Schauplatze ungezwungenster Geselligkeit machte. Ungern schied F. 1827 aus diesem Freundeskreise. Er siedelte nach Dresden über und trat auf Grund der von ihm gelieferten Probearbeiten als Hof- und Justizrath in die Landesregierung ein, nachdem er eine fast gleichzeitig ihm angebotene Appellationsrathsstelle ausgeschlagen hatte. Das mit der neuen Würde verbundene höhere Gehalt ermöglichte ihm die Erfüllung eines längst gehegten Wunsches: seine Verlobung mit Constanze Gruner. Am 21. Juni 1829 verehelichte er sich mit ihr. Von den fünf Töchtern, die dem Bunde entsprossen, starben zwei im frühsten Alter. Ebenso schied der einzige Sohn, ein „herziger, körperlich sowohl als geistig schön entwickelter Knabe“, zum großen Schmerze seiner Eltern im Alter von noch nicht sieben Jahren wieder aus dem Leben.
Falkenstein: Johann Paul Freiherr von F., sächsischer Staatsmann, erblickte am 15. Juni 1801 zu Pegau als Sproß eines alten fränkischen, seit Alters in der Gegend von Plauen und Hof angesessenen Geschlechts das Licht der Welt. Das Glück, im Elternhause aufzuwachsen, wurde ihm nicht zu Theil, denn kurz nach seiner Geburt trennte sich sein Vater Heinrich Gottlob Peter v. F., Premierlieutenant und Adjutant im kursächsischen Carabinierregimente, von seiner Mutter, einer Tochter des Amtmannes Tischer in Lützen. Vierjährig kam er von seiner Mutter weg in das Haus seines mütterlichen Oheims, des kinderlosen Kreisamtmannes und späteren RegierungsrathesAls Mitglied der Landesregierung hatte er vielfach Gelegenheit, seine Tüchtigkeit zu zeigen. Bei Ausbruch der Unruhen in Sachsen 1830 als Commissar nach Großenhain geschickt, ließ er sich durch den sehr unfreundlichen Empfang seitens der Bevölkerung nicht einschüchtern, wußte vielmehr durch sein bestimmtes Auftreten und seine verständigen Maßnahmen bald Ruhe zu stiften. Ebenso bewährte sich seine Umsichtigkeit angesichts der Choleragefahr 1831. Im Auftrage seiner Regierung begab er sich nach Prag und Halle, verabredete hier die nöthigen Sicherheitsmaßregeln und traf solche in eigener Person an verschiedenen Punkten der Landesgrenze. Endlich gelang es seiner Energie und seinem gewandten, gewinnenden Wesen, sich seiner heiklen Aufgabe bei Einführung der neuen Städteordnung in Grimma, Borna, Döbeln, Roßwein, Bischofswerda und Dresden zu aller Zufriedenheit zu entledigen. Am meisten Mühe hatte er mit der Residenzstadt. Doch hatte er die Genugthuung, schließlich mit Verleihung des Dresdner Ehrenbürgerrechtes ausgezeichnet zu werden.
Nachdem er 1834–35 als Geheimer Regierungsrath im Ministerium des Innern thätig gewesen war, wurde er vom 1. Mai 1835 an zum Kreisdirector in Leipzig ernannt. In dieser Eigenschaft war er gleichzeitig Vorstand der Kreisregierung und der Consistorialbehörde, Bevollmächtigter der Regierung bei der Universität, Vorsitzender im Censurcollegium und bei der Prüfungscommission für Theologen, endlich Commissar bei den verschiedensten öffentlichen Unternehmungen. Viel Verdrießlichkeit bereitete ihm anfänglich der Leipziger Stadtrath, der sich nicht recht in die veränderten Verhältnisse finden und in der Kreisdirection nicht seine unmittelbar vorgesetzte Behörde sehen wollte, viel Arbeit auch seine Stellung als Regierungsbevollmächtigter bei dem Comité der Leipzig-Dresdner Eisenbahn. Bald galt es zwischen diesem und der Regierung, bald zwischen den innerhalb der Gesellschaft sich bekämpfenden Parteien, namentlich zwischen den beiden Urhebern des ganzen Unternehmens, zwischen List und Harkort, zu vermitteln. Ein glänzendes Zeugniß für seinen praktischen Blick ist es, daß er von vornherein und unbeirrt durch zahlreiche Anfeindungen der Regierung gegenüber die Nothwendigkeit der Eisenbahnverstaatlichung betonte und somit einen Standpunkt vertrat, der heut zu Tage als der einzig richtige anerkannt ist. Am 7. April 1839 eröffnete er die erste sächsische Bahn mit einer feierlichen Rede, die der Wichtigkeit des Augenblickes voll Rechnung trug. Seine auf dem Gebiete des Eisenbahnbaues gesammelten Erfahrungen verwerthete er bei Ausführung der Leipzig-Hofer Bahn, die bald darauf von zwei in Leipzig und Altenburg zusammengetretenen Gesellschaften in Angriff genommen wurde, schließlich jedoch vom Staate zu Ende geführt werden mußte. Am wichtigsten war bei dem ganzen Unternehmen, wie sich Baiern zu der Frage einer Anschlußbahn von Hof nach [491] Süden stellen würde. Da bereits eine Gesellschaft die einleitenden Schritte zum Bau eines Schienenweges von München über Bamberg nach Coburg gethan hatte, fuhr F. nach München, um das Vorhaben zu vereiteln. August 1840 verhandelte er im Bade Brückenau mit König Ludwig persönlich und setzte in diesen Unterredungen, die ihm zeitlebens unvergeßlich blieben, durch, daß der Coburger Concurrenzbahn die staatliche Erlaubniß versagt, im Frühjahr 1841 dagegen mit dem Bau des Eisenstranges München-Nürnberg-Bamberg-Hof begonnen wurde. Es ist das alleinige Verdienst Falkenstein’s, dieses für Sachsen wie Baiern gleich wichtige wirthschaftliche Unternehmen zu Stande gebracht zu haben.
Am liebsten von allen Pflichten als Kreisdirector war F. die Beschäftigung mit der Universität. Zu statten kam ihm hier, daß er aus seiner Privatdocentenzeit mit den meisten Professoren befreundet war und einen genauen Einblick in das Wesen der Universität und ihrer Einrichtungen hatte. Unter den mannichfachen Verdiensten, die er sich in dieser Zeit um die Landeshochschule erwarb, hebt er selbst die Berufung des berühmten Juristen W. E. Albrecht, eines der Göttinger Sieben, hervor, die ihm zwar eine ernste Rüge seitens der Regierung – die einzige seines Lebens – einbrachte, sich aber in der Folgezeit als eine große Segnung erwies.
1844 erfolgte seine Ernennung zum Minister des Innern. Mit Ehren aller Art, unter denen die Verleihung des Ehrendoctortitels seitens der philosophischen und juristischen Facultät, sowie des Ehrenbürgerbriefes der Stadt Leipzig erwähnt sein möge, während seines Leipziger Aufenthaltes überhäuft, siedelte er am 30. August 1844 in einem von dem Directorium der Eisenbahn aus Dankbarkeit gestellten Sonderzuge nach Dresden über. Zwei elementare Ereignisse stellten gleich im Anfange seiner Ministerzeit ungewöhnliche Anforderungen an seine Kräfte: der große Brand von Plauen 1844 und die Wasserverheerungen des Jahres 1845, von denen die Landeshauptstadt besonders schwer getroffen wurde. Auch die langwierigen Grenzregulirungen mit Oesterreich in der Lausitz und die neue Maß- und Gewichtsgesetzgebung machten ihm viel zu schaffen, wenngleich ihm bei letzterer der Geheime Regierungsrath v. Weißenbach und nach dessen Tode der Geheime Regierungsrath Dr. Weinlig, den er sich nicht ohne Widerspruch des Königs und gegen die Stimmen vieler maßgebenden Personen „mit kühnem Griffe von der Professur aus Erlangen geholt hatte“, sehr hülfreich zur Hand gingen. Am deutlichsten offenbarte sich sein Verwaltungstalent bei der großen Theuerung 1846/7. Durch eine vollkommen neue national-ökonomische Politik brachte er den Staat über diese schwere Zeit geschickt hinweg, indem er nicht, wie es in ähnlichen Fällen zu geschehen pflegte, die Getreidepreise zu drücken, sondern im Gegentheile, selbst mit Opfern des Staates, zu steigern und so den Getreidehändlern Lust zu machen suchte, ihre Kornvorräthe auf den Markt zu bringen. Der berühmte Nationalökonom Roscher billigte rückhaltlos das neue Verfahren und empfahl es zur Nachahmung in ähnlichen Fällen; König Friedrich August aber dankte dem Retter aus der Noth mit Verleihung des Comthurkreuzes vom Civil-Verdienstorden.
F. war eben im Begriffe, ein auf Censurfreiheit gegründetes Preßgesetz und ein anderes über Einführung der parlamentarischen Enquête nach englischem Vorbilde den Kammern vorzulegen, als das Revolutionsjahr 1848 seinem ministeriellen Wirken zunächst ein Ziel setzte. Da er sich für den „hauptsächlichsten Gegenstand der Gehässigkeit und Parteiwuth“ hielt, legte er am 5. März 1848 sein Portefeuille nieder, freilich ohne den gehofften Erfolg. In ländlicher Zurückgezogenheit lebte er litterarischen Arbeiten, die er meist in der „Leipziger Litteraturzeitung“, im „Gersdorf’schen Repertorium“ [492] und in der „Holzer’schen Monatsschrift“ veröffentlichte, bis er März 1850 zum Präsidenten des Landesconsistoriums ernannt wurde. Drei Jahre später zeichnete ihn das Vertrauen seines Königs durch Berufung an die Spitze des Cultusministeriums aus, das bisher Beust, von nun an Minister des Auswärtigen, innegehabt hatte. Schon als Kreisdirector in Leipzig hatte er an der Durchführung der Schulreform nach Maßgabe des Schulgesetzes von 1835 aufrichtige Freude gefunden. Auch jetzt widmete er sich mit Lust und Liebe dem sächsischen Schulwesen. Die Volksschulen haben ihm viel zu danken. 1851 und 1858 setzte er Erhöhung der Volksschullehrer-Gehälter durch. Neue Seminare gründete er in Callenberg (1855 für Lehrerinnen), Grimma (1855 Nebenseminar für ältere Schulaspiranten), Borna (1863), Zschopau (1869) und Oschatz (1871). Die neue „Ordnung der evangelischen Schullehrerseminare im Königreiche Sachsen“ von 1857 (veröffentlicht unter dem 15. Juni 1859) bedeutete zwar keinen besonderen Fortschritt. Einen Wendepunkt aber geradezu im Seminarwesen bezeichnen die Jahre 1864–66. Entsprechend den auf der III. allgemeinen sächsischen Lehrerversammlung geäußerten Wünschen ließ F. die einzelnen Anstalten vom 15. Januar bis 14. Februar 1865 durch eine Regierungscommission besichtigen und die 14 Reformvorschläge derselben durchführen, außerdem erhöhte Posten für die Seminare in den Etat einstellen. Ebenso berücksichtigte er die Beschlüsse der Seminardirectoren-Conferenz in Dresden vom 1. November 1865 und erließ im Anschlusse daran die Verordnung vom 15. Januar 1866.
Die Gymnasien, die, mit Ausnahme der beiden Fürstenschulen, bisher städtisch gewesen waren, strebte er mehr und mehr zu verstaatlichen. Durch besondere Verträge, in denen der Staat die Unterhaltung der Anstalten zum großen Theile auf sich nahm, dafür sich aber auch das Recht der Lehreranstellung sicherte, schuf er in Plauen, Zittau, Zwickau, Bautzen und Freiberg gemischt-königlich-städtische Collaturen (1854 f.). Der Kreuzschule zu Dresden (1866), den Gymnasien zu Bautzen (1867), Zwickau (1869) und Zittau (1871) gab er neue Gebäude.
Das Realschulwesen nahm unter ihm bestimmte Formen an. Der Lehrplan vom 2. Juli 1860 gab den Realschulen ihren besonderen Charakter und stellte sie zwischen Elementarschule und höhere technische Lehranstalten. Die Verordnung vom 2. December 1870 aber schuf die wichtige Scheidung zwischen Realschulen I. Ordnung, die auf humanistische Bildung nicht verzichteten, und solchen II. Ordnung, die unter fast vollständigem Ausschlusse der classischen Sprachen allein den Zweck verfolgen, ihre Schüler für das praktische Leben vorzubereiten. Auch die Gründung von vier neuen Realschulen zu Plauen i. V. (1854), Zittau (1855), Chemnitz (1857) und Glauchau (1859) zeugt von dem lebhaften Interesse, das F. dieser Gattung von Lehranstalten entgegenbrachte.
Auf kirchlichem Gebiete ging sein Streben, wie er sich selbst äußerte, dahin, „der evangelisch-lutherischen Kirche unter gewissenhafter Beobachtung der Staatsinteressen diejenige Selbständigkeit und freie Bewegung zu geben, die ihr nothwendig ist, damit das ernste Leben in der Gemeinschaft zugleich auch die Liebe des Einzelnen zu seiner Kirche rege und wach erhalte“. Er erreichte dies Ziel durch die Kirchenvorstands- und Synodalordnung vom 30. März 1868, die verfügte, daß jede Gemeinde zu ihrer Vertretung einen Kirchenvorstand mit dem Ortspfarrer an der Spitze zu wählen habe, daß die Kirchenvorstände einer Diöcese jährlich einmal Mitglieder zur Diöcesanversammlung entsenden, alle fünf Jahre aber, und sofern nöthig, auch öfter, geistliche und weltliche Vertreter aller Gemeinden zur Landessynode zusammenkommen sollten. [493] Von ihrer Zustimmung wurde die Erlassung aller auf den Cultus, die Kirchenverfassung und Abänderung allgemeiner Kircheneinrichtungen bezüglichen Gesetze abhängig gemacht. Zur Aufrechterhaltung der kirchlichen Ordnung richtete F. die Kirchenvisitationen ein.
Der Universität Leipzig, die er sein „Herzblatt“ zu nennen liebte, verhalf er zu großer Blüthe. Die wissenschaftlichen Institute und Sammlungen wurden wesentlich erweitert. So erstand, um nur einiges zu erwähnen, 1857–1861 eine neue Sternwarte, die mit den werthvollsten Instrumenten ausgestattet wurde. Zu den drei schon vorhandenen wurde ein viertes, allen Anforderungen der Zeit entsprechendes chemisches Laboratorium hinzugefügt, ebenso ein zweites physiologisches Institut auf Ludwig’s Anregung hin erbaut. Die Universitätsbibliothek wurde um kostbare und zum Theil sehr umfangreiche Ankäufe bereichert. Die 1857 erworbene Büchersammlung v. Hammer-Purgstall’s belief sich allein auf 9000 Bände. Ganz besonders erfolgreich aber war F., wie seiner Zeit schon als Kreisdirector, in der Gewinnung weltberühmter Lehrkräfte. Es genügt hier, die Namen der Mediciner Credé (1856), Ludwig (1865), Thiersch (1867), des Juristen Gerber (1868), des Rechtsphilosophen Ahrens (1859), des Chemikers Kolbe (1865), des Astronomen Bruhns (1860), des Historikers Voigt (1866), der Philologen Georg Curtius (1862) und Ritschl (1865), des Kunsthistorikers Overbeck (1853), endlich der Theologen Luthardt (1856) und Delitzsch (1867) aufzuführen. Koryphäen aber, wie Roscher und Albrecht, die der Universität durch Berufungen nach auswärts verloren zu gehen drohten, wußte er nachdrücklich fest zu halten. So erklärt es sich, daß Leipzig unter F. aus einer specifisch sächsischen Universität zu einer allgemein deutschen wurde und nächst Berlin die größte Besucherzahl aufzuweisen hatte. 1866 erfuhr die dem Cultus und öffentlichen Unterrichte gewidmete Thätigkeit Falkenstein’s eine kurze Unterbrechung. An der Spitze der Landescommission, die aus ihm, den zwei Ministern v. Friesen und Dr. Schneider, sowie dem Generale a. D. v. Engel bestand und während der Abwesenheit des Königs mit Führung der Regierungsgeschäfte betraut war, verstand er es, während der Occupation dem oft herausfordernden Benehmen der preußischen Militär- und Civilbehörden mit würdevoller Ruhe und anerkennenswerther Mäßigung zu begegnen und ernste Conflicte zu vermeiden, die der Selbständigkeit des Landes leicht hätten gefährlich werden können. Um die für einen günstigen Ausgang der Friedensverhandlungen unbedingt nothwendige Entlassung Beust’s in einer für diesen möglichst schonenden Form zu erzwingen, reichte er im Vereine mit den anderen Ministern seine Entlassung ein, erhielt sie jedoch nicht. Vielmehr sicherte sich König Johann seine in schweren Zeiten bewährte Kraft für die Zukunft, ernannte ihn an Beust’s Stelle zum Vorsitzenden des Gesammtministeriums und verlieh ihm für seine „treue Umsicht und das muthige Ausharren“ den höchsten sächsischen Orden, die Rautenkrone.
Nach einem Leben voller Mühe und Arbeit glaubte F. die Berechtigung zu haben, die letzten Tage seines Lebens in Ruhe zu genießen. Auf seinen eigenen Wunsch wurde er, der Siebzigjährige, Mitte 1871 von seinem Ministerposten und vom Vorsitze im Gesammtministerium entbunden, gleichzeitig aber vom Könige gebeten, die weniger anstrengende Function eines Ministers des Königlichen Hauses zu übernehmen. Vom 1. October 1871 an verwaltete er dies Amt, zugleich mit dem durch Zeschau’s Abgang 1869 erledigten eines Ordenskanzlers, bis zu seinem Lebensende. Daneben widmete er sich schriftstellerischen Arbeiten, unter denen ihm sein 1878 erschienenes Buch „Johann, König von Sachsen, ein Charakterbild“, am meisten innerliche Freude bereitete. Mit dem Honorar für dieses Werk begründete er einen Fond zur Errichtung des König-Johann-Denkmals [494] in Dresden. Seine letzten Kräfte opferte er den „Armen und Bedrängten“, für die er immer ein Herz gehabt hatte, insbesondere dem „Vereine zu Rath und That“ in Dresden. Noch ganz zuletzt beschäftigte er sich eingehend mit dem Plane, die einzelnen Dresdner Wohlthätigkeitsvereine zu gemeinsamem Wirken zusammenzuschmelzen. Mitten aus dieser Arbeit wurde er in der Nacht vom 13. zum 14. Januar 1882 ins Jenseits abberufen und am 18. Januar auf dem Friedhofe zu Frohburg, dessen Schloß, ein alter Gruner’scher Familienbesitz, aus dem Eigenthume seiner Gemahlin in das seinige übergegangen war, zur letzten Ruhe gebettet.
- Vgl. J. Petzholdt, Dr. Johann Paul Freiherr v. Falkenstein, sein Leben und Wirken nach seinen eigenen Aufzeichnungen, mit Porträt. Dresden 1882. Dazu zwei Aufsätze in der Leipziger Zeitung vom 25. Juni 1882 und im Neuen Anzeiger f. Bibliographie und Bibliothekswissenschaft, Jahrg. 1882, S. 193–198. – Allgemeine Zeitung vom 30. Sept. 1867 und verschiedene andere Zeitungs- u. Zeitschriftenaufsätze. – Sachsen unter König Albert, Leipzig 1898 (Sächs. Volksschriften-Verlag). – R. v. Friesen, Erinnerungen. 2 Bde. Dresden 1880. – A. J. Kunze, Die Leitung der sächs. ev.-luther. Landeskirche innerhalb der jüngsten Epoche. Leipzig 1870.