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ADB:Gonzenbach, August von

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Artikel „Gonzenbach, August von“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 451–454, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gonzenbach,_August_von&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 11:13 Uhr UTC)
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Gonzenbach: August von G., schweizerischer Politiker und Historiker, geboren am 16. Mai 1808 in St. Gallen, † am 29. September 1887 in Muri bei Bern. G. war ein Sohn des A. D. B. IX, 368–370 erwähnten Präsidenten des kaufmännischen Directoriums zu St. Gallen Karl August, Bruder des A. D. B. XXVII, 601, genannten 1886 verstorbenen Präsidenten des kaufmännischen Directoriums Emil und des im Anzeiger für schweizerische Geschichte III, 371 aufgeführten 1880 verstorbenen Juristen und Historikers, seit 1860 Stiftsarchivars zu St. Gallen Wilhelm Eugen. G. war einer der Zöglinge des unter Fellenberg’s Leitung (s. A. D. B. VI, 612 u. 613) so berühmten Erziehungsinstitutes in Hofwyl bei Bern, und Erinnerungen an diese Zeit hat er noch 1878 im „Lebensbild“ seines dortigen Mitschülers Wilhelm Vischer (s. A. D. B. XL, 67–70), in den „Kleinen Schriften“ desselben II, IX–LXIII, niedergelegt. Nach Studienjahren in Basel und Jena folgte 1831 die Promotion zum Doctor der Rechte, und noch im gleichen Jahre trat er als Staatsanwalt in den Staatsdienst seines Heimathkantons. 1833 wurde er Mitglied des Großen Rathes, zweiter Gesandter des Kantons St. Gallen an der in Zürich versammelten Tagsatzung. Diese nun wählte ihn am 15. October des Jahres zum eidgenössischen Staatsschreiber, das heißt, zum zweiten Beamten der Kanzlei der Tagsatzung und des vorörtlichen Staatsrathes, neben dem ersten, dem Kanzler Am Rhyn (s. A. D. B. I, 410 u. 411). Da diese Kanzlei damals die einzige ständige eidgenössische Verwaltungsbehörde war, hatte sie den alle zwei Jahre wechselnden Sitz des Vorortes – Zürich, Bern, Luzern – zu theilen. Es waren zunächst die Jahre der steten von den Mächten der Schweiz infolge der Flüchtlingsfragen – darunter auch diejenige des Prinzen Napoleon – gemachten Zumuthungen; dann begannen von 1839, der Bewegung in Zürich, an die inneren Erschütterungen in den einzelnen Kantonen, die Klösteraufhebung im Aargau, die Berufung der Jesuiten nach Luzern, infolge dessen die Freischarenzüge, der Abschluß des Bündnisses der sieben katholischen Kantone und endlich 1847 der Executionskrieg gegen diesen „Sonderbund“. G. war mit allen diesen Angelegenheiten als Führer der Protokolle, in der Ausarbeitung der wichtigsten Actenstücke auf das engste verknüpft; bei dem Wechsel der leitenden Persönlichkeiten, die stets wieder auf die Kanzlei als den einzig bleibenden Factor angewiesen waren, erschienen seine Sachkunde, seine Erfahrung und Personalkenntniß ganz unentbehrlich; wenn er auch selbst dabei individuell im Hintergrunde sich befand, war er thatsächlich durch diese Beziehungen von wesentlichem Einflusse. Einige Arbeiten, die diesen Jahren entstammen, erschienen im Drucke: 1842 die „Darstellung der Handelsverhältnisse zwischen der Schweiz und Frankreich im Jahre 1840“, 1845 „Ueber die Handelsverhältnisses zwischen der Schweiz und den [452] Zollvereinsstaaten im Jahre 1840“, 1846 „Ueber die englische Tarifreform“, 1847 „Darstellung der Handelsverhältnisse zwischen der Schweiz und Oesterreich in den Jahren 1840 und 1845“. Auf Grund umfassender statistischer Materialien sprach sich G. in diesen Arbeiten durchaus als Anhänger des Freihandels aus. Noch 1846 hatte ihm die Tagsatzung ihre „ausgezeichnete Zufriedenheit“ in ausnahmsweise gewählter Form bezeugt. Allein bei den seit dem Beginn der Vierziger Jahre eingetretenen Verschiebungen im radicalen Parteisinne erschien die Beibehaltung eines conservativ gesinnten hohen Kanzleibeamten, mochte er sich durch seine Gewandtheit, besonders auch im diplomatischen Verkehre, noch so sehr empfohlen haben, nicht mehr möglich. Als Vorwand zu seiner Beseitigung wurde der Umstand ergriffen, daß in seiner Annahme von Orden fremder Staaten – bei Anlaß der Unterhandlungen für den Abschluß von Verträgen – „eine Abhängigkeit vom Auslande“ ausgesprochen sei, und so wurde er in den schwülen Monaten vor Ausbruch des Sonderbundskrieges, am 5. Juli 1847, nicht wiedergewählt. Am 9. Juli schrieb G. darüber einen „Offenen Brief an seine Freunde“. Er behielt seinen Wohnsitz in Bern, wo die eidgenössische Kanzlei zuletzt gewesen war, hielt sich aber während der zwei nächsten Jahre ganz zurückgezogen.

Erst 1850, als in Bern eine conservative Regierung gewählt worden war (s. A. D. B. II, 725), trat G., jetzt zunächst auf diesem kantonalen Boden, wieder hervor. Als ein hauptsächlicher Führer und Redner im Großen Rathe vertrat er die Maßregeln der Regierung, und gedruckt wurden 1850 die Reden über die Aufhebung des kantonalen Werbeverbotes für den capitulirten Militärdienst und über die Salzfrage. Ganz besonders aber vertheidigte er 1851 gegen die unterlegene radicale Partei, die in ihrer Vergeltungslust, mit unerhörten Verdrehungen und Unwahrheiten, auf die Ereignisse von 1798 zurückgegriffen und begonnen hatte, von Millionen zu reden, die damals, bei der französischen Plünderung des Berner Staatsschatzes, durch die „Patricier“ unterschlagen worden seien, die Verleumdeten gegen diese Verdächtigungen. Im Auftrag des Großen Rathes arbeitete er, nach eindringlichen Studien, 1851 den „Bericht der Mehrheit der zur Untersuchung der Schatzgelder-Angelegenheit niedergesetzten Commission“ aus und führte damit den Sieg der Wahrheit herbei. Auch als dann die conservative Partei wieder aus der Leitung des Kantons verdrängt worden war, blieb G. als Mitglied des Großen Rathes, jetzt in der Opposition, eine Hauptperson in der parlamentarischen Debatte; er hatte inzwischen das Bürgerrecht der Stadt Bern, in der er sich völlig einlebte, erlangt. Außerdem war er 1854 vom bernischen Mittelland auch als Mitglied des Nationalrathes in die Bundesversammlung gewählt worden, wo er, wenn er schon nicht zur vollen Geltung gelangte, ein sehr beachteter Redner war. Ein College im Rathe sagte von ihm, er habe sich, wenn auch grundsätzlich conservativ und föderalistisch, nicht streng an das, was man später Parteidisciplin betitelte, gehalten, sondern seinen eigenen, immer wohlmotivirten Anschauungen freien Lauf gelassen und sehr oft Mittelwege zwischen scharf sich entgegenstehenden Anträgen gesucht. In der Zeit des neuerdings erhitzten Parteikampfes, infolge der Revision der Bundesverfassung 1874, wurde G. auch aus diesen parlamentarischen Stellungen hinweggeschoben. In Befriedigung einer gewissen persönlichen Eitelkeit machte er von einer 1875 bei Anlaß einer Romreise von Papst Pius IX. erlangten Audienz zu viel Aufsehen, und das wurde gern benutzt, um durch das heraufbeschworene Gespenst der Religionsgefahr ihn bei seinen Wählern zu discreditiren, sodaß er weder in die Bundesversammlung, noch in den Großen Rath mehr gewählt wurde.

[453] So schied G. für die letzten Jahre aus dem öffentlichen Leben völlig aus. Doch blieb er, theils in seiner Sommerwohnung in Muri bei Bern, theils in der Stadt, in der Mitte eines großen anregenden, vielseitigen Verkehres, und er wandte nun noch mehr, als schon früher, seinen Fleiß historischen Studien zu, die vielfach auch wieder mit praktischen politischen Fragen im Zusammenhang standen; schon 1859, 1860 auch französisch, waren „Beiträge zur Erklärung der Einverleibung eines Theils von Savoyen in die schweizerische Neutralität“ erschienen. Als Präsident des historischen Vereins des Kantons Bern war G. von 1876 bis 1882 bethätigt, und sein Nachfolger im Vorsitze bezeugte nach dem Tode, wie G. auch hier in seiner unnachahmlichen Weise von der Geschichte erzählt habe, die er erforscht, die er erlebt, oder die er selbst gemacht hatte. Dem „Archiv“ des Vereins gab er 1879, zu Band IX, „Die schweizerische Abordnung an den Friedenscongreß in Münster und Osnabrück“, 1886, zu Band XI, „Ueber die Rechtsbeständigkeit des Schiedsrichterspruches von Lausanne vom 30. October 1564“. Ein wahres, nicht bloß wissenschaftliches Verdienst aber erwarb sich G. seit 1880 durch die Veröffentlichung des auf breiter Grundlage aufgebauten und deshalb nicht überall leicht übersichtlichen Werkes „Der General Hans Ludwig von Erlach von Castelen, ein Lebens- und Charakterbild aus den Zeiten des dreißigjährigen Krieges (Bern, Band I–III). Durch die finanzielle Katastrophe des Eigenthümers des Schlosses Spiez am Thunersee war infolge Versteigerung der Bibliothek des Hauses Erlach auch die ganz vergessene Correspondenz des Generals v. Erlach (s. A. D. B. VI, 216–220) wieder zu Tage getreten, und daraus schöpfte nun G. den Stoff für sein Werk, in dem er mit dem redlichen Eifer des von der Gerechtigkeit seiner Sache überzeugten Anwaltes den Beweis dafür führte, daß die gegen Erlach geschleuderten Anklagen, unredlich, „durch Geld bestochen“, gehandelt zu haben (s. A. D. B. II, 450), jeglicher Grundlage entbehren, daß vielmehr von einem Verrathe, einer bewußten Unrechtlichkeit des Generals keine Rede sein könne, deswegen weil er 1639 nach dem Tode Herzog Bernhard’s einfach das zur Erfüllung brachte, was durch diesen selbst herbeigeführt worden war; denn der Ernestiner hatte mit einer von Frankreich her besoldeten Armee, die unter der Autorität des französischen Königs stand, Gebiete erobert, in deren dauernden Besitz allerdings er selbst wahrscheinlich bei fortgesetztem Waffenglück und längerem Leben, in anders gearteten Beziehungen, getreten sein würde. Zwei sehr anerkennenswerthe Beiträge gab G. auch zu der Jahrespublication der Allgemeinen Geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz, deren lebhaft sich betheiligendes Mitglied er schon seit deren Anfängen war, 1874 zu Band XIX des „Archivs für schweizerische Geschichte“ die auf umfangreichem Actenmaterial geschaffene Abhandlung über die 1814 und 1815 infolge der beiden Pariser Friedensverträge zwischen der Schweiz und Frankreich festgestellten Abmachungen wegen der Kriegskosten und anderer Kriegsentschädigungen, hernach 1885 zu Band X des „Jahrbuches für schweizerische Geschichte“, nochmals eine Kritik der Vorgänge, die in der Erklärung der Lostrennung der Eidgenossenschaft vom Verbande des deutschen Reiches 1648 maßgebend wurden, mit dem Ergebnisse, daß der geschickte Unterhändler Wettstein (s. A. D. B. XLII, 243–245) nicht, wie früher angenommen ward, der französischen Einwirkung, sondern den kaiserlichen Gesandten zum Friedenscongresse sein gutes Endresultat zu verdanken hatte. Andere ausgedehnte Studien über den 10. August 1792, die Schicksale des Schweizergarderegiments in den Pariser Tuilerien, stellte G. 1866 in das „Berner Taschenbuch“, dessen Jahrgänge außerdem noch andere Beiträge von ihm enthalten, besonders derjenige von 1864 den Anfang einer Biographie des eidgenössischen [454] Kanzlers Mousson (s. A. D. B. XXII, 412–415), die aber leider mit dem Jahre 1798 abbricht und keine Fortsetzung fand. Einzelne Nekrologe ließ G. an verschiedenen Orten erscheinen. Für sein großes Werk über Erlach hatte ihn 1885 die Universität Basel zum Ehrendoctor der Philosophie ernannt.

G. war bis in sein hohes Alter körperlich wie geistig unvermindert kräftig geblieben, bis ihn die kurz dauernde Todeskrankheit ergriff. Eine imponirende hochgewachsene Gestalt, von ausgezeichneter Frische und Lebendigkeit, in der Gesellschaft im höchsten Grade anregend, ein vorzüglicher Erzähler von weit zurückreichendem sicherem Gedächtniß, ein fesselnder Redner, der gleich gut französisch, wie deutsch, sprach, so erschien G. als eine eindrucksvolle Persönlichkeit.

Vgl. die im Anzeiger für schweizerische Geschichte, Band V, S. 344 genannten Nekrologe, besonders denjenigen von Segesser (A. D. B. XXXIII, 594–605), in der Allgemeinen Schweizer Zeitung von 1887, Nr. 236–239.