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ADB:Hadrian VI.

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Artikel „Hadrian VI.“ von Wilhelm Maurenbrecher in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 10 (1879), S. 302–307, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hadrian_VI.&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 06:16 Uhr UTC)
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Hadrian VI., der letzte deutsche Papst. H. war in Utrecht am 2. März 1459 geboren. Sein Vater hieß Florentius, seine Mutter Gertrud; der Familienname ist unsicher; Floriszoon und Boyens (oder Boeyens) können nicht als Geschlechtsnamen gelten und ob H. zu der Familie Dedel gehört, ist sehr fraglich. Schon früh verlor er den Vater, einen Gewerbtreibenden; die Mutter war nicht unbemittelt. Den ersten Unterricht genoß er in Delft und Zwoll; im Alter von 17 Jahren kam er nach Löwen, studirte mit großem Eifer, so daß er schon 1478 sich die Magisterwürde der Philosophie erworben. Von Scholastikern und Kirchenvätern fühlte er sich angezogen, aber auch dem Kirchenrecht lag er ob; für Mathematik interessirte er sich ebenfalls, dagegen blieben Dichtkunst und die neuen humanistischen Bestrebungen ihm fremd und gleichgültig. Es wird der außerordentliche Fleiß, die unermüdliche Ausdauer gelobt, die er in diesen Studienjahren an den Tag legte; dadurch soll er die Augen auf sich gezogen haben. 1488 wurde er selbst Lehrer; an der Löwener Universität hielt er philosophische Vorträge. Am 21. Juni 1491 erwarb er sich den Doctorgrad der Theologie, wie berichtet wird, auf Kosten der alten Herzogin Margarethe von Burgund, der Wittwe Karls des Kühnen. Seitdem las er auch über Theologie; 1493 und 1501 war er Rector der Universität. Als akademischer Lehrer verschaffte er sich großes Ansehen; auch Gelegenheit zur Predigtthätigkeit empfing er, da man 1492 ihm eine Landpfarre (in Goederhede) gab, und da er Canoniker und Decan in verschiedenen Kirchen Löwens, Antwerpens, Utrechts und Anderlechts bei [303] Brüssel wurde. Wol sollen seine Predigten bisweilen etwas trocken und ungelenk gewesen sein, doch vermehrten sie seinen Ruf als Gelehrter. Er war ein frommer Forscher auf dem Felde der kirchlichen Wissenschaften; er schrieb über eine Anzahl schwieriger theologischer Probleme, über die Theorie der Sacramente, über eine Reihe von dogmatischen und ethischen Streitfragen, überall mit Scharfsinn und Freimuth, mit Belesenheit und Gewandtheit. Er verfaßte mehrere Schriften, die ungedruckt geblieben; nur zwei seiner Werke wurden veröffentlicht, die „Quaestiones quodlibeticae“, 1515, und die „Quaestiones de sacramentis in quartum sententiarum librum“, 1516. Er war nichts weniger als ein theologischer Neuerer; er bewegte sich in den hergebrachten Geleisen scholastischer Erörterung, aber er hatte über die einzelnen Fragen seine Ansichten mit Unbefangenheit und Gewissenhaftigkeit sich gebildet und trug sie ohne Rückhalt vor: so hatte er sich in unzweideutiger Weise gegen die von vielen namhaften Zeitgenossen behauptete Unfehlbarkeit der Päpste bestimmt ausgesprochen. H. war ein in den ganzen Niederlanden hochangesehener Lehrer, zu dessen Füßen gesessen zu haben auch Erasmus nachher sich rühmte, dessen Frömmigkeit allgemein gepriesen wurde, der überall, wo sich ihm Gelegenheit bot, für Hebung der kirchlichen Zucht und Besserung des Clerus auftrat; in Löwen begann er auf seine Kosten ein Convict zur Bildung von Theologen zu erbauen. Einer der eifrigen Cardinäle, der Spanier Carvajal, der wie mancher seiner Genossen von der Nothwendigkeit einer allgemeinen Kirchenreformation durchdrungen war, lernte H. bei einem Aufenthalte in den Niederlanden kennen und verlangte von dem Papste die Berufung des hervorragendsten Löwener Theologen nach Rom, um in ihm einen Helfer für seine Reformgedanken zu gewinnen. Aber es wurde gerade damals H. ein ganz anderer Auftrag zu Theil. Er wurde ausersehen zum Lehrer des jungen niederländischen Prinzen Karl (des nachmaligen Karl V.); nur mit Widerstreben trat er 1507 dies Amt an, das übrigens nicht sofort seine Beziehungen zu Löwen zerriß, sondern Muße zu akademischen und wissenschaftlichen Arbeiten zeitweise ihm noch gewährte. Als Prinzenlehrer war H. sittenstreng, gutmüthig und wohlwollend, aber etwas pedantisch; er vermochte es nicht, in Karl Geschmack an den Wissenschaften zu erwecken; literarische Kenntnisse und Interessen flößte H. seinem Zögling nur in geringem Maße ein, aber er verschaffte ihm die nöthige Belehrung über Religion und kirchliche Dinge; er pflanzte in seines Schülers Geist die Keime der strengen Religiösität und des kirchlichen Eifers, die nachher in dem Seelenleben des Kaisers sich zu so mächtiger Bedeutung entwickelt haben. Während dieser Stellung hatte die Regierung bisweilen Hadrian’s Ansichten eingeholt, 1515 wurde H. geradezu in den Staatsrath aufgenommen. Darauf aber beehrte man ihn mit einer sehr schwierigen und delicaten Sendung an den spanischen Hof: er sollte Karls Erbaussichten und Erbrechte auf die spanischen Kronen gegen die politischen Gedanken König Ferdinands von Spanien, der eine Theilung der Länder zwischen Karl und seinem Bruder Ferdinand anstrebte, in Schutz nehmen und den Großvater zur Anerkennung der alleinigen Nachfolge des ältesten Enkels bewegen. Glücklich führte H. den Auftrag aus; auf dem Sterbebett nahm der alte König die Karl ungünstigen Anordnungen zurück; es muß dahin gestellt bleiben, wie weit gerade das Auftreten des Gesandten dies Ergebniß erzielt. Nach Ferdinands Tode brachte er eine Vollmacht zum Vorschein, die ihn in Abwesenheit des neuen Königs zum Regenten für Spanien einsetzte, während Ferdinand zu diesem Amte noch den Primas von Spanien, Ximenez, bestimmt hatte. Es drohte ein Conflict, der so ausgeglichen wurde, daß beide Männer gemeinsam die Regentschaft führten. Dabei überwog natürlich das großartige staatsmännische Talent des Spaniers; man muß es anerkennen, daß H. sich gefügt, und selbst dem Collegen [304] sich untergeordnet hat. Er wurde in Spanien Bischof von Tortosa; im November 1516 trat er an die Spitze der Inquisition von Aragon und Navarra, im März 1518 auch von Castilien und Leon. Am 1. Juli 1517 hatte Papst Leo X. auf Karls Verwendung ihn zum Cardinal gemacht. Man wird sagen dürfen, daß die theologische Eigenartigkeit Hadrian’s schon früher vieles verwandte mit der in Spanien erblühten Theologie und Kirchlichkeit an sich hatte; während des Aufenthaltes in Spanien trat H. auch in persönliche Beziehungen zu den Führern der spanischen Kirche; er und seine neuen Freunde, Juan de Toledo, Marcello Gazzella, Rossi von Cosenza, Gian Pietro Caraffa standen unter dem Einflusse der geistigen Einwirkungen, die von Ximenez ausgingen. In seiner Stellung als Inquisitor wachte H. mit peinlicher Strenge darüber, daß die spanische Inquisition ihren Charakter behielt: als die Cortes Aenderungen forderten und der Papst auf sie eingehen wollte, bestand H. auf Ablehnung der Corteswünsche und setzte seinen Willen durch. Es war ganz natürlich, daß sich H. gegen Luther’s reformatorische Absichten wendete; er forderte während der Wormser Verhandlungen 1521 seinen kaiserlichen Zögling durch ein eigenes Schreiben mit mahnenden Worten auf, jenen vom Papst schon verurtheilten Irrlehrer Martin Luther zu bestrafen und unschädlich zu machen. H. hatte sich selbst mit der ganzen Energie der specifisch spanischen Kirchlichkeit identificirt, – das spanische Kirchenprogramm zu verwirklichen, wo es ihm möglich, war sein Entschluß.

Während Karls Aufenthalt in Spanien stand H. ihm zur Seite. Nach Karls Abreise, Mai 1520, sollte H. wieder Regent sein; es war eine unglückliche Wahl. H. mit seiner steifen und ängstlichen Gewissenhaftigkeit, seiner pedantischen Ungeschicklichkeit war für politische Aufgaben wenig geschaffen; und ganz besonders damals, als die Unzufriedenheit der Spanier mit den Anfängen der neuen Regierung zu offener Opposition und Aufstand hingeführt, war H. der Lage nicht mehr gewachsen. Erst als man ihm zwei Adelsherren zu Genossen in der Regierung beigegeben, gelang es die Gefahr zu beschwören und das Land zu beruhigen. Das war damals deutlich geworden, daß der frühere Prinzenerzieher keine staatsmännische Begabung besaß und zum Herrschen nicht geboren war. Dagegen mußte seine kirchliche Haltung sich die allgemeinste Achtung und Verehrung erzwingen; und in den Augen der Welt war er, den sein Fürst zwei Mal zum Regenten Spaniens bestimmt, gewiß eine Person, die als intimster Vertrauensmann des jugendlichen Kaisers gelten konnte. Da starb Papst Leo X. am 1. December 1521. In dem Conclave rangen politische Gegensätze und persönliche Rivalitäten hart miteinander. Zuletzt als fast jede andere Candidatur sich als unmöglich herausgestellt, wurde des abwesenden H. Name versuchsweise genannt; er fand bei den Anhängern des Kaisers und bei den strengeren Geistern sofort Unterstützung; besonders die theologischen Autoritäten, Egidio, Carvajal und de Vio sprachen zu seinem Lobe, und so wurde ihm am 9. Januar 1522 das Papstthum zu Theil – zu allgemeiner Ueberraschung. In Vittoria erhielt H. die erste Kunde dieses Ereignisses am 23. Januar, doch erst am 9. Februar erreichte ihn die officielle Mittheilung der Cardinäle. Er besann sich eine Weile; dann aber am 16. Februar nahm er das Papstthum an, in seinem Geiste fest entschlossen, die Mißbräuche und Uebelstände im kirchlichen Leben, die er bisher selbst kennen und fühlen gelernt, zu beseitigen und jene als nothwendig von ihm und seinen spanischen Gesinnungsgenossen betrachtete Reformation der Kirche anzubahnen. Er annullirte sofort alle die Verleihungen von Gnaden und Aemtern und Pensionen, welche die Cardinäle in Rom vorgenommen; er stellte Kanzleiregeln für seine Verwaltungspraxis auf, welche einfach und streng waren und von dem römischen Herkommen abwichen. [305] Seine Abreise aus Spanien verzögerte sich noch eine gute Weile; erst am 22. August langte er in Rom an. Ihm waren von den in Spanien gewonnenen Freunden Einzelne gefolgt, die Bischöfe Rossi von Cosenza und Caraffa von Chieti, der Jurist Gazzella, und außerdem hatten sich einige jüngere spanische Adliche mit Begeisterung ihm angeschlossen, unter ihnen Pedro Pacheco, Bartolome de Cueva, Rodrigo Mendoza, sie alle vom kirchlichen Eifer ihrer Heimath erfüllt und zu einflußreichen Stellungen in der allgemeinen Kirche dereinst bestimmt und berufen.

Ein vielstimmiger Chor von Reformwünschen empfing in Rom den neuen Papst. Cardinal Carvajal begrüßte ihn mit einer Anrede in diesem Sinne; Cardinal Egidio überreichte ihm eine Denkschrift, die ein Programm der gewünschten Kirchenreformation in sich einschloß. Der Nuntius in Deutschland Aleander, der spanische Humanist Vives, mit besonderem Nachdruck aber der König der humanistischen Geister Erasmus, sie alle begrüßten den neuen Papst mit der zuversichtlichen Erwartung, daß er der reformatorischen Aufgabe sich widmen würde. H. selbst erklärte auf Erasmus als Mitarbeiter zu zählen; er wünschte von ihm eine litterarische Bekämpfung Luther’s und seiner Irrlehren und persönliche Theilnahme an den allgemeinen Maßregeln der Reform. Zu einer Uebersiedlung oder Reise nach Rom war Erasmus nicht zu bewegen; aber er ertheilte dem Papste seinen Rath: eine Anzahl unabhängiger und ernster, leidenschaftsloser und gelehrter Männer aus den verschiedenen Ländern Europa’s möchte er in Rom versammeln zur Einführung derjenigen Aenderungen in den kirchlichen Zuständen, die für nöthig galten: allen theologischen Hader vermeidend galt es ihm als Hauptsache, für den Dienst der Kirche wirklich fromme und tugendhafte Geistliche und Seelsorger zu gewinnen. H. stimmte diesen Gedanken zu. Er ließ sich durch Caraffa und Rossi und Gazzella berathen; zu seinem Secretär machte er den Niederländer Dietrich Heß, einen anderen Niederländer Enckevort stellte er an die Spitze der Dataria. Die Cardinäle Carvajal und de Vio und Egidio hatten auf seine Entschlüsse den größten Einfluß. So ging er an’s Werk.

Sein erster Gedanke war die Reorganisation des Ablaßwesens. Er hatte früher selbst über die Frage schon geschrieben, er brauchte von seiner eigenen früheren Ansicht jetzt nur Nutzanwendung zu machen. Er fand auch in Rom einen Gelehrten, der schon mehrere Schriften über dies Thema verfaßt, jenen de Vio (Cajetanus). Zwischen ihnen konnte eine Vereinbarung über die Theorie nicht schwierig sein. Aber aus der Mitte der Praktiker erhob sich sofort in den Berathungen ein folgenschwerer Widerspruch: man war nicht in der Lage den finanziellen Ertrag des Ablaßwesens zu entbehren; verbotener Mißbrauch und erlaubter Gebrauch waren bei dieser Einrichtung auf das engste in einander verwachsen. Eine Reform, die in der Absicht, die Mißbräuche abzuschneiden, den Gebrauch überhaupt beträchtlich eingeengt hätte, würde eine Verkürzung der päpstlichen Finanzen zur Folge gehabt haben. – H. wollte ferner einige eherechtliche Dispense abschaffen, welche nur noch die Bedeutung von Geldabgaben hatten; er gedachte das Sportel- und Taxwesen zu beschneiden, nach welchem Zahlungen beim Antritt geistlicher Aemter an die Curie zu leisten waren. Die Pfründenverleihung überhaupt forderte seine Aufmerksamkeit heraus. In Rom gab es viele Aemter, die durch Kauf zugänglich waren; noch Papst Leo X. hatte eine ganze Anzahl derartiger Stellen neu geschaffen. Der Aemterkauf und die ganze Finanzwirthschaft der Anwartschaften und Dispense, der Gnadenerweise und Geldzahlungen war H. verhaßt; an ihre Existenz legte er Hand an. Aber zäh und unüberwindlich war die Macht der bestehenden eingewurzelten Verhältnisse, sogar einem Papst gegenüber, welcher von den besten Absichten erfüllt nach reineren [306] Ideen das Leben seiner Kirche neu zu ordnen unternahm. Die Einreden der Praktiker – Pucci, Soderini – liefen darauf hinaus, daß die Einkünfte aus jenen Einrichtungen nicht zu entbehren, daß ein Ersatz des zu erwartenden Deficites aus anderen Quellen nicht zu beschaffen. Damit war die Reform überwunden. Die allgemeine Maßregel setzte der Papst nicht durch; er konnte höchstens seine Freunde Enckevort und Heß instruiren, bei der Erledigung und Expedition der einzelnen zu ihrer Entscheidung gelangenden Fälle möglichst sachlich und gewissenhaft zu verfahren. Ein winziges Ergebniß hochgespannter Entwürfe! Der Papst selbst erwog persönlich wiederholt die Fälle kirchlicher Anstellungen, die an die Curie kamen, mit peinlichster Gewissenhaftigkeit; äußerst schwerfällig erledigte er diese Dinge, – die Geschäfte der kirchlichen Centralverwaltung geriethen ins Stocken.

H. selbst hatte sich der Hoffnung hingegeben, durch die Reformmaßregeln, die er plante, würde er den Deutschen den Vorwand zum Abfall von der Kirche entziehen und die schon Abgefallenen in den Schooß der Kirche zurückführen können. Er entsendete im November 1522 zu dem deutschen Reichstag den Nuntius Francesco Chieregati, Bischof von Teramo, und ließ durch ihn seine reformatorischen Gedanken dem Reiche mittheilen. Mit großartiger Offenheit enthüllte er seine Auffassung der ganzen Lage und stellte in den lebhaftesten Farben den sittlichen Verfall in der Kirche dar, der das Strafgericht Gottes (d. h. Luther’s Ketzerei) herbeigezogen habe. Der deutsche Reichstag nahm in erster Linie Act von dem Sündenbekenntniß des römischen Papstes und folgerte daraus, daß man Luther’s Lehre nicht verfolgen dürfte; er forderte Berufung eines Conciles und überreichte dem päpstlichen Vertreter die Beschwerden Deutschlands wider die römische Curie (1523). Auch hier war des Papstes redliche Absicht gescheitert: sein Entschluß, die gesunkene Kirche des Mittelalters durch zeitgemäße Reformen neu zu beleben, hielt die Abwendung der Deutschen von den Principien dieses mittelalterlichen Kirchenthums nicht mehr auf. Mit einem gewissen Hohne wies man in Deutschland seine Eröffnungen zurück.

Durch das doppelte Scheitern seiner Absichten war Hadrian’s geistige Kraft gebrochen. Seine Stellung in Rom wurde immer peinlicher. Von dem humanistischen Hofe Leos X. wurde er mit beißendem Spott überschüttet. Die Pensionen der Dichter und Künstler hatte er beschnitten; nun lästerten und höhnten jene über ihn. Er lebte einfach wie ein Gelehrter; er hatte sich seine alte Haushälterin aus den Niederlanden mitgebracht; man erklärte ihn für einen Geizhals; man machte aus dem sittenstrengen und ernsten Mann geradezu eine Caricatur. Er war unerfahren in den großen Geschäften der Kirche, unsicher in allem dem Treiben auf römischem Boden. Das römische Volk legte seine Antipathie schonungslos an den Tag. Auch seine politische Haltung brachte ihm wenig Beifall. Nach seiner Wahl hatte man engsten Anschluß an den Kaiser erwartet. Aber H. in seiner unpraktischen Art erklärte, er wolle sich als Vater der ganzen Christenheit bewähren, d. h. er wolle zwischen dem Kaiser und Frankreich neutral bleiben. Erst nach langem Zerren und Zanken, unter vielem Aerger aller Theile brachte ihn die kaiserliche Diplomatie zum Anschluß an den Kaiser; erst am 3. August 1523 trat er der Offensive gegen Frankreich bei. Andererseits hatte das unaufhaltsame Vordringen des Türken ihm großen Kummer gemacht; der Fall von Rhodus hatte sein Gefühl heftig bewegt. Kein Zureden sparte er, die europäischen Mächte zum Kreuzzug wider den Islam zu spornen; aber ohne Frucht verhallten seine Worte.

Es wird erzählt, H. habe selbst es als Unglück bezeichnet, daß in so gefahrvoller Zeit seinem Arm die schwere Bürde des Papstthumes auferlegt worden. Fromm und wahrheitsliebend, ernst und streng, voll religiösen Gefühles und Pflichteifers hatte er sein Amt erfaßt; aber trotz der besten Absichten war [307] ihm alles, was er unternommen, mißglückt. Ja, seine reinste That – die Sendung Chieregati’s und die durch ihn übermittelten Anschauungen und Absichten – war zur Quelle weiteren Unglückes für die ihm anvertraute Kirche geworden. Deutschland rechtfertigte jetzt seinen Abfall von Rom durch den Hinweis auf jene Bekenntnisse des Papstes; nur in dem Fall wäre etwas anderes zu erhoffen gewesen, wenn dem päpstlichen Bekenntniß unmittelbar die Reformation der Kirche gefolgt wäre: sie aber wirklich ins Werk zu setzen, war der edelgesinnte Mann zu schwach, zu unpraktisch, zu ungeschickt. Im Sommer 1523 erkrankte er plötzlich. Das Gerücht, das von Gift redete, verdient keinen Glauben. Er starb am 14. September 1523. Auf sein Grab setzte man die Worte: Hadrianus Sextus hic situs est qui nihil sibi infelicius in vita quam quod imperaret duxit. Der römische Volkswitz aber sagte, da er zwischen Pius II. und Pius III. begraben: Hic jacet impius inter pios. Und selbst der officielle Geschichtschreiber des restaurirten Papstthumes, Pallavicino, nannte ihn: Ecclesiastico ottimo, pontefice in verità mediocre, – ein Urtheil, das, so hart es klingt, doch nicht ein unrichtiges wird gescholten werden dürfen!

Drei zeitgenössische Biographien des Papstes besitzen wir: von dem Italiener Giovio, dem Niederländer Moring und dem Spanier Ortiz. Sie sind mit einer Menge von Briefen und Documenten zusammengedruckt von Burmann, Hadrianus VI sive Analecta historica de Hadriano VI, 1727. Vgl. Sarpi und Pallavicino, und den Artikel bei Bayle; ferner Mallinkrot, De archicancellariis, 1715, und Eccard, De pontificibus romanis qui reformationem ecclesiae frustra tentarunt, 1718. – In neuerer Zeit erschienen Gachard, Correspondance de Charles V et d’Adrien VI, 1859; Reusens, Syntagma doctrinae theologicae Adriani VI, 1862; Bauer, Hadrian VI, 1876. Auch Höfler hat wiederholt über H. gehandelt (Wahl und Thronbesteigung Adrians VI., 1872; Der deutsche Kaiser und der letzte deutsche Papst, Karl V. und Adrian VI., 1876; Zur Kritik und Quellenkunde der ersten Regierungsjahre Karls V., 1876 und 1878). Einige sehr wichtige Documente über H. veröffentlichte Höfler früher in Abhandlungen der Münchener Akademie, IV. 1846. Ueber Chieregati’s Sendung an den Nürnberger Reichstag vgl. noch B. Morsolin, Francesco Chiericati, vescovo e diplomatico del secolo decimosesto, 1873.