ADB:Hartmann, Julius von (preußischer General der Kavallerie)
des Vorigen, wurde am 2. März 1817 in Hannover geboren, wuchs dann auf in einem Landhause des Vaters nahe der Stadt, verlor im siebenten Lebensjahre seine Mutter und wurde in Folge dessen der Obhut des Pfarrers Stephan zu Bischhausen übergeben, wo er bis zum Herbst 1831 als Pensionär blieb und den ersten wissenschaftlichen Unterricht mit mehreren jungen englischen Genossen vom vielseitig gebildeten Pastor erhielt. Das Leben in der reinen Landluft, im sauberen Hause, von Garten, Wiese und Wald umgeben, sagte dem kräftigen Knaben herrlich zu. Der Lehrer, bei lebhafter praktischer Frömmigkeit nach damaliger Weise Rationalist und Moralist, war ein wirksamer und würdiger Seelsorger, sein Unterricht war weder methodisch noch vollständig, aber zu weiterem Lernen anregend und von sittlicher Wärme durchdrungen. Dem von früh an für geistige Anregungen offenen Sinn des jungen H. waren die hier empfangenen Eindrücke in solchem Maße erfreulich, daß er heranwachsend, eine entschiedene Neigung zum gelehrten und insbesondere zum theologischen Studium bekannte. Der Vater jedoch, ein liebevolles, aber strenges Haupt seines Hauses, schnitt diese Vellëitäten mit dem kurzen Worte ab: Dummes Zeug, der Junge wird Soldat. Damit war auch für den Sohn die Sache ohne Weiteres erledigt und er sollte jetzt in Hannover, in welcher Stadt der General nach Abschluß einer zweiten Ehe Wohnsitz genommen, als Cadet in die hannoversche Armee eintreten. Indessen führten die auf Grund der Verfassung von 1833 gewählten Stände starke Ersparnisse und Reductionen im dortigen Militärwesen herbei, so daß für junge Anfänger die Aussichten auf gutes Avancement in unbestimmte Ferne gerückt wurden. Dies bestimmte den General, für seinen Sohn den Eintritt in preußischen Kriegsdienst zu erbitten, worauf nach huldvoller Genehmigung des Gesuchs der Letztere, 17jährig, als Portepeefähnrich dem 10. Husarenregiment, mit der Garnison Aschersleben, zugetheilt wurde, bald nach wohlbestandenem Examen zum Lieutenant aufrückte und sich durch Fleiß und Eifer im Dienste und lebhaften kameradschaftlichen Sinn die Zuneigung und Achtung seiner Vorgesetzten und Genossen erwarb. Allerdings genügte das Leben in der kleinen Garnison, wo außerhalb des Officiercorps nur die Bälle bei den benachbarten kleinen Höfen und großen Gutsbesitzern momentanen Verkehr mit gebildeten Menschen boten, den emporstrebenden geistigen Bedürfnissen des jungen Officiers nicht lange, und wie sehr auch einzelne Kameraden den Kopf dazu schüttelten, daß ein flotter Cavallerist nicht blos nach schnellen Pferden, sondern auch nach guten Büchern trachte, so erwirkte sich H. im J. 1839 ein Commando zur Kriegsschule (der jetzigen Kriegsakademie) in Berlin. Es war das letzte Regierungsjahr Friedrich Wilhelms III.; trotz seiner [692] jungen Jahre sah H. mit offenem Auge die charakteristischen Züge des damaligen Zustandes, die greisenhafte Stagnation der officiellen Verhältnisse, die trübe Verfahrenheit in überlieferter Routine, den Mangel jedes schöpferischen Antriebs: und dahinter die wachsende Unzufriedenheit aller Welt, die einstweilen ohne öffentliche Aeußerung nach Innen fraß und ohne klar erkannte Ziele das Vorhandene mit ätzendem Mißmuthe kritisch auflöste. Auch was ihn zunächst anging, das Heerwesen, bot einem jugendfrischen Blicke nicht eben erhebende Wahrnehmungen, auf der Kriegsschule sehr gründlichen, aber wenig planmäßigen und noch weniger anregenden Unterricht, bei den praktischen Uebungen das Ueberwuchern eines nach russischem Muster gemodelten Paradedienstes über die ächte Schulung zum wirklichen Kriegszweck, und bei geringem Vertrauen auf eine Menge nur durch das Dienstalter emporgekommener Vorgesetzten eine fühlbare Erschlaffung des soldatischen Sinnes. Mit dem Thronwechsel 1840 begann eine neue Zeit: H. empfand wie das ganze preußische Volk die zündende Kraft der Worte, mit welchen Friedrich Wilhelm IV. seine Herrscherthätigkeit eröffnete, die unermüdliche Erregung der Geister, die Fülle der Erwartungen und bald auch die Wucht der Forderungen, welche der König wachgerufen, und innerlich gereifter als viele seiner Zeitgenossen dachte H. sehr bald mit Sorge an die Frage, in wie weit eine Befriedigung all dieser Wünsche durch Thaten möglich sein würde. Seine wissenschaftliche Tüchtigkeit wurde unterdessen von seinen Obern anerkannt; er wurde nach Absolvirung der Kriegsschule 1842 zum topographischen Bureau und bald nachher zum großen Generalstabe commandirt, und erhielt endlich im Verbande des letzteren im Juli 1848 als Premierlieutenant seine definitive Anstellung. Damals war bereits der Sturm der Märzrevolution über Berlin und Preußen hereingebrochen. H. war davon auf das Tiefste erschüttert; obgleich liberalen Anschauungen nicht unzugänglich, stieß ihn das Bild der allgemeinen Anarchie auf das Stärkste ab, so daß sein alter Vater ihn wol ermuthigend auf den Wandel der menschlichen Dinge zu verweisen hatte, der nach dem Schlechten auch das Gute wieder an die Oberfläche bringen würde. Er sah dann nicht lange unthätig zu, sondern warf sich im Sinne der constitutionellen Partei den Berliner Demokraten bei der damaligen Wahlagitation lebhaft entgegen; es war ein schwerer Kummer, aber ohne Zweifel ein großes Glück für den jungen Officier, daß er bei der Wahl zum Frankfurter Parlamente nicht zum Abgeordneten, sondern nur zum Stellvertreter desselben ernannt wurde. Für das augenblickliche Mißlingen fand er sofort den reichsten Ersatz in der Gründung eines beglückten Hausstandes, durch die Vermählung mit seiner Cousine Luise Hartmann. Kaum aber war es geschehen, als er den Befehl erhielt, zu der gegen den pfälzisch-badischen Aufstand bestimmten Armee des Prinzen von Preußen als Generalstabs-Officier der vierten Division des ersten Armeecorps (General v. Hirschfeld) abzugehen. Zum ersten Male sollte er sich jetzt auch als praktischer Kriegsmann bewähren, und wie sich bald zeigte, nicht gerade unter leichten Umständen. Der 30jährige Friedensstand hatte, sahen wir, der Armee nicht zum Vortheil gereicht; nichts griff recht in einander; Intendantur und Verpflegung der Truppen war kümmerlich; das Zusammenwirken der einzelnen Abtheilungen ließ empfindliche Lücken; bei großer persönlicher Tapferkeit der Einzelnen fehlte an vielen Stellen der rastlose Drang des Draufgehens, der nichts geleistet erachtet, bis Alles gewonnen ist. Namentlich fand sich H. frappirt durch die nach seiner Ansicht gründliche Unbrauchbarkeit der damaligen Landwehr, deren Bataillone den größeren Theil seiner Division bildeten. Er hielt sich überzeugt, daß einem ebenbürtigen Feinde gegenüber mit solchen Truppen die Armee am ersten Tage um Ehre und Reputation kommen müßte. In drastischer Weise schilderte er diese „Familienväter“, die als solche begehrlich und anspruchsvoll im Quartier aufträten, die die gefangenen [693] Gegner mißhandelten, weil sie um dieser Willen Weib und Kind hätten verlassen müssen, die zum Besten der Ihrigen vor dem Feinde sich schonen zu dürfen glaubten, und mehr als einmal unumwunden begehrten, nicht in das Feuer geführt zu werden, so lange noch junges Volk der Linie vorhanden sei. Bei H. stand seitdem die Ueberzeugung fest, daß eine umfassende Reform des Heerwesens erforderlich sei, um diese Elemente aus der mobilen Feldarmee auszuscheiden. Im Laufe des kurzen Feldzugs nahm Hauptmann v. H. Theil an den Gefechten von Kirchheim-Bolanden, Waghäusel und Kuppenheim, wirkte vielfach im dichten Kugelregen und entschied mehr als einmal ein kräftiges Vorangehen. Auch seine scharfe Auffassung und die Weite seines Gesichtskreises blieb nicht unbemerkt: im folgenden Jahre war er mit Aufträgen des auswärtigen Ministeriums vier Monate lang in Schleswig-Holstein thätig; seine Berichte über die damaligen Zustände der Herzogthümer zeichnen sich durch scharfe Beobachtung und kräftige Gesinnung aus und sind in jeder Hinsicht der Veröffentlichung werth. Verschiedene Commando’s führten H. dann nach Böhmen, Sachsen und Schlesien; 1851 kam er zum Stabe des dritten Armeecorps, 1853 als Major zum großen Generalstab, trat 1856 wieder in den praktischen Dienst, wurde 1856 Commandeur des zweiten Dragonerregiments, aber bereits 1857 als Oberstlieutenant zum Chef der Abtheilung für Armeeangelegenheiten im Kriegsministerium ernannt und damit zu thätiger und einflußreicher Mitwirkung an einer Lebensfrage des preußischen Staates, die auch ihm eine Herzensfrage geworden war, der Reorganisatin der Armee, berufen. Die militärischen Erfahrungen von 1848 und 1849 hatten nicht blos auf H. einen bleibenden Eindruck gemacht. Eine große Zahl der befähigtsten Officiere war durchdrungen von der Nothwendigkeit einer gründlichen Herstellung, und vor Allem war es der Oberbefehlshaber der in Baden siegreichen Truppen, der damalige Prinz von Preußen, der mit dem doppelten Gewichte seiner persönlichen Stellung und seines sachverständigen Urtheils für diese Ansichten eintrat. Die Grundgedanken waren überall dieselben: bessere Verwirklichung der allgemeinen Wehrpflicht, bei der bisher nur ein kleiner Theil der streitbaren Jugend zur Ausbildung gelangte und darauf bis in ein hohes Lebensalter die ehrenvolle Last allein zu tragen hatte; woraus nun wieder folgte, daß die mobile Feldarmee die Bataillone der Landwehr an keiner Stelle entbehren konnte, um für die Lösung ihrer Aufgaben stark genug zu sein. Das Heilmittel war eine um 50 Procent erhöhte Rekrutirung, folglich eine entsprechend vermehrte Zahl der Linienregimenter und Ueberweisung der jüngeren Jahrgänge der Landwehr an die Reserve der Linie zur Ausfüllung der Cadres im Kriegsfall, womit dann die Feldarmee eine solche Stärke erreichte, daß die älteren Landwehrmänner nur als Besatzungstruppen verwandt zu werden brauchten. In diesen leitenden Grundsätzen stimmte die Mehrzahl der maßgebenden Vertreter der militärischen Kreise überein; wenn es sich um die Einzelnheiten der Ausführung, zum Theil um sehr wichtige Fragen, z. B. die Dauer der Dienstzeit oder die Organisation der Cadres handelte, gingen die Ansichten vielfach auseinander, um so mehr, als die Verhandlung sich einstweilen nur auf dem theoretischen und litterarischen Gebiete bewegte. So vertrat H., der in diesen Bestrebungen lebte und webte, noch im J. 1857 gegen H. v. Griesheim, den Vorfechter für die dreijährige Dienstzeit der Infanterie, mit großer Wärme die Vortheile einer kürzeren, zweijährigen Periode, eine Ansicht, auf die er in späterer Zeit niemals wieder zurückgekommen ist. Nur als Nothbehelf, im Falle unzulänglicher Geldmittel, hat er weiterhin von einer Abkürzung der dreijährigen Dienstzeit hören wollen. Als dann der Regierungswechsel eintrat und Kaiser Wilhelm, zuerst als Prinzregent, dann als König die Herrschaft übernahm, kam die Frage der Heeresreform sofort auch praktisch [694] in Fluß. Bereits im Januar 1859 befahl der damalige Kriegsminister Herr v. Bonin den Beginn der für die neue Organisation erforderlichen Vorarbeiten, an welchen dann von den Beamten des Ministeriums vornämlich die Herren v. Voigts-Rhetz, v. H. und v. Beyer Antheil nahmen. Es ist hier nicht der Ort, die Geschichte dieser streitvollen Entwicklung im Einzelnen zu erzählen; es ist bekannt, wie im Sommer 1859 der italienische Krieg die Mobilmachung der Armee veranlaßte, wie sich damals bei der Landwehr wieder eine Menge mißlicher Erscheinungen zeigte, wie sich daraus der Entschluß ergab, auch nach der Demobilisirung das Heer in halber Kriegsbereitschaft stehen zu lassen und hieran den Uebergang in die neue Organisation zu knüpfen. Nicht minder bekannt ist es, daß sich bei der ersten Anmeldung dieser Vorsätze eine lebhafte Opposition im Landtage erhob, gegen die vermehrten Kosten des Heerwesens, gegen die dreijährige Dienstzeit der Infanterie, gegen die Ausscheidung der Landwehr aus der mobilen Feldarmee, worauf dann die Regierung sich in der Session 1859/60 mit der Bewilligung einer Summe von 750,000 Thaler begnügte, zur provisorischen Aufrechterhaltung der Kriegsbereitschaft, indem sie ihre Absicht aussprach, bis zu einem weiteren Beschlusse des Landtags definitive Einrichtungen nicht treffen zu wollen. H., welcher bei der Ausarbeitung der neuen Organisation unermüdlich thätig gewesen, hatte dieselbe auch im Landtage als Regierungscommissar zu vertreten und entwickelte hier ein ausgesprochenes Talent als gewandter und wirksamer Redner und Debater, so daß er später einmal mit innerer Genugthuung diese Tage als die brillantesten seiner ganzen Laufbahn bezeichnet hat. Aber freilich, neben dem glänzenden Lichte fehlte auch der dunkle Schatten nicht. Wie vorher bemerkt, bei aller Einmüthigkeit über die leitenden Grundsätze der Reform gab es innerhalb ihrer Werkmeister zahlreiche Meinungsverschiedenheiten über wichtige Einzelfragen. Der höchste Kriegsherr war gerade auf diesem Felde, wo er sachverständiger Techniker war, am Wenigsten geneigt, nach constitutioneller Schablone lediglich den Punkt auf das I des verantwortlichen Ministers zu setzen, und kein Antrag des Kriegsdepartements kam zur Bestätigung, ohne vorher im königlichen Cabinet unter den kritischen Vorträgen des geistreichen Generaladjutanten v. Manteuffel die Feuerprobe bestanden zu haben. Vorgänge dieser Art führten zum Rücktritte des Ministers v. Bonin und zur Ersetzung desselben durch den General v. Roon. Für H. und seine beiden Mitarbeiter war diese Wendung folgenschwer. Dem neuen Minister lagen jetzt in den Acten zahlreiche seinen Ansichten widersprechenden Erörterungen jener Männer vor, alle mit der Wärme der vollsten Ueberzeugung geschrieben, einzelne in scharfer Polemik gegen früher eingereichte Vorschläge des jetzigen Chefs, und so wenig auf der einen Seite persönliche Empfindlichkeit sich geltend machte, oder auf der anderen die strikte Befolgung neuer Weisungen ausblieb, der Gegensatz der Auffassungen war einmal vorhanden, und man begreift, daß für Bonin’s Referenten die Stellung unhaltbar wurde, trotz aller Anerkennung und Hochachtung, welche namentlich General Manteuffel dem persönlichen Verdienste Hartmann’s zollte, trotz des schließlichen Erfolges, welchen eine Reihe der früheren Anträge bei dem Minister und dem Cabinet auch jetzt noch erlangte. Sehr bald traten Voigts-Rhetz und Beyer aus dem Ministerium in den praktischen Dienst zurück; für H. insbesondere wurde der Umstand entscheidend, daß im Juni 1860 die Regierung sich entschloß, trotz der Erklärungen im letzten Landtage zur definitiven Bildung der neuen Regimenter, Ernennung ihrer Officiere, Austheilung der Fahnen etc. zu schreiten, und damit die Reorganisation unwiderruflich festzustellen. Es war einleuchtend, daß der Regierungscommissar der letzten Session nach dieser Wendung in dem bisherigen Verhältniß nicht bleiben konnte. Am 12. Juni wurde H. zum Chef des Generalstabs des sechsten Armeecorps in Breslau ernannt; bald darauf [695] erhielt er die Beförderung zum Obersten, dann 1863 die Führung der neunten Cavalleriebrigade und wurde 1865 Generalmajor und Commandant von Coblenz und Ehrenbreitstein. Ueber den letzten Abschnitt seines bewegten Lebenslaufes folgen wir zunächst den Angaben des im Militär-Wochenblatte vom 30. Novbr. 1878 ihm gewidmeten Nekrologs. Während des Feldzugs von 1866 führte H. die Reserve-Cavallerie-Division der zweiten Armee, ging nach der Schlacht von Königgrätz zur Verfolgung der Oesterreicher gegen die Marchlinie vor und lieferte im Verein mit der Brigade Malotki die Gefechte von Tobitschau und Kokeinitz; bei Tobitschau nahm das fünfte Kürassierregiment der Division 16 Geschütze im feindlichen Feuer, eine That, welche den besten Leistungen der Reiterei im siebenjährigen Kriege an die Seite zu stellen ist. H. erlebte dann die Genugthuung, daß König Wilhelm ihm nach dem Schlusse des Feldzugs bei einer großen Parade in Brünn seine Anerkennung des Geistes aussprach, mit dem er die ihm untergebenen Reiterschaaren erfüllt hatte. Er kehrte darauf in seine Stellung nach Coblenz zurück, wurde 1867 Generallieutenant und bald nachher als militärischer Bevollmächtigter nach München geschickt, um bei der beabsichtigten Umgestaltung des baierischen Heeres dem dortigen Kriegsministerium zur Seite zu stehen. Im April 1868 wurde er Commandeur der zweiten Division in Danzig und im Frühling 1870 mit einer, zu Paris sehr mißliebig bemerkten Inspection der badischen Cavallerie beauftragt. Bei der Mobilmachung von 1870 erhielt H. den Befehl über die aus sechs Regimentern bestehende erste Cavalleriedivision und führte sie in den Schlachten von Colombey-Nouilly und Gravelotte, sowie während der Einschließung von Metz. Vorübergehend commandirte er die Einschließungstruppen von Diedenhofen und rückte nach der Capitulation von Metz mit der Armee des Prinzen Friedrich Karl gegen die mittlere Seine und Loire. Die Division nahm Theil an der Schlacht bei Beaune la Rolande, wurde bald nachher gegen Vendome gesandt und bestand ein hartnäckiges Recognoscirungsgefecht bei Coulommiers. Vom 7. Januar ab übernahm der General die selbständige Leitung einer abgesonderten Heeresabtheilung und führte die Gefechte bei Villechaux und Chateau-Renauld, am 19. besetzte er Tours, wo ihn die Nachricht vom Abschlusse des Waffenstillstandes erreichte. Nach Beendigung des Krieges wurde H. zum Gouverneur von Straßburg ernannt. Es kam damit der rechte Mann an die rechte Stelle. Denn es galt hier nicht blos die Obliegenheiten eines gewöhnlichen Festungscommando’s in Friedenszeit zu erfüllen. Die Festungsswerke forderten eine völlige Neugestaltung, die Garnison war aus Truppentheilen verschiedener Kriegsherrn neu formirt, in der Militärverwaltung zeigten sich noch starke Spuren der tumultuarischen oder gewaltsamen Weise der Kriegszeit. Daneben befand sich die Civilverwaltung in unfertigem Zustande; die Stadt war zur Hälfte verwüstet, die Bevölkerung hoffnungslos, verzweifelt, haßerfüllt. Den neuen Gouverneur, der mit all diesen Factoren zu rechnen hatte, erwarteten die mannichfaltigsten Aufgaben inmitten ungezählter Hindernisse. Alle Kräfte seines reichen, jedem Interesse geöffneten Geistes, die Vielseitigkeit seiner Bildung, die Festigkeit seines Charakters und die Humanität seines Herzens wurden in gleichem Maße in Anspruch genommen. Mit Erfolg trat er für die Herstellung der Kriegsschäden in der Stadt ein und erwirkte ausreichende Summen für den Wiederaufbau der zerstörten Quartiere. Garnison und Bürgerschaft wurden ihm gleich dankbar für die rasche Aufführung von Kasernen und Baracken, wodurch die in den engen Wohnungen der alten Reichsstadt doppelt empfindliche Einquartierungslast gehoben und hundert Anlässe zu Reibungen zwischen Bürgern und Soldaten beseitigt wurden. Im J. 1872 wurde dann der Grundstein zu dem ersten der neuen detachirten Forts gelegt und mit dem Plane der neuen Befestigung auch die Frage der entsprechenden Stadterweiterung [696] in Aussicht genommen. Man kennt die Weitschichtigkeit solcher Verhandlungen, wo dieses Mal neben der Ausgleichung der fiscalischen und städtischen Geldinteressen zugleich ein neuer Stadtbebauungsplan, die Bauplätze für einen neuen Bahnhof, sowie für ein neues Universitätsgebäude und die bei Straßburg sehr schwierigen Inundationsverhältnisse in Frage kamen. H., dem nach Stellung und Gesinnung die militärischen Bedürfnisse in erster Linie standen, hatte doch für alle diese Rücksichten volles Verständniß; es gelang ihm binnen drei Jahren allseitiges Einvernehmen wenigstens über die Hauptpunkte des später zum Abschlusse gelangten Werkes herbeizuführen. Er besaß eine seltene Gabe, sich Achtung und Vertrauen zu sichern; eine stattliche Erscheinung von vornehmer Haltung, hoher Stirne, klarem Blicke, wohlklingendem Organ, so war sein Aeußeres imponirend und einnehmend zugleich, und wer in seine Nähe trat, fand sich durch die Reinheit und Wärme seines Sinnes angezogen und gehoben. So gelang es ihm, die verschiedenen Truppentheile der Garnison zu einem festgekitteten deutschen Heereskörper zu verschmelzen, sein Haus zum Mittelpunkte eines anregenden Verkehrs zwischen den militärischen, bürgerlichen und gelehrten Elementen der deutschen Colonie zu machen und auch die Stimmung der Bürgerschaft wenn nicht zu gewinnen, so doch zu lindern. Sein Verdienst um die neue deutsche Gründung auf dem alten Reichsboden ist kaum hoch genug zu veranschlagen. Nachdem er 1873 zum General der Cavallerie ernannt worden, erlangte er im Mai 1875 auf sein Ansuchen die Versetzung in den Ruhestand. Er siedelte nach Freiburg im Breisgau über und widmete sich dort litterarischer Thätigkeit. Schon früher hatte er eine Biographie seines Vaters herausgegeben; jetzt schrieb er „Kritische Versuche“, kriegsgeschichtliche und völkerrechtliche Erörterungen, die zuerst in der deutschen Rundschau erschienen; mehrere biographische Artikel für das vorliegende Werk, endlich eine geistreiche und belehrende Abhandlung über die allgemeine Wehrpflicht. Bereits waren Pläne und Anfänge größerer Schriften entstanden, als ein Gehirnleiden, dessen Keim die Aerzte auf die Anstrengungen des letzten Feldzugs zurückführten, zu Anfang 1878 seiner Thätigkeit und am 30. April seinem reichen Leben ein frühes Ziel setzte. In seinem Testamente hinterließ er seinen Söhnen die Mahnung, festzuhalten an den Grundsätzen innigen Gottvertrauens und freimüthiger Ehre.
Hartmann: Julius v. H., Sohn- Zumeist nach den nachgelassenen Papieren des Generals v. Hartmann.