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ADB:Juliane (Gräfin zu Schaumburg-Lippe)

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Artikel „Juliane Wilhelmine Luise, Gräfin zu Schaumburg-Lippe“ von Otto Zaretzky in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 810–813, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Juliane_(Gr%C3%A4fin_zu_Schaumburg-Lippe)&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 11:21 Uhr UTC)
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Juliane *) Wilhelmine Luise, Gräfin zu Schaumburg-Lippe, wurde am 8. Juni 1761 als die Tochter des Landgrafen Wilhelm aus dem Hause Hessen-Philippsthal und der Ulrike Eleonore geb. Prinzessin von Hessen-Barchfeld in Zütphen in Holland geboren. Ihre Jugend verlebte sie in Herzogenbusch, woselbst ihr Vater als holländischer General seinen Wohnsitz hatte. Die Erziehung der jungen Prinzessin war durchaus deutsch, obwohl ihre Mutter, ebenfalls in Holland geboren und erzogen, kaum der deutschen Sprache mächtig war. Später verlegte der Landgraf Wilhelm die Hofhaltung nach Kassel, und hier lernte Juliane den regierenden Grafen zu Schaumburg-Lippe Philipp Ernst aus dem Hause Alverdissen kennen, der in erster Ehe [811] mit einer Prinzessin von Sachsen-Weimar, Ernestine Albertine, vermählt gewesen war, und die aus dieser Ehe hervorgegangenen vier Kinder sämmtlich durch den Tod verloren hatte. Die 19jährige Prinzessin folgte dem 57jährigen Grafen (geboren am 5. Juli 1723) als Gemahlin 1780 nach Bückeburg. Mit Rücksicht auf ihre Abstammung nannte sie sich stets Fürstin zu Schaumburg-Lippe, auch in officiellen Actenstücken ist ihr diese Würde immer beigelegt. Im Februar 1787 weilte Juliane in Kassel, als sie durch die Nachricht von einer ernsten Erkrankung des Grafen nach Bückeburg zurückgerufen wurde. Bei ihrer Ankunft daselbst am Nachmittage des 15. Februar traf sie ihren Gemahl nicht mehr am Leben, er war seinen Leiden bereits zwei Tage vorher erlegen. Am 16. Februar traf die überraschende Kunde in Bückeburg ein, daß der Landgraf Wilhelm IX. von Hessen – derselbe, der später von den Franzosen aus seinem Lande vertrieben wurde – die vormundschaftliche Regierung der Wittwe für den am 20. December 1784 geborenen Erbgrafen Georg Wilhelm (s. A. D. B. VIII, 688 f.) nicht anerkennen, und die aus dem sogenannten Münsterischen Exekutionsreceß von 1647 hergeleiteten Lehnsansprüche auf die Grafschaft, wenn nöthig, mit Gewalt geltend machen werde. In der That traf vier Tage nach dem Tode von Philipp Ernst der hessische Generallieutenant v. Loßberg mit seinem Infanterieregiment aus Rinteln und drei Compagnien leichter Infanterie in Bückeburg ein und besetzte Stadt und Schloß. Der Landgraf ließ durch Patent, das noch an demselben Tage überall angeschlagen wurde, von der Grafschaft als erledigtem hessischen Lehen Besitz ergreifen. Den Rechtstitel für seine Handlungsweise leitete er davon her, daß die Mutter des verstorbenen Grafen ein Fräulein v. Friesenhausen gewesen sei, deren Nachkommen nicht successionsberechtigt seien. Der Landgraf setzte sich darüber hinweg, daß im Jahre 1752 Philippine Elisabeth v. Friesenhausen vom Kaiser Franz I. in den Reichsgrafenstand erhoben, und ihr Sohn, der Graf Philipp Ernst, auf sein Ansuchen am 19. März 1778 von Hessen mit der Grafschaft Schaumburg belehnt und während seiner Regierung auch unbehelligt von Hessen geblieben war. Ja, Hessen-Kassel hatte auch 1780 den Ehevertrag zwischen Philipp Ernst und der Landgräfin Juliane bestätigt, durch den der Wittwe für den Fall des frühzeitigen Ablebens ihres Gemahls die Obervormundschaft und kraft dieser die Landesregierung der schaumburg-lippischen Lande zugestanden worden war.

Obwohl das Schloß in Bückeburg von dem Grafen Wilhelm neu befestigt war und eine Besatzung hatte, war doch an einen Widerstand mit bewaffneter Macht gegen die hessische Invasion nicht zu denken. Die Gräfin zeigte sich gleichwohl von Anfang an der schwierigen Lage gewachsen. Sie suchte mit ihren Kindern in dem nahen Minden Zuflucht und rief von hier die Hülfe des Kaisers und des Königs von Preußen gegen das Vorgehen des Landgrafen von Hessen an. Die ganze Grafschaft befand sich bald in den Händen der Hessen, nur die Besatzung der kleinen Musterfestung des Grafen Wilhelm, des Wilhelmssteins im Steinhuder Meere, leistete unter dem Commandanten Rottmann den hessischen Truppen erfolgreichen Widerstand. Durch das energische Eingreifen des Kaisers und ganz besonders des Königs Friedrich Wilhelm II. von Preußen arbeitete die Reichsmaschine diesmal schneller als gewöhnlich: schon am 2. April wurde dem Landgrafen durch den Reichshofrath in Wien eine vierzehntägige Räumungsfrist des unrechtmäßig besetzten Landes vorgeschrieben, und als er noch nicht nachgab, wurden 14 000 Mann Exekutionstruppen gegen ihn aufgeboten. Das half; am 18. April räumte das hessische Militär die Grafschaft, und die Gräfin trat wieder die Herrschaft an, aus der sie 61 Tage lang verdrängt worden war. Hessen wurde für seinen Uebergriff [812] zu einem angemessenen Schadenersatz angehalten, aber erst nach langen Verhandlungen wurde im Jahre 1797 durch einen Vergleich, der am 6. November 1800 vom Kaiser Franz II. bestätigt wurde, der Streit gänzlich aus der Welt geschafft.

Juliane führte die Regentschaft foran mit Unterstützung des Grafen v. Wallmoden-Gimborn, der am 20. November 1787 als Mitvormund bestellt war, und baute auf der Grundlage weiter, die ihr Gemahl geschaffen hatte. Die Anlage von Chausseen im Lande, zu deren Unterhaltung am 23. Juli 1784 die Erhebung des Wegegeldes angeordnet war, wurde fortgesetzt. Besondere Fürsorge wandte sie der Landwirthschaft zu und sie erreichte es, daß der Ertrag der Forsten und Domanialgüter wesentlich gesteigert wurde. Der Bauer wurde von manchen Lasten befreit. Zahlreiche, auf das Wohl der Unterthanen abzielende Erlasse aus dieser Zeit sind auf die eigenste Initiative der Gräfin zurückzuführen. So die Herabsetzung der militärischen Dienstzeit auf sechs Jahre vom 26. December 1790, die Verfügung, die die Abkürzung der Processe bezweckte und die überhand nehmende Proceßlust zügeln sollte, das Forst-, Jagd- und Fischerei-Strafregulativ von 1792, das Verbot der Anlage neuer Strohdächer vom 3. Mai 1796, und manche andere. Durch der Gräfin Freigebigkeit entstanden neue Volksschulen und Lehrerstellen, und durch ihre Beihülfe wurde eine Erweiterung des durch Philipp Ernst gegründeten Volksschullehrerseminars ermöglicht. Auf ihre Veranlassung schrieb ihr Leibarzt Dr. Bernhard Christoph Faust seinen Gesundheitskatechismus, der in den Schulen unentgeltlich vertheilt wurde. Das eigenartige Volksbuch fand einen derartigen Anklang, daß es in fast alle Sprachen Europas übersetzt worden ist. Es mag nicht unerwähnt bleiben, daß die Gräfin eine Reise nach Lausanne unternahm, um dem jungen Erbgrafen von dem berühmten Arzt Tissot die Pocken einimpfen zu lassen. In Begleitung des Dr. Faust, der bekanntlich als einer der ersten in Deutschland eifrig für die Pockenimpfung eingetreten ist und der durch seine Schriften über die Blattern großes Aufsehen erregte, kehrte der Erbgraf nach längerem Aufenthalte 1789 nach Bückeburg zurück.

Auch die Stadt Bückeburg und ihre Umgebung verdankt der Gräfin Juliane viel. Sie ist die Schöpferin der Anlagen und Alleen in der Nähe des Bückeburger Schlosses. Sie ist die Erbauerin der Klus, die damals einer der beliebtesten Erholungsplätze für die Bewohner von Bückeburg und Minden war, sie ist die eigentliche Gründerin des Badeortes Eilsen. Sie baute auch das Schloß in Hagenburg aus und führte die Gebäude des Maschvorwerkes bei Bückeburg auf. In ihrem Wirken unterstützten die Gräfin treffliche Männer, wie der Consistorialrath Horstig, die Regierungsräthe v. Ulmenstein und Reiche, der Landbaumeister v. Vagedes, der schon genannte Dr. Faust und der Oberstlieutenant v. Etienne, die sie zum Theil schon am Hofe ihres Gemahls vorgefunden, zum Theil erst nach Bückeburg berufen hatte. Eine wahrhaft vornehme, feine Bildung und Geschmack verbreitende Hofhaltung zeichnete unter Juliane die Residenz Bückeburg aus. Die schon durch den Grafen Wilhelm gegründete und unter der Leitung von Johann Christoph Friedrich Bach stehende Hofcapelle gelangte unter der musikverständigen Gräfin zu einer gewissen Berühmtheit. Zweimal in der Woche fanden im Schlosse öffentliche Concerte statt, und Juliane verschmähte es nicht, bei Musik- und Theateraufführungen gelegentlich selbst eine Rolle zu übernehmen. Im Jahre 1795 wurde der Weilburger Capellmeister Franz Neubauer nach Bückeburg berufen, der nach dem Tode Bach’s dessen Nachfolger wurde. Während [813] der Revolutionskriege war auch die Mutter der Gräfin mit ihrer Schwester, der Gräfin von Isenburg-Büdingen, nach Bückeburg übergesiedelt.

Von den Töchtern der Gräfin Juliane war die älteste, Eleonore Luise, am 6. Januar 1783 in zartem Alter gestorben. Wilhelmine Charlotte, am 18. Mai 1783 geboren, wurde am 7. November 1814 die Gemahlin des Grafen Ernst Friedrich Herbert von Münster. Die dritte Tochter, Karoline Luise, blieb unvermählt und lebte in Bückeburg am Hofe ihres Bruders bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Ende October 1799 warf eine heftige Erkältung die Gräfin Juliane auf das Krankenlager. Die Gefahr schien schon beseitigt zu sein, als ein plötzlicher Rückfall am 9. November ihren Tod in einem Alter von 38 Jahren und 5 Monaten herbeiführte. Ihrem Wunsche gemäß hat sie die letzte Ruhestätte neben ihrer Mutter († 1795) gefunden in einem einfachen Mausoleum im stillen Schaumburger Walde.

Karl Gottl. Horstig, Juliane: Westphäl. Taschenbuch. Bändchen 1. Minden 1801. – Justus Gruner, Meine Wallfahrt zur Ruhe und Hoffnung, oder Schilderung des sittlichen und bürgerlichen Zustandes Westfalens am Ende des 18. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. 1802, S. 167–179. – Otto Zaretzky, Die Fürstin Juliane: Schaumburg-Lippische Landes-Zeitung vom 5. November 1899. – Ottomar Habersang, Gräfin Juliane zu Schaumburg-Lippe: Schaumburg-Lippische Landes-Zeitung vom 5. und 12. April 1908. – Gerhard Anschütz, Der Fall Friesenhausen. Tübingen und Leipzig 1904, hier auch Angaben über die ältere Litteratur. – Philipp Losch, Der erste lippische Erbfolgekrieg. Melsungen 1905.

[810] *) Zu Bd. L, S. 717.