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ADB:Franz I. (Kaiser)

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Artikel „Franz Stephan, Herzog von Lothringen“ von Alfred Ritter von Arneth in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 7 (1878), S. 278–285, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Franz_I._(Kaiser)&oldid=- (Version vom 18. November 2024, 10:24 Uhr UTC)
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Franz Stephan, Herzog von Lothringen, Großherzog von Toscana, römisch-deutscher Kaiser, kam am 8. Decbr. 1708 als der zweitgeborene Sohn des Herzogs Leopold Joseph von Lothringen und seiner Gemahlin, der Prinzessin Elisabeth Charlotte von Orleans zur Welt. Lebhaft wünschte der Herzog seinen ältesten Sohn, den Erbprinzen Clemens, mit der Erzherzogin Maria Theresia zu vermählen, welche schon damals als die dereinstige Erbin aller österreichischen Länder angesehen wurde. Diese Wünsche des Herzogs von Lothringen fanden bei Kaiser Karl VI. willfährige Aufnahme. Ohne sich gerade zu einer ganz bestimmten Zusage herbeizulassen, willigte Karl, und zwar im Februar 1723 ein, daß sich Prinz Clemens einstweilen an den Wiener Hof begebe. Aber am 4. Juni 1723 wurde der Prinz zu Nancy plötzlich von den Blattern hinweggerafft. So tief auch Herzog Leopold durch diesen Unglücksfall gebeugt war, so wurde er doch durch ihn nicht entmuthigt, den Plan weiter zu verfolgen, an dessen Gelingen er im Geiste die zukünftige Größe seines Hauses geknüpft sah. Er beschloß so wie in Allem und Jedem, so auch in der Bewerbung um die Hand der Erzherzogin Maria Theresia seinen zweitgeborenen Sohn F. St. an die Stelle des älteren Bruders treten zu lassen. Auch der Kaiser stimmte zu, obwol er mit einigem Mißfallen in Erfahrung gebracht zu haben glaubte, daß der jüngere Prinz von seiner Mutter ganz nach französischer Weise erzogen werde, sowie daß er weniger ernst und besonnen als sein Bruder, und daher auch den Studien nicht so geneigt sei, als Jener es gewesen. Im August 1723 stellte sich der junge Prinz in der Nähe des Schlosses Brandeis in Böhmen, wo Karl VI. sich der Jagd wegen befand, dem Kaiser zum ersten Male vor. Das vortheilhafte Aeußere, die offene Haltung und das gewinnende Benehmen des damals 15jährigen Knaben brachten auf Karl VI. einen ungemein günstigen Eindruck hervor. Im December 1723 begab sich der nunmehrige Erbprinz von Lothringen nach Wien, wo ihm in der kaiserlichen Burg eine Wohnung eingeräumt und ein Hofstaat bestellt wurde, an dessen Spitze Graf Johann Caspar von Cobenzl und der nachmals durch den für ihn so unglücklichen Ausgang der Mollwitzer Schlacht allbekannt gewordene General Wilhelm Freiherr v. Neipperg sich befanden. Sein Erzieher war Baron Pfütschner, der mit dem Prinzen aus Lothringen gekommen war. Die Unterrichtsgegenstände wurden an verschiedene Lehrer vertheilt, doch kann man, wenn man sich durch die ruhmredigen Berichte, welche über die abgelegten Prüfungen an den Kaiser erstattet wurden, nicht irreführen läßt, wol mit ziemlicher Bestimmtheit annehmen, daß die erreichten Erfolge gerade keine glänzenden waren. Der Kaiser sah dies wol ein, und unablässig drang er darauf, man möge den Prinzen mehr zum Lernen anhalten und ihn nicht allzusehr seinen Vergnügungen nachgehen lassen. Er tadelte dessen geringe Neigung zu den Rechtsstudien, insbesondere aber seine Schriftzüge, welche auch wirklich sowol in der Jugend des Prinzen als in seinen späteren Jahren sogar für jene Zeit wahrhaft erbärmlich genannt werden mußten. Noch weiter zurück blieb er in der Rechtschreibung, so daß, wenn man seine französischen Briefe zu entziffern sich bestrebt, man dem Glauben sich hingibt, er habe eigentlich nur deutsch zu schreiben verstanden. Die Durchlesung seiner deutschen Aufsätze erweckt dagegen die Vermuthung, sie könnten nur von einem echten Franzosen herrühren, der mühsam gelernt habe, hie und da einige deutsche Worte, und auch diese nur fehlerhaft zu gebrauchen. So wenig sich jedoch der Prinz jemals die Fähigkeit aneignete, seinen Gedanken schriftlich mit Leichtigkeit und ohne allzu große Fehler Ausdruck zu verleihen, so sehr scheint er dies im mündlichen Verkehre verstanden zu haben. Alle Mitglieder der kaiserl. Familie wußte er durch sein immer liebenswürdiges Betragen, durch sein heiteres, fröhliches Wesen, durch die Lebhaftigkeit seiner Gesprächsweise ganz für sich einzunehmen. [279] Viel zu früh für sein jugendliches Alter und für den Fortgang seiner Studien wurde er der fast beständige Begleiter des Kaisers auf den Jagden, denen derselbe mit einer für die Jetztzeit fast unglaublichen Vorliebe oblag, welch letztere sich denn auch im gleichen Maße auf den Prinzen von Lothringen verpflanzte. In solcher Weise zum jungen Mann herangewachsen, stand F. in seinem 21. Lebensjahre, als 1729 sein Vater starb und er als nunmehriger Herzog nach sechsjähriger Abwesenheit nach seinem Erblande zurückkehrte, um dessen Regierung zu übernehmen. Mit ausdauerndem Eifer nahm er sich derselben an; aber es war vorherzusehen, daß er nicht lange in Lothringen werde verweilen können, denn er durfte seinen Hauptzweck nicht aus dem Auge verlieren und seine persönliche Verbindung mit der kaiserlichen Familie nicht abbrechen. Nachdem er im J. 1730 zu Versailles von Ludwig XV. das Herzogthum Bar zu Lehen empfangen hatte, begab er sich zu Ende des April 1731 zuerst nach den österreichischen Niederlanden, dann nach Holland und England. Nach dem Festlande zurückgekehrt, ging er über Hannover und Braunschweig nach Berlin, wo er der Verlobung des Kronprinzen Friedrich mit der Prinzessin Elisabeth von Braunschweig beiwohnte. In Breslau erhielt er die ihm keineswegs willkommene Nachricht, daß ihn der Kaiser zum Statthalter des Königreiches Ungarn ernannt habe. Zu Ende des Mai 1732 traf er wieder in Wien ein und schon zwei Wochen später hielt er seinen feierlichen Einzug in Preßburg. Denn obwol F. von Lothringen, ganz unbekannt mit Ungarn sowie mit der Verfassung und den Gesetzen dieses Landes, eine andere Bestimmung vorgezogen hätte, so blieb doch der Kaiser bei dem gefaßten Entschlusse. Und nachdem der Herzog seinen neuen Posten einmal angetreten hatte, gab er sich auch Mühe, den mit demselben verbundenen Pflichten vollständig zu entsprechen. Durch seine gewinnende Umgangsweise nahm er Alle für sich ein, die mit ihm in Berührung gelangten. Je fremder das Land und dessen Bewohner ihm waren, desto eifriger trachtete er durch Studium und durch Selbstanschauung sich die ihm fehlenden Kenntnisse zu erwerben. Er bereiste ganz Ungarn, bis Belgrad dehnte er seine Fahrt aus, und so große Zuneigung faßte er allmählich für die Ungarn, daß er ihnen sein ganzes Leben hindurch besonders günstig gesinnt blieb.

Inzwischen trat jedoch die Nothwendigkeit, endlich an die Vermählung seiner ältesten Tochter zu schreiten, immer drängender an den Kaiser heran. So sehr man sich auch daran gewöhnt hatte, den Herzog von Lothringen als den dereinstigen Gemahl der Erzherzogin Maria Theresia zu betrachten, so sehr diese selbst mit jenem Gedanken vertraut geworden und dem Herzoge zugethan war in innigster Liebe, so wenig hatte der Kaiser trotz seiner persönlichen Vorliebe für F. von Lothringen demselben bis jetzt irgend ein bindendes Versprechen gegeben. Und noch im letzten Momente schien jener langgehegte Plan dem Scheitern näher zu sein, als man dies kurz zuvor für denkbar gehalten hätte. Der unglückliche Ausgang des Krieges, in welchen der Kaiser im J. 1733 gerathen war, ließ es einen Augenblick wenigstens fast unmöglich erscheinen, die pragmatische Sanction aufrecht zu halten und es zu vermeiden, daß die österreichische Monarchie in zwei Theile getheilt werde. Die deutschösterreichischen und die ungarischen Länder dachte man der Erzherzogin Maria Theresia zu, welche sich mit dem Kurprinzen von Baiern vermählen sollte, während der spanische Infant Don Carlos die Hand der Erzherzogin Marianne mit den ehemals spanischen Besitzungen des Kaisers erhielte. Der Herzog von Lothringen wäre natürlich leer ausgegangen, während dagegen ein anderes Project, das zu jener Zeit auftauchte, ihm zwar die Erfüllung seines sehnlichen Wunsches, die Hand der Erzherzogin Theresia zu erlangen, in sichere Aussicht stellte, ihm aber gleichzeitig ein Opfer auferlegte, das ein äußerst schmerzliches genannt werden mußte. Durch [280] den Verlust einiger lombardischer Gebietstheile sowie der Königreiche Neapel und Sicilien, wogegen ihm Parma und Piacenza zufielen, erkaufte sich Karl VI. die Gewährleistung der pragmatischen Sanction durch Spanien und Sardinien. Diejenige Frankreichs erlangte er durch die Zusage, die Abtretung der Länder des Herzogs von Lothringen an den auf die polnische Krone verzichtenden König Stanislaus Lesczynski zu erwirken, nach dessen Tode sie an Frankreich zu fallen hätten. Bar würde allsogleich, Lothringen aber erst dann an Stanislaus abgetreten werden, wenn Herzog F. nach dem Aussterben des Hauses Medici in den Besitz des ihm als Entschädigung zugesicherten Großherzogthums Toscana gelangt wäre. Um das Peinliche der Lage zu mildern, in welche der Herzog von Lothringen durch diese schon in die Form von Friedenspräliminarien gekleideten Abmachungen gerathen war, und um ihn nicht als Opfer eines auf ihn geübten allzu starken Druckes erscheinen zu lassen, entschloß sich der Kaiser, ihn noch vor Ertheilung der Zusage wegen Abtretung seiner Länder mit der Erzherzogin Maria Theresia zu vermählen. Am 31. Jan. 1736 erfolgte die feierliche Werbung um ihre Hand und am 12. Febr. fand die Trauung statt. Bald nach derselben wurde jedoch die Frage der Verzichtleistung auf Lothringen und Bar, und zwar jetzt um so dringender zur Sprache gebracht, als Frankreich nicht mehr zugeben wollte, daß Lothringen noch bis zu dem Augenblicke im Besitz des Herzogs verbleibe, in welchem Toscana ihm thatsächlich zufiele. Lothringens allsogleiche Abtretung wurde jetzt kategorisch verlangt, und nach langem Widerstreben fügte sich endlich der Herzog in das, was zu ändern er sich nicht stark genug fühlte. Am 11. April 1736 unterzeichnete er die Urkunde, welche die Abtretung seines Stammlandes an Frankreich vollzog. Als theilweise Entschädigung hiefür erhielt er nicht nur die Ernennung zum Generalstatthalter der Niederlande, sondern auch die bestimmte Zusicherung, daß keinem Anderen als seinem Bruder, dem Prinzen Karl von Lothringen, die Hand der zweiten Tochter des Kaisers, der Erzherzogin Marianne zu Theil werden würde. Zur Reise des Herzogs nach den Niederlanden kam es jedoch nicht. Durch das Bündniß mit Rußland sah Karl VI. sich veranlaßt, Antheil zu nehmen an dem Kriege, in welchen dieser Staat gegen die Pforte verwickelt wurde. Der Kaiser mochte hoffen, gegen die Türken ähnliche Erfolge zu erringen, wie dies durch Eugen von Savoyen geschehen war; hiedurch wären aber die im letzten Kriege erlittenen Verluste einiger Maßen wieder gutgemacht worden. Herzog F. von Lothringen und sein Bruder Karl schlossen sich als Freiwillige dem Hauptheere an. Aber der Feldzug des J. 1737 endete nicht glücklich für das kaiserliche Heer. F. von Lothringen kehrte nach Wien zurück; seinem sehnlichen Wunsche zufolge wurde er nun zu der geheimen Conferenz gezogen, wodurch er Kenntniß von den wichtigsten Staatsgeschäften erhielt. Ja der Kaiser ging noch weiter und ernannte ihn, der schon im Sommer dieses Jahres die Stelle eines Reichfeldmarschalls erhalten hatte, zum Generallieutenant, d. i. zum Generalissimus des gesammten kaiserlichen Heeres. Hiedurch wurde ihm auch der Oberbefehl über die Armee übertragen, welche noch gegen die Türken im Felde stand. Da man sich jedoch unmöglich darüber zu täuschen vermochte, daß es dem Herzoge an allen Eigenschaften gebrach, die zur Führung eines solchen Commando’s nothwendig gewesen wären, gab man ihm den Feldmarschall Grafen Königsegg bei. Das Ergebniß dieses Feldzuges war jedoch ebenfalls nicht günstig. Von wiederholten Fieberanfällen heimgesucht, bat F. von Lothringen den Kaiser, die Armee verlassen zu dürfen. In tiefer Verstimmung begab er sich nach Wien, und der frostige Empfang, der ihm daselbst zwar nicht von dem Kaiser und seinen Angehörigen, wol aber von der Bevölkerung zu Theil wurde, vermehrte nur seinen Mißmuth. Mit seiner Gemahlin ging er nach Toscana, um Besitz [281] von diesem Lande zu ergreifen, welches ihm durch den schon am 9. Juli 1737 erfolgten Tod des Großherzogs Johann Franz, des letzten der Mediceer zugefallen war. Aber auch in Toscana verweilte der neue Großherzog nicht lange. Schon drei Monate nach ihrem feierlichen Einzuge in Florenz, am 27. April 1739 traten F. und Maria Theresia die Rückreise nach Wien an. Hier erbot sich der Großherzog neuerdings zum Kriegsdienste gegen die Türken. Aber der Kaiser, der sich an dem ehelichen Glücke seiner Tochter innigst erfreute, wollte alles mit Sorgfalt vermeiden, wodurch, wenn auch nicht gerade das Leben, so doch die Gesundheit seines Schwiegersohnes in irgend welche Gefahr gerathen konnte. Und die Weigerung des Kaisers, den Großherzog an dem Feldzuge Theil nehmen zu lassen, gereichte demselben zum Glücke, denn sonst wären die höchst betrübenden Ergebnisse der Kriegführung wahrscheinlich wieder auf seine Rechnung gesetzt worden. So aber konnte man wenigstens ihm kein Verschulden zur Last legen, wenn endlich der unglückliche Krieg durch den ihm entsprechenden höchst ungünstigen Frieden, durch welchen Belgrad verloren ging, seinen Abschluß fand.

Am 20. Octbr. 1740 starb nach kurzer Krankheit, erst im 56. Jahre seines Alters, Kaiser Karl VI. Mit diesem ganz unerwarteten Ereignisse begann für dessen Erbin, Maria Theresia, jetzt Königin von Ungarn und Böhmen, und deren Gemahl eine fast endlose Kette der schwersten Prüfungen, in denen freilich F. von Lothringen eine mehr passive als active Rolle spielte. Obwol ihn Maria Theresia gleich nach ihrer Thronbesteigung zum Mitregenten ernannte, obwol er als solcher auch in Ungarn anerkannt wurde, übte er doch die Functionen dieses Amtes jederzeit nur in sehr bescheidenem Umfange aus. Bemerkenswerther war sein Einfluß, insbesondere während Maria Theresia’s erster Regierungsjahre, auf die Leitung des Kriegswesens, ja er zog sogar im November 1741 selbst wieder zu Felde, um den Kurfürsten Karl Albrecht von Baiern aus Böhmen zu vertreiben. Aber er besaß nicht die Eigenschaften eines Heerführers und vor allem mangelte ihm die Kraft, deren er bedurft hätte, die ungeheueren Schwierigkeiten zu überwinden, welche der Erringung günstiger Erfolge sich in den Weg stellten. Er erging sich in Klagen über den unbefriedigenden Zustand, in dem er die Armee angetroffen, über die Unbilden der vorgerückten Jahreszeit, die sie zu ertragen, über die anstrengenden Märsche, die sie zurückzulegen hatte, um nach Böhmen zu gelangen. Und als er endlich dorthin vorgerückt war, verlor er doch wieder die beste Zeit, um Prag noch zu retten, das sich allerdings binnen sehr wenig Tagen an den Kurfürsten ergab. Auch nachdem dies geschehen war, that der Großherzog nicht viel anderes, als daß er sich bemühte, die Verbindung des Kurfürsten von Baiern mit Oberösterreich abzuschneiden. Freilich erreichte er hiedurch so viel, daß der Feldmarschall Graf Khevenhüller mit desto größerer Aussicht auf Erfolg die Wiedereinnahme von Linz ins Werk setzen konnte. Um bei diesem Ereignisse gegenwärtig zu sein, traf der Großherzog am 21. Jan. 1742 in Khevenhüller’s Hauptquartier ein und übernahm wenigstens dem Namen nach das Obercommando. Schon zwei Tage später ergab sich Linz; der Großherzog wohnte hierauf noch der Wiederbesetzung Oberösterreichs bei. Als aber Khevenhüller über die Grenze nach Baiern vordrang, kehrte F. von Lothringen in Folge des dringenden Wunsches seiner Gemahlin nach Wien zurück. Denn höchst ungern sah Maria Theresia die persönliche Anwesenheit des Großherzogs auf dem Schauplatze des Krieges. In der Lebhaftigkeit und Leidenschaftlichkeit ihres Wesens glaubte sie den geliebten Gatten dort tausend Gefahren ausgesetzt, die ihn wol kaum ernstlich bedrohten. Darum war es auch durchaus nicht in ihrem Sinne gehandelt, als im Juni 1742 F. von Lothringen sich neuerdings nach Böhmen begab und dort das Commando der Armee übernahm, [282] welche die Baiern und die Franzosen aus diesem Lande vertreiben sollte. Bei den hierauf abzielenden Unternehmungen des Großherzogs trat es jedoch auch jetzt wieder zu Tage, daß es ihm in jeder Beziehung an den Eigenschaften gebrach, welche den Feldherrn ausmachen. Im November 1742 legte er das Commando nieder, um es später nur noch einmal für kurze Zeit zu übernehmen. So wie in den militärischen, so wurde auch in den politischen Ereignissen jener bewegungsvollen Zeit F. von Lothringen immer weniger genannt. Anfangs hatte er noch einigen Antheil an den Verhandlungen genommen, welche mit dem Könige von Preußen über dessen Begehren wegen Abtretungen in Schlesien gepflogen wurden. Es läßt sich keine Spur davon entdecken, daß der Großherzog seiner Gemahlin zu theilweiser Nachgiebigkeit gerathen hätte. Im Gegentheile vertrat er die Rechte derselben und ihre Pflicht, sich nicht selbst eines Theiles des auf sie vererbten Gebietes aus freiem Entschlusse zu enteignen, mit Festigkeit und Würde. Das gleiche Benehmen beobachtete er auch in den übrigen Fällen, in denen er zu persönlicher Theilnahme an politischen Verhandlungen veranlaßt wurde, aber freilich ereigneten sich solche immer seltener. Erst in dem Augenblicke trat der Großherzog von Toscana mehr in den Vordergrund, als nach dem Tode Karls VII. Maria Theresia ihre früheren Entwürfe wieder aufnahm, ihren Gemahl zum römisch-deutschen Kaiser wählen zu lassen. Trotz des Widerstandes des Königs von Preußen und Frankreichs setzte sie diese Absicht durch. Die Armee des Grafen Traun, jetzt unter den Oberbefehl des Großherzogs gestellt, nöthigte die Franzosen zum Rückzuge über den Rhein. So konnten sie die Kaiserwahl nicht stören, die denn auch am 13. Sept. 1745 vor sich ging. Mit sieben von neun kurfürstlichen Stimmen wurde der Großherzog von Toscana zum Kaiser gewählt. Am 4. Oct. fand die Krönung statt, zu der auch Maria Theresia von Wien nach Frankfurt kam.

Wer den damaligen Zustand des deutschen Reiches mit vorurtheilsfreiem Blicke überschaut, den wird es nicht Wunder nehmen, daß F. I. als Oberhaupt derselben durchaus keine eingreifende Wirksamkeit zu entwickeln vermochte. Aber es läßt sich auch nicht läugnen, daß er selbst unter günstigeren Auspicien der Mann nicht gewesen wäre, der es verstanden hätte, mit kraftvoller Hand eine bemerkenswerthe Aenderung in den inneren Zuständen des deutschen Reiches herbeizuführen. Nicht viel mächtiger als in den deutschen, war sein Einfluß in den Angelegenheiten Oesterreichs. Aber seine Anwesenheit bei der geheimen Conferenz, seine Meinungsäußerung bei derselben läßt sich doch immer constatiren, wenngleich die letztere sich meistens auf Zustimmung zu derjenigen der Kaiserin und ihrer einflußreichsten Rathgeber beschränkte. In den wichtigsten Augenblicken aber, in denen es um Wendepunkte in der österreichischen Politik, um entscheidende Entschlüsse sich handelte, gab der Kaiser wol auch seine Meinung in der Form eines umständlich motivirten Gutachtens ab. So war dies im März 1749 der Fall, als Kaunitz mit dem Antrage hervortrat, Oesterreich möge mit Frankreich in enge Allianz zu gelangen suchen und dieselbe, wenn nöthig, sogar durch das Aufgeben des Bündnisses mit den Seemächten erkaufen. Hiebei zeigte sich der Kaiser als ein eifriger Gegner dieses Vorschlages. Ihm galten die Seemächte als die natürlichen Verbündeten Oesterreichs; neben ihnen nannte er Rußland den einzigen Staat, dessen Freundschaft für Oesterreich vom höchsten Werthe sein müsse. Frankreich, Preußen und die Pforte bezeichnete er als Oesterreichs gefährlichste Feinde. Frankreich sei durchaus nicht zu trauen, und niemals möge man durch die Idee sich berücken lassen, mit seiner Hülfe wieder in den Besitz Schlesiens zu gelangen. Man solle sich nur erinnern, wie sehr man von Frankreich betrogen worden sei, und nie darauf vergessen, daß Frankreichs süße Worte noch ungleich gefährlicher seien als seine Waffen. Dennoch [283] müsse man schonend und rücksichtsvoll gegen Frankreich verfahren und ein gleiches Benehmen gegen den König von Preußen beobachten. Gute Nachbarschaft möge man mit ihm halten, in allem ihn schonen, was nicht Oesterreichs Interesse zuwider sei, und nicht offen den Haß zeigen, den man freilich mit Recht wider ihn hege. Die innere Kräftigung der Monarchie sei übrigens als der Hauptzielpunkt des Systems anzusehen, das man zu beobachten habe. Wer eine schöne und zahlreiche Armee und die Mittel besitze, sich ihrer im rechten Augenblicke mit Nachdruck zu bedienen, der werde so leicht nicht angegriffen werden und nicht nur seine bisherigen Freunde sich erhalten, sondern auch neue Verbündete erwerben.

Diesem letzteren Satze stimmten auch Maria Theresia und Kaunitz zu, nicht aber dem Antrage des Kaisers auf Beibehaltung des Bündnisses mit den Seemächten und Verwerfung der Allianz mit Frankreich; man weiß vielmehr, daß Maria Theresia in dem entgegengesetzten Sinne entschied. Aber freilich bedurfte es zur Ausführung dieses Planes sehr langer Zeit; ja man kann wol sagen, daß er schon vollständig fallen gelassen war. Als er jedoch in Folge des rücksichtslosen Verfahrens der britischen Regierung gegen Oesterreich im J. 1755 neuerdings aufgenommen wurde, stoßen wir nicht nur auf keinen Widerspruch mehr von Seite des Kaisers sondern es findet sich sogar seine eigenhändig niedergeschriebene Genehmigung der Vorschläge des Staatskanzlers Kaunitz. Es scheint wirklich, daß F. nun rückhaltslos dem Gedanken beistimmte, welchen er dereinst einen trügerischen genannt hatte, sich mit Hülfe Frankreichs wieder in den Besitz Schlesiens zu setzen. Und wenn er damals eine schonende Haltung gegen den König von Preußen dringend empfohlen, so sprach er jetzt gleichfalls nur in haßerfüllten Worten von ihm. An den Ereignissen des siebenjähr. Krieges nahm übrigens der Kaiser keinen anderen Antheil, als daß er sich eifrig an den Berathungen betheiligte, welche in Wien unablässig gepflogen wurden, um eine schlagfertige Armee aufzustellen und sie nicht nur fortwährend mit den nöthigen Ergänzungen und Erfordernissen zu versehen, sondern auch ihre Operationen in zweckmäßigster Weise zu leiten. Wie lebhaft der Kaiser den Wunsch empfand, dieselben möchten von glücklichem Erfolge begleitet sein, geht nicht nur aus den von ihm eigenhändig niedergeschriebenen ausführlichen Instructionen, die er seinem Bruder, dem Prinzen Karl, mit auf den Weg gab, sondern auch aus den drängenden Aufforderungen an ihn, energischer vorzugehen und sich die kleine preußische Armee nicht immer wieder entwischen zu lassen, recht deutlich hervor. Und als endlich das Gegentheil geschah und bei Leuthen das Heer des Prinzen Karl von Lothringen von dem Könige von Preußen aufgerieben wurde, da fügte der Kaiser sich willig, wenn auch schwer bekümmerten Herzens in die unabweisliche Nothwendigkeit, seinem Bruder das Commando zu entziehen. Wiederholt setzte er ihm die Gründe auseinander, welche es dem Prinzen in seinem eigenen Interesse wünschenswerth erscheinen lassen sollten, nicht länger an der Spitze des Heeres zu stehen. Da jedoch Prinz Karl den Oberbefehl nicht freiwillig niederlegte, stimmte der Kaiser zu, als ihm Maria Theresia denselben endlich aus eigener Machtvollkommenheit entzog.

Mehr als in den öffentlichen Angelegenheiten trat der Kaiser in denen hervor, welche auf das Innere seiner Familie, auf seine Kinder sich bezogen, wenn auch die letzte Entscheidung hinsichtlich derselben gleichfalls in den Händen seiner Gemahlin lag. Große Aufmerksamkeit widmete er insbesondere der Erziehung seines ältesten Sohnes. Und als dieselbe vollendet war und Joseph sich im J. 1760 vermählte, brachte der Kaiser eine Instruction zu Papier, welche wohlmeinende Rathschläge für den Lebensweg seines Sohnes enthielt. Die Bemerkungen, durch die er ihn zur Willfährigkeit, zur Sanftmuth und zur [284] Geduld mahnt und ihn mit ganz besonderem Nachdrucke vor Eifersucht warnt, werfen ein nicht zu mißdeutendes Streiflicht auf sein eigenes eheliches Verhältniß. Denn so sehr auch dasselbe im Ganzen und Großen nur ein glückliches genannt werden konnte, so sehr der Kaiser seine Gemahlin und seine Kinder liebte, so schmerzlich empfand doch F. das Demüthigende seiner Stellung, und so peinlich war es ihm oft, sich immer wieder davon überzeugen zu müssen, wie gering doch eigentlich sein Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten, ja selbst auf die seiner Familie war. Die Unzufriedenheit, die er hierüber empfand, mag wol die Hauptursache jener Schwermuth gewesen sein, deren er sich allmählich immer weniger zu erwehren vermochte. Aber niemals gelangte dieses Gefühl zu einem für seine Umgebung verletzenden Ausdruck. Immer behielt er das zuvorkommende, einfache und bescheidene Wesen gleichmäßig bei, das ihm eigen war. Wenn es jedoch darauf ankam, so wußte er in sein Auftreten eine Hoheit und Würde zu legen, die seinem Range und seiner Stellung vollständig entsprachen. Recht überzeugend bewies er das, als er im J. 1764 sich mit Joseph nach Frankfurt begab, wo letzterer als römischer König gekrönt wurde. Nach Wien zurückgekehrt, begann der Kaiser eine etwas regere Thätigkeit in den Staatsangelegenheiten zu entwickeln. Gleich nach Abschluß des siebenjährigen Krieges hatte ihm Maria Theresia die oberste Leitung der Finanzen und insbesondere des Schuldenwesens des Staates übergeben. Da er seine eigenen Geldangelegenheiten immer in musterhafter Ordnung zu halten verstand, hoffte sie darauf, daß er dieselbe auch auf die allerdings sehr zerrütteten Finanzen zu übertragen wissen werde. Diese Erwartung wurde wenigstens zum Theile dadurch gerechtfertigt, daß der Kaiser für die pünktliche Erfüllung der von dem Staate eingegangenen Verpflichtungen eine Art persönlicher, auf sein äußerst beträchtliches Privatvermögen gegründeter Bürgschaft übernahm. Dadurch steigerte sich jedoch das bisher so erschütterte Vertrauen zu dem österreichischen Staatscredite gar sehr. Ohne Zweifel wären die günstigen Wirkungen dieser Thätigkeit im Laufe der Zeit noch fühlbarer geworden, wenn nicht ein ganz unvorhergesehenes Ereigniß ihnen plötzlich ein Ende gemacht hätte. Im Juli 1765 begab sich Maria Theresia mit ihrem Gemahl und ihren älteren Kindern nach Innsbruck, wo die Vermählung ihres Sohnes Leopold mit der Infantin Louise von Spanien gefeiert werden sollte. Am 5. August fand die Trauung statt; am Abende des 8. August 1765 aber wurde Kaiser F. als er sich vom Theater nach seiner Wohnung begeben wollte, vom Schlage getroffen und war allsogleich todt.

In dem Augenblicke seines Hinscheidens befand sich F. von Lothringen erst in seinem 57. Lebensjahre. Obgleich eher unter als über der Mittelgröße, war er doch gut und kräftig gebaut. Seine Gesichtszüge waren regelmäßig, die Augen schön und von noch dunklerem Blau als diejenigen seiner Gemahlin, Nase und Mund wohl geformt, das Lächeln angenehm und die Hautfarbe frisch. Der Eindruck, den er hervorbrachte, hätte somit ein sehr gewinnender sein müssen, wenn er, ein Feind jedes Zwanges, sich nicht allzusehr vernachlässigt hätte. Den Ausdruck seines Gesichtes verunstaltete er durch die Grimassen, die er sich angewöhnt hatte. Haltung und Gang waren vorgebeugt, seine Manieren aber so ungezwungen, daß er darin manchmal zu weit ging und selbst die Schuld trug, wenn man es an der ihm gebührenden Ehrfurcht fehlen ließ. Er haßte die Etiquette und suchte sie immermehr zu beschränken. Darum trug er nur ungern das spanische Mantelkleid und bediente sich mit Vorliebe prunkloser Gewänder. Die Einfachheit war überhaupt das eigentliche Kennzeichen seines ganzen Wesens, wozu freilich auch sein Hang zur Bequemlichkeit nicht wenig beitrug. Der Letztere war schuld, daß der Kaiser trotz seines klaren Verstandes und seines guten Gedächtnisses die Arbeit nicht liebte und sich derselben möglichst entzog. Sehr gern [285] beschäftigte er sich dagegen mit wissenschaftlichen Liebhabereien aller Art. Nicht daß er für die höheren Zwecke der Wissenschaft viel Sinn und Verständniß gehabt hätte. Aber es freute ihn, von Münzen und Medaillen, von werthvollen Steinen, von mechanischen Apparaten Sammlungen anzulegen. so muß er der Gründer des großartigen Naturaliencabinetes genannt werden, welches das österreichische Kaiserhaus besitzt. Er kaufte die berühmte Mineraliensammlung des Chevalier de Baillou und besaß eine reiche Sammlung von Goldmünzen und Medaillen. Ja man erzählte von ihm, daß er mit Alchymie sich befasse, Goldmacherei treibe, nach dem Steine der Weisen suche und mit Hülfe von Brenngläsern aus kleinen Diamanten einen großen zu machen sich bemühe. Hauptsächlich war es der gelehrte Director des Münzcabinetes, Valentin Duval, dessen Umgang er liebte. Außer ihm standen noch der kunstsinnige Director der Schatzkammer und der Gemäldegalerie, Joseph de France, der Director des phykalisch-mathematischen Cabinetes, Abbé Marcy, endlich der Director des Mineraliencabinetes Johann von Baillou bei dem Kaiser besonders in Gunst. Aber sie Alle traten doch wieder in den Hintergrund vor dem Interesse, das er an seiner Familie, seinen zahlreichen Kindern nahm. Ein sprechendes Kennzeichen hievon ist in dem Umstande zu erblicken, daß er seinen letztwilligen Anordnungen eine weitläufige Instruction beilegte, in der er seinen Söhnen und seinen Töchtern gute Lehren und heilsame Ermahnungen für die Zukunft ertheilte. Seinen ältesten Sohn Joseph aber ernannte er zum alleinigen Erben seines gesammten Vermögens.