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ADB:Junius, Franziskus

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Artikel „Junius, Franciscus der Jüngere“ von Jacob Cornelis van Slee, Rochus von Liliencron in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 14 (1881), S. 734–736, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Junius,_Franziskus&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 11:30 Uhr UTC)
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Junius: Franciscus J. (du Jon) der Jüngere, Sprachforscher und Archäologe, geb. zu Heidelberg 1589, † in England am 19. November 1677. Sein Vater war Franciscus J. der Aeltere, der berühmte reformirte Theologe, geb. zu Bourges 1545, † als Professor zu Leyden am 13. October 1602 (hier als geborener Franzose übergangen), seine Mutter, die er schon früh verlor, Johanna, Tochter des Antwerpener Schöppen Simon l’Hermite. 1592 ward der Vater von Heidelberg nach Leyden berufen; der Sohn hat sich daher später immer als Niederländer betrachtet. Nach dem frühen Tode des Vaters, von dem er die erste sorgfältige Erziehung und wissenschaftliche Ausbildung erhielt, nahm sich seiner zunächst ein Schwager seines (viermal verheiratheten) Vaters, der tapfere Johann van den Corput, an (Bd. IV S. 501), zugleich aber der große Philologe Gerhard Vossius, welcher 1607 des Jungius Schwester Elisabeth heirathete. Das Verhältniß zu diesem, den J. selbst als seinen Lehrer bezeichnet, ward entscheidend für dessen Entwickelung und Lebensgang. Er wollte anfangs Soldat werden, gab aber diesen Plan in Folge des 1609 eingetretenen 12jährigen Waffenstillstandes wieder auf, um sich nun ganz den zu Leyden schon begonnenen humanistischen und theologischen Studien zu widmen. Nach Beendigung seiner Universitätsstudien hielt er sich eine Zeit lang bei dem gelehrten Theologen Teelinghius zu Middelburg auf, um sich praktisch für den Stand des Geistlichen vorzubereiten. Durch Vossius dem Hugo Grotius bekannt geworden, erhielt er dann 1617 auf dessen Empfehlung die Pfarre zu Hillegondsberg. Als aber 1619 die gomaristisch gesinnte Synode zu Delft seine, des Remonstranten Berufung für ungültig erklärte und ihn nur als Vicar bestehen lassen wollte, verließ er, von diesen kirchlichen Zwistigkeiten angewidert, seine Stelle, um nie wieder in das geistliche Amt zurückzukehren. Der Vorladung vor die südholländische Synode leistete er keine Folge, weigerte sich auch, die sogenannte „Acte van Stilstand“ zu unterzeichnen. – Jetzt wandte sich J. ganz den stets mit Eifer betriebenen sprachlichen Studien zu, die ohne Zweifel unter dem Einfluß der von Vossius eingeschlagenen Richtung auch bei ihm früh den Kreis der herkömmlichen humanistischen Arbeiten verließen und vom Niederländischen ausgehend sich der Erforschung der germanischen Sprachen und Sprachdenkmäler überhaupt zuwandten. Wol hätten, so schreibt er schon in der Widmung seiner Observationen zum Williram (s. u.) gelehrte Männer in Skandinavien sich um das Nordische, Engländer um das Angelsächsische, Deutsche um das Fränkische große Verdienste erworben; es sei aber nothwendig, diese Sprachen, deren Vergleichung große Vortheile bieten werde, mit einander in Verbindung zu bringen. Dies also und zugleich die Betrachtung des etymologischen Zusammenhanges dieser neueren Sprachen auch mit den alten machte nun in der That J. sich zur Lebensaufgabe und ist dadurch einer der Hauptbegründer der germanischen Philologie geworden.

Seinen ersten Ruhm aber und bei seinen Zeitgenossen den Namen eines großen Gelehrten sollte er sich auf einem anderen Gebiete erwerben. 1620 nach Frankreich gezogen, begab er sich im nächsten Jahre nach England und hatte hier das Glück, im Hause des großen Kunstliebhabers und freigebigen Förderers der Wissenschaft, des Grafen von Arundel, eine Stelle als Erzieher des Sohnes und als Bibliothekar zu finden. Hier unter den Schätzen der Kunst und Wissenschaft verlebte er eine Reihe glücklicher Jahre, getheilt zwischen den Vergnügungen der großen Welt und den angestrengtesten und erfolgreichsten Studien. Auf den Wunsch des Grafen Arundel hatte er ein Verzeichniß der antiken Künstler angelegt; so entstand aus den Prolegomenis dazu die Schrift „De pictura veterum“, welche, 1638 unter Aufsicht des Gerhard Vossius zu Amsterdam gedruckt, von epochemachender Bedeutung für die Kunstgeschichte ward und ihrem Verfasser die Lobsprüche der berühmtesten Gelehrten seiner Zeit erwarb. Er selbst übersetzte [735] sie auch ins Niederländische. Mit der zweiten Ausgabe (1694), also erst nach des Verfassers Tode, ward auch der Catalogus artificum, dem die Schrift ihre Entstehung dankte, gedruckt.

1641 finden wir J. als Erzieher eines jungen Grafen von Oxford, den er 1642 und 1644–46 in die Niederlande begleitete, wo der Graf Militärdienste that. Dann wieder bis 1651 in England, kehrte er – sein Schwager Vossius war 1649 gestorben – wieder in die Niederlande zurück, um mit seiner Schwester theils in Amsterdam, theils im Haag zu leben. Von hier aus machte er aber einen zweijährigen Aufenthalt in Friesland, um an Ort und Stelle die friesische Sprache, deren Alterthümlichkeit ihm nicht entging, zu studiren. 1655 erschienen dann zu Amsterdam als erste Frucht seiner sprachlichen Studien die „Observationes in Willerami abbatis Francicam paraphrasin Cantici canticorum“ (Willeram’s Werk war von Merula 1598 zu Leyden herausgegeben worden). Noch in demselben Jahre folgte Caedmon’s angelsächsisches Gedicht: „Caedmonis monachi paraphrasis poet. Geneseos ac praecipuarum sacrae paginae historiarum“ etc. Amsterdam 1655. – Durch seinen Neffen Isaak Vossius gelangte J., der schon durch die kleinen von Vulcanius veröffentlichten Bruchstücke aus dem Codex argenteus auf die hervorragende Bedeutung der gothischen Bibelübersetzung des Ulfilas aufmerksam geworden war, jetzt in den Besitz der merkwürdigen Handschrift. Dieselbe war bekanntlich vom Hradschin 1648 durch die Schweden nach Stockholm entführt worden, wo Vossius sie dem Bücherschatz der Königin Christine entnahm. J. machte sich sofort mit dem höchsten Eifer an das Studium des Gothischen und ließ 1661 zu Dordrecht die erste Ausgabe des Codex argenteus erscheinen; der Engländer Thomas Mareshall fügte dem gothischen Text die zuerst 1571 gedruckte angelsächsische Evangelienübersetzung hinzu, deren Handschriften auch J. in England schon collationirt hatte. Mareshall versah weiter das Ganze mit Anmerkungen, J. mit einem Glossar, dem ersten Gothischen Lexicon. Diese Edition muß als ein für das Studium der germanischen Sprachen epochemachendes Ereigniß bezeichnet werden trotz aller Mängel, die einem ersten ohne alle Hülfsmittel und Vorbereitungen unternommenen Versuch nothwendig anhaften mußten.

Im Herbst 1675, also in seinem 87. Lebensjahre, siedelte der trotz überstandener schwerer Krankheit noch immer höchst rüstige und in unermüdeter angestrengter Thätigkeit fortarbeitende Greis noch einmal nach England über, wo er meistens in Oxford verweilte. 1677 starb er nach kurzer Krankheit im Hause seines Neffen Isaak Vossius auf dessen Landgut bei Windsor. Seinen litterarischen Nachlaß vermachte er der Universität Oxford.

Und durch diese seine Sammlungen, Wörterbücher, Excerpte, Abschriften und fast druckfertigen Manuscripte sollte sich die Arbeit seines Lebens weit über sein Grab hinaus, ja bis zu dem Beginn der neuesten Epoche germanischer Forschung fortsetzen, denn noch Jacob Grimm gab 1830 die altdeutsche Uebersetzung der 26 Hymnen nach einer Abschrift des J. heraus. Aber zu aller Zeit war dieser Schatz der Bodley’schen Bibliothek von Forschern wie Hickes, Rawlinson, Nyerup und Anderen benutzt worden. Einen Katalog der Sammlung gibt Graevius vor seiner Ausgabe der Schrift De pictura von 1694. Das darunter befindliche Etymologicum Anglicanum, von Eward Lye (Oxford 1743) herausgegeben, blieb bis zu der Revolution, welche die neuere Sprachforschung auch in das Studium der Etymologie brachte, die wichtigste Fundgrube für die Etymologie der germanischen Sprachen.

J., den seine Arbeiten als einen Mann von wahrhaft riesigem Fleiß und zugleich von eminentem Scharfsinn und weitestem Blicke zeigen, war zugleich von [736] lauterem Charakter und liebenswerthem Wesen, so daß er sich während seines langen Lebens der allgemeinsten Hochschätzung erfreute.

Graevius, Vita Francisci F. F. Junii vor seiner Ausgabe der libri tres de Pictura veterum, Rotterd. 1694. Ja. Guil. de Crane, Oratio de Vossiorum Juniorumque familia, hab. Franequerae die VI. Nov. 1820.. Raumer, Gesch. d. german. Philologie, S. 107–129.