ADB:Jörger von Tollet, Helmhard Freiherr (Hofkammerrat)
Rudolfs II., güterreich, † am 18. Decbr. 1594, in erster Ehe mit Elisabeth Grabner, in zweiter mit Judith von Liechtenstein, in dritter mit Katharina von Zelking vermählt; seine Söhne starben jung und unvermählt. Helmhard II. oder Jüngere Freiherr J. [529] v. T., Sohn Wolfgangs II. von der Christophorischen Linie, Enkel ihres Stifters Christoph (s. u.) und Wolfgang I. (s. w. u.), – spielt unter Rudolf II. und Mathias als Protestantenführer im Lande Oesterreich unter der Enns eine tonangebende Rolle, welche sich mit seiner Stellung als niederösterreichischer Regimentsrath nicht gut vertrug, da er so gut wie Tschernembl, Rich. Starhemberg u. A. auch zu den eifrigsten feudalen Autonomisten zählte. Sein Vetter Karl theilte diese Gesinnung. J. war nicht blos ein guter und geldreicher Herr, sondern auch ein Freund der Wissenschaften und vor allem der Bücher. Ch. von Lattenbach besuchte im J. 1618 das Jörger’sche Gut und den zugehörigen Markt Steyeregg, wie uns Zeiller, sein jüngerer Zeitgenosse und obersteirische Exulant in dem Itinerarium Germaniae (1632 verf., 1674 gedr.) mittheilt, und fand in dem „kleinen schlechten Städtlein“ (in O. Oe. bei Linz-Urfahr) das Schloß „gar ansehnlich und herrlich erbaut“. „Die Herren Jörger Freiherrn“ heißt es da weiter, „sonderlich Herr Helmhart etc. haben alda eine fürtreffliche Bibliothec angerichtet, die man auf viel tausend Gulden geschätzt und die ihres gleichen, was gedruckte Sachen anbelangt, in Oesterreich nicht solle gehabt haben. Ist auch der Garten daselbst mit allerhand theuern Gewächsen gezieret worden.“ – Diese Bibliothek der Jörger wurde später mit der gräflich Windhaag’schen vereinigt und endlich Eigenthum der Wiener Universitätsbibliothek, wie Bergmann (s. u. d. Litt.,) nachweist. H. J. betheiligte sich bei der Bildung des bewaffneten Protestantenbundes in Horn besonders seit 1608 in hervorragender Weise, und ebenso tritt er und sein Vetter Karl in dem Schlußacte der protestantischen Ständebewegung Oesterreichs zu Gunsten des böhmischen Aufstandes gegen Ferdinand II. bei der Retzer Conföderation von 1619 in den Vordergrund. Sein großes Bethaus in dem ihm gehörigen Orte Hernals bei Wien vereinigte Tausende zum protestantischen Gottesdienste. H. J. befand sich unter den 16 österreichischen Herren, die am 11. Juni die Sturmdeputation bei Ferdinand II. in Scene setzten. Karl v. J. besetzte als Hauptmann des Traunviertels mit ein paar hundert Soldknechten und aufgebotenen Bauern den Pyhrnpaß und die Klausen, um den Zuzug innerösterreichischer Truppen Ferdinands II. abzuwehren. Aber das von Helmhart und Karl von J. und ihren Gesinnungsgenossen betriebene „Manifest der gesammten österreichischen Stände an alle europäischen Mächte über Kaiser Ferdinands II. widerrechtlichen und gewaltthätigen Regierungsantritt und verübte grausame Verheerung der Erbländer“ vom J. 1619 sollte eben so wenig als die „Apologie“ der Stände Böhmens den Sieg der katholischen Monarchie verhindern, welchen die Schlacht an dem weißen Berge (8. Novbr. 1620) besiegelte. Ferdinand II. hatte bereits den 12. Septbr. 31 Herren und Ritter, die sich dem Huldigungstermine vom 1. Juni nicht gefügt hatten als Feinde des Thrones und des Landes geächtet; das gleiche Schicksal der compromittirten Jörger, Helmharts voran, erfüllte sich den 17. April 1622. Er verlor seine Güter: Hernals, Pergau, Kreusbach, Steyeregg voran; durch einflußreiche Verwendung seiner bedeutenden Freundschaft wurde ihm die Todesstrafe erlassen. Diesen Schicksalswechsel überlebte er nicht lange, denn er starb 1623; sein Vetter Karl beschloß ziemlich gleichzeitig sein Leben im Gefängniß zu Passau.
Jörger: Helmhard (I.) Freiherr J. v. T., Sohn Christophs († 1578), geb. am 29. Januar 1530, Hofkammerpräsident KaiserJohann oder Hanns v. J. der Jüngere, geb. 1558, † 1618, Sohn Sebastians von der Hanns-Jörger’schen Linie, 1598–1603 Verordneter der oberösterreichischen Stände, gehörte ebenfalls zu den eifrigsten Anhängern der feudalen Protestantenpartei und insbesondere der Horner Adelsverbindung vom J. 1608. Er starb noch vor der Katastrophe, welche seine Parteigenossen niederwarf. Das Stammschloß Tollet (bei Grießkirchen, Ger.-B. Wels) wurde von ihm neuerbaut. Sein Sohn Wolf Ludwig, 1624 zu Linz in einem Zweikampfe gefallen, war der Letzte der Christophorischen Linie.
[530] Johann oder Hanns Septimius v. J., geb. 1594, † 1662 (nach anderen Angaben am 14. Novbr. 1659) zu Nürnberg, von der Hanns-Jörgerschen Linie, einer der drei Söhne des Vorgenannten, war mit Anna Potenziana, Freiin von Hofmann auf Strechau vermählt und dadurch zu der bedeutenden Herrschaft d. N. in Ober-Steier bei Rotenmann gekommen. Protestant, aber in die große Adelsbewegung von 1619–1620 nicht verstrickt, blieb er des Verhängnisses überhoben, das seine Verwandten Helmhart und Karl ereilte, empfand aber nichtsdestoweniger das drückende der wesentlich geänderten Verhältnisse, verkaufte mit Einwilligung der Gattin Strechau an das Kloster Admont (1629) und wanderte aus, indem er sich zuerst nach Frankfurt, dann nach Nürnberg wandte und hier seinem Kunstsinne und Talente zum Radiren als Dilettant lebte. Von seinen feinen Radirungen haben sich Blätter erhalten. Er wurde mit seinem Neffen Johann Quintin (s. w. u.) 1659 in den Reichsgrafenstand erhoben.
Johann Quintin oder Quirin J. v. T., geb. 1624, † zu Wien am 17. Febr. 1705, – der als Staatsmann hervorragendste Sprosse des Hauses, das in seinem gleichnamigen Enkel (s. o.) erlosch, – Sohn Johanns Helfreich von der Hanns-Jörger’schen Linie, aus dessen Ehe mit Elise Polyxena, Freiin von Althann. Von Hause aus Protestant, trat J. zur katholischen Kirche über (1650) und ebnete sich dadurch den Weg zu einem rascheren Emporkommen im Staatsdienste. 1651 Hofkammerrath, bald darauf Vicepräsident der Hofkammer geworden, erlangte er am 9. Aug. 1659 die Erhebung in den Reichsgrafenstand, wurde 1681 geheimer Rath und 1687 Statthalter von Nieder-Oesterreich. Er galt überall als redlicher, gewissenhafter und berufseifriger Mann, von reinen Händen. Durch und durch Regierungsmann, entwickelte er, unter dem Eindrucke der finanziellen und militärischen Nothlage des Augenblickes in seinem Gutachten vom 1. August 1681 über die Nothwendigkeit der Steuerreform sehr beachtenswerthe Grundsätze, welche deutlich genug auf die Kräftigung der landesfürstlicheu Gewalt im Interesse der Reichsfinanzen abzielten. Die Länder gehörten nicht den Ländern, sondern dem Kaiser, welchem ihre Verwaltung von Gott anvertraut sei; wolle man den Kaiser nicht als Herrn sondern als Vater betrachten, so sei ja auch kein Vater schuldig, seine Kinder auch mit deren Willen verderben zu lassen; der Kaiser dürfe es nicht zulassen, daß die Länder nach dem Willen der Landtage handeln; er müsse Angesichts der Nothlage die Stände vor einem Mißbrauche ihrer Freiheit hindern, denn Privilegien ließen sich nicht weder gegen ihren Verleiher noch wider das allgemeine Beste erweitern. Der Kaiser solle von allen Erbländern und Ständen nach Maßgabe ihrer Kräfte binnen 2 Monaten nach dem Erlasse die Abgabe absolut begehren, die Landtage nicht ohne geschehene Verwilligung von mindestens 3 Millionen für das Kriegswesen schließen, die Vermögenssteuer wiederholen und alle Renitenten, auch die Vornehmeren, wie dies sein Vater (Ferdinand III.) beim Erscheinen der Schweden gethan, mit wirklichem Personalarrest belegen lassen. 1684–85 wurde J. zur Untersuchung des niederösterreichischen Verwaltungswesens bestellt und trat für die Centralisirung des „weitleiffigen Cammerwesens“ entschieden ein. – J. ließ aber auch in den brennenden politischen Fragen seine gewichtige Stimme vernehmen. In seinem ersten Gutachten vom 11. August 1682 handelt er von der „Conspiration Frankreichs mit den Türken“, von der Unvermeidlichkeit des Krieges, aber zugleich von der Unzulänglichkeit der Mittel, nach zwei Seiten hin gegen die Pforte und Ludwig XIV. zugleich den Kampf aufzunehmen. Er entscheidet sich für den Krieg gegen Frankreich und für die Erhaltung des Türkenfriedens durch Geld und diplomatisches Geschick. Noch hofft er auf diese Möglichkeit, während eine Zusammenziehung aller Truppen in Ungarn ein [531] Preisgeben der Niederlande und selbst Deutschlands bedeute. – Als jedoch die Unabweislichkeit des Türkenkrieges sicher steht, da verficht J. im zweiten Gutachten vom 11. Decbr. den unberechenbaren Nachtheil eines Verlustes Ungarns an den Sultan für Oesterreich, Deutschland, die gesammte Christenheit und ergeht sich ausführlich über die Durchführung der Kriegsbereitschaft. Siebenbürgen (damals unter eigenen Fürsten), die Moldau und Walachei, das ganze Ausland sei um Hülfe anzugehen, Tököly durch Versprechungen zu entwaffnen, und, falls er sich nicht füge, als Rebell zu behandeln. Damit hängt das dritte Gutachten (11. März 1683) – am Vorabende der großen Krise – zusammen, und darin macht J. seinem nicht unberechtigten Unmuthe über die Ungarn in nachstehenden Worten Luft: „Die meisten der Ungarn sind verdächtig und untreu, denn sie wollen nicht befehligt, nicht regiert werden und tumultuiren, wenn die Gefahr am größten; sie nehmen die Flucht, ohne Scham vor einem solchen Verbrechen, ohne Zögern ihrer Anführer, devastiren die Länder und setzen das Heer Euer kaiserl. Majestät in Confussion, daher ist es besser, sie fern und bei den ihrigen zu halten“. Andererseits rügt aber auch J. die allzu verspätete Kriegsbereitschaft; jetzt sei an eine Offensive nicht zu denken. Eine Niederlage wäre das größte Uebel, und Wien verloren hieße Alles verloren! – Die Belagerung Wiens, bei welcher Rüdiger von Starhemberg, Jörger’s Schwiegersohn, sich unverwelkliche Lorbeeren wand, ging vorüber, das patriotische Herz seines Schwähers konnte wieder aufathmen. Ihm selbst war es vergönnt, in minder bewegten, aber noch immer ernsten Tagen seit 1687 als Statthalter Niederösterreichs, seine gemeinnützige Thätigkeit insbesondere für Wien zu verwerthen. Er sorgte für die öffentliche Sicherheit und Wohnlichkeit der Residenz in wahrhaft epochemachender Weise, indem er die Rumor- und Sicherheitswache neu gestaltete, das Feuerlöschwesen, die Marktordnungen, das Straßenpflaster verbesserte und die erste Gassenbeleuchtung schuf, mit welcher der Kaiser nach längerer Abwesenheit (26. Januar 1688) überrascht wurde. – 1688 Ritter des goldenen Vließes geworden, zählte J. in den letzten Jahren der Herrschaft Leopolds I. zu den Conferenzministern des Kaisers. Bei der Lebensstellung und vielseitigen Thätigkeit dieses Mannes, der noch die widrigste Zeit des spanischen Erbfolgekrieges durchlebte, müssen wir doppelt bedauern, daß seine 8 Bände Memoiren oder Denkwürdigkeiten seiner Zeit, ein Beweis fleißiger Lebensführung und Beobachtung, nicht an die Oeffentlichkeit traten. Aus Jörger’s erster Ehe mit Maria Anna, Freiin von Königsberg, entsprossen 2 Söhne, welche beide der Vater überlebte. Johann Peter (geb. 1656), bereits mit 22 Jahren Regierungssrath, verlor am 15. Febr. 1680 das Leben durch die Rachsucht eines von seinem Vater wegen Unredlichkeit davongejagten Verwalters, der trotz des Protestes der Geistlichkeit gegen die Verletzung des Asylrechtes denn doch endlich ausgeliefert wurde und den Tod durch das Rad erlitt. Der zweite Sohn Joh. Christoph Ehrenreich fiel 1691 in der Türkenschlacht bei Salaukemen. Aus der zweiten Ehe Qu. Jörger’s mit Marie Rosalie Gräfin von Losenstein stammten 6 Söhne (außer 7 Töchtern), von denen drei zu Jahren kamen, Johann Karl, gefallen im Türkenkriege 1696, Johann Joseph († am 5. April 1739) und Franz Anton (s. o.), dessen Sohn der Letzte vom Mannsstamme der Jörger wurde.
Wolfgang J. v. T. († am 15. März 1524), Begründer des Hauptastes der J. Zunächst bekleidete er das Amt eines Truchseß ob der Enns und ständischen Landrathes. 1505–8 erscheint er als Salzamtmann zu Gmunden. Im letzteren Jahre stand er mit Michel von Traun dem Mühlviertel vor. Als Landeshauptmann Oberrösterreichs, was er seit dem 21. Febr. 1513 geworden, begegnen wir ihm am 16. Juli 1515 in dem prachtvollen Festzuge zu Ehren [532] der kaiserlichen Gäste, welche damals zum Wiener Congresse einritten. In jüngeren Jahren war J. ein erprobter Krieger, der 1485–86 als kaiserlicher Feldhauptmann neben dem Wolfersdorfer die allezeit getreue Neustadt gegen die Ungarn zu vertheidigen hatte. Dafür erhielt er am 5. April 1486 gelegentlich der Königskrönung Maximilians I. den Ritterschlag. 1520 hatte er des Alters wegen die Landeshauptmannschaft Ober-Oesterreichs niedergelegt. Seit 1497 mit Dorothea von Raming (Ramung), Tochter des landesfürstlichen Hauptmanns zu Brunecken in Tirol vermählt, verstand er es, seinen Güterstand zu mehren, dessen er auch für Söhne und Töchter bedurfte. – Seine Wittwe war eine entschiedene Freundin der Reformation. Sie machte beträchtliche Stiftungen für arme Studirende, die sich zu Wittenberg dem neuen Evangelium widmen wollten und ließ sich durch die strengen Mandate Ferdinands I. nicht abhalten, zwei ihrer Enkel 1542 nach Wittenberg zu senden. Ihr protestantischer Prediger, Moseder, ließ nachmals die Briefe, welche Luther an Dorothea und ihre Söhne schrieb (1534–1544) drucken. Diese drei Söhne und Linienstifter Christoph, Hanns und Hilleprand, in denen und deren Nachkommen der protestantische Geist der Mutter fortlebte, – wurden von Kaiser Maximilian II. am 22. August 1570 in den Freiherrnstand erhoben, Christoph überdies für sich und seine Nachkommen am 13. Decbr. 1570 mit dem Erblandhofmeisteramte des Landes ob der Ennes begabt.
- Ueber die Jörger im Allg. vgl. J. G. A. Freih. v. Hoheneck, der löbl. Herrn Stände des Erzh. Oesterr. o. d. E … Genealogia I. Thl. Passau 1727, S. 459–484. Wißgrill, Schaupl. des landständ. niederösterr. Adels etc. IV. Bd. Bergmann, Münzen und Medaillen I. 147–150. Wurzbach, Oesterr. biogr. Lex. 10. Bd. S. 227–233. A. Luschin von Ebengreuth, Oesterreicher an italien. Universitäten (Abdruck a. d. Blättern des Vereins f. Landeskunde v. Nieder-Oesterreich, 1880) S. 40–42. Die Werke zur Gesch. des Protest. in Oesterr. Raupach. Waldau. Hammer-Purgstall. Konr. Khlesl. Hurter, Gesch. Ferd. II. – Z. Gesch. Quintins Jörger insbesondere Majlath, Gesch. d. österr. K. IV. (X-XIII). Ersch und Gruber, II. Sect., 23. Th., S. 23 ff. (Art. v. Stramberg). Vehse, Gesch. d. Oesterr. Hofes. Arneth, Prinz Eugen v. S. Biedermann, Gesch. d. österr. Gesammtstaatsidee (Innsbr. 1867, r. bis 1705). Vgl. auch A. Wolf, Gesch. Bilder a. Oestr. I. (Wien 1878). Art. Kufstein.