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ADB:Keller, Augustin

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Artikel „Keller, Augustin“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 99–101, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Keller,_Augustin&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 12:41 Uhr UTC)
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Keller: Augustin K., schweizerischer Politiker, geboren zu Sarmenstorf (Kt. Aargau) am 10. November 1805, † zu Lenzburg am 8. Januar 1883. Der älteste Sohn der kinderreichen Familie strengkatholischer einfacher Landleute in dem Dorfe Sarmenstorf, in dem erst kurz vorher dem neuen Kanton Aargau zugefügten gemeineidgenössischen Unterthangebiete der Unteren Freien Aemter, empfing K. die erste lebhaftere Anregung von einer in seinem Geburtsorte wohnenden Schülerin Pestalozzi’s und kam dann 1821 auf ein Jahr in die von Pfarrer Christophor Fuchs (s. A. D. B. VIII, 160) in dessen Gebirgsdorf im Toggenburg geleitete Privatlehranstalt und 1822 in die Aarauer Kantonsschule, worauf er Ende 1826 zu philosophischen und philologischen Studien nach Breslau sich begab. Er blieb da – „Breslau ist die eigentliche [100] Heimath meines Geistes geworden“ – bis 1830, und zwei Male wurden Lösungen von Preisaufgaben, die er eingereicht hatte, gekrönt. Ebenso erprobte er sich schon hier im Ertheilen von Unterricht als Pädagoge, und ähnlich wirkte er nach der Rückkehr einige Zeit in der heimischen Dorfschule, bis er Herbst 1831 durch den Chef des liberalen Systems in Luzern, Eduard Pfyffer (s. A. D. B. XXV, 722–724) als Lehrer des Deutschen und Lateinischen an das dortige Gymnasium berufen wurde. 1834 folgte er dem Rufe seines Heimathskantons, als Director des Aargauer Lehrerseminars, das von 1835 an in Lenzburg seinen Sitz hatte. Durch mehr als zwei Jahrzehnte lieh er nun seine Kraft, als Leiter und als Lehrer, dieser Aufgabe; denn Pädagogik, deutsche Sprache, daneben zeitweise Naturkunde, auch Landwirthschaftslehre – auf die Landwirthschaft im Seminar legte K. besonderes Gewicht – waren Fächer, die er selbst übernahm, und außerdem schrieb er Lehrbücher für die Primarschulen und gründete 1835 die Zeitschrift: „Allgemeine schweizerische Schulblätter“, 1847 die Monatschrift: „Schweizerische Volksschule“, legte in Programmen, in gedruckten Reden seine Grundsätze nieder. Außerdem jedoch trat er in den politischen Kampf ein, der in einer für die ganze Schweiz schließlich ausschlaggebenden Heftigkeit, voran im confessionell gemischten Kanton Aargau, entbrannte. K., der ursprünglich für den geistlichen Stand bestimmt gewesen war, hatte eine ausgesprochen katholisch-freisinnige Auffassung gewonnen; er sagte einmal: „So sehr ich den Aberglauben und die Bilderverehrung hasse, so bin ich doch noch so gut katholisch, daß ich die ganz kahlen Kirchen um den Tod nicht leiden kann“. Schon bei seiner Rückkehr in die Schweiz war er 1830 mitten in die Kämpfe gekommen, die um die kantonale Verfassungsänderung geführt wurden, in die der Klerus mit Leidenschaft eingriff, und seine Berufung nach Luzern war geradezu als Niederlage der antiliberalen Partei auszulegen gewesen. 1835 wurde K. Mitglied des aargauischen katholischen Kirchenrathes und des Großen Rathes, und bald gewann er durch seine große rhetorische Begabung maßgebenden Einfluß, so daß er 1837 vorübergehend schon in die Kantonsregierung eintrat, doch nur auf wenige Monate, indem er alsbald in die Leitung des Seminars sich zurückbegab. Aber 1841 war es ein Votum Keller’s im Großen Rathe, das die Ausgangsstelle für die ganze politische Bewegung der nächsten Jahre geworden ist. Infolge einer 1839 begonnenen Verfassungsrevision war es bis zum Januar des zweitfolgenden Jahres zu einer bewaffneten Erhebung des östlichen katholischen Kantontheils, vorzüglich der Freien Aemter, gegen die Kantonsregierung gekommen, die aber am 11. des Monates durch die Regierungstruppen niedergeworfen wurde. Am 13. stellte darauf K. im Großen Rathe den Antrag, sämmtliche Klöster des Kantons aufzuheben: „Wo der Schatten eines Mönches fällt (so hieß es in seiner Rede), wächst kein Gras mehr“, und hingerissen von seinem leidenschaftlichen Feuer, stimmte die Versammlung mit erdrückendem Mehr dem Antrage zu, der sogleich in brutaler Weise zur Ausführung gebracht wurde. (Daß eine Hauptanklage gegen die Klöster: in Muri sei der Landsturm zur Empörung durch Läuten der Klosterglocken aufgeregt worden – jedes Beweises entbehrt, ist durch eine gerichtliche Zeugenabhörung, erst 1890, in einer für die Aufhellung historischer Parteimärchen geradezu typischen Weise dargethan worden: vgl. Historische Zeitschrift, Band LXXIX, S. 496 u. 497.) K. selbst verfaßte die die Maßregel vor den eidgenössischen[WS 1] Ständen zu rechtfertigen bestimmte Denkschrift: „Die Aufhebung der aargauischen Klöster“, und als Gesandter seines Kantons hatte er an der Tagsatzung, wo die katholischen Kantone gegen die Maßregel, die mit Artikel 12 der Bundesacte von 1815 sich nicht vertrug, protestirten, das [101] Geschehene zu vertheidigen. Aber 1842 begann K. noch einen zweiten Kampf. Eine Folge der durch die Aargauer Klösteraufhebung erzeugten Steigerung des Gegensatzes war, daß die im Kanton Luzern 1841 siegreich gewordene klerikaldemokratische Richtung die Berufung von Jesuiten nach Luzern in Aussicht nahm (s. A. D. B. XVIII, 470), und hiegegen erhob K. in seiner Eröffnungsrede als Präsident des Aargauer Großen Rathes am 24. Januar des genannten Jahres seine Stimme, als gegen den „Vorläufer und Schildhalter“ des „Blutgespenstes aus den Gräbern der Religionskriege“; 1844, in der außerordentlichen Sitzung des Großen Rathes, folgte sein Antrag, daß der Kanton Aargau von der Tagsatzung die Ausweisung der Jesuiten aus der Eidgenossenschaft verlange. So sehr K. in allen diesen Fragen im politischen Leben stand – unter der 1848 in das Leben tretenden Bundesverfassung wurde er zunächst bis 1854 Mitglied des Ständerathes, bis 1866 des Nationalrathes, bis 1881 wieder des Ständerathes –, behielt er doch bis 1856 die Leitung des Seminars, das 1846 in die Räumlichkeiten eines der aufgehobenen Klöster, nach Wettingen, verlegt worden war, in seiner Hand. Erst 1856 nämlich leistete er der vierten Wahl in den Regierungsrath Folge und siedelte nun nach Aarau über. Als Erziehungsdirector schuf er 1859 in einem anderen ehemaligen Kloster, in Muri, die kantonale landwirthschaftliche Schule und bereitete ein neues Schulgesetz vor – als Mitglied des eidgenössischen Schulrathes war er auch 1855 bei der Gründung des eidgenössischen Polytechnikums thätig –; andere Leistungen lagen dazwischen in der Besorgung des Departements des Inneren und der Staatswirthschaft. Allein nochmals trat K. auf dem Boden der religiösen Fragen als Vorkämpfer auf. Schon vor der Versammlung des vaticanischen Concils war, 1869, Keller’s rasch in zwei Auflagen erschienenes Buch: „Das Moralcompendium des Jesuiten P. Gury“ veröffentlicht worden, das gegen ein ohne die Erlaubniß der Diöcesanconferenz im Priesterseminar des Bisthums Basel eingeführtes Lehrbuch der Moral sich richtete, und nach der Proclamation der Concilsbeschlüsse faßte er seine Forderungen in der Denkschrift: „Die kirchlich-politischen Fragen bei der eidgenössischen Bundesrevision von 1871“ zusammen. Aus dem „katholisch-kirchlichen Reformverein“, zu dem K. aufrief, ging die Gründung der „Nationalkirche der katholischen Schweiz“ 1871 hervor, und ebenso nahm K. im Herbst des Jahres an dem ersten deutschen Altkatholiken-Congreß in München Theil, der ihn zu einem seiner Vicepräsidenten ernannte. 1875 erwählte ihn die schweizerische altkatholische Synode zum Präsidenten des neuen Synodalrathes. 1881 trat K. aus seinen Beamtungen zurück und lebte die letzte Zeit, innerhalb deren er nach fast fünfzigjähriger glücklicher Ehe seine Gattin verlor, im Hause seines Schwiegersohnes. – K. war auch als Dichter thätig, und er verstand es, so 1852 in den „Briefen des Gätterlimachers über die neue Verfassung“, den populären Ton in politischen Kundgebungen zu treffen. – Zu Aarau wurde K. ein Denkmal aufgestellt.

Vgl. J. Hunziker, Augustin Keller, ein Lebensbild dem aargauischen Volke gewidmet (Aarau 1883).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: eigenössischen