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ADB:Kirchner, Anton

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Artikel „Kirchner, Anton“ von Wilhelm Stricker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 16 (1882), S. 18–21, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kirchner,_Anton&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 19:24 Uhr UTC)
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Kirchner: Anton K., geb. zu Frankfurt a/M. am 14. Juli 1779, gest. daselbst am 31. Decbr. 1834. Er besuchte das dortige Gymnasium und nahm zugleich Unterricht in der französischen, englischen und italienischen Sprache, deren er vollkommen Herr wurde. Auf den Rath und mit Empfehlungen des Seniors W. F. Hufnagel, der sich für den begabten Jüngling interessirte, bezog er die Universität Erlangen, um sich dem Studium der Theologie zu widmen. Nach nur zweiundeinhalbjährigem Studium kehrte er als Dr. philosophiae, den er sich durch Vertheidigung seiner Dissertation: „Ueber die Dämonologie der Hebräer vor dem babylonischen Exil“ erworben hatte, in die Heimath zurück, und entfaltete nun eine rührige Thätigkeit als Erzieher in der Manskopf’schen Familie, als Lehrer in dem Waisen- und Prediger in dem Irrenhaus. Von 1801 an leitete K. das für Unterhaltung und Belehrung aller Stände bestimmte „Bürgerblatt“ (bis 1811) und von 1803 an besorgte er eine Zeit lang die [19] Redaction des „Frankfurter Journals“. In dieser Stellung gerieth er in einen Conflict mit der Diplomatie. Als er nämlich die am 8. Juni 1804 erfolgte Entbindung der römischen Kaiserin anzeigte und die Neugeborene nicht als Prinzessin, sondern einfach als Mädchen bezeichnete, sah sich der kaiserliche Ministerresident in Frankfurt, Frhr. v. Wessenberg, veranlaßt, in einer Zuschrift vom 3. Juli „den Herrn Redacteur zur strengen Verantwortung zu ziehen und denselben auf die Folgen, welche dergleichen Unarten für ihn haben könnten, aufmerksam zu machen“. Von 1804–6 war K. Pfarrvicar, um den Pfarrern in der Stadt Aushülfe in der Seelsorge und Predigt zu leisten, und unterrichtete gleichzeitig an der Musterschule. 1806 wurde ihm die Professur für Religion, Kirchengeschichte und hebräische Sprache am Gymnasium übertragen, Ende 1807 endlich wurde er Sonntagsprediger in der Heiliggeistkirche, welche Stelle er bis 1823 bekleidete. Inzwischen hatte Frankfurt seine Reichsfreiheit verloren und zum Herrn den Fürstprimas des Rheinbundes, Karl v. Dalberg, erhalten. Dieser ergänzte die Stadtverfassung durch das Collegium der Achtundzwanziger oder der Bürgerrepräsentanten, welche, je zwei aus jedem der 14 Stadtquartiere gewählt, von dem Fürsten bestätigt wurden und unter dem Vorsitze einer fürstlichen Commission über alle das Wohl der Bürgerschaft betreffenden Gegenstände zu berathen und abzustimmen hatten. Ihre Wahl erfolgte am 26. Mai 1807; K. war unter den Gewählten. In dieser Stellung und Thätigkeit lernte ihn der Primas kennen und schätzen und bediente sich öfters seines Rathes und seiner Vermittelung, wo er seiner Neigung zum Wohlthun folgen wollte. K. wurde in die Verwaltung des zu reorganisirenden allgemeinen Almosenkastens und 1812 in den Oberschul- und Studienrath berufen. Scheinbare Widersprüche in Aeußerungen Kirchner’s über den Primas finden ihre Erklärung in den Zeitverhältnissen. Seit der Protector des rheinischen Bundes die Mitwirkung der Truppen Dalberg’s in Spanien (1808 ff.) und Rußland (1812) verlangte, wurde die Abhängigkeit und Schmach von den Deutschen schwerer empfunden und das Wohlwollen des Fürsten konnte gegen den eisernen Willen seines Zwingherrn nichts erreichen. So erklärt sich, daß K. in der Vorrede zum ersten Theil seiner „Geschichte von Frankfurt“, 1807, schrieb: „Das Glück … gab uns statt des Fürsten einen Vater. In ihm enthüllt sich uns das Urbild wahrer Größe. Sie ist offen, sanft, zugänglich und herablassend“ etc. Dagegen werden, zunächst in Privatbriefen, seine Aeußerungen über die fürstliche Regierung seit 1810 kühler, und in den „Ansichten“ (1818, I. 170) feiert er das Einrücken der Verbündeten als den „ersten Augenblick der Freiheit und Selbständigkeit nach vieljähriger Schmach“, jedoch nicht ohne (S. 160) jenen oben angedeuteten Unterschied hervorzuheben. In diesem Sinn war K., nachdem am 14. Decbr. 1813 der Stadt ihre vormalige Municipalverfassung zurückgegeben worden war, in jeder Weise an der politischen Wiedergeburt seiner Vaterstadt betheiligt. Er wirkte (Februar 1814) mit an Errichtung des Landsturmes, er hielt am 18. Octbr. 1815 im Freien vor versammeltem Militär die Erinnerungspredigt an die Leipziger Schlacht, er war seit dem 19. Febr. 1816 Mitglied der Dreizehnercommission, welche endlich den schwierigen Verfassungskämpfen der Stadt ein Ende bereitete, und übte, wie sich noch nachweisen läßt, durch liberale Gesinnung, Scharfsinn und Geschichtskenntniß einen wichtigen Einfluß in dieser Körperschaft. Auf Grund der Verfassung vom 16. Oct. 1816 trat er am 11. November in die erste gesetzgebende Versammlung, wo für seine freisinnigen Absichten indeß noch kein Raum war, so daß er nach Ablauf eines Jahres aus der Versammlung wieder ausschied. – Wir haben in der Biographie W. F. Hufnagels (Bd. XIII. S. 301) das Schulwesen in Frankfurt um die Scheide des 18./19. Jahrhunderts und dessen Verbesserung durch die Musterschule geschildert. Aber diese 1804 eröffnete [20] Lehranstalt war mehr für die Bedürfnisse der reicheren Familien berechnet; es that noch eine Schule für die Söhne des bemittelten Handwerkerstandes Noth. Die Gründung einer solchen fällt in das letzte Jahr der großherzoglichen Regierung (28. April 1813) und ist Kirchner’s Werk. Es war die Weißfrauenschule. Auch an der Reorganisation des Schulwesens (1824), wodurch die letzten Quartierschulen aufgehoben und drei Volksschulen, sowie die Mittelschule gegründet wurden, hatte K. hervorragenden Antheil. – Unter der Regierung Karl v. Dalberg’s und unter seinem Schutz wurde 1807 der Versuch gemacht, durch Beschäftigung mit den schönen Künsten die Trennung der Stände zu überbrücken. Diesem Zwecke diente das „Museum“, in welchem u. A. Karl Ritter und Jean Paul Vorträge hielten. Dem Museum widmete K. allezeit rege Theilnahme, weshalb ihm von dessen Vorstand am 9. Januar 1835 eine solenne Trauerfeier veranstaltet wurde. Als Theologe gehörte K. der rationalistischen Richtung an; er war ein ausgezeichneter Kanzelredner. Von 1823–33 wirkte er an der Katharinenschule, von 1833 an der endlich vollendeten Paulskirche. – Was Kirchner’s Namen aber für alle Zeiten mit dem der Stadt Frankfurt verknüpft, ist seine Geschichte derselben (1. Thl. 1807, LII u. 642 S., 2. Thl. 1810, XVI u. 560 S., 8°. In ihrer Bearbeitung hat er sich eine hohe Aufgabe gestellt, ein großes Wagniß unternommen, denn noch gab es keine kritisch besorgte Urkundensammlung der Stadt Frankfurt. Ueber Kirchner’s Bedeutung als Geschichtschreiber hat sich Kriegk in der Vorrede zu seinem Werke: „Frankfurts Bürgerzwiste und Zustände im Mittelalter“ (1862) folgendermaßen ausgesprochen: „Kirchner’s Werk ist die erste wissenschaftlich gearbeitete Geschichte von Frankfurt, denn alle früheren Darstellungen derselben sind so verfaßt, daß sie chronikartig geschrieben und der eigentlichen Kritik ermangelnd, nur die rein äußerliche Aufeinanderfolge der Begebenheiten darlegen. Außerdem ist Kirchner’s Werk auch noch die erste mit Geschmack geschriebene „Geschichte von Frankfurt“ und wenn auch an der Eigenthümlichkeit des Kirchner’schen (dem des Johannes Müller von Schaffhausen nachgebildeten) Stiles Manches auszusetzen ist, so muß man doch die Gerechtigkeit haben, anzuerkennen, daß diese Eigenthümlichkeit nicht blos dem Verfasser, sondern auch seiner Zeit Schuld zu geben ist. Als K. schrieb, war dies die herrschende Manier und das damalige Publikum verlangte eine Art Schmuck, welcher der jetzigen gebildeten Welt zuwider ist. Ein dritter Vorzug von Kirchner’s Geschichtschreibung ist der gesunde Verstand und der richtige Blick, die sich in seinem Werke nicht selten zu erkennen geben. Dies ist um so höher anzuschlagen, als K. nur wenige durchdachte Vorarbeiten benutzen konnte, und zu seiner Zeit die neuerdings weit vorangeschrittene wissenschaftliche Geschichte des Städtewesens noch in ihren ersten Anfängen stand. Bei diesen in der That bedeutenden Vorzügen Kirchner’s darf man einzelne Irrthümer desselben nicht so hoch anschlagen, als Feyerlein und Fichard (s. den Art.) es gethan haben.“ Theils diese Angriffe, theils der außerordentliche Zeitaufwand, welchen das Studium der theilweise nicht einmal in Frankfurt befindlichen umfangreichen Acten des Fettmilch’schen Aufruhrs (1612–16) veranlaßt haben würde, mögen auch wol Schuld daran sein, daß K. seine Geschichte nicht über 1612 hinaus fortgesetzt hat und daß von den drei weiteren Bänden, welche sie bis 1806 führen sollten, nichts erschienen ist. Nur einzelne Episoden aus der nächsten Zeit hat er im Rheinischen Taschenbuch 1822 und in der Frankfurter Iris 1827, Nr. 21, mitgetheilt. Dagegen gab er 1818 in zwei Bänden (bei den Gebr. Wilmans in Frankfurt) heraus: „Ansichten von Frankfurt, der umliegenden Gegend und den benachbarten Heilquellen“, eine vortreffliche historisch–topographische Uebersicht bis zu dem genannten Jahr herabgeführt, voll wichtiger statistischer Angaben, ein Werk, welches mehr als ein Menschenalter lang [21] unzähligen Compilationen als Quelle gedient hat. – K. war ein Mann von wahrhaft monströser Dickleibigkeit; Wilhelm Hauff hat in seinen „Memoiren des Satan“, einem schwachen Jugendwerk, welches wol kaum der Aufnahme in seine „Gesammelten Schriften“ werth war, K. als den „dicken Pfarrer“ verspottet. Diese Eigenthümlichleit bereitete der bildlichen Darstellung seines Kopfes große Schwierigkeiten. Bereits 1836 wurde seine von Schmitt von der Launitz gefertigte Büste auf der Stadtbibliothek ausgestellt. Später bildete sich ein Comité zur Errichtung eines Denkmals für K. Von dem Bildhauer H. Petry verfertigt, konnte dies Denkmal an seinem 100jährigen Geburtstag, 14. Juli 1879, in den städtischen Anlagen enthüllt werden. K. hatte noch die Freude, seinen 1809 geborenen Sohn Konrad 1833 ins Pfarramt einzuführen. Dieser, eine stille, poetische Natur, wirkte ebenfalls als beliebter Kanzelredner und Seelsorger bis zu seinem am 7. Septbr. 1874 erfolgten Tod. Er hat einige Erbauungsschriften verfaßt.

Erinnerung an A. Kirchner, Frankf. 1835. E. Heyden, Gallerie berühmter und merkwürdiger Frankfurter, 2. Heft, Frankf, 1850. – Georg Eduard Steitz, Erinnerungen an A. Kirchner. Mit seinem Bildniß, Frankf., Sauerländer. 1879. W. Stricker, Neuere Geschichte von Frankfurt, bei Auffarth. 1881, S. 228.