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ADB:Lentin, Lebrecht Friedrich Benjamin

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Artikel „Lentin, Lebrecht Friedrich Benjamin“ von Ernst Gurlt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 18 (1883), S. 262–265, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lentin,_Lebrecht_Friedrich_Benjamin&oldid=- (Version vom 16. Dezember 2024, 14:50 Uhr UTC)
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Lentin: Lebrecht Friedrich Benjamin L., königl. großbritannischer und kurfürstl. braunschweig-lüneburgischer Leibarzt zu Hannover, wurde am 11. April 1736 zu Erfurt geboren, wo sein Vater, Doctor der Rechte, zweiter Bürgermeister und Vorsteher des großen Armenhauses war. Nach kaum vollendetem 13. Lebensjahre wurde der geistig glänzend begabte Knabe für fähig [263] erklärt, die Universität seiner Vaterstadt zu besuchen. Daselbst setzte er zunächst noch fünf Jahre (1749–54) lang die klassischen Studien fort, ging 1754 nach Göttingen, zum Studium der Medicin, und erhielt daselbst zwei Jahre später, am 17. September 1756, die Doctorwürde mit der Dissertation: „De praerogativa venaesectionis in partibus laborantibus“. L. ließ sich darauf in dem Landstädtchen Diepholz nieder, erhielt auch das dortige Landphysikat, aber ohne Besoldung, und vertauschte zwei Jahre später dieses mit dem erledigten Physikat in Dannenberg, wo die Besoldung in 75 Thlrn. bestand. Auch hier war die Praxis, trotz ihres Umfanges und ihrer Beschwerlichkeit, so wenig einträglich, daß sein Einkommen nicht mehr als 3–400 Thlr. betrug und er oft in Geldverlegenheiten war. Der gelehrten Welt machte er sich schon 1757 durch die Veröffentlichung einiger electrischen Versuche (in R. A. Vogel’s Neuer medic. Bibliothek, Bd. III), 1764 durch einen zu Leipzig erschienenen „Observationum medicarum Fasciculus I.“, bekannt, dem 1770 der zweite folgte. Nachdem L. 13 Jahre lang in Dannenberg der Wohlthäter und Retter der ganzen Umgegend gewesen war, folgte er einem Rufe als Physikus und Garnisonsmedicus nach Ratzeburg, wo er, unter günstigen Außenverhältnissen von 1771 bis 1774 ein glückliches Leben führte. Um besser für seine zahlreiche Familie sorgen zu können, nahm er jedoch in dem letztgenannten Jahre die mit 600 Thlrn. dotirte Stelle eine Bergmedicus und Stadtphysikus in Clausthal an, woselbst er kurze Zeit nach seiner Uebersiedelung „Beobachtungen einiger Krankheiten“, Göttingen 1774, veröffentlichte. Aber auch in Clausthal hatte L., trotz großer Strapazen, eine von Nahrungssorgen nicht freie Existenz und nur die Anerkennung, die seinen schriftstellerischen Leistungen gezollt wurde, konnte ihm seine Lage als erträglich erscheinen lassen. 1779 erschien zu Göttingen sein bedeutendstes Werk „Memorabilia circa aërem, vitae genus, sanitatem et morbos Clausthaliensium anno 1774–1777“ (1800 erschien davon eine deutsche Uebersetzung unter dem Titel „Denkwürdigkeiten, betreffend Luftbeschaffenheit, Lebensart u. s. w. der Einwohner Clausthals“), nachdem er 1776 schon „Grundsätze zu der von der Regierung zu Hannover (1775) publicirten Vorbauungskur gegen die Hornviehseuche“ veröffentlicht hatte. Eine große Ehre erzeigte ihm 1778 die Göttinger Societät der Wissenscha?ten, eine der angesehensten gelehrten Gesellschaften in Deutschland, dadurch, daß sie ihn ersuchte, die Recension praktischer medicinischer Werke für sie zu übernehmen. So hat denn L. von 1778 bis 1794 die meisten medicinischen Schriften in den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen kritisch besprochen, indem er durch die damit erzielten Honorare gleichzeitig seine bedrängte Lage etwas verbesserte. Bei seiner erstaunlichen Arbeitskraft lernte er ohne fremde Hülfe noch das Italienische, um einige Schriften (M. Sarcone, von den Kinderpocken, 1782; C. J. Damilano, Ueber den Friesel im Piemontesischen, 1782; J. M. della Torre, Geschichte und Naturbegebenheiten des Vesuvs, 1783) aus dieser Sprache in’s Deutsche zu übersetzen; ebenso hatte er 1779 das lateinisch geschriebene Werk von Karl v. Mertens, „Observationes medicae de febribus putridis, de peste et aliis morbis“, 1779, unter dem Titel „Beobachtungen der faulen Fieber, der Pest etc.“ übersetzt. 1783 veröffentlichte er eine Fortsetzung seiner „Memorabilia“ unter dem Titel „Beobachtungen der epidemischen und einiger sporadischer Krankheiten am Oberharze vom Jahre 1777 bis inclusive 1782“. Einen in demselben Jahre, 1783, an ihn ergangenen Ruf als Professor nach Göttingen, lehnte er, aus nicht näher bekannt gewordenen Gründen, ab, nahm aber 1787 das erledigte Physikat in Lüneburg an, wo er sich so wohl fühlte, und wo man ihn so verehrte, daß er die 1793 von der Kriegskanzlei in Hannover an ihn ergangene Berufung zum ersten Feldmedicus ablehnte. In kurzer Zeit hatte L. in Lüneburg die größte [264] Praxis und eine ausgedehnte Correspondenz wegen Consultationen, ohne daß seine schriftstellerische Thätigkeit darunter litt. Mit seinen Collegen stand er auf dem besten Fuße, den jüngeren derselben war er ein väterlicher Freund. Eine Preisschrift „De aphthis“, welche von der Pariser Gesellschaft der Aerzte das Accessit erhielt, wurde in den Mém. de la Soc. roy. de Méd. (für 1787 und 1788) T. VIII. 1790, abgedruckt und in der „Sammlung auserlesener Abhandlungen zum Gebrauche praktischer Aerzte“, Bd. XV, übersetzt. 1789 erschien der erste Band seiner „Beyträge zur ausübenden Arzneywissenschaft“. Eine der königl. Societät der Wissenschaften zu Göttingen eingesandte Abhandlung „Tentamen vitiis auditus medendi, maximam partem novissimis Anatomicorum et Chirurgorum inventis adstructum“ (abgedruckt in den Göttinger Commentationen, Vol. XI. 1793, übersetzt von C. F. Niceus, zugleich mit Kritter’s Dissertation unter dem Titel „J. F. Kritter und L. F. B. Lentin, Ueber das schwere Gehör und die Heilung der Gehörfehler“, Leipzig 1794) fand bei der gedachten Societät solchen Beifall, daß dieselbe ihn zum wirklichen Mitgliede ernannte; ein Jahr später, 1793, wurde er auch Mitglied der kaiserl. Leopoldinischen Akademie. – Mit schwerem Herzen schied L. 1796 von dem ihm liebgewordenen Lüneburg, als er in diesem Jahre zum zweiten Leibmedicus in Hannover ernannt wurde. Fast gleichzeitig hatte er eine Vocation nach Kopenhagen, als königl. dänischer Leibarzt, unter sehr günstigen Bedingungen erhalten, dieselbe aber abgelehnt. Trotz der großen Concurrenz von Aerzten, welche L. in Hannover vorfand, wurde er auch hier in kurzer Zeit der Liebling des gebildeten, ärztlichen und Laienpublicums und trotzdem er in Hannover noch mehr als in Lüneburg durch die Praxis in Anspruch genommen wurde, war seine litterarische Thätigkeit auch hier eine sehr fruchtbare. 1798 erschien der zweite Band seiner „Beyträge zur ausübenden Arzneywissenschaft“, 1804 der dritte, zu denen noch ein nach seinem Tode von seinem Schwiegersohne, dem herzoglich mecklenburg-schwerinischen Hofmedicus Dr. Wilhelm Sachse herausgegebener Supplementband, der zugleich eine Lebensbeschreibung des Verstorbenen enthielt, 1808 hinzutrat. Vorher (1799) hatte er noch auf Befehl der königlichen Regierung eine „Apothekertaxe für das Kurfürstenthum Hannover“ verfaßt und herausgegeben. 1803 erschien von ihm die „Nachricht von den Gesundbrunnen und Bädern in Rehburg“. – Verschiedene Schicksalsschläge, wie der Tod seines Freundes Wichmann und eines talentvollen, dem Berufe des Vaters folgenden Sohnes, körperliche Leiden und äußere Umstände, namentlich die 1803 erfolgte Besetzung Hannovers durch die Franzosen, verbitterten L. seine letzten Lebensjahre; sein Tod erfolgte am 26. December 1804. – Von Journalaufsätzen Lentin’s sind noch zu erwähnen: „Ueber die Eisengranulirbäder zu Gittelde“ (Hannoversches Magazin, 1780, St. 64), über „häutige Bräune“, „Beitrag zur Geschichte und Widerlegung des Perkinismus“ (die Anwendung elektrischer Metallnadeln bei chronischem Rheumatismus), „Vorschlag, die Elektricität zur Anwendung flüchtiger Arzneimittel bei Krankheiten zu benutzen“ (sämmtlich in Hufeland’s Journal, Bd. IX, XIII, XVII). – So sehr L. die alten Aerzte schätzte, so verschloß er sich doch durchaus nicht der neueren Medicin. Von seinen Zeitgenossen waren Hufeland, Peter Frank, Thilenius, Brandis, Löffler und Jahn seine Lieblinge; als aber die beiden Erstgenannten sich dem Brownianismus zuwandten, folgte er ihnen darin nicht, wie er denn in allen seinen Schriften Protest gegen jegliches Schulsystem erhob. Die letzteren waren übrigens in einem gefälligen, eleganten, mit der Schwerfälligkeit und Eckigkeit der meisten damaligen Schriftsteller contrastirenden Stile geschrieben, aus dem auch der Humor des durch Liebenswürdigkeit, Bescheidenheit und Menschlichkeit ausgezeichneten Mannes hervorschimmerte. – Lentin’s Verdienste um die Medicin [265] sind mannigfaltiger Art und werden von Rohlfs, der ihn sogar als den „deutschen Hippokrates“ bezeichnet, ausführlich gewürdigt. Mit Recht sind Leutin’s Verdienste um die Epidemiologie besonders hervorzuheben, indem er die von ihm an sehr verschiedenen Orten beobachteten mannigfaltigen Epidemien und Endemien in treffendster Weise beschrieben hat. Seine Verdienste um die Diagnostik, die specielle Pathologie und Therapie, um die Chirurgie (L. war einer der wenigen Aerzte, welche damals schon die Chirurgie praktisch ausübten und litterarisch in derselben thätig waren) und Augenheilkunde, sowie um die Staatsarznei- und Kinderheilkunde im Einzelnen hier hervorzuheben, würde zu weit führen, zumal dies von Rohlfs in umfassendster Weise geschehen ist; nur bezüglich der Ohrenheilkunde wollen wir anführen, daß L. schon damals den einzig richtigen Weg, eine Disciplin in der Medicin auf einen höheren Standpunkt zu bringen, einschlug, nämlich die enge Anlehnung an die Errungenschaften der Anatomie und Physiologie. L. gehört deshalb zu den ersten Förderern der wissenschaftlichen Ohrenheilkunde in Deutschland.

Vgl. J. K. P. Elwert, Nachrichten von dem Leben und den Schriften jetztlebender teutscher Aerzte etc., Hildesheim 1799, S. 317. – W. Sachse, Lentin’s Leben in den erwähnten Beyträgen zur ausübenden Arzneywissenschaft, Supplementband, Leipzig 1808, S. 417. – Heinrichs Rohlfs, Geschichte der deutschen Medicin. Zweite Abtheilung, Stuttgart 1880, S. 1–65.