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ADB:Lindenschmit, Ludwig

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Artikel „Lindenschmit, Ludwig“ von Karl Schumacher in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 721–728, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lindenschmit,_Ludwig&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 20:08 Uhr UTC)
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Lindenschmit: Ludwig L., geboren am 4. September 1809 in Mainz und † ebenda am 14. Februar 1893, ist der Gründer des Römisch-Germanischen Central-Museums in Mainz und Schöpfer der vergleichenden Formenforschung in der Deutschen Alterthumswissenschaft. Wie der ältere Bruder Wilhelm, der bekannte Historienmaler, widmete er sich nach Beendigung seiner Gymnasialstudien dem Künstlerberuf, offenbar angeregt durch seinen Vater, den herzoglich nassauischen Münzgraveur Johann L. Von 1825–1831 besuchte [722] er die Akademie in München als Schüler des Peter v. Cornelius, hörte aber auch während acht Semestern philosophische und historische Vorlesungen an der Universität. Im J. 1831 wurde er Zeichenlehrer an der Gewerbeschule und am Gymnasium zu Mainz. Neben seiner eigentlichen Berufsthätigkeit beschäftigten ihn zunächst künstlerische Arbeiten, Lithographien und Gemälde, namentlich geschichtliche Darstellungen, wie er auch im J. 1834 seinem Bruder bei der Ausführung der historischen Freskogemälde im Schlosse zu Hohenschwangau half.

Gleich seinem Vater und Bruder war er, der noch die französischen Fahnen von den Wällen seiner Vaterstadt hatte wehen sehen, schon früh von glühender, deutsch nationaler Begeisterung erfüllt – ein Zug, der auch in allen seinen späteren Schriften wie der prächtige Goldton auf den Gemälden alter Meister immer wieder durchleuchtet. Diese innige Vaterlands- und Heimathliebe sowie der angeborene historische Sinn führten ihn auch dazu, sich immer mehr in die große Vergangenheit des deutschen Volkes zu versenken. Namentlich war es Jacob Grimm, dessen Schriften ihm mannichfache Anregung brachten. Allein sein reger Geist konnte an der damals herrschenden Methode der Erforschung des germanischen Alterthums nur aus den Schrift- und Sprachdenkmälern auf die Dauer keine volle Befriedigung finden. Auf Grund eigener künstlerischer und archäologischer Studien, sowie unter dem Eindruck der Ueberreste aus der Römerzeit in seiner Vaterstadt wandte er sich vielmehr alsbald mit lebhaftem Interesse auch den noch erhaltenen Denkmälern alten Culturlebens zu. So kam es, daß, als im J. 1843 in Mainz die Gesellschaft zur Erforschung der rheinischen Geschichte und Alterthümer gegründet wurde, L. das Amt des Conservators der Sammlungen übernahm, dem er bis an sein Lebensende mit größtem Erfolg oblag.

Für die Richtung seiner Forschungen wurde ein glückliches Ereigniß bestimmend, welches im J. 1845 eintrat, die Auffindung und von ihm geleitete systematische Ausgrabung des fränkischen Reihengräberfeldes bei dem rheinhessischen Dorfe Selzen. Jetzt sah L. die alten germanischen Recken, mit denen sich seine Phantasie so vielfach beschäftigt hatte, leibhaftig im Schmucke ihrer Waffen den Gräbern entsteigen, und ungeahnte Einblicke eröffneten sich ihm in die Cultur jener germanischen Jugendzeit. In der musterhaften Beschreibung dieser Ausgrabung („Das germanische Todtenlager bei Selzen, dargestellt und erläutert von den Gebrüdern W. und L. Lindenschmit“, Mainz 1848) charakterisirt er seinen Standpunkt treffend mit den Worten: „Das Bestreben, die deutsche Wissenschaft für das Leben nutzbringend zu machen, welches auf der letzten Germanisten-Versammlung zu Lübeck so tröstend hervortrat, hat die Beurtheilung des deutschen Nationalcharakters immer enger an die Aufhellung unserer Urgeschichte geknüpft. Wenn man die Geschichte eines Volkes schreiben will, so muß seine Entstehung ermittelt sein, denn diese ist es, welche den Schlüssel zur Würdigung der Charaktere liefert. Man hat die Schriften, die Münzen, die Sprachlaute durchforscht; nun laßt uns in die Gräber steigen und die Ueberreste der Menschen selbst betrachten“. Und über die Ergebnisse seiner Abhandlung äußert er: „auch mit Herausgabe der Gräber von Selzen soll durch die Beleuchtung einer einzelnen Periode kein allgemeins System, wol aber ein Beitrag zu den Principien ans Licht gestellt werden, wodurch man der ungebundenen Vermuthungswillkür Schranken und Regeln zu setzen und für die Forschung festen Boden zu gewinnen hofft“.

Wie trefflich es L. gelungen ist, mit der Beschreibung der Gräber von Selzen einen festen Punkt für die deutsche Archäologie zu gewinnen, zeigt am besten ein Blick auf den damaligen traurigen Stand derselben. Die deutsche [723] Alterthumsforschung, welche nach den Freiheitskriegen unter den Anregungen des Freiherrn vom Stein und unter dem Einfluß der romantischen Schule neuen Aufschwung genommen und in den weitesten Kreisen des Volkes rege Pflege gefunden hatte, zeigte bald dasselbe kleinliche Bild wie das zerstückelte deutsche Vaterland selbst. Die wissenschaftlichen Organisationen, Museen und Alterthumsvereine umfaßten nur kleine Gebietstheile, die Universitäten kümmerten sich um diese Dinge gar nichts oder verstrickten sich in unfruchtbare, theoretische Streitigkeiten, wie die Keltenfrage. So blieben die einzelnen archäologischen Beobachtungen auf kleine Territorien beschränkt und entbehrten fast vollständig größerer gemeinschaftlicher Gesichtspunkte. Selbst die größeren Handbücher, wie F. Kruse, Deutsche Alterthümer 1824 f., G. Klemm, Handbuch der germanischen Alterthumskunde 1836, Chr. Wagner, Handbuch der vorzüglichsten in Deutschland entdeckten Alterthümer aus heidnischer Zeit 1842 vermochten nicht, von erhöhter Warte aus irgendwelche Ordnung in das Gewirr der Erscheinungen zu bringen. Nur von den Nationalmuseen des politisch früher geeinten Nordens, von Männern wie Thomsen und Worsaae in Dänemark, Nilson in Schweden gingen allmählich weiterblickende Ideen aus, wie das sog. Dreiperiodensystem. Theilweise von ihnen angeregt, machten nunmehr auch deutsche Forscher wie Lisch für Mecklenburg, Danneil für die Altmark, K. Wilhelmi für Baden wackere Anläufe zu größerer Zusammenfassung.

Als L. die Gräber von Selzen für die Franken des 6. Jahrhunderts in Anspruch nahm, galten sie nicht wenigen deutschen Gelehrten noch als keltische. Mit seiner Schrift war dieser Verirrung der Todesstoß gegeben, neue Wege waren der germanischen Forschung gebahnt. Bei der Besprechung der Selzener Gräber hatte L. aber auch auf ähnliche Funde in Baden, Baiern, in der Schweiz u. s. w. hingewiesen und die Nothwendigkeit der Beschaffung weiteren Vergleichsmaterials erkannt. „Die Feststellung der charakteristischen Kennzeichen der Alterthümer dieser früher so dunkeln Periode“, schreibt er damals an Wilhelmi, „welche nur auf dem Wege vergleichender Prüfung und Zusammenstellung möglich wurde, ist es vorzüglich, welche mir aufs Klarste die Nachtheile der bisherigen Vereinzelung der archäologischen Bestrebungen in Deutschland wieder zur Anschauung bringt, und die Ueberzeugung von der unbedingten Nothwendigkeit einer übersichtlichen Betrachtung unserer nationalen Alterthümer bestärkt“.

Dieser Gedanke von der Nothwendigkeit der Heranziehung umfassenderen Vergleichsmaterials sollte das Saatkorn zu herrlicher neuer Frucht werden. Aus ihm heraus faßte L. zusammen mit Wilhelmi den Plan, eine vergleichende Zusammenstellung der „Grabalterthümer der Burgunden, Franken und Alamannen aus der ersten Zeit des Christenthums“ zu geben, ein Werk, das nach weit vorgeschrittenen Vorarbeiten leider an dem Mangel einer genügenden Zahl von Subscribenten scheiterte. Im Verfolg jenes Gedankens regte er einen allgemeinen Austausch von Nachbildungen der wichtigsten Alterthumsfunde unter den deutschen Museen an, – ein Unternehmen, das beim Fehlen der nöthigen technischen Kräfte zwar gleichfalls nach kurzer Zeit vollständig einschlummerte. Indessen führten diese mißglückten litterarischen und praktischen Versuche mit Nothwendigkeit zur Erkenntniß, daß der zusammenfassenden wissenschaftlichen Behandlung unserer nationalen Alterthümer die Gründung einer Centralstelle vorausgehen müsse, in welcher die hauptsächlichsten Funde und Typen von Deutschland und seinen Nachbarländern nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten geordnet der Forschung zu vergleichenden Studien vorgelegt würden. Da die Beschaffung von Originalen in dem gedachten Umfange mit [724] Recht als ausgeschlossen erschien, so konnte nur an naturgetreue Nachbildungen in Metall oder colorirtem Gips gedacht werden.

Der damals allenthalben rege, namentlich auch von Mainz aus lebhaft geförderte Wunsch eines engeren Zusammenschlusses der Geschichts- und Alterthumsvereine Deutschlands legte L. und seinen Mainzer Mitarbeitern den Gedanken nahe, als Stütze und Rückhalt für ein solches neu zu gründendes Central-Museum die deutschen Alterthumsvereine zu gewinnen. Er erreichte es auch, daß nach Gründung des Gesammtvereins der deutschen Geschichts- und Alterthumsvereine auf den Versammlungen zu Dresden und Mainz 1852 das neue römisch-germanische Central-Museum mit dem Sitze in Mainz unter die Auspicien des Gesammtvereins gestellt wurde, wie auch die gleichzeitig begründete Schwesteranstalt, das Germanische Museum in Nürnberg, das die Pflege der germanischen Cultur des christlichen Mittelalters und der Neuzeit übernehmen sollte. Das römisch-germanische Central-Museum in Mainz erhielt die Aufgabe „zur Aufhellung der Vorgeschichte Deutschlands die zerstreuten Denkmale dunkler Vorzeit bis zur Zeit Karl’s des Großen in plastischen Nachbildungen in Mainz zu vereinigen“. Die Wahl der Rheinlande und insbesondere der Stadt Mainz ergab sich einmal aus den bisherigen Bestrebungen Lindenschmit’s, dann aber aus der Erwägung, „daß in keiner andern Gegend sich römische und deutsche Geschichte mehr berühren und durch classische Quellen mehr verbunden sind, an keinem Orte sich römische und germanische Alterthümer mehr mischen und überlagern“. Nachhaltige Unterstützung des für die gesammte Alterthumskunde so hochwichtigen Zweckes glaubte L. aus Staatsmitteln erwarten zu dürfen. „In unserer festen Ueberzeugung“, schreibt er damals, „daß sich durch Begründung des römisch-germanischen Central-Museums der kürzeste, ja einzige Weg eröffnet, auf welchem unsere Alterthumskunde aus dem Bereich unfruchtbarer, stets bestrittener Theorieen zu einem freien und sicheren Ueberblick zu gelangen vermag, glauben wir die Hoffnung hegen zu dürfen, daß eine so reichen Erfolg versprechende Angelegenheit bei dem vaterländischen Sinne und der hohen Einsicht unserer Regierungen eine geneigte Theilnahme und erforderliche Unterstützung finden werde“.

Allein in dieser Hoffnung auf kräftige finanzielle Förderung seines Unternehmens durch die deutschen Regierungen hatte sich L. getäuscht: nur die hessische Landesregierung bewilligte jährlich 500–700 Gulden und einige deutsche Fürsten, die Könige von Preußen und Sachsen, später auch der Kaiser von Oesterreich gewährten kleine Zuschüsse. Da es auch dem Verbande der deutschen Geschichts- und Alterthumsvereine an Mitteln zur Unterstützung gebrach, war das neue Museum, abgesehen von der erwähnten Unterstützung der Fürsten und des hessischen Staates, auf freiwillige Beiträge namentlich von Mainzer Bürgern und auf die Verkäufe von Nachbildungen und Modellen angewiesen. Da begannen für den Leiter des Museums Jahre schweren Ringens, in denen allein seine hohe Begeisterung und seltene Aufopferungsfähigkeit, andererseits die durch den Künstlerberuf erworbenen technischen Fertigkeiten, auch die Unterstützung einiger Freunde und Mitarbeiter, namentlich des damaligen Präsidenten des Localausschusses, Geh. Medicinalrath Dr. Wenzel, bei zähestem Asharren zu schließlichem Siege führten. Die Räumlichkeiten zum neuen Museum wurden zwar von der Stadt Mainz zur Verfügung gestellt, für die innere Einrichtung, die Kosten der Werkstätte etc. mußte das Museum selbst mit seinen geringen Einkünften aufkommen. Manches entbehrliche Hausgeräthe, Tische, Stühle, Gestelle wanderten aus der Wohnung des Directors in die Bureaus und Werkstätten des Museums, die nothwendigen Ausstellungsschränke wurden von Freunden des Museums gestiftet. [725] Jahrelang colorirte der Director eigenhändig die Gipsabgüsse und verzichtete auf jegliches Gehalt.

Aber trotz all dieser Schwierigkeiten zeigte die Vermehrung und die wissenschaftliche Nutzbarmachung der Sammlungen die erfreulichsten Fortschritte. Nach 10jährigem Bestehen waren schon 3850 Nachbildungen und Modelle in den Werkstätten des Museums hergestellt und von dem seit 1858 erscheinenden großen Katalogwerk des Museums: „Die Alterthümer unserer heidnischen Vorzeit“ waren 12 Hefte ausgegeben. Eine übersichtliche Zusammenfassung der bisherigen Forschungen und Ansichten Lindenschmit’s brachte das Buch: „Die vaterländischen Alterthümer der fürstlich Hohenzollern’schen Sammlung in Sigmaringen“ (1860). Hatten öffentliche wie private Sammlungen anfänglich nur zögernd und in geringer Zahl ihre Schätze zur Nachbildung dem Mainzer Museum zur Verfügung gestellt, so zeigten sie mit zunehmender Erkenntniß der Bedeutung und Nützlichkeit des neuen Unternehmens immer mehr Entgegenkommen, ja machten sogar gelegentlich Schenkungen von Originalfunden. Auch ausländische Museen begannen die Bestrebungen Lindenschmit’s zu fördern. Einheimische und auswärtige Gelehrten besuchten tagelang die Sammlungen in Mainz, und Kaiser Napoleon III. erbat Lindenschmit’s Rath und Unterstützung, als er im J. 1861 in St. Germain en Laye ein Museum nach dem Muster der Mainzer Anstalt errichtete. Die Universität Basel verlieh ihm im J. 1862 den Doctortitel honoris causa.

Schon 1855 war an L. durch Freiherrn v. Aufseß die verlockende Aufforderung einer Verschmelzung des Mainzer und Nürnberger Museums ergangen, sie wurde 1866/67 durch Director Essenwein dringend erneuert. Nach reiflicher Ueberlegung wies sie L. zurück, indem er mit Recht befürchtete, daß ein Unternehmen mit so selbständigen und eigenartigen Aufgaben, wie sie das römisch-germanische Central-Museum hat, als Anhängsel der großen Nürnberger Anstalt bald der Verkümmerung anheimfallen würde.

Nach 20jähriger Thätigkeit war das erste große Ziel erreicht: im Winter 1871/72 beschloß der deutsche Reichstag und Bundesrath dem Museum, welches schon 1870 das Recht einer juristischen Person erlangt hatte, aus Reichsmitteln einen jährlichen Zuschuß von 3000 Thalern zu gewähren. Mit diesem Beschluß der höchsten Körperschaften des Reichs war die Anerkennung des römisch-germanischen Central-Museums als einer nationalen, im Dienste der vaterländischen Forschung stehenden Anstalt gewonnen. Jetzt erst konnte der Leiter des Museums sein Amt als Zeichenlehrer niederlegen und sich gegen ein festes Gehalt ausschließlich den Aufgaben des Museums widmen. Im J. 1877 wurde der Zuschuß des Reiches in richtiger Würdigung der Bedeutung des Museums auf 15 000 Mark erhöht.

Seit Mitte der 60er Jahre hatte L. begonnen, in wissenschaftlichen Zeitschriften, wie in der Zeitschrift des „Vereins zur Erforschung der rheinischen Geschichte und Alterthümer in Mainz“, im „Archiv für Anthropologie“, welche beide Zeitschriften er begründen half, im „Globus“ u. s. w., zu schwebenden archäologischen Streitfragen, nicht selten in scharfer polemischer Weise, Stellung zu nehmen. Von den paläolithischen Thierzeichnungen auf den Knochen der Thayinger Höhle, dem neolithischen Gräberfeld am Hinkelstein bei Monsheim, den Pfahlbautensiedlungen bis herab zu den merovingischen Alterthümern von Schleitheim und Oberflacht gibt es keine Culturstufe, der er nicht mehr oder weniger eingehende Besprechungen gewidmet hätte. Seine weiten, allem Schematismus abholden Gesichtspunkte haben großentheils heute noch Geltung, wenn auch der heutigen Forschung das inzwischen gewaltig vermehrte Fundmaterial weit tiefere Einblicke in den Zusammenhang der Dinge und viel [726] feinere Gliederung im Einzelnen gestattet. Besonders lebhaftes Interesse widmete er der sog. Bronzefrage, der Beurtheilung der nordischen Bronzecultur und des von nordischen Gelehrten aufgestellten Dreiperiodensystems. Wenn er in der Ablehnung des letzteren auch zu weit gegangen ist, so kann er doch das unbestreitbare Verdienst für sich in Anspruch nehmen, der drohenden Schablonisirung jenes Princips wirksam entgegengearbeitet und gegenüber der Annahme einer einheimischen nordischen Bronzeindustrie zuerst mit großem Nachdruck auf die Cultur und Handelsbeziehungen des Nordens mit Italien und Griechenland hingewiesen zu haben. Auch in den „Alt. unserer heidnischen Vorzeit“, von welchen 1869 der 2., 1881 der 3. Band abgeschlossen war, trat dieser Gesichtspunkt immer mehr hervor. In der Vorrede zu dem 3. Bande (1871) faßt er, sich zugleich gegen Entstellungen wendend, seine Anschauungen dahin zusammen: „Nichts ist unbegründeter, als mir die Absicht beizulegen, alle Bronzen nordischen Fundorts auf etruskischen Ursprung zurückzuführen. Meiner wiederholt ausgesprochenen Ueberzeugung nach sind bei dem Import von Erzgeräthen nach der Mitte und nach dem Norden unseres Welttheils alle Culturvölker des Mittelmeerbeckens betheiligt, je nach der Zeit, in welcher sie, der historischen Ueberlieferung gemäß, sich im Besitz einer bedeutenden Metallindustrie befanden“. Leider war L. nicht in der Lage, seine auf Grund recht unzulänglichen Materials gewonnenen Ansichten über die Einwirkung der Culturen des Südens und Südostens auf unsere nationalen Alterthümer durch eigenes Studium der Museen in den classischen Ländern zu vertiefen und durch Vorlegung zuverlässigerer Beweisstücke eingehender zu begründen. Angesichts des im Süden aufgehäuften Fundmaterials würde er bei seinem feinen und sicheren Formengefühl zweifelsohne das Altitalische (im engeren Sinne) und Griechische aus der Masse des Etruskischen unterschieden haben, ein Fortschritt, welcher der neueren italisch-classischen Forschung vorbehalten blieb. Aber seine Ideen über den Einfluß der Culturen des Südens auf die des mittleren und nördlichen Europa erwiesen sich trotz alledem als bahnbrechend.

Diese rege Betheiligung an den verschiedensten Problemen der deutschen Archäologie kam in erster Linie dem wissenschaftlichen Ausbau des Centralmuseums selbst zu gute, da sie eine zielbewußte und zweckmäßige Auswahl der nachzubildenden Gegenstände nach streng wissenschaftlichen Gesichtspunkten gewährleistete. Am Anfange traten allerdings die Entwicklungsreihen einzelner Denkmäler-Gattungen etwas zu stark in den Vordergrund, doch war dies zum Theil auch der Abneigung mancher Museumsverwaltungen zuzuschreiben, größere Fundcomplexe für längere Zeit dem Mainzer Museum zur Nachformung zu überlassen. Allmählich aber kamen die geschlossenen Funde immer mehr zur Geltung, die gerade in ihrer Gesammtheit die wichtigsten chronologischen und culturgeschichtlichen Aufschlüsse bieten. Schon nach wenigen Jahrzehnten vereinigte das Mainzer Central-Museum ein auserlesenes und wohlgeordnetes Nachbildungsmaterial, welches die Entwicklung der gesammten deutschen Cultur von den ältesten Zeiten bis in das frühe Mittelalter nicht nur in den wichtigsten Umrissen vorführte, sondern auch in den verschiedenartigsten localen Schattirungen deutlich erkennen ließ und für die wichtigeren Probleme der deutschen Archäologie ein Studienmaterial bot, wie es niemals aus Büchern oder einzelnen Museen gewonnen werden konnte. Wollte die Schöpfung Lindenschmit’s in erster Linie der deutschen Alterthumsforschung ein umfassendes und concentrirtes Arbeiten ermöglichen, so bot sie aber auch nicht zu unterschätzende allgemeinere Hülfsmittel zur Erziehung des deutschen Volkes, namentlich durch die Herstellung von Modellen, die heute kaum in [727] einer größeren Sammlung oder in einer besser dotirten höheren Lehranstalt fehlen. Die prächtigen Funde römischer Originalwaffen und zahlreicher Grabsteine mit Darstellung römischer Krieger, die mit Recht den Stolz der Sammlungen des Mainzer Alterthumsvereins bilden, regten L. frühzeitig zu eindringendem Studium der römischen Bewaffnung an. Diese Arbeiten verdichteten sich einerseits zu der viel benützten Schrift „Tracht und Bewaffnung des römischen Heeres während der Kaiserzeit“ (1882), andererseits führten sie zur Erstellung der allbekannten Modelle des römischen Legionärs und der verschiedenartigen römischen Waffen. Diesen schlossen sich dann später noch das Standbild eines fränkischen Kriegers und Modelle fränkisch-alamannischer wie gallischer Waffenstücke an, Modelle, die der heranwachsenden Jugend und weiten Laienkreisen tausend Mal anschaulichere und eindringlichere Vorstellungen von den alten Römern und Germanen als alle Belehrungen und Abbildungen vermitteln.

Die von L. geschaffenen Werkstätten, aus welchen diese Modelle hervorgingen, dienten aber nicht allein diesen Zwecken der allgemeinen Belehrung und der Vermehrung des Central-Museums selbst, sondern sie wurden auch alljährlich für viele kleinere deutsche Sammlungen segensreich, indem sie die oft in trostlosem Zustande der Erde entnommenen Alterthümer mit unendlicher Mühe meist kostenloser Wiederherstellung und Conservirung unterzogen.

Im J. 1880 ließ der nunmehr 71 Jahre alte, doch jugendfrische Forscher die erste Lieferung seines „Handbuchs der deutschen Alterthumskunde“ erscheinen, dessen 1. Band 1889 abgeschlossen vorlag. Derselbe behandelt die jüngste Periode der deutschen Vorzeit, die Alterthümer der Merovingischen Zeit, der 2. Band sollte die römischen, der 3. die vorrömischen Alterthümer bringen. Lindenschmit’s strenger historischer Sinn sträubte sich nämlich dagegen, nach dem gewöhnlichen Schema von den dunkleren älteren Zeiträumen zu den jüngeren, von dem Lichte der Geschichte getroffenen vorzudringen, sondern hielt es für richtiger, von den gesicherten Erscheinungen aus rückwärts zu schließen. Leider führten die heftigen Angriffe, welche die Einleitung dieses Bandes gegen die Sprachforscher und die nordische Alterthumswissenschaft enthält, bezüglich der indogermanischen und Keltenfrage und des Dreiperiodensystems, namentlich von Seiten des Germanisten Müllenhoff zu leidenschaftlichen Entgegnungen und zu ungerechter Beurtheilung auch des Haupttheils seines Werkes. Dieser bietet eine systematische Darstellung der Alterthümer der Westgermanen merovingischer Zeit nach den Gesammt-Gräberfunden und den litterarischen Quellen, und gewährt tiefe, bis dahin unbekannte Einblicke in das öffentliche und häusliche Leben der Germanen, ihr Aussehen, ihre Tracht, Bewaffnung u. s. w. Wenn sich L. auch auf die Germanen des Westens beschränkt und die merovingische Zeit noch als ein geschlossenes Ganzes betrachtet, das sich heute bereits in mehrere Entwicklungsstufen zerlegen läßt, so hat er doch mit jenem Werke eine abgeschlossene und in ihrer Art vollkommene Leistung geschaffen, die für alle Zeiten ein wichtiger Fundamentstein in dem Aufbau unserer nationalen Alterthümer bleiben wird. Seine 1889 erfolgte Ernennung zum ordentlichen Mitglied des kaiserl. deutschen archäologischen Instituts dürfte wol diese Anerkennung enthalten.

Im J. 1881 erlitt L. einen Schlaganfall und kränkelte seitdem. In unermüdlichem Arbeitsdrang blieb er zwar seinen geliebten Sammlungen und der litterarischen Thätigkeit treu, führte auch den 4. Band der „A. h. V.“ bis zur 8. Lieferung weiter, aber die Vollendung seines Handbuches sollte er nicht mehr erleben: am 14. Februar 1893 verschied er nach kurzem Krankenlager, im Alter von 84 Jahren.

[728] Man hat L. bisweilen den Vorwurf gemacht, daß er seine Anstalt und seine Erfahrungen zu wenig in den Dienst der topographischen Forschung, wie der vom Gesammtverein schon 1852 angeregten Untersuchung des römischen Limes, gestellt habe. Aber die Zurückhaltung eines Mannes, der bei Selzen geradezu mit Feuereifer gegraben hatte, war in gewichtigeren Umständen begründet als in der Gebundenheit seiner Stellung oder gar in einer gewissen Bequemlichkeit. Sie beruhte auf der klaren Erkenntniß, daß die Entwicklung seiner Schöpfung sich auf einer anderen Linie bewegen müsse, als die der topographischen Forschung, und das beide Bestrebungen, direct mit einander verquickt, zu keinen vollkommenen Leistungen führen könnten, wenn sie sich auch gegenseitig möglichste Unterstützung zu bieten hätten. In dieser selbst auferlegten Beschränkung und in dem energischen Losgehen auf das klar erkannte Hauptziel kann geradezu der Schlüssel der bewunderungswürdigen Erfolge Lindenschmit’s gefunden werden, namentlich in jenen schweren Zeiten der 50er und 60er Jahre.

An und für sich von bescheidenem Wesen, das jedes Hervortreten aus seinem wissenschaftlichen Wirkungskreise, sowie jede reklameartige Anpreisung vermied, war er doch ein tapferer und energischer Verfechter seiner Ideen, beseelt von zähester Beharrlichkeit gegen allen Widerstand. „Auf an die Arbeit“ heißt eine der ersten Lithographien des jungen Künstlers Lindenschmit, und „Auf an die Arbeit“ ist die Devise des Forschers Lindenschmit geblieben, die er wie nur Einer zu Ehren und Frommen des deutschen Volkes und der deutschen Wissenschaft ausgeübt hat.

Vgl. H. Arnold, Beilage z. Allg. Ztg. 1893, Nr. 113. – R. Adamy, Quartalbl. d. hist. Ver. f. d. Großh. Hessen, N. F. I, Nr. 9. – L. Lindenschmit, Beiträge z. Gesch. des röm.-germ. Central-Museums in Mainz in der Festschrift zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens d. Anstalt 1902.