Zum Inhalt springen

ADB:Lorentz, Paul Günther

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Lorentz, Paul“ von Ernst Wunschmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 76–78, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lorentz,_Paul_G%C3%BCnther&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 04:28 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Loeper, Gustav von
Nächster>>>
Lorenz, Christian
Band 52 (1906), S. 76–78 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Paul Günther Lorentz in der Wikipedia
Paul Günther Lorentz in Wikidata
GND-Nummer 117214930
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|52|76|78|Lorentz, Paul|Ernst Wunschmann|ADB:Lorentz, Paul Günther}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117214930}}    

Lorentz: Paul Günther L., Forschungsreisender, geboren zu Kahla in Sachsen-Altenburg am 30. August 1835, † zu Concepcion del Uruguay in der Provinz Entre Rios in Argentinien am 6. October 1881. Vom 12. Lebensjahre an auf dem Gymnasium zu Altenburg vorgebildet, kam L. 1851 zu einem Hamburger Apotheker in die Lehre, kehrte jedoch schon nach einem Jahre wieder auf das Gymnasium zurück, das er nach bestandener Reifeprüfung Ostern 1855 verließ. Zunächst wandte er sich dem Studium der Theologie erst in Jena, dann in Erlangen zu und bestand die Prüfung als Candidat des Predigtamtes. Der Einfluß aber, den Schleiden in Jena und Schnizlein in Erlangen auf den von Hause aus für die Naturwissenschaften begeisterten L. ausübten, veranlaßten ihn, seinen Beruf zu wechseln und so bezog er Ostern 1858 die Universität München, um sich der Botanik zuzuwenden. Er wurde bald Assistent Nägeli’s und erlangte 1860 auf Grund einer die Biologie der Laubmoose behandelnden Dissertation die Doctorwürde und die Zulassung als Privatdocent. Seine Hauptarbeit galt den Moosen, von denen er auf verschiedenen Reisen in den Schwarzwald, nach den bairischen und österreichischen Alpen, nach der Schweiz, Oberitalien, Norwegen, Schweden und Lappland reiches Material gesammelt hatte. Außerdem gelangte er durch Schenkung in den Besitz des umfangreichen Sendtner’schen Moosherbars. Die gewonnenen Resultate verwerthete L. litterarisch in einer Anzahl von Publicationen, die sich auf Entwicklungsgeschichte, Anatomie, Systematik und geographische Verbreitung der Moose beziehen und während der Jahre 1860–1869 in verschiedenen Zeitschriften, wie der Flora, Botanischen Zeitung, Pringsheim’s Jahrbüchern, sowie in den Verhandlungen der Wiener zoologisch-botanischen Gesellschaft und den Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Berlin erschienen sind. Ferner gab er 1865 ein „Bryologisches Notizbuch“ und ein „Verzeichniß der europäischen Laubmoose“ heraus. Eine Aufzählung der bryologischen Arbeiten Lorentz’ gibt der unten angeführte Nachruf Stelzner’s.

Das Jahr 1870 gab dem Leben von L. eine entscheidende Wendung. Infolge eines 1869 von dem National-Congreß der Republik Argentinien gefaßten Beschlusses sollte der schon seit 1622 gegründeten Universität Cordoba, die bis dahin nur aus einer juristischen Facultät bestanden hatte, eine solche für die Naturwissenschaften angegliedert und mit deutschen Professoren besetzt werden. Die Professur für Botanik erhielt auf A. de Bary’s Empfehlung L. Im September 1870 schiffte er sich nach Buenos-Aires ein und kam gleichzeitig [77] mit dem Hallenser Chemiker M. Siewert und dem Mineralogen und Geologen Stelzner in Cordoba an. Die Besetzung der übrigen naturwissenschaftlichen Lehrstühle verzögerte sich bis 1873. Die Zwischenzeit bis zur endgültigen Ausgestaltung der Facultät benützten L. und Stelzner zu gemeinschaftlichen Ausflügen nach der Sierra von Cordoba und in die Gebirge von Tucuman und Catamarca, von wo L. Ende Mai 1872 mit reichen Pflanzenschätzen zurückkehrte. Eine fragmentarische Schilderung der Reiseergebnisse veröffentlichte L. später als „Reiseskizzen aus Argentinien“ und „Tagebuchblätter“ in der La Plata-Monatsschrift 1875 und 76. Das Pflanzenmaterial aber, soweit es die Gefäßpflanzen betrifft, sandte er zur Bearbeitung an A. Grisebach nach Göttingen und behielt sich selbst nur die Bearbeitung der Moose und Flechten vor, da die noch unfertigen Zustände an der Akademie, besonders der Mangel an litterarischen Hülfsmitteln, ihm selbst eine eingehende Untersuchung erschwerten. So entstand der Grundstock zu den 1874 von Grisebach (s. A. D. B. XLIX, 551) herausgegebenen „Plantae Lorentzianae“ (Abhdlgn. der Kgl. Gesellsch. d. Wissensch., Göttingen, XIX). Dazu kam noch weiteres Material, das L. auf einer zweiten, ein halbes Jahr später unternommenen größeren Expedition gesammelt hatte, und zwar diesmal in Begleitung seines inzwischen aus Europa eingetroffenen Assistenten Dr. Georg Hieronymus. Die beiden Forscher drangen, wieder von Tucuman ausgehend, nordwärts bis in die Anden von Bolivia, zum Theil auf äußerst beschwerlichen Wegen und kehrten über Oran und Salta nach sechszehnmonatlicher Abwesenheit im Februar 1874 nach Cordoba zurück. Die botanische Ausbeute von ungefähr 2000 Gefäßpflanzen wurde gleichfalls an Grisebach geschickt und fand durch diesen ihre Verwerthung in den 1879 erschienenen „Symbolae ad Floram Argentinam“, während die Flechten v. Kremplhuber in München und die Laubmoose Karl Müller[WS 1] in Halle bearbeiteten. Außerdem brachten die Reisenden gegen 2000 zoologische Objecte für das in Cordoba zu gründende Museum mit und in ihren Tagebuchblättern eine Fülle geographischer und ethnographischer Daten, sowie viele Temperatur- und Höhenmessungen nebst landschaftlichen Skizzen, die zusammen als Grundlage für einen ausführlichen Bericht über die Expedition dienen konnten, wenn L. die dazu nöthige Muße gefunden hätte. Dies war aber leider nicht der Fall. Obwol nämlich die naturwissenschaftliche Facultät der Universität oder, wie sie officiell hieß, die Academia de ciencias exactas, durch die mittlerweile erfolgte Besetzung sämmtlicher Lehrstühle lebensfähig gewesen wäre, so kam es doch nicht zu ihrer Constitution. Politische Wirren aus Anlaß der Neuwahl des Präsidenten der Republik brachten die Widersacher der Akademie zu Macht und Einfluß und hatten schließlich die Amtsenthebung der sechs damals fungirenden deutschen Professoren zur Folge. Allerdings wurden vier derselben, als nach einigen Monaten Ruhe im Lande eingetreten war, wieder in ihre Aemter eingesetzt, zwei dagegen, darunter L., jedoch nicht, weil deren Lehrstühle bereits anderweitig besetzt waren. Doch wurde letzterem unter Zusicherung seines früheren Gehaltes die Wahl einer Docentenstelle an einer anderen Lehranstalt der Nationalregierung freigestellt. Er wählte die damals gerade unbesetzte Professur für Naturwissenschaften am Colegio Nacional zu Concepcion del Uruguay in der Provinz Entre-Rios, da sich ihm durch deren Annahme eine günstige Gelegenheit zum Studium der Vegetationsverhältnisse des östlichen Argentiniens bot, nachdem er das westliche vorher kennen gelernt hatte. Ehe er indessen an seinen Bestimmungsort übersiedelte, wurde er von einer schweren Pockenerkrankung befallen, die ihn wochenlang ans Lager fesselte und ihm erst 1875 gestattete, in seinen neuen Wirkungskreis einzutreten. Hier fühlte [78] sich L. zuerst sehr vereinsamt und namentlich in wissenschaftlicher Hinsicht unbefriedigt wegen des gänzlichen Mangels an litterarischen Hülfsmitteln und jeder geistigen Anregung. Dazu traten als Nachwehen der früheren Reisestrapazen, der seelischen Aufregungen und der schweren Krankheit körperliche Leiden, die seine Stimmung ungünstig beeinflußten und ihn veranlaßten, sich, wenn auch schweren Herzens, von seinen Lieblingen, den Moosen, zu trennen, die er, um sie für die Wissenschaft nutzbar zu machen, anderen Forschern zur Bearbeitung übergab. Endlich drückten ihn auch pecuniäre Sorgen. Er hatte die letzte große Reise auf eigne Kosten unternommen in der Erwartung auf ihre Rückerstattung durch die Regierung. Darin sah er sich zunächst getäuscht und gerieth so in Schulden. Seine einzige Erholung waren kleinere Excursionen in die nähere Umgebung von Concepcion und während der Ferienzeit größere Reisen innerhalb der Provinz, die er im Laufe der Sommermonate 1875/76 und 1876/77 nach allen Richtungen durchkreuzte. Eine Schilderung solcher Reisen veröffentlichte L. unter dem Titel: „Ferienreise eines argentinschen Gymnasialschullehrers mit seinen Schülern“ in der La-Plata-Monatsschrift von 1876. Allmählich fand er auch wieder die Ruhe zu größeren Publicationen. So verfaßte er für das Werk von Richard Napp, „Die Argentinische Republik“ (Buenos-Aires 1876), das im Auftrage des Centralcomités für die Philadelphia-Ausstellung hergestellt wurde, eine von 2 Karten begleitete Darstellung der Vegetationsverhältnisse des Landes und schrieb 1878 „La Vegetacion del Noreste de la Provincia de Entres-Rios“, eine nach Grisebach’s Aussage an neuen Thatsachen reiche Schrift, als Erläuterung zu einem von ihm angelegten Herbar, das die Regierung auf die Pariser Ausstellung schickte. Um seine Rehabilitirung auch vor der Welt auszusprechen, forderte die Regierung L. auf, an einem unter General Roca organisirten Expeditionszug gegen die die patagonische Grenze Argentiniens beunruhigenden Indianerhorden als wissenschaftlicher Begleiter theilzunehmen. Nach glücklichem Erfolge dieses dreimonatlichen Feldzuges kehrte er im Juli 1879 voll befriedigt von den gewonnenen Eindrücken zurück und schickte einen Bericht darüber nach der Hauptstadt. Durch diese Reise war sein Forschungsdrang aufs neue angefacht worden. Er benutzte die Ferien 1880/81 zu einer zweiten Tour nach der im Süden der Provinz Buenos-Aires gelegenen Sierra Ventana und den Nachbargebirgen, wofür ihm die Mittel bewilligt wurden und zwar diesmal in der Begleitung seiner jungen Frau, einer deutschen Dame, Johanna Franz, mit der er sich im December 1880 vermählt hatte. Wie sein im Botan. Centralblatt Bd. VII, 1881, veröffentlichter vorläufiger Bericht angibt, war dies eine wissenschaftlich ergiebige und auch sonst harmonisch und glücklich verlaufene Reise, aber auch zugleich seine letzte. Denn als ihm das Glück eben anfing zu lächeln, nachdem er, nach langem Harren in den Besitz seiner früheren Reiseauslagen gelangt, seine Schulden hatte tilgen und sich mit seiner Gattin am Ufer des Uruguay ein idyllisches Heim hatte schaffen können, befiel ihn ein schweres Leberleiden, das ihn nach dreiwöchentlichem Krankenlager, im Alter von wenig mehr als 46 Jahren dahinraffte.

A. Stelzner, Nachruf im Bot. Centralbl. 1882, Bd. IX. – K. Müller, Nachruf in „Die Natur“, Halle 1882. Neue Folge, 8. Jahrg., Nr. 5.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Karl Johann August Müller (Müller Hallensis) (1818-1899), Bryologe.