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ADB:Lud, Walther

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Artikel „Lud, Walther“ von Jakob Franck in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 361–365, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lud,_Walther&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 17:32 Uhr UTC)
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Lud: Walther L., Canonicus und Buchdrucker zu St. Dié in Lothringen, geb. 1448 in dem kleinen elsässischen Flecken Pfaffenhofen an der Moder. Ueber seine Jugendjahre und seine Studien geben meine Quellen keine Auskunft, in seinen männlichen Jahren aber stand er in hoher Gunst bei dem Herzoge René II. Dieser wies den 30. December 1477 das Domcapitel von St. Dié an, ihm eine Präbende zu verleihen und den 25. Juni 1484 forderte er diese Körperschaft [362] auf, L. trotz der erhobenen Hindernisse in seinem Canonicate zu schützen, endlich ernannte er ihn 1490 zu seinem Kapellan und Secretär, welch’ letzteres Amt schon vor ihm sein älterer Bruder, Johann, bekleidet hatte; ein anderer Bruder, wenigstens Verwandter, war Nicolaus L. Zu dieser Zeit stand die Stadt St. Dié in den lothringischen Vogesen (Oppidum sancti Deodati, in der heutigen Vulgärsprache „Sankt Didel“) unter kirchlicher Regierung und ihr Domcapitel erfreute sich beträchtlicher Privilegien, es ging unmittelbar theils bei dem heiligen Stuhle, theils bei dem deutschen Reiche zu Lehen, es hatte einen Oberrichter, der sein Amt als bischöflich verwaltete, es war zeitlicher Herr der Stadt sowol als eines Theils des Thals, in welchem die Stadt liegt, seine Gerichtsbarkeit erstreckte sich über diejenigen der Einwohner, welche seine Unterthanen waren und seine Schirmvögte waren die lothringischen Herzoge, die auch mit dem Schutze seiner Besitzungen betraut waren. Ungeachtet dieser günstigen Stellung scheint es aber, daß bis dahin dieses kirchliche Regiment nichts weder für den Unterricht und die Erziehung seines Clerus noch des Volkes gethan hatte, und erst um die Mitte des 15. Jahrhunderts war es, daß auch diese, eine der ersten kirchlichen Körperschaften im Westen der Vogesen, dem Wiederaufleben der Kunst und Wissenschaft sich nicht länger verschließen konnte, hatte sie doch schon 1446 diesem Bewußtsein dadurch Ausdruck gegeben, daß sie zu dieser Zeit einen neuen Büchersaal über dem Kloster der Kathedrale erbauen ließ. Bald darauf zählte sie unter ihren Mitgliedern mehrere gelehrte und wissenschaftlich gebildete Männer: den lateinischen Dichter Pierre de Blarru, Jean Basin de Sandancourt, Verfasser einer Abhandlung über die Kunst, wohlstilisirte Briefe zu schreiben, und dann Walther L. Die uns überlieferten Aufzeichnungen schildern unseren Canonicus sowol beseelt von einem großen Eifer, die kirchliche Frömmigkeit durch neue Feste zu beleben, als auch das Volk durch wohlthätige Institutionen geistlich und leiblich zu unterstützen, vor Allem aber als einen Mann, der den ersten Anstoß zu einer neuen litterarischen Bewegung in jenen Gegenden gegeben hat. Das Capitel, welches bis dahin nicht einmal eine Schule besessen hatte, verlangte und erhielt auf Betreiben Lud’s 1486 vom Papste Innocenz VIII. die Abschaffung zweier Präbenden, deren Einkünfte für den Unterhalt eines Musikmeisters und vier Chorknaben verwendet werden sollten, welche dieser Meister zugleich in den Anfangsgründen der lateinischen Sprache zu unterrichten hatte. Aber damit begnügte sich L. nicht; was ungleich wichtiger war, er rief unter dem Namen eines „Gymnasium vosagiense“ eine gelehrte Gesellschaft (nicht eine Schulanstalt, wie ich Bd. XIII, 488 irrthümlich angegeben habe) ins Leben, deren Mitglieder als vornehmsten Zweck im Auge hatten, sowol gute als wissenschaftliche Bücher in Umlauf zu setzen. Zu dieser Gesellschaft zählten auch der Kosmograph Martin Hylocomylus (Bd. XIII, 488) sowie der Humanist Matthias Ringmann (Philesius), zu den Gönnern aber dieser Societät und ihres Strebens außer anderen der Bischof von Toul, Hugues des Hazardes, der Superior von St. Dié, Louis de Dammartin, der Arzt und Schriftsteller Symphorian Champier (vgl. Allut, Étude biogr. et bibliogr. sur S. Ch., Lyon 1854) und Jean Aluys oder Loys, genannt Crassus Calaber, Secretär von René II. Endlich war es dieser letztere selbst, der die litterarische und wissenschaftliche Liebe seines Großvaters René d’Anjou geerbt hatte und den Gelehrten und namentlich den Geographen seine wirksame Unterstützung angedeihen ließ. Auf seinen Rath ohne Zweifel wendete sich denn auch die Aufmerksamkeit seines Kapellans L. zuerst der Erdbeschreibung zu, wofür gerade damals durch die neuen Entdeckungen auf diesem Gebiete das Interesse erregt war, und so war denn auch der erste Druck, der aus der Presse von St. Dié hervorging, ein geographisches Werk. Denn das zweite Verdienst, das sich L. um die Wissenschaft erwarb, war, daß er 1507 mit Unterstützung des [363] Hylocomylus, Ringmann und Nicolaus L. eine der ersten in Lothringen vorhandenen Buchdruckereien in der genannten Stadt errichtete, eine Officin, die um so mehr unser Interesse verdient, als die in ihr gedruckten Erzeugnisse zu einer so großen Seltenheit gehören, daß selbst die Existenz der Druckerei des Canonicus L. erst in neuerer Zeit bekannt geworden ist. Denn weder der französische Geschichtschreiber D. Aug. Calmet in seinen verschiedenen Werken über Lothringen, noch selbst der obenerwähnte Sommier kennen L. als Buchdrucker und auswärtigen Bibliographen, Panzer, Weller und Hain mitbegriffen, ist er gänzlich unbekannt. Erst Beaupré 1845 sowie Ch. Schmidt 1879 (vgl. unten) ist es gelungen ein helleres Licht über diese Druckerwerkstätte zu verbreiten. Leider hatte dieselbe, wenigstens unter der Vorstandschaft des L., nur einen kurzen Bestand, sie arbeitete nur von 1507–1510, aber um so interessanter sind die, wenngleich wenigen Druckwerke, welche aus ihr hervorgegangen sind, ausgezeichnet durch ihren Inhalt sowol als durch die Schönheit ihrer Typen. Zwar hat Gravier a. a. O. S. 202 von einem Drucke gesprochen, der bis jetzt nicht wieder zum Vorschein gekommen ist, enthaltend die Bulle Pauls II. über die Einsetzung des Festes der Opferung Mariä; auf der Rückseite des letzten Blattes war mit der Feder das Distichon geschrieben:

Post bis quinque sedens alter quem quinque secuntur
 Et tuba cum ludo (si caret orbe) vocor.

nach der Sitte der Zeit ein Räthsel bildend, dessen Auflösung jedoch den Namen des Walther L. ergab, und am Schluß dieses Distichons hatte dieselbe Hand das Ceremonial des Festes beigefügt, das zum ersten Mal den 21. November 1494 zu St. Dié gefeiert wurde. Hieraus hatte Gravier geschlossen, daß diese Bulle ebendaselbst und in demselben Jahre gedruckt worden sei. Aber dieser Annahme stehen die Worte entgegen, deren sich L. in der Vorrede zu seiner Cosmographiae introductio 1507 bediente: „Nobis qui librariam officinam apud Lotharingiae Vosagum in oppido cui vocabulum est Sancto Deodato, ‚nuper‘ ereximus, Ptholomei (sic) libros … recognoscentibus“; Niemand wird aber dieses „nuper“ aus dem Jahre 1507 so interpretiren, daß damit das Jahr 1494 gemeint sei. Die bis jetzt als unzweifelhaft aus dieser Druckerei hervorgegangenen Erzeugnisse sind die fünf folgenden. Das erste, dessen Titel ich ausnahmsweise der Wichtigkeit des Werkes wegen vollständig und buchstäblich copire, ist: „Cosmographiae introductio, cvm qvibvsdam geometriae ac astronomiae principiis ad eam rem necessariis. Insuper quatuor Americi Vespucij navigationes. Vniuersalis chosmographiae descriptio tam in solido quam plano, eis etiam insertis quę in Ptholomęo ignota a nuperis reperta sunt“. (Vgl. den Art. Hylocomylus Bd. XIII S. 488.) Am Ende des Buches findet sich ein Buchdruckerzeichen, von welchem Brunet in seinem Manuel (5. Ausg. II, 316) ein Facsimile gegeben hat: es ist dasselbe zum Theil eine Nachahmung jenes des Straßburgischen Druckers Johann Schott, in welchem jedoch außerdem das lothringische Kreuz, die Initialen S. D. (St. Dié), G. L. (Gaultier Lud), N. L. (Nikolaus Lud) und das Monogramm M. J. (Martin Jlocomylus) sich befinden; das Ganze, versehen mit astronomischen Figuren, umfaßt 52 Blätter. Unter dieser Marke stehen die Worte: „Finitum, VII. Kal Maii Anno supra sesqui millesimum VII“ (1507). Nicht von der Kosmographie (wie Bd. XIII S. 488 irrig gesagt ist), sondern von dieser „Introductio“ glaubte man, daß bis jetzt nur ein einziges Exemplar vorhanden sei, es hat sich aber (Ch. Schmidt S. 399) ein zweites aufgefunden in der Bibliothek zu Schlettstadt. In demselben Jahre noch ließ die Officin ausgehen: „Novus elegansque conficiendarum epistolarum tractatus“, verfaßt von Jean Bafin de Sandancourt, ein Buch, das gänzlich verschollen ist, von dem jedoch der Historiograph Schöpflin einst ein Exemplar besessen hatte. Der dritte Druck erschien [364] den 1. Juni 1509, eine Arbeit des Matthias Ringmann, wozu ihn L. aufgefordert hatte, 32 bezifferte Quartblätter zählend, „Grammatica figurata octo partes orationis, secundum Donati editionem et regulam Remigii ita imaginibus expressae, ut pueri iucundo chartarum ludo faciliora grammaticae praeludia discere et exercere queant“. Eine Nachahmung des „Cartiludium logicae seu logica poetica vel memorativa“ des Thomas Murner, das zu Krakau 1507 gedruckt worden war. Auch dieses Buch ist jetzt, wie es scheint, für immer verloren. Ein Exemplar desselben gelangte aus Schöpflin’s Sammlung in die Straßburger Bibliothek, mit der es zu Grunde ging. Gewidmet war es von L. dem Bischofe Hugues des Hazards und trug ein an den ersteren gerichtetes „Anteloquium“ von Ringmann und am Schlusse las man wörtlich und buchstäblich die Worte: „Est locus in Vogeso iam notus ubique per orbem | A Deodate, tuo nomine nomen habens. | Hic Gualtherus Lud nec non Philesius ipse | Presserunt miris haec elementa typis. | Anno Domini M.D.IX. | Kalen. Junii. Ἐπιτομὴς τῶν ὀϰτοῶ τοῦ λογοῦ μερῶν | τὸ τέλος σὺν ϑεῶ ἁγίω | τοῦ περὶ πνευμάτων“; auf der Rückseite des Titels befand sich ein lateinisches Dekastichon mit einer griechischen Ueberschrift, in welch’ letzterer ohne Zweifel als ein lapsus calami und dann als Druckfehler stehen geblieben war: „δεϰάστιχον πρὸς τοὺς παιδοῦς“. Was der Verf. mit den drei griechischen Zeilen sagen wollte, ist mir und wol auch anderen ein Räthsel.

Einige Zeit nach dem Tode des Herzogs René II. (10. December 1508) hatte Ringmann von dem herzoglichen Rathe Jean Aluys eine von diesem auf jenen verfaßte Lobrede erhalten. Diese wurde gleichfalls in der Officin des L. gedruckt unter dem Titel „Renati secundi Siciliae regis Lotharingiae ducis vita per Johannem Aluysium Crassum Calabrum edita“, 6 Blätter in 4°, zwar ohne Ort und Jahr, aber die Vorrede ist datirt „ex oppido Divi Deodati MDX“ und in dieser sagt Renatus: „eam (vitam) ego mox in officina Gualtherii Ludii, viri optimatis, disseminandam publicandamque … putavi“, außerdem stimmen Papier, Format und Typen vollkommen mit denen der anderen Publikationen des L. überein. Auch von dieser Schrift ist bis jetzt nur ein einziges Exemplar bekannt geworden, das sich wiederum in der Schlettstädter Bibliothek befindet, doch ist dieselbe wiedergedruckt in dem Journal de la Société d’archéologie lorraine, Juin 1875. „C’est là le dernier produit connu de la presse de Saint-Dié“ bemerkt Schmidt a. a. O. S. 124, das ist jedoch ein Irrthum, und ich habe bereits in dem Artikel „Hylocomylus“ einen fünften Druck angezeigt, der eben so unzweifelhaft St. Dié entstammt, weil er auf dem Titel das Druckerzeichen des Klosters trägt. Er ist zugleich um so merkwürdiger, als diese gegen die Katholiken gerichtete Schrift in einem katholischen Kloster gedruckt wurde. Es ist (ich gebe hier den volleren Titel mit Zeilenabtheilung nach T. O. Weigel, Thesaurus Libellorum 1870, Nr. 925); „Defensio Christianorum de Cruce, id est: | Lutheranorum. | Cum pia admonitione F. Thomae Murnar, lutheromastigis, | ordinis Minorum, quo sibi temperet a conuicijs et stultis impugnationibus Martini Lutheri. | Matthaei Gnidii Augustensis. Epistolae item aliquot“ .. o. O., aber mit dem bestimmten Druckjahr 1520, 4°, 12 Bl. Bekanntlich hat sich der Name dieses Verfassers bis jetzt urkundlich als der einer bestimmten Persönlichkeit absolut nicht nachweisen lassen und ist deshalb als ein fingirter anzusehen, vgl. auch Bd. IX, 293–294. Kann aber dieses Buch der Druckerei des Klosters nicht abgesprochen werden, so bleibt es allerdings fraglich, ob im J. 1520 der Gründer derselben, L., noch in deren Besitze war. L. starb zwar erst 1527, in einem Alter von 79 Jahren, aber da er in seinem Testamente vom 18. März 1526 seiner Druckerei mit keinem Worte gedachte, so scheint dies die Vermuthung zu bestätigen, daß er damals nicht mehr Eigenthümer derselben war. Bald nach 1520 aber gelangte das ganze Material sowie die Ausführung [365] von Werken, welche die Klosterdruckerei sich vorgenommen hatte, an den Straßburgischen Drucker Johannes Schott. Nach Gravier a. a. O. S. 208 hätte L. auch gedruckt „un choix de moral tiré de Plutarque, Sénèque et Pétrarque, qu’il répandit avec profusion comme un besoin du siècle“, aber auch diese wie die frühere Angabe des Geschichtschreibers der Stadt hat sich nicht bestätigt. Seit dem Erscheinen der „Defensio Christianorum“ des Gnidius verflossen über 100 Jahre, ehe wieder eine typographische Officin in St. Dié entstand: erst im J. 1625 ließ der Drucker Jacques Marlier daselbst wieder ein Buch in 4° erscheinen: „Recherches de Saintes Antiqvitez de la Vosgue“. Was zum Schluß die übrigen lothringischen Druckereien im 16. und 17. Jahrhundert anbelangt, so hatte als die erste die zu St. Nicolas-de-Port (Niklas-Pfort) bereits 1503, die zu Toul 1505, beide durch Pierre Jacobi, ihre Thätigkeit begonnen, diesen folgten jene zu Verdun durch Nicolas Bacquenois 1560, zu Nancy durch Nicolas Hierosme 1566, zu Pont-à-Mousson 1583 durch Martin Marchant, zu St. Mihiel durch Francois de Bois 1605, zu Epinal 1616 durch Pierre Houion und zu St. Etienne-de-Vandières 1632 durch Gaspard Bernard.

Beaupré, Recherches hist. et bibliogr. sur les commencements de l’imprimerie en Lorraine, 1845, 58–91, 527–532. Lepage, in Bulletin de la Soc. archéol. lorraine, 1855, p. 216 suiv. Gravier, Hist. de la ville épiscopale Saint-Dié, 1856, p. 202–203. Ch. Schmidt, Hist. littéraire de l’Alsace II. (1879), p. 109–132. Sabourin de Nanton, Les commencements de l’imprimerie dans les Vosges, 1865, p. 1–11. Oberlin in le Magasin encyclop. V, 321 suiv.