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ADB:Lutsch, Johannes

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Artikel „Lutsch, Johann“ von Georg Daniel Teutsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 704–707, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lutsch,_Johannes&oldid=- (Version vom 28. November 2024, 09:34 Uhr UTC)
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Lutsch: Johann L., Königsrichter von Hermannstadt und Graf – comes – der sächsischen Nation in Siebenbürgen, geb. am 28. April 1607, entstammte einem Patrizierhaus in Hermannstadt, das der Stadt und der sächsischen Nation wiederholt verdiente Oberbeamte gegeben hatte. Als elfjähriger Knabe besuchte er ein Jahr das Weißenburger Collegium des, vom Fürsten Gabriel Bethlen wieder nach Siebenbürgen gebrachten Jesuitenordens, darauf nach einjährigem Aufenthalt im Vaterhaus, fast zwei Jahre lang, um ungarisch zu lernen, das unitarische Collegium in Klausenburg (1620–22) und vollendete dann bis zum December 1625 seine Vorbereitungsstudien auf dem Hermannstädter Gymnasium. Am Schluß dieses Jahres begann er „die Peregrination in Teutschland“ zuerst durch den Besuch von Wien; mit Kaufleuten zog er von hier nach Linz, nach Augsburg und kam über Ulm nach Tübingen, wo er mit seinem Begleiter Petrus Richelius noch 1625 immatriculirt wurde. Nach kurzem Aufenthalte ging er nach Straßburg, um hier zwei Jahre, während welcher der „gelehrte Doctor theologiae Johannes Schmidt sein sonderlich gut Gönner und Fautor gewesen“, als auf „einer hochberühmten Universität“ seine Studia zu treiben. Nachdem er sie darauf ein halbes Jahr in Marburg fortgesetzt kehrte er über Nürnberg, Regensburg, von hier zu Schiff „neben Linz unter der Brücken durch“, über Wien nach Hause, wo er am 3. Juni 1628 ankam. Durch drei Eheschließungen mit den ersten Familien des Sachsenlandes verbunden, fand er im Dienst seiner Vaterstadt bald Aufnahme in den Rath von Hermannstadt, wurde 1643 Stadthann, 1648 Bürgermeister, 1650 Königsrichter und Graf der sächsischen Nation. Fürst von Siebenbürgen war damals [705] seit Ende des Jahres 1648 Georg Rakozi II., ein Mann voll unruhiger Ehrsucht und eitler Großmachtsträume. Das Land selbst war dem Wesen nach fast ein türkisches Paschalik; es giebt kaum etwas bezeichnenderes, als daß es in den Gesetzen selbst immer wieder das „arme Vaterland“ heißt. Seit 1630 mußten die Fürsten bei dem Antritt ihrer Regierung unter den Wahlbedingungen beschwören, niemals und zu keiner Zeit von der erlauchten Pforte abzufallen, auch nicht zu gestatten, daß das Land abfalle, sondern immer ihre Gunst zu suchen und ihr, wie es sich hiernach gezieme, gehorsam zu sein. Diese Fessel aber war dem Fürsten G. Rakozi II. lästig; gegen den Willen des Sultans überzog er die Woiwoden der Moldau und Walachei mit Krieg und unternahm 1657, den Verlockungen des Königs von Schweden Karl Gustav und seiner eigenen Eitelkeit folgend, einen Feldzug gegen Polen, der ihn sein ganzes Heer kostete. Schwerer noch traf ihn der Zorn des Sultans, der ihn absetzte und dem Land befahl einen andern Fürsten zu wählen, sonst werde der Pascha von Ofen es zu Staub und Asche machen und den Winden heimbefehlen. So dankte Rakozi Ende October 1657 ab, riß aber schon im Januar 1658 das Regiment wieder an sich. Da brachen im Sommer Türken und Tartaren durch den Bozauer Paß in das Land und richteten es durch Mord und Raub, durch Brand und Verwüstung so zu, daß die Zeitgenossen ein Bild von der Zerstörung Jerusalems darin sahen. Vor den Mauern von Hermannstadt schlugen die Tartaren den Menschenmarkt auf; um ein Brot und einige Maß Wein konnte man kleine Kinder kaufen. Das drohende Verderben abzuwehren, traten die drei ständischen Nationen, Ungarn, Sekler und Sachsen am 18. August 1658 auf dem Landtag in Großschenk zusammen und sandten den Ständepräsidenten Achatius Bartschai, mit ihm den Sekler Franz Daniel, Königsrichter von Udvarhely, und den im Rath des Fürsten angesehenen Sachsengrafen L. zum Großvezier Mehemed Köprili, der an der Westgrenze Siebenbürgens im Maroschthal stand, bereit zum Einfall, „damit doch dies arme Vaterland nicht funditus mög ruinirt werden“. Als die bestimmten Sendboten vor der schweren Aufgabe sich zögernd entschuldigten, wies „das Land“ auf den Fluch hin, der sie treffen würde, wenn man nicht auch das versuche; vielleicht könne doch dadurch noch etwas gerettet werden. So entschlossen sich die Gewählten zum Wagestück. Am 24. August brach L. nicht ohne ernste Ueberlegung, wider seiner Hausfrau Willen, auf; das Bewußtsein der Pflicht gegen Gott, das Vaterland und die Freunde drängte alle Bedenken in ihm zurück; „ob es mir auch das Leben kosten sollte“, schrieb er freudigen Muthes in sein Tagebuch. Ein junger Rathsmann Mich. Konz, vier Stadtreiter, fünf Trabanten und ein Diener zogen in seinem Gefolge mit. Am 7. Septbr. trafen die siebenbürgischen Sendboten den Großvezier in seinem Lager auf dem Feld vor Jenö; in seidenem Zelt empfing er sie, auf sammtenem Stuhl sitzend, von seinen Großen umgeben; da traten sie vor ihn und küßten ihm „nach türkischer Manier“ das Kleid. Auf des gnädigen Herrn Begehren, sprach Bartschai, seien sie da, zu vernehmen, was er befehlen wolle, daneben des armen Vaterlandes jämmerlichen Zustand anzuzeigen und zu bitten, er solle Befehl thun, daß so grausamer Tyrannei und Verwüstung ein Ende werde. Die Schuld ist euer, sprach der Großvezier rauh, warum habt Ihr Euch nicht nach unserem Befehl gehalten, sondern seid in Eurem Stolz und Eurer Halsstarrigkeit geblieben. Den Vorstellungen der Abgeordneten unzugänglich, riß er Lugosch und Jenö von Siebenbürgen ab und legte dem Land statt der bisherigen 15 000 eine jährliche Steuer von 40 000 Ducaten, zugleich eine Kriegsentschädigung von 500 000 Thalern auf. Auf die Kunde von einem Aufstand in Syrien befahl er allerdings dem Tartarenchan den Abzug aus Siebenbürgen; [706] aber dieser schleppte 18 000 Gefangene von dort mit; 800 Knaben davon machte er dem Großvezier zum Geschenk. Dieser ernannte zu größerer Sicherheit für die Pforte Achatius Bartschai zum Fürsten, bekleidete ihn am 14. September mit dem seidenen Kaftan, reichte ihm den Sammthut mit dem weißen Reiherbusch, gab ihm den Streitkolben in die Hand, setzte ihn auf ein edles Roß und ließ ihm unter dem Klang der Pfeifen, Trompeten und Pauken huldigen. Schon am 16. September trat der neue Fürst, vom Großvezier zum Sohn angenommen, seine Rückreise nach Siebenbürgen an; L. aber, der alle diese Vorgänge in seinem Tagebuch überaus anschaulich erzählt, mußte zurückbleiben; der Großvezier nahm ihn und noch zwei ungarische Adelige, Stefan Váradi und Valentin Silvaschi, als Geiseln des Landes bis zur Erfüllung der Verpflichtung, die er diesem in der schweren Kriegssteuer auferlegt, nach Konstantinopel mit. Der junge Rathsmann Mich. Konz und sein anderes Gefolge begleitete ihn. Am 17. September brach er, von Janitscharen umgeben auf, ging am 21. unterhalb Belgrad auf der von 67 Schiffen getragenen Brücke über die Donau, überstieg jenseits Sofia Ende September die „Steinfelsen“ des Balkans und gelangte durch Philippopel und Adrianopel endlich am 23. October nach Konstantinopel, um nun hier in Hoffen und Bangen seines weiteren Schicksals zu harren. Der Janitscharenaga, unter dessen Aufsicht er auf dem Marsch gestellt gewesen, suchte ihm dies freundlich zu erleichtern, „dieweil ich mit Euch“, sprach er, „auf der Straß von Jenö bis hieher Brot und Salz hab’ gessen“; er sandte ihm Gebäck und Früchte und tröstete ihn mit der Hoffnung auf baldige Befreiung. Auch die sächsische Nationsuniversität war immer bereit mit Geldunterstützung zur Erleichterung seiner Lage und versuchte Kapudschi-Paschas Fürsprache mit reichen Geschenken zu erkaufen. Das Land Siebenbürgen selbst schickte im Januar 1659 mit Sigmund Banffi und zwei anderen Herren Gold und Silber und gemünztes Geld 80 000 Thaler werth als Abschlag an der Kriegsentschädigung nach Konstantinopel; aber hier kamen nur 50 000 Thaler an; ein silberbeladener Wagen, hieß es, sei in Siebenbürgen abhanden gekommen. Der Großvezier ließ die Boten in die „sieben Thürme“ werfen. Wol wurden diese im November freigelassen, aber der Sachsengraf blieb gefangen. Am fernen Meere mußte er hören, wie der böse Dränger Rakozi seine Vaterstadt belagere (December 1659 bis Mai 1660); die Freude über die Fruchtlosigkeit der Angriffe milderte dem patriotischen Mann den Schmerz, daß er noch immer in „dieser Feinde Händen“ war. Doch mußte er durch seine Begleiter, die allmählich scheidend heimkehrten, der sächsischen Universität „Warnung und Ermahnung“ schreiben, „um Gottes Willen an der Port zu halten“, sonst werde kein christlicher Fürst mehr über das Land gesetzt, und Siebenbürgen nicht mehr Siebenbürgen genannt und geheißen werden. In solcher Gemüthsstimmung kam ihm im Sommer 1660 die Kunde, daß seine liebe Hausfrau gestorben sei. Er selbst litt seit Monaten am Fieber; am 17. Novbr. 1661 starb er, ein Opfer der entsetzlichen Zustände Siebenbürgens, das ein Spielball des Zornes der Türken und der landesverderblichen Leidenschaften seiner Fürsten gerade in jenen Jahren in immer tieferes Elend versank, aus dem es, als die Zeit endlich erfüllt war, nur deutsche Waffen mit Oesterreichs Doppeladler retteten. Lutsch’s Grab am Bosporus kennt Niemand mehr, in der Hermannstädter Pfarrkirche aber hingen sie seine Grafenfahne auf, die mit dem Wahlspruch seines Stammes: dulce et decorum est pro patria mori sein Bild und seine That dem späteren Geschlechte in der Erinnerung hielt. – L. hat die wichtigsten Ereignisse seines Lebens, darunter seine Sendung an den Großvezier und seine Gefangenschaft in Konstantinopel selbst niedergeschrieben; dieses „Diarium“, wie es Lutsch’s Sohn, der Hermannstädter Rathsmann Johannes [707] L. († 1703) aus des Vaters Handschrift „herausgezogen“ hat Graf Kemeny in „Deutsche Fundgruben zur Geschichte Siebenbürgens“, Band I, Klausenburg 1839 veröffentlicht. Es enthält einen werthvollen Beitrag zur Kenntniß der siebenbürgischen Zustände und der türkischen Sitten und Gebräuche jener Zeit.

Johann Seivert, Von den Grafen der sächsischen Nation im Großfürstenthum Siebenbürgen – Ungrisches Magazin, Bd. III, Preßburg 1783; Jos. Trausch, Schriftstellerlexikon der Siebenbürger Deutschen, Bd. II, Kronstadt 1870; G. D. Teutsch, Zwei Jahre aus dem Leben Hermannstadts vor zwei Jahrhunderten – Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde. Neue Folge. Bd. X, Hermannstadt 1872.