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ADB:Müller, Johann Jakob

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Artikel „Müller, Johann Jakob“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 635–637, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:M%C3%BCller,_Johann_Jakob&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 04:06 Uhr UTC)
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Müller: Johann Jakob M., Historiker, Professor an der Universität Zürich, geb. zu Wülflingen (Bez. Winterthur) 28. Juni 1847, † zu Zürich 30. Juli 1878. Ein Sohn des Besitzers des Schloßgutes Wülflingen (vgl. Bd. XVII. S. 592), besuchte M. von seinem väterlichen Hause aus das Gymnasium in dem benachbarten Winterthur und wandte sich hernach zur Fortsetzung seiner Studien nach Zürich, an dessen Universität er anfangs philosophische und theologische Vorlesungen hörte. Aber schon von seinen Gymnasialstudien her war M. von lebhaftestem Interesse für das historische Fach erfüllt, und die Anregungen, welche ihm vom Vertreter der universalgeschichtlichen Lehrausgabe, Max Büdinger, zu Theil wurden, bewogen ihn, nachdem er schon ein erstes theologisches Examen abgelegt, ganz zum Studium der Geschichte überzugehen. Als Schüler Büdinger’s betheiligte er sich an den von demselben herausgegebenen, 1868 und 1870 erschienenen „Untersuchungen zur römischen Kaisergeschichte“ (Leipzig), zuerst in Band II., im Anschluß an hinterlassene Bruchstücke Xaver Bossart’s, an der Untersuchung zur Geschichte des Kaisers Antoninus Pius, worauf in Bd. III. die weit umfassendere Quellenforschung: „Der Geschichtschreiber L. Marius Maximus“ folgte. Außerdem aber nahm M. auch an Büdinger’s „Untersuchungen zur mittleren Geschichte“ Theil und steuerte zur Studie seines Studiengenossen und Freundes Karl Dändliker zu Bd. I. (Leipzig 1871) seine Mitarbeit für die Untersuchung: „Liudprand von Cremona und seine Quellen“ bei. Wurden auch Einwände, gegen die Kritik des Marius Maximus durch Höfner, gegen mehrfach allzu subtile Constructionen über Liudprand durch Dümmler (in Bd. 26 der Historischen Zeitschrift, von 1871), gebracht, so hat andererseits der zweite Kritiker eben an dieser Stelle Fleiß und Scharfsinn der Untersuchung vollkommen anerkannt. Inzwischen war M., dem 1870 auf Grund seiner Arbeiten zur römischen Kaisergeschichte die Promotion von der philosophischen Facultät ertheilt worden war, nach Berlin gegangen, um hier insbesondere bei Mommsen seine Studien fortzusetzen; andererseits suchte er sich durch Berichterstattungen über die Ertheilung des historischen Unterrichtes an den preußischen Mittelschulen auf seinen künftigen pädagogischen Beruf vorzubereiten. Nach der Rückkehr in die Heimat trat er die lohnende Aufgabe an, als Lehrer der Geschichte am Lehrer-Seminar [636] des Cantons Zürich, in Küßnach, ein bis dahin zurückgesetztes Fach zur Höhe seiner Geltung zu erheben; ferner habilitirte er sich im Frühjahr 1871 an der philosophischen Facultät, erste Section, der Züricher Hochschule als Privatdocent. Den Habilitationsvortrag über die „Geschichte der prätorianischen Präfectur bis zu Constantin“, eine Probe seiner auch in den Vorlesungen bald sich darlegenden Studien über römisches Staatsrecht, ließ er 1874 nebst einem populärgehaltenen Vortrag über „Staat und Kirche unter Alexander Severus“ in den „Studien zur Geschichte der römischen Kaiserzeit“ (Zürich) erscheinen. Im Herbste 1872 aber, als Büdinger seine Stellung in Zürich mit dem Lehrstuhle in Wien vertauschte, ging M. ganz an die Universität über. Denn während nun der Verf. d. Art., dessen Zuhörer M. selbst noch vor nicht langer Zeit gewesen war, in den einen Theil von Büdinger’s Lehraufgabe eintrat, übernahm M. als Extraordinarius (seit 1875 als Ordinarius) das Fach der alten Geschichte, hielt daneben aber auch von Zeit zu Zeit Collegien über neueste Geschichtsabschnitte, sowie über geschichtsphilosophische Probleme. Außerdem war er an der Leitung des jetzt erst 1873 definitiv gestalteten historischen Seminars mit großer Hingabe betheiligt. Eine nachträgliche Frucht seiner Lehrthätigkeit am Lehrer-Seminar war insbesondere das 1873 zu Zürich mit seinem Freunde Dändliker publicirte „Lehrbuch der allgemeinen Geschichte für höhere Volksschulen“ (Zürich), dessen zweite umgearbeitete Auflage, 1878, Müller’s letzte Arbeit werden sollte. Ferner hatte M. schon auf den Winter von 1871 auf 1872 sich bereit finden lassen, das Actuariat der antiquarischen Gesellschaft (vgl. Bd. XV. S. 567 und 568) zu übernehmen, welches er bis 1877 beibehielt. Als solcher vertheidigte er z. B. die Gesellschaft und deren Ehrenpräsidenten, F. Keller, in energischer Weise gegen die weit über das Ziel gehenden Angriffe L. Lindenschmit’s, wegen der bei den Thaynger Höhlenfunden vorgekommenen Fälschung, in Nr. 2 des Jahrgangs 1877 des „Anzeigers für schweizerische Alterthumskunde“, für welchen er überhaupt in diesen Jahren, seit 1874, f1eißig Beiträge, meist über neue epigraphische Funde, gab, und außerdem schrieb er für Band XVIII. der „Mittheilungen“, als Neujahrsblatt der Gesellschaft für 1875, das Heft: „Nyon zur Römerzeit“. Freilich stellte ihm da der bewährte Epigraphiker Charles Morel in Genf mit Fug wissenschaftlich bewiesene Widerlegungen gegenüber, besonders in der Frage: „Castell und Vicus Tascätium in Rätien“ (in den Commentationes philologae in honorem Theod. Mommseni, S. 151 ff., außerdem gegen „Nyon zur Römerzeit“ in Bd. XX. der Mémoires et documents publiés par la société d’histoire et d’archéologie de Genève die Abhandlung: Genève et la colonie de Vienne sous les Romains). Von anderweitigen Leistungen Müller’s sei noch seine Theilnahme an dem „Jahresbericht über die Fortschritte der classischen Alterthumswissenschaft“ – er referirte über römische Geschichte und Chronologie für 1873 bis 1876 – hervorgehoben. Die Familientradition der geisteskräftigen Mutter hatte M. einer ausgeprägten, wenn auch durchaus nicht leidenschaftlichen demokratischen Auffassung von Anfang an nahe geführt, und wenn er sich im Großen von politischen Kämpfen ferne hielt, so gab er doch 1874 seinen Gedanken auch nach dieser Seite Ausdruck in der kleinen Schrift: „Der Geist der Ahnen oder die Einheitsbestrebungen in der Schweiz vor der helvetischen Revolution“ (Zürich). – Seit 1875 war M. sehr glücklich verheirathet, und seine vielseitige Thätigkeit schien größere Früchte noch für die Zukunft in Aussicht zu stellen. Aber mit Besorgniß sahen die dem unermüdlichen Arbeiter näherstehenden Freunde schon länger voraus, daß dessen körperliche Kraft, an der ein zerstörendes inneres Uebel nagte, immer mehr unterliege. Am Ende des Sommersemesters 1878, dessen Urlaubsmuße den Leidenden hätte herstellen sollen, starb M. nach furchtbaren Schmerzen am Magenkrebs. Die hohe Achtung der Behörden und Collegen, die dankbare Erinnerung der [637] Schüler traten in der Art, wie die Trauertragenden der Leichenfeier des in seiner Heimat Bestatteten folgten, klar zu Tage.

Vgl. von dem Freunde Dändliker den Nachruf im „Pädagogischen Beobachter“, von 1878, Nr. 33–35 (Zürich); ferner Neue Zürich. Zeitg. 1878, Nr. 369, sowie Bursian’s Nekrolog im „Jahresbericht üb. d. Fortschritte d. class. Alterthumswissensch. Bd. XII. (1879), „Nekrolog“ S. 30 u. 31.