ADB:Matthäus, Anton (1601 bis 1654)
Anton M. I. und Neffe des Wilh. M. (s. diesen)[WS 1], kam in seiner Kindheit (1606) mit seinen Eltern nach Marburg, und widmete sich auf dortiger Universität dem Studium der Rechte, worin er hauptsächlich von seinem Vater unterrichtet wurde, „mit dem er wie den Namen, so auch die Gelehrsamkeit und die Kunst der lateinischen Rede gemein hatte“. 1626 zog er mit den Seinen nach Gröningen, wo er – wenn nicht vorher zu Marburg – den Doctorgrad erwarb. Im J. 1628 wurde ihm die Professur für Civilrecht zu Harderwijk in Geldern angeboten; nach längeren Verhandlungen ging er im nächsten Jahre dorthin, und nahm von seinem Lehrstuhle mit einem Vortrage „de pileo“ Besitz. In Harderwijk heirathete er am 13. Februar 1633 Anna Pontanus, die älteste Tochter seines berühmten Collegen Joh. Isaac Pontanus, auf dessen Wunsch der gefeierte Barläus ein schwungvolles Hochzeitscarmen dichtete. Anna’s jüngere Schwester, Helene, verheirathete sich am 8. September 1639 mit Anton’s jüngerem Bruder, dem bereits erwähnten Christoph M., damals Conrector in Harderwijk, einem bekannten Polyhistor, der als geschätzter Professor der Medicin zu Utrecht am 11. Juni 1647 starb. (Näheres über ihn bei J. A. van der Aa a. a. O. S. 390 und 391.) Ein neuer, sehr vortheilhafter Ruf führte Anton M. als ersten Rechtslehrer an das eben errichtete Gymnasium nach Utrecht, bei [618] dessen feierlicher Eröffnung er am 17. Juni 1634 eine Rede hielt: „de juris civilis sapientia contra ejus obtrectatores“, welche der inaugurat. illustris Gymnasii Ultraject. 1634. 4° einverleibt wurde. Ein Harderwijker Chronist bemerkt gelegentlich dieser Berufung: „der Schwiegersohn des großen Pontanus sei nach wenigen Jahren aus Eifersucht Derer von Utrecht an ihr neugegründetes Gymnasium berufen worden, zum tiefsten Bedauern der (Harderwijker) Schule.“ Als die Utrechter Anstalt kurz darauf – im März 1636 – zur Universität erhoben wurde, trat M. in deren juristische Facultät, und wirkte an derselben – wegen seines anziehenden Vortrages von seinen zahlreichen Schülern hoch geschätzt bis zu seinem Tode. Er starb im 54. Lebensjahre und wurde unter großer Betheiligung der Hochschule wie des Rathes mit vielem Pompe bestattet. Die Grabrede hielt Daniel Berkingen, Professor der Beredsamkeit, welcher schon früher des Matthäus Commentar „de criminibus“ in einem guten Gedichte verherrlicht hatte. M. behauptete an der Universität eine hervorragende Stellung; denn sie besaß keinen Lehrer, der an Tiefe des Wissens und gründlicher Kenntniß der Rechte ihm hätte zur Seite gestellt werden können. Seine Zeitgenossen und Verehrer überströmen von begeistertem Lob, sie preisen ihn als Orakel der Jurisprudenz, als Leuchte der Akademie Utrecht, als scharfsinnigen Deuter der Rechte, und fassen ihr Urtheil in dem Satze zusammen: Glücklich der Mann von dem man sagt: „Nicht blos für die Wissenschaft und den Staat – hauptsächlich für den beklagenswerthesten Theil der Menschheit war sein frühzeitiger Hingang ein schwerer Verlust!“ Von ganz besonderem Werthe sind nämlich seine Leistungen auf dem Gebiete des Strafrechtes, da er als Lehrer und Schriftsteller dahin wirkte, die grausamen Härten einer noch barbarischen Gesetzgebung durch Verbreitung humanerer Anschauungen zu mildern. Aus diesem Grunde ist sein „commentarius de criminibus ad libr. 47 et 48 Dig. (cui adjecta brevis et succineta juris muncipalis interpretatio) ein Werk von außerordentlicher Bedeutung. Der Verfasser sucht in demselben bereits ein Strafrechtssystem aufzustellen, und trachtet die Grundsätze des römischen Rechts mit der niederländischen Criminalgesetzgebung in Einklang zu bringen. Das in männlichem Tone geschriebene Buch veräth große Belesenheit und wird geadelt durch einen philosophischen Geist und einen milden Sinn, der im Allgemeinem jenem Zeitalter noch fremd war, weshalb man mit Fug behaupten kann, daß M. in Behandlung des Strafrechtes seinem Jahrhunderte vorausgeeilt sei. Der Commentar wurde auch nach des Verfassers Tod häufig benützt, erlebte mehrfache Auflagen. Traj. 1644. 4°, 61. 4°. – Vesalia 1672. 1679. 1702. 4°. – Col. Raurac. 1715. 1727. – Dusseldorp. (nach Jugler) 1732, (nach v. d. Aa) 1745. – Gen. 1760. Amsterd. 1761. wurde behufs Verbreitung in weitere Kreise noch 1769 von J. D. van Leeuwen ins Holländische übersetzt („Verhandel. over de misdale met aamteekk. Utr. 1769. 4° eerste Deel“), und sogar noch im 19. Jahrhundert in Italien nachgedruckt. Der Rath von Utrecht, welcher in seinen Streitigkeiten mit der Ritterschaft, dem höheren Clerus und den kleineren Städten sich öfters der kundigen Feder des M. bediente, ließ ihm für Ueberreichung eines Exemplars des Commentars eine Ehrengabe von 600 holländischen Gulden zustellen. Neben dem Commentare sind noch zu nennen: „de judiciis disputationes XVII“ Ultraj. 1639. 1645. Amst. 1640. 8°, Abhandlungen aus dem Gebiete des Civilprocesses, deren Ueberschriften Jugler (S. 290 und 291) einzeln aufzählt; die Arbeit fand solchen Beifall, daß G. Ad. Struve noch 1680 eine vierte Auflage cum notis theoreticis, canonicis et practicis (Jenae. 4°) veranstaltete. Ferner die von Anton’s Sohn (Anton III.) herausgegebenen: „orationes, quarum pleraeque continent argumentum juridicum“ (Ultraj. 1655. 12°), 17 Reden über verschiedene (von Jugler angegebene) juristische Gegenstände, welche Reden meist bei Doctorpromotionen [619] gehalten wurden; den Schluß des Buches bildet ein carmen inaugurale, 1636 zu Ehren der Stadt und Universität Utrecht bei feierlicher Eröffnung letzterer gedichtet; durch den schwungvollen Inhalt hat der gelehrte Criminalist den Beweis geliefert, daß er auch die lateinische Poesie sehr geschmackvoll zu handhaben wisse. Seinen Schülern pflegte M. in die zu jener Zeit üblichen Stammbücher den zur Bescheidenheit mahnenden Spruch Seneca’s zu setzen: Multi ad eruditionem pervenerint nisi se jam pervenisse, putassent! Welch gesegnet Andenken ihm die hohe Schule bewahrte, an welcher er vor 250 Jahren lehrte, bekundet unter Anderen der Umstand, daß der dortige Professor der Rechte, Breede seine 1841 gehaltene Antrittsrede dem Gedächtnisse seines berühmten Amtsvorfahren weihte (de Antonio Matthaeo primo Juris criminalis in Acad. Traject. doctore), und von dessen reichen Verdiensten pietätvoll ein glänzendes Bild entrollte. – Ein gutes Verzeichniß seiner Werke bei van der Aa a. a. O. 386 und 87 und bei Jugler a. a. O. 290–295. Seine Ehe war mit neun Kindern gesegnet, von den sieben Söhnen wurde Anton M. (III) auch Professor der Rechte, und soll des Zusammenhanges und der Vollständigkeit halber, mit seinem einzigen Sohne (Ant. M. IV) im folgenden Artikel kurze Erwähnung finden.
Matthaeus II.: Anton M. (jun.), Rechtslehrer, besonders Criminalist, geb. am 15. November (nach van der Aa, Bouman und Burmann [S. 213] am 27. December, was jedoch auf Verwechslung mit dem väterlichen Geburtstage beruht) 1601 in Herborn, † am Weihnachtstage 1654 in Utrecht; vierter Sohn des- J. A. von der Aa a. a. O. 386 u. 87 und die dort Aufgeführten, besonders Burmann a. a. O. 215 u. ff.; Boumann a. a. O. D. I S. 45, 71, 108, 262; Jugler a. a. O. 289; ferner Walther, Die Litteratur des Civilprocesses S. 45 u. 79 nebst den dort Citirten.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ gemeint ist wohl Philipp M.