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ADB:Meinardus, Ludwig

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Artikel „Meinardus, Ludwig Siegfried“ von Carl Krebs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 301–303, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Meinardus,_Ludwig&oldid=- (Version vom 13. Oktober 2024, 22:15 Uhr UTC)
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Meinardus: Ludwig Siegfried M., Componist und Musikschriftsteller. M. ist am 17. September 1827 zu Hooksiel in Oldenburg geboren, wo sein Vater Beamter war. Seine Jugendjahre bis zur Erringung einer selbständigen Stellung schildert er selbst mit behaglicher Breite und mit liebevollem Eingehen auf das geistig angeregte Leben des Elternhauses in dem zweibändigen Werk „Ein Jugendleben“ (1874). Schon während der Gymnasialzeit in Jever beschäftigte ihn die Musik lebhaft; er nahm Unterricht im Violoncellospiel, verließ sogar für einige Zeit die Schule, um sich ganz dem Studium dieses Instrumentes zu widmen, kehrte dann aber, niedergedrückt durch die geringen Fortschritte, die er machte, wieder aufs Gymnasium zurück. Auch mit Compositionen befaßte er sich auf eigene Hand, ohne theoretische Unterweisung, und schickte diese ersten Versuche zur Begutachtung an Rob. Schumann. Die gütige Antwort dieses Meisters, der auf die Schwierigkeiten des Musikerberufs mahnend hinwies, aber doch nicht entmuthigte, und der auch später M. mit freundlichem Rath zur Seite stand, veranlaßte ihn, 1846 das Leipziger Conservatorium zu beziehen. Im „Jugendleben“ wird eine scharf beobachtete, rücksichtslose Schilderung der Zustände an dieser Anstalt und der Persönlichkeit Mendelssohn’s gegeben, die vielleicht zu dunkel gefärbt ist, aber als Gegenbild der vielen lobpreisenden Beschreibungen immerhin beachtet werden mag. Nach einjährigem enttäuschenden Aufenthalt auf dem Conservatorium nahm er zwei Jahre lang Privatunterricht bei F. A. Riccius und fand dann für kurze Zeit Unterkunft als Hauslehrer in Kaputh bei Potsdam, eine an trüben Erfahrungen reiche Episode, die er humorvoll erzählt. Nach kurzem Aufenthalt bei seinem Bruder in Berlin wurde er als „Ausländer“ von dort ausgewiesen, ging für einige Monate zu Lißzt nach Weimar, [302] war unter sehr kümmerlichen Verhältnissen Capellmeister in Erfurt und Nordhausen und kehrte dann nach Berlin zurück, um bei A. B. Marx noch gründliche Studien zu machen. Von 1853–65 leitete er die Singakademie in Glogau, wurde dann von Rietz als Lehrer an das Conservatorium in Dresden berufen und siedelte 1874 nach Hamburg über, wo er als Componist und Lehrer wie als Musikschriftsteller und Kritiker des „Hamburger Korrespondenten“ eine rege Thätigkeit entfaltete. 1878 ging er als Organist der v. Bodelschwingh’schen Anstalten nach Bielefeld, wo er am 10. Juli 1896 starb.

An literarischen Werken hat M. außer dem schon genannten „Jugendleben“ veröffentlicht: „Culturgeschichtliche Briefe über deutsche Tonkunst“ (2. Aufl. 1872), „Rückblick auf die Anfänge der deutschen Oper“ (1878), „Mattheson und seine Verdienste um die deutsche Tonkunst“ (1879), „Mozart, ein Künstlerleben“ (1882), „Die deutsche Tonkunst im 18. und 19. Jahrhundert“ (1887) und „Eigene Wege“ (1895). Es ist ein kernig mannhafter Geist in diesen Schriften, ein freudiges, kampffrohes Eintreten für deutsche Art und Kunst. Wie M. in den „Culturgeschichtlichen Briefen“ mit heißem Zorn sein geliebtes Vaterland schilt, weil trotz dem Siege der deutschen Waffen über Frankreich die seichte französische Musik unsere Opernbühnen beherrschte, weil Offenbach’s Operetten in Deutschland eine vielfach höhere Aufführungszahl erreichten als die Werke irgend eines deutschen Componisten, so nimmt er sich in der Schrift über Mattheson eines nach seiner Meinung ungerecht Beurtheilten an, sucht seine Fehler aus seiner Zeit und Umgebung zu erklären, und rühmt ihn, weil er für die aufstrebende deutsche Oper und für die Nationalisirung der Musik überhaupt seine Kräfte eingesetzt hatte. Auch in dem „Mozart-Buch“ hebt er mehr den Menschen Mozart, der sein Deutschthum überall hochhielt, hervor, als den Künstler, ja, das rein Biographische tritt so sehr in den Vordergrund, daß dadurch die Brauchbarkeit des Werkes Schaden leidet, denn die ungeheuren Thaten des Musikers Mozart werden nur wie nebenbei erwähnt, ohne die ihrer historischen und künstlerischen Bedeutung entsprechende Würdigung zu finden.

Als Componist ist M. sehr fleißig gewesen. Er hat viele Clavierstücke geschaffen, darunter drei Suiten und drei Novellen, Claviertrios, Sonaten für Violine und Violoncello mit Clavier, ein Clavierquintett, mehrere Streichquartette, ein Oktett für Blasinstrumente, zwei Symphonien, ferner eine Anzahl Lieder und Chorsätze, zwei Opern, die indessen nicht aufgeführt wurden: „Bahnesa“ und „Doktor Sassafras“, endlich die Oratorien „Simon Petrus“, „Gideon“, „König Salomo“, „Luther in Worms“, „Odrun“, und die Chorballaden „Roland’s Schwanenlied“, „Frau Hitt“, „Die Nonne“, „Jung Baldur’s Sieg“. Anfangs lehnt sich M. etwas an Schumann an, seine „Marionetten“ für Clavier (op. 2) erinnern vielfach an die Papillons oder Kinderscenen, nur sind sie hausbackener, weniger geistreich und phantasievoll. Phantasie und Erfindung sind überhaupt nicht die hervorstechenden Eigenschaften der Compositionen von M., aber männlicher Ernst und Gediegenheit kennzeichnen sie alle. Bisweilen gelingt es ihm, wahrhaft volksthümlich kräftige Töne anzuschlagen, wie in dem „Liederquell für die Schule und für das Leben sangesfroher deutscher Jugend“, oder in manchen Stücken seiner Oratorien. Auf dem Gebiet des Oratoriums hat M. vielleicht das Hervorragendste geleistet, und insbesondere ist sein „Luther zu Worms“ in Deutschland weit bekannt geworden. Es finden sich in der That hierin Scenen, die, wenn nicht durch Bedeutsamkeit der Inspiration, so doch durch die Kraft des Aufbaues und durch Kunst des Satzes imponiren, so der Zug der Ritter mit Hutten an der Spitze (Orchester, erst mit Solostimmen dagegen, dann mit Chor), so [303] der Kanon der Solisten und der Finalchor des ersten Theils. Und das zweite Finale (fünf Solostimmen, Chor, und ein Knabenchor, der den cantus firmus hält), eine Figuration des Chorals „Ein feste Burg“, hat einen Schwung und eine Größe, die es weit über das Mittelmaaß hinausheben. Dies Oratorium wird vielleicht den Namen seines Schöpfers am längsten lebendig erhalten.