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ADB:Myslivecek, Josef

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Artikel „Myslivecek, Josef“ von Rudolf Müller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 11–12, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Myslivecek,_Josef&oldid=- (Version vom 28. November 2024, 15:26 Uhr UTC)
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Misliweczek: Joseph M. (auch Mysliweczek), Tondichter, geb. zu Prag am 9. März 1737, Müllerssohn, vollendete in Gemeinschaft mit seinem Zwillingsbruder Franz die Gymnasialstudien, genoß inzwischen aber noch Privatunterricht in Musik und – Hydraulik, in letzterer auf besonderes Verlangen des Vaters, weil dieser nebst dem Betriebe der Müllerei Amts zu walten hatte als Oberaufseher der städtischen Wasserleitungen, und sein Sohn Joseph in beiden Richtungen sein Nachfolger werden sollte. – Zwar interessirt für dieses sonderliche Studium, das M. auch zur Erfindung bewunderter Modelle anregte, überwog doch der Antrieb für musikalische Ausbildung und wirkte nach dem Ableben des Vaters dahin entscheidend, Mühle und Wasserleitungsamt dem Bruder anheim zu geben, selbst aber frank und frei auf das Gebiet der Tonkunst überzutreten. Vorerst Schüler des zu jener Zeit berühmten Contrapunktisten Franz Joh. Habermann, dessen Methode seinem lebhaften, nach Ausübung drängenden Naturell nicht lange zusagte, wandte er sich dann vertrauensvoll an den durch virtuoses Geigen- wie Orgelspielen zu großem Rufe gelangten Jos. Seger, der ihn auch vollständig befriedigte, insbesondere durch die klare Anleitung zur Composition, auf welche M. nun das Hauptgewicht legte. Thatsächlicher Erfolg dieser Anleitung war ein von 1761–63 vollendeter Cyclus von sechs Symphonien mit den absonderlichen Titeln „Jänner“, „Feber“, „März“, „April“ etc., die, zur Aufführung gebracht, den Namen Misliweczek’s weithin bekannt machten. Sein Streben ging indeß noch höher, denn die Oper war sein Ideal und die Italiener erschienen ihm dafür als die geeignetsten Lehrmeister. Dieses Glaubens begab sich M. im November 1763 nach Venedig und nahm dort beim renommirten Theaterkapellmeister Pescetti Unterricht in der Behandlung des operistischen Sprechgesanges, lernte auch zugleich gründlich italienisch, um hierauf in ländlicher Zurückgezogenheit in der Nähe von Parma seine erste Oper zu schreiben. Merkwürdig, daß ihr Name vollständig verscholl, obschon es der günstige Aufführungserfolg am herzoglichen Hofe nach sich zog, daß ihn der königlich neapolitanische Gesandte ausersah für die bevorstehende Namenstagfeier seines Souveräns eine neue Oper zu componiren, welche, unter dem Titel „Bellerofonte“ in Neapel aufgeführt, glänzendsten Erfolg hatte und M. zu ungeahnter Popularität verhalf. Es dürfte dieser, dem Ausländer erwiesenen Gunst wol auch zuzuschreiben sein, daß M. seinen Namen in die Sprache seiner Gönner übersetzte und fortan als [12] „Venatorini“ für die Italiener existirte. So der die Stagione beherrschende Maestro geworden, bewarben sich außer der von Neapel, die Bühnen von Rom, Florenz, Mailand, Turin etc. um neue Werke. Mit staunenswerther Productionskraft befriedigte er alle; schrieb 1769 für Rom „Hypermnestra“, bis 1773 für Neapel „Romulus“ und „Erfile“, für Turin „Antigone“, für Pavia „Demetrius“, 1774 für Padua „Attide“, für Neapel „Artaserse“, im Laufe des Jahres 1775 noch „Enzio“ und „Demofonte“. Bei dem Brauche der italienischen Operngesellschaften, periodisch auswärtige Bühnen zu besuchen, konnte es nicht ausbleiben, daß durch sie die Opern Misliweczek’s über die Grenze Italiens und zunächst auf die Hofbühne des musikfreundlichen Kurfürsten Maximilian von Baiern verpflanzt wurden. Solcher Uebertragung war es zuzuschreiben, daß der Kurfürst, für den Meister auf das Höchste interessirt, denselben einlud seine Opern für die Hofbühne aufführbar zu machen. In Folgeleistung dessen verbrachte M. die Zeit von 1777 bis zum Ableben Maximilians – 1778 – in München, kehrte dann aber auf Andrängen seiner italienischen Freunde sofort wieder zurück nach Neapel, eine für Rom bestimmte Oper „Olimpiada“ zu vollenden. Mit ihr erreichte M. den Höhepunkt seines Schaffens und weithin erklang aus der Fülle schöner Melodien das herrliche Lied: „Si cerca se dice l’amico dove“ … gleichsam sein Schwanengesang. – Wol noch vollrüstig und gerade anläßlich dieses neuen Triumphes nach Mailand an den Hof des Erzherzogs Ferdinand berufen, um mehrere bereitgehaltene Libretto’s in Opern umzuwandeln, führte doch schon das erste hier im Teatro della Scala vor das Publikum gebrachte neue Tonwerk „Armida“ zu einem totalen Mißerfolge. Aufs Aeußerste betroffen von dieser noch nicht erlebten Ehrenkränkung verließ M. heimlich Mailand, hoffend in Rom, wo eine andere zur Vollendung gediehene Oper „Farnace“ zur ersten Aufführung kommen sollte, wieder volle Genugthuung zu erlangen. Aber auch dort blieb ihm diesmal die gewohnte Gunst versagt. – Von da ab ist die Existenz des nahe zwei Decennien hindurch Gunstbesonnten plötzlich verschleiert und es drangen blos noch halblaute, scheinbar jedoch richtige Nachrichten über ihn in die Oeffentlichkeit, welche besagten, daß er menschenscheu geworden, der Kunst abgesagt habe, in Verarmung gekommen sei! Kaum 44 Jahre alt, schied M. zu Rom den 4. Februar 1781 aus dem Leben. – Dieser Abschluß contrastirt merkwürdig mit dem glanzvollen Aufleuchten des genialen Künstlers und Tondichters von nahezu 40 Opern, zwei Oratorien – „Passio Jesu Christi“ und „Famiglia di Tobia“ –, mehrerer kirchlichen Compositionen (Dlabacz erwähnt zweier zu Raudnitz in Böhmen vorgefundener Messen), einer Anzahl von Symphonien, Sonaten, Quartetten und Salonstücken. Als sein letztes Werk gelten sechs Quartetten, die nach dem Ableben des Meisters bei Hummel in Amsterdam erschienen. Sechs Sonaten für zwei Violinen und ein Violoncell erschienen in Offenbach. Ein Schüler Misliweczek’s, der Engländer Barry, ehrte den Lehrer dadurch, daß er ihn auf seine Kosten in Lucina nächst Rom am Friedhofe der Kirche San Lorenzo begraben und die Grabesstelle mit einem Marmordenkmale versehen ließ.

Pelzel, Abbild. böhm. u. mährischer Gelehrten u. Künstler, Prag 1773. Dlabacz, Allg. Künstler-Lex. Gerber, Histor.-biogr. Lex. d. Tonkunst. Hormayr, Archiv f. Gesch. etc. Wien. Allg. Musikztg. Eigene Forschungen.