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ADB:Naudé, Albert

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Artikel „Naudé, Albert“ von Erich Marcks in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 592–597, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Naud%C3%A9,_Albert&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 13:42 Uhr UTC)
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Band 52 (1906), S. 592–597 (Quelle).
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Naudé: Albert N., deutscher Historiker, geboren zu Jüterbogk am 13. November 1858, † zu Marburg am 17. December 1896. – N. hat seine Kinderjahre in Jüterbogk und zumal in dem geschichtsreichen Potsdam verbracht; aber seine Familienerinnerungen wiesen den Nachkommen des 1687 eingewanderten Hugenottengeschlechtes durchaus nach Berlin: er war auf seinen französischen Ursprung ebenso stolz wie auf die feste, alte Verbindung seiner Vorfahren mit dem hohenzollerischen Staate. Er selbst wuchs in einem behaglich wohlhabenden Elternhause heran; 1876 zerstörte der Tod des Vaters diesen Wohlstand: der jugendliche Sohn wurde zu früher verantwortungsvoller Anspannung gezwungen und wurde bald zur besten Stütze seiner Mutter und seiner Geschwister. Er studirte, wesentlich auf die eigene Kraft angewiesen, von 1879–83 an der Universität Berlin und ging von der Philologie bald zur Geschichte über. Die historischen Hülfswissenschaften, in die ihn Harry Breßlau[WS 1] einführte und denen seine scharfsinnige und ergebnißreiche Dissertation („Die Fälschung der ältesten Reinhardsbrunner Urkunden“, Berlin 1883) angehörte, haben immer einen Theil seiner wissenschaftlichen Neigung bei sich festgehalten: aber seine tiefste Liebe wandte sich früh der neueren politischen Geschichte, insbesondere der preußischen Geschichte zu. Er hörte bei J. G. Droysen und H. v. Treitschke; sein Lehrer im vollen Sinne wurde der nur um 6 Jahre ältere Reinhold Koser[WS 2], der seit 1880 in Berlin docirte und in den 80er Jahren in immer stärkerem Maße der eigentliche Vertreter der kritischen Schulung in neuerer Geschichte an der Berliner Universität wurde. Daneben trat seit 1882 Gustav Schmoller[WS 3], der selber geschildert hat, wie warm sich N. ihm alsbald anschloß, wie werthvoll die Arbeiten zur preußisch-absolutistischen Wirthschaftspolitik ihm sofort erschienen, die der ältere Student und der junge Doctor in [593] seinem Seminar vortrug – N. seinerseits hat die väterliche Güte Schmoller’s nie vergessen, die damals den Lehrer bei einer Blinddatmentzündung in schweren Nächten zum Pfleger seines Schülers werden ließ.

Die Stimmung dieser 80er Jahre durchdrang N. tief. Die Einseitigkeit der preußischen Geschichtsauffassung des alten Droysen war damals auch in Berlin im Verblassen; aber was man erlebt hatte und noch um sich herum erblickte, das erfüllte in diesem letzten Jahrzehnte Kaiser Wilhelms und seines Kanzlers die Heranwachsenden mit starkem politischem, patriotischem Stolze von preußisch-nationalem und monarchischem Schwunge. Auch N. hat dem Vereine deutscher Studenten in seinen Anfängen angehört, die ersten Erfolge der deutschen Colonialbewegung mit leidenschaftlicher Freude begleitet, die Luft des Bismarckischen Berlins mit vollen Zügen eingeathmet: Fürst Bismarck wurde auch für seine Lebensanschauung die bestimmende Gewalt. Und seine Studien führten ihn in die Vorgeschichte dieses preußischen Deutschlands zurück: zu Friedrich d. Gr., dessen Gesammtwirksamkeit man soeben unter dem entsiegelnden Einflusse der Gegenwart tiefer und lebendiger als zuvor erfaßte, über dessen innere Arbeit ihr Wiederentdecker Schmoller die Publication der Acta Borussica vorbereitete, deren äußere Politik in den Bänden der Politischen Correspondenz ihre breite, actenmäßige Aufhellung erhielt. R. Koser, der damals seine in ihrer festen, märkischen Eigenart classische Biographie des großen Königs anlegte und zu veröffentlichen anfing – märkisch vor all unseren bedeutenden Geschichtswerken in ihrer Gesinnung und zumal in ihrem Temperament, ihrer männlich verhaltenen und doch überall durchleuchtenden Wärme, und ihren geistigen Wurzeln nach ein Erzeugniß auch wieder des Bodens dieser Tage –: er hatte auch die ersten 10 Bände jener Correspondenz herausgegeben; er schlug 1882 N. in dieser Thätigkeit zu seinem Nachfolger vor, und dieser hat das Vertrauen, das man dem eben Ausstudirten erwies, in vollem Maaße belohnt. Die 13 Bände (XI–XXIII, 1755–1764, 1883–96), die N. in rastlosem und pünktlichem Fleiße erst (XI–XVIII) selber allein, später (XIX) mit einem Anderen zusammen herausgab, zuletzt (XX–XXIII) nur noch genau überwachte, bis dann seine Schüler an seine Stelle traten, sind musterhaft an peinlicher Sorgfalt der Stoffsammlung und der Edition: das dauernde, monumentale Ergebniß entsagender und doch glücklicher Arbeit, für ihn die Stufe, die ihm den Schritt nicht nur in die Welt hinaus, auf weiten Archivreisen, sondern – so wünschte er es sich – auch in die eigentliche wissenschaftliche Production, in Forschung und Darstellung hinein ermöglichen sollte. So hat er in der That bereits 1885/6 (im 55. und 56. Bande der Historischen Zeitschrift, auf 100 Seiten) den Ausbruch des 7jährigen Krieges selber eingehend nach den Acten erzählt, die er herausgegeben hatte: in einer darstellenden Untersuchung, die den Hauch ihrer Entstehungszeit ausströmt, vor allem den jugendlichen Hauch der unmittelbaren inneren Theilnahme des Verfassers an seinem Helden und dessen Schicksalen, die volle Freudigkeit und Lebendigkeit seiner 27 Jahre. Er hatte Neues in Menge vorzutragen; er that es schwungvoll, in durchaus friedericianischer Stimmung. Man kann ihm vorrechnen, daß er im Tone weder Oesterreich noch England gerecht wird, und sicherlich stellt er sich mit ganzem Herzen auf den Standpunkt des Königs, dessen Erlebnisse er, sammelnd, sichtend, klärend, Tag für Tag in seinen Acten miterlebt hatte und nun, an den Entscheidungspunkten fast dramatisch, darstellte: sicherlich ohne die Spur einer fälschenden Tendenz, aber mit der ihm selbstverständlichen Wärme jenes Mitempfindens, die seiner Arbeit und seinem gesammten politischen wie persönlichen Fühlen entsprang und entsprach. Er wies aus den Acten von neuem, genauer als es die Vorgänger gekonnt hatten, [594] nach, daß Friedrich den Krieg nur widerstrebend, als Nothwehrkrieg, aufgriff. Der Aufsatz wurde freudig aufgenommen. Anderes verwandten Inhalts lief in diesen Jahren neben der Edition her, Beiträge zur „Allgem. Deutschen Biographie“, Kritiken in der „Historischen Zeitschrift“, eine Abhandlung über ungedruckte Memoiren der Prinzen Heinrich und August Wilhelm, die ebenfalls dem Ursprunge des 7jährigen Krieges und in ihm besonders der Rolle Winterfeldt’s galt, der Stellung der königlichen Brüder zu Friedrich und seinem Günstling (Forsch. zur brandenb. u. preuß. Gesch. I, 1888). Dann führte ihn 1888 seine Habilitation an der Berliner Universität auf ein neues und weiteres Thätigkeitsfeld hinaus: in eine Lehrthätigkeit, in der sein Dasein von nun an gipfelte. Er war der geborene akademische Lehrer; seine Begabung, sein Temperament, mit allem, was sich harmonisch und unharmonisch in ihm mischte, kam dieser Wirkung zugute. Er war von ungemeiner Empfänglichkeit und Lebendigkeit, warmherzig, erregbar, sprühend, von raschem Wort und gutmüthiger Bosheit, dem Augenblicke freudig und schmerzhaft hingegeben: das französische Blut eilte schnell durch seine Adern, und eine Nervosität, die er selber in trüben Stunden als krankhaft empfinden wollte, peitschte es noch vorwärts. Er war gewandt, liebenswürdig, gewinnend, von stattlicher Erscheinung, schöner feingewölbter Stirn, von ungewöhnlich schönen, großen, leuchtenden blauen Augen. Er grübelte und rechnete gern und wünschte weltklug und diplomatisch zu sein: im Grunde warf jene hastige Beweglichkeit alle ausgetiftelten Klugheitsforderungen doch immer wieder über den Haufen, und im Grunde folgte er doch stets den Antrieben seines Gefühls, ihrem Wechsel von Licht und Schatten, von Glück und Klage; aber auch ihrer Wärme, ihrem strömenden Liebes- und Hingabebedürfniß, ihrem Drange nach unablässiger Thätigkeit, unablässiger Mittheilung, hülfsbereiter Unterstützung. Er hatte sich durch pflichttreue, erfolgreiche Arbeit, deren Ertrag er den Seinigen zuwandte, ein Heim geschaffen, aus dem ein tragisch jäher Tod ihm die wesensverwandte Schwester wieder herausriß; er warb um Freunde, die er mit der ganzen idealisirenden Wärme seines Wesens umfaßte, mit allen seinen Kräften selbstlos förderte und denen er dann wieder in dunklen Tagen zweifelnd grollen konnte; er stand in einem regen, emporstrebenden Austausche. Und in den zog er jetzt, als Lehrer und älterer Freund, seine Studenten hinein, in Vorlesungen, die lebendig und praktisch, in Uebungen, die scharf, vielseitig und anregend waren und aus dem Einzelnen stets ins Ganze hinauswiesen, mit natürlicher Frische und natürlichem, pädagogischem Takte; er zog sie, daheim und im Wirthshaus, auf eindrucksvollen Ausflügen durch die Mark, auf das persönlichste an sich, entfaltete ihnen gegenüber alle Kräfte seines Geistes und Herzens absichtslos und freudig, streute Keime aus und wurde durch eine warme, dankbare Anhänglichkeit belohnt. Uebrigens auch durch reichen zahlenmäßigen Lehrerfolg, und, als Koser 1890 nach Bonn ging, durch die frühe und dennoch wohlverdiente Uebertragung von dessen außerordentlicher Professur auf ihn, den Schüler, der, in persönlich etwas anderer Art, doch Koser’s Einwirkung an der Universität fortsetzte. Es waren für ihn, bei manchem schweren persönlichen Leide, Jahre hellen Aufstiegs; er arbeitete stark, vielleicht überstark; aber fröhliche Reisen frischten ihn auf: er durchzog Deutschland und die germanischen Nachbarländer, wandernd wie ein Student, immer zugleich mit offenem Auge lernend – der romanische Süden und Westen reizte den Hugenottenenkel nicht, der so ganz Preuße geworden war. Er arbeitete seine Vorlesungen aus, hülfswissenschaftliche wie preußisch-geschichtliche; sie und die Politische Correspondenz, wie die Redaction der Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, die er (für Bd. V–IX, 1892–96) hingebend führte, ließen ihm nur zu [595] kleineren Aufsätzen aus der Geschichte des 7jährigen Krieges Zeit; ein inhaltreicher größerer über den preußischen Staatsschatz unter Friedrich Wilhelm II. (Forsch. V) ist nicht vollendet worden, war aber vielleicht, wie Schmoller es auffaßt, ein erster Schritt zu einer Finanzgeschichte Preußens im 18. Jahrhundert, die N. neben anderen weiten Plänen wol als eine Zukunftsaufgabe vor der Seele schwebte.

Zunächst stellten sich ihm andere Aufgaben in den Weg. Gegen den von dem weggehenden Fachvertreter Max Lehmann[WS 4] beeinflußten Wunsch der Facultät übertrug ihm Ostern 1893 die Regierung die ordentliche Professur für Geschichte in Marburg, für deren Eigenart ihr aus manchen Gründen gerade N. besonders wohlvorbereitet erschien. Er nahm nach einigem Hin und Her den Ruf an und wollte sich den neuen, widerstrebenden Boden recht persönlich erobern. Er hat, nach seiner Art, zu viel Mühe und Absicht darauf verwandt, die Dinge zu wenig sich selber überlassen; er hat Aergerniß und Kämpfe in Marburg zu bestehen gehabt, aber er gewann doch das Gefühl, allmählich voranzukommen. Auch in Marburg blieb ihm sein Lehrerfolg, äußerer und innerer, getreu: schon von Berlin aus waren ihm eine Anzahl seiner Schüler nachgefolgt, neue schlossen sich an; er dehnte den Kreis seiner Vorlesungen rastlos aus. An litterarischen Früchten brachten die ersten Marburger Jahre demgemäß nur das Rectoratsprogramm von 1893: „Friedrich’s d. Gr. Angriffspläne gegen Oesterreich im 7jährigen Kriege (I, der Feldzug von 1757)“, eine musterhafte Untersuchung, die von den einzelnen entscheidenden Aussagen aus dem Jahre 1757 ausgehend Friedrich’s so viel umstrittene strategische Absichten zunächst für diesen Feldzug festlegt, dann diese engeren Ergebnisse mit den älteren und allgemeineren Aeußerungen des Königs in Beziehung setzt und so zu einer Anschauung von einem Normalangriffsplane des Königs gelangt, die sich, streng aus den Quellen abgeleitet, für die gesammte Auffassung des 7 jährigen Krieges und der friedericianischen Strategie fruchtbar erweist. Er hat auch diese Pfade, die ihm die schönsten Erfolge verhießen, nicht weitergehen dürfen: seit 1894 riß ihn ein litterarischer Streit in seine Strudel hinein, der ihn dann nicht mehr freigegeben hat bis an sein Lebensende.

Max Lehmann veröffentlichte damals sein Büchlein über „Friedrich d. Gr. und den Ursprung des 7jährigen Krieges“: sachlich – denn Lehmann glaubte den Krieg als vorbedachten preußischen Angriffs- und Eroberungskrieg erklären zu können – wie gegen viele Andere, so auch gegen Naudé’s Aufsätze von 1885 gewendet; persönlich, vermöge eines Anhanges, der gerade jene Aufsätze polemisch besprach, eine unmittelbare Anklage und Verdammung von Naudé’s Arbeit, Arbeitsweise und wissenschaftlich-moralischer Persönlichkeit. Es ist hier nicht der Ort, den allgemeineren, zeit- und wissenschaftsgeschichtlichen Wurzeln und zugleich den persönlichen Entwicklungen, Gesinnungen, Stimmungen nachzuspüren, aus denen die damals überaus viel verhandelte Streitfrage, aus denen Lehmann’s leidenschaftlicher Grimm gegen die sog. „borussische“ Geschichtsauffassung, die angebliche „Legende“ und ihre Vertreter entsprang; auch nicht der Ort, die Summe des Streites im allgemeinsten zu ziehen, zu fragen, wie viel Anregung für die Gesammtauffassung Friedrich’s II. aus diesem Anstoße, wie ihn, neben und über Lehmann, sein Kampfgenosse Hans Delbrück[WS 5] den Problemen gab, etwa hervorgegangen ist, oder wie viel Vorsicht auch gegenüber den allgemeinen Constructionen von Friedrich’s Charakter und Politik, die damals vorgetragen wurden, dauernd am Platze sein mag. G. Schmoller hat in seinem Nachrufe über diese weiten Fragen ruhige und weise Worte gesprochen: genug, daß hinter dem persönlichen Gelehrtenstreite doch auch dieses Mal allgemeine Gegensätze standen, die ihm in der Entwicklung [596] unseres geistig-politischen Lebens und unserer Historiographie immerhin ein höheres als ein bloß kritisches oder persönliches Interesse sichern. Die These selber, die Friedrich zum unbedingten Angreifer stempelt und ihn insbesondere im J. 1756 planvoll, aus sich heraus, angreifen läßt, ist, das darf man heute sagen, beinah überall als irrig anerkannt: man darf sie als völlig und unzweifelhaft falsch bezeichnen. Für Albert N. aber, von dem hier zu reden ist, handelte es sich um zweierlei: auch er wies einmal jene neue Gesammtauffassung seines Königs ausdrücklich als quellenwidrig zurück; er betonte der rasch und weit ausgreifenden, psychologischen Construction gegenüber als Nächstes das Recht und die Pflicht zur nüchternen kritischen Verwerthung und Ausschöpfung der vorhandenen positiven Quellen, der Einzelaussagen, der Einzelthatsachen. Vor allem aber fiel ihm das Zweite zu: die Behauptung nachzuprüfen, nach welcher Friedrich insbesondere 1756 Angreifer, nicht aus Nothwehr, sondern aus Eroberungssucht gewesen sei; und damit zugleich, seine eigene frühere Forschung und seinen eigenen Charakter zu vertheidigen. Denn Lehmann’s Anhang war nicht einfach eine der gebräuchlichen Auseinandersetzungen mit einem litterarischen Gegner; er war eine öffentliche Wiederaufnahme der Anklagen, die Lehmann der Marburger Facultät und dem Berliner Ministerium 1893 vorgetragen hatte; Lehmann selber spielte auf diese Zusammenhänge an. Die Verurtheilung von damals sollte jetzt, in wissenschaftlicher Begründung, zu allgemeiner Wirkung erhoben werden: Naudé’s wissenschaftliche Existenz wurde durch den Angriff bedroht, der auch in der Form seine Absicht mit rücksichtsloser Schärfe zu Tage treten ließ. Ich wies darauf hin, daß hinter Lehmann’s Abweichungen Gegensätze allgemeiner Art standen; persönliche waren dazugetreten; der frühere Freund deutete jetzt unzweifelhaft auch Naudé’s persönlichen Charakter, von dessen Zusammensetzung ich gesprochen habe, mit unfreundlicher und ungerechter Härte aus: nicht begreifend, sondern verurtheilend. Nicht nur gegenüber den Marburgern, sondern den Fachgenossen, den Standesgenossen überhaupt gegenüber handelte es sich dem bitter und hitzig Angegriffenen um die Wahrung seiner wissenschaftlich-persönlichen Ehrlichkeit, seiner Ehre, eben seines gesammten Daseins. Er hat diesen Kampf mit der ganzen leidenschaftlichen Erregbarkeit und Verwundbarkeit seines Gefühls aufgenommen: wie er war, mußte er ihn so aufnehmen; es ging um sein Leben; er hat sein Leben dabei eingesetzt. Er hat, nach einigen ersten, abwehrenden Worten, zwei größere Aufsätze veröffentlicht: „Beiträge zur Entstehungsgeschichte des 7jährigen Krieges“, die in den „Forschungen“ VIII und IX (1895 und 1896), und zugleich als Sonderhefte erschienen und zusammen über 300 Seiten umfaßten (dort auch das Nähere über die Streitlitteratur von 1894–96). Sie ruhen auf eifrig betriebenen Untersuchungen in den Berliner und Wiener Archiven. Sie prüfen – und dabei setzte N. der Polemik des Gegners in seiner Nothwehr eine schneidende Polemik entgegen – die Angaben nach, die Lehmann aus Friedrich’s allgemeineren, programmatischen Aeußerungen (dem politischen Testamente von 1752) gemacht und aus denen er für 1756 auf Angriffabsichten gefolgert hatte, und finden diese Angaben in erstaunlichem Maaße einseitig und irreführend: bereits das Bild der subjectiven, grundsätzlichen Erklärungen des Königs verschiebt sich ihm, Lehmann gegenüber, vollkommen. Nicht minder dasjenige der österreichischen Geheimacten, der österreichischen Politik und Rüstungen, der internationalen Lage. Die zweite Reihe der Beiträge geht genauer, an der Hand der für die objectiven Thatsachen, und damit zugleich für die Pläne Friedrich’s, eigentlich ausschlaggebenden, technischen Specialacten, auf den Stand der preußischen Vorbereitungen ein (Truppenbestand, Festungen, Kriegsschatz): [597] sie sind 1756 keineswegs soweit gediehen, wie der König es als Voraussetzung für einen denkbaren Krieg selber forderte; dann werden, an der Hand von Friedrich’s politisch-militärischer Correspondenz, die einzelnen Stadien des Jahres 1756 erörtert: überall folgt Friedrich lediglich dem Drucke seiner ausländischen Gegner schrittweise nach, nicht bei ihm ist die Initiative. Polemische Anhänge machen den Beschluß. N. hat diese „Beiträge“ in heftiger Spannung niedergeschrieben, unter dem Zwange, den Anklagen nach mühseliger und zeitraubender archivalischer Sammlung seines Stoffes nun möglichst rasch zu antworten. Sie könnten vielleicht knapper sein; sie greifen vielleicht in diesem und jenem Urtheile fehl. Nach seinem Tode haben seine Schüler G. B. Volz[WS 6] und G. Küntzel[WS 7] die von ihm zuerst zusammengebrachten Materialien in selbständig durchgearbeiteter, ergänzter und gesichteter Form, mit kritischen Einleitungen veröffentlicht („Prß. u. österr. Acten zur Vorgeschichte d. 7jähr. Krieges“; Public. a. d. prß. Staatsarchiven Bd. 74, 1899): sie sind in einigem von ihm abgewichen, und das ist eine Gewähr der Unbefangenheit und des Werthes ihrer Forschung; in den Hauptsachen aber bestätigt ihre Arbeit die seine durchaus – eine posthume Vollendung seines Werkes, die zugleich dem Verstorbenen wissenschaftlich zu seinem Theile mit zugerechnet werden darf. Alle seine schmerzlichen Mühen dieser Jahre sind nicht verloren gewesen: der Ausbruch des großen Krieges ist erst durch sie vollends aufgeklärt worden. Und für diesen Ausbruch ist das Ergebniß ganz klar: Albert N. ist in diesem Streite als Sieger aus dem Leben geschieden. Aber freilich, er hatte den Sieg mit seinem Leben erkauft. Ein Herzleiden, das vorhanden war, war durch die ungeheure Aufregung und die Ueberarbeitung, die ihm der Angriff gebracht hatte, gefährlich und tödlich geworden. Er war gewarnt worden: er hatte geantwortet, er müsse seine litterarische Ehre reinwaschen, koste es ihn, was es wolle. Schmoller hat über die sittliche Seite dieses Kampfes, über die Beweggründe, aber zugleich über die Kampfesweise des Gegners fein und würdig geurtheilt. Der Thatbestand bleibt, daß der Angriff Naudé’s wissenschaftliche Persönlichkeit vernichten gesollt und davon das Gegentheil erreicht hatte; was er bewirkt hat, das war etwas ganz anderes; aber es war Naudé’s körperlicher Tod. Er hat in seiner durch Monate hingezogenen Krankheit von alten Schülern und neuen Freunden reine Treue genossen; er erlebte die Freude, daß die neugeschichtliche Professur in Freiburg, nach der er zwei Jahre zuvor, weil er von Marburg nicht weichen wollte, die Hand nicht hatte ausstrecken mögen, ihm jetzt in aller Form ehrenvoll dargeboten wurde, und blickte mit Hoffnungen auf das neue Wirkensfeld hinaus. Aber da entführte oder erlöste ihn der Tod.

Gustav Schmoller hat ihm (Forschungen zur brandenb. u. preuß. Gesch. Bd. IX, 1897, S. V–XVIII, „Zum Andenken an Albert Naudé“) einen schönen Nachruf geschrieben, der, aus eigenem Urtheil und eigener Erinnerung hier und da ergänzt, durchaus die Grundlage auch dieser Zeichnung bildet. Auch aus den Worten des väterlichen Freundes klingt die Klage heraus, daß dieses Leben und sein Werk so vor der Zeit zerrissen worden ist. Was davon bleibt, ist weniger als was bleiben konnte. Werthvolle Ansätze, eine werthvolle Publication, Untersuchungen, Vorbereitungen, Steine zum Bau; eine reiche Wirkung auf Schüler, die sich in deren Dasein und Wirken fortpflanzt; eine Persönlichkeit, die sich in ihrer Zeit, an der sie lebhaft Antheil nahm, auch erst noch weiter entfaltet und bethätigt hätte: Alles zu früh von der Tafel der schaffenden Kräfte weggewischt, sodaß nur denen, die Albert Naudé gekannt haben, das Bild des Ganzen verbleibt – voller Wärme und strömenden inneren Lebens.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Harry Breßlau (1848–1926); deutscher Historiker und Diplomatiker
  2. Reinhold Koser (1852–1914); deutscher Historiker und Direktor des Preußischen Geheimen Staatsarchivs
  3. Gustav Friedrich Schmoller, ab 1908 von Schmoller (1838–1917); deutscher Ökonom und Sozialwissenschaftler
  4. Max Lehmann (1845–1929); deutscher Historiker und Hochschullehrer, Schüler von Ranke
  5. Hans Gottlieb Leopold Delbrück (1848–1929); Historiker und Politiker
  6. Gustav Berthold Volz (1871–1938); Historiker, u. a. Herausgeber der Werke Friedrichs II.
  7. Georg Küntzel (1870–1945); Historiker