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ADB:Naves, Johann von

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Artikel „Naves, Johann von“ von Adolf Hasenclever in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 598–605, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Naves,_Johann_von&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 10:22 Uhr UTC)
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Naves: Johann von N., Reichsvicekanzler. – Das Geburtsjahr des späteren Reichsvicekanzlers Johann v. N. kennen wir nicht; doch soviel steht fest, daß er um die Wende des 15. und 16. Jahrhunderts geboren ist. Seine dem Adel angehörige, recht angesehene Familie scheint bereits seit längerer Zeit im Herzogthum Luxemburg angesessen gewesen zu sein, daher erklärt es sich auch wol, daß N. schon in verhältnißmäßig jungen Jahren im Verwaltungsdienste seines Heimathlandes eine angesehene Stellung inne hatte. Im übrigen müssen wir bekennen, daß wir über seine Jugend, über seine geistige Entwicklung gar nichts wissen; wir vermögen selbst nicht einmal anzugeben, auf welchen Hochschulen er studirte, wo er sich den Doctorgrad erworben hat. Im J. 1524 weilte er in Straßburg, ob vorübergehend, ob Studien halber, wir wissen es nicht. Bemerkenswerth an diesem Aufenthalt ist, daß er sich damals von protestantischen Kreisen nicht ferngehalten hat: an der Hochzeit Kaspar Hedios, eines früheren katholischen Priesters, nahm er Theil. Damals also schon gehörte er nicht zu den Heißspornen der altgläubigen Partei; auch später ist er, soweit das mit seiner hohen Stellung im Reichsdienst und mit seinen nahen Beziehungen zu Kaiser Karl V. vereinbar war, stets einer liberaleren Richtung treu geblieben.

Ueber Naves’ Familienleben sind wir gar nicht genauer unterrichtet. Vermählt war er, wie mir ganz sicher festzustehen scheint, mit Madeleine v. Schauenburg, durch die er mit einigen reichsdeutschen Kriegsleuten und Diplomaten in verwandtschaftliche Beziehungen trat. Soweit ich habe ermitteln können, ist dieser Ehe eine Tochter entsprungen. Seine Frau hat ihn viele Jahrzehnte überlebt: erst im September 1584 ist sie gestorben.

Vom Jahre 1525 ab können wir Naves’ äußeren Lebensgang, wenigstens in größeren Umrissen, genauer verfolgen; freilich auch jetzt bleibt noch manches Räthsel ungelöst. Das Amt eines greffier, welches ihm damals übertragen wurde, machte ihn nicht nur mit den inneren Angelegenheiten seines Heimathlandes Luxemburg vertraut; bedeutsamer wurde es für die Gestaltung seiner Lebensschicksale dadurch, daß es ihn in unmittelbare Berührung mit den benachbarten Mächten brachte, insbesondere mit der Regierung der Niederlande und, wenn auch vorläufig nur indirect, mit Kaiser Karl V. Vierzehn Jahre lang, bis zum Jahre 1539, hatte er dieses wichtige Amt inne; erst als er die Verwaltung der Propstei zu Marville übernahm, trat er davon zurück; zur Belohnung für seine gewandte und gewissenhafte Geschäftsführung wurde ihm fortan sein bisheriges Gehalt als greffier weiterhin ausgezahlt.

In den ersten Jahren seiner Thätigkeit als greffier hören wir nichts von ihm übertragenen diplomatischen Missionen. Erst nach dem Regierungsantritt der neuen Statthalterin der Niederlande, der verwittweten Königin Maria von Ungarn, der Schwester Karls V., wurde der begabte junge Beamte mehr herangezogen, zunächst noch in speciell luxemburgischen Angelegenheiten: im September 1531 entsandte ihn Maria zur Regelung einer Streitigkeit zwischen dem Markgrafen von Baden und Grafen von Wied und Neuenahr um den Besitz der Herrschaft Rodemach; Erfolg hatte diese Mission nicht. Im J. 1535 führte ihn eine Verhandlung mit dem Reichskammergericht nach Speier; über den Ausgang sind wir nicht unterrichtet.

Wenige Jahre später jedoch, im Sommer 1538, finden wir N. an einer der wichtigsten Stellen der deutschen und auch internationalen Politik ziemlich selbständig thätig, am Hoflager in Kassel, bei Landgraf Philipp von Hessen, einem der Häupter des schmalkaldischen Bundes. Philipp selbst hatte die Entsendung des luxemburgischen greffiers angeregt; Königin Maria, die Statthalterin der Niederlande, scheint stillschweigend eingewilligt zu haben. Dem [599] Hessenfürsten kam es zunächst darauf an, Fühlung mit dem kaiserlichen Cabinet zu gewinnen, die protestantenfeindlichen Machenschaften des derzeitigen Reichsvicekanzlers Mathias v. Held und der unter seinem Einfluß stehenden Kammerrichter in Speier ließen auf den baldigen Ausbruch von gewaltsamem Vorgehen gegen die Anhänger der neuen Lehre schließen. Indem Philipp in kluger Berechnung vorzugsweise das Thema des Türkenkriegs variierte, der nach dem jüngsten glücklichen Zuge gegen Tunis dem Kaisers besonders am Herzen lag, suchte er die Concessionen zu erforschen, welche Karl V. in Sachen des Glaubens für eine wirksame Unterstützung gegen Sultan Suleiman den Protestanten zuzugestehen gewillt sei. Doch mochte der Landgraf auch seine lebhafte Geneigtheit, dem Kaiser einen Reiterdienst gegen die Türken zu thun, immer wieder betonen, N. ließ sich aus der ihm anscheinend auferlegten Reserve, über allgemeine Vorbesprechungen nicht hinauszugehen, nicht herauslocken.

Nicht mehr positiven Erfolg hatte eine zweite Sendung Naves’ nach Kassel, direct im Auftrage der Regierung der Niederlande nach dem am 30. Juni 1538 erfolgten Tode des Herzogs Karl von Geldern. Der inzwischen zu Nizza abgeschlossene 10jährige Waffenstillstand zwischen Karl V. und Franz I. von Frankreich war nur zu sehr geeignet, den Landgrafen fester an seine Glaubensgenossen zu ketten; so lehnte er denn auch ein von N. angeregtes getrenntes Vorgehen in der clevischen Frage trotz seiner persönlichen Antipathieen gegen den eben zur Regierung gelangten jugendlichen Herzog Wilhelm, den Schwager Kurfürst Johann Friedrich’s von Sachsen, unumwunden ab.

In zweifacher Hinsicht sind diese beiden Missionen vom Sommer 1538 bedeutsam für N. geworden: hier zum ersten Male, wie es scheint, trat er in unmittelbare Fühlung mit den Häuptern der protestantischen Partei, und gleich bei dieser ersten Gelegenheit sollte er erkennen, daß unter gewissen Voraussetzungen für die kaiserliche Diplomatie Hoffnung vorhanden sei, in dieses scheinbar so starke Gefüge einen trennenden Keil hineinzutreiben. Die Sonderbestrebungen des Landgrafen innerhalb der protestantischen Partei traten gleich damals, wenn auch noch ziemlich verhüllt, vor Augen. Zudem gerieth er durch diese beiden Missionen in einen unverkennbaren Gegensatz zu dem damaligen Reichsvicekanzler Mathias v. Held. Es konnte nicht ausbleiben, daß man in gewissen protestantischen Kreisen den bisher sicher noch gänzlich unbekannten Greffier von Luxemburg am kaiserlichen Hoflager und besonders bei der Regierung der Niederlande als wichtigen Gegenpo1 gegen die immer unzweideutiger hervortretenden feindlichen Tendenzen Held’s erblickte. Nachdem zwei Jahre später, im Sommer 1540, Granvella’s versöhnliche Politik ins kaiserlichen Rathe die Oberhand gewonnen hatte, griff man naturgemäß auf den Unterhändler vom Jahre 1538 zurück, während Held’s Einfluß auf die Entschließungen seines Herrn immer mehr zurückgedrängt wurde. Aeußerlich kennzeichnete sich dies in der zunächst nicht ganz unter Karl’s V. Billigung erfolgten Ernennung Naves’ zum adlatus des mit großen Vollmachten zum Religionsgespräch nach Worms entsandten kaiserlichen Ministers Granvella. Der erste Schritt zur späteren Uebernahme des Reichsvicekanzleramtes war geschehen, die endgültige Uebertragung schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Freilich gleich in Worms sollte N. erfahren, daß sein Herr aus der eigenmächtigen Führung der Geschäfte seitens Mathias v. Held gelernt hatte: ungeachtet aller nach außen hin öffentlich gespendeten Anerkennung war er lediglich der Dolmetsch, das Sprachrohr seines Mandatars; so faßte er selbst auch seine Aufgabe auf, als er auf der Reise nach Worms in Straßburg seinem alten Bekannten, dem Prediger Kaspar Hedio, in längerer Unterredung [600] ein allerdings etwas subjectiv gefärbtes, recht sympathisches Bild von der Persönlichkeit und den in politischer und religiöser Beziehung versöhnlichen und friedfertigen Zielen Granvella’s entwarf; selbst an heftigen Ausfällen gegen die Pfaffenwirthschaft am kaiserlichen Hof ließ er es, wol nicht nur aus kluger Berechnung, sondern in diesem Falle aus persönlichster Ueberzeugung, nicht fehlen. Politisch selbständig trat N. bei den nunmehr folgenden wichtigen Verhandlungen in Worms gar nicht hervor; ja, zeitweise sah er sich durch einen anderen Rathgeber Granvella’s, durch Gerhard Veltwyk, in den Hintergrund geschoben. Diese Stellung blieb ihm auch gewahrt in den nun folgenden Wochen bis zur feierlichen Eröffnung der Regensburger Reichsversammlung. Bei den mannichfachen Audienzen, welche der Kaiser den Abgesandten der deutschen Fürsten zu ertheilen hatte, fungirte er für den nicht tiefer eingeweihten Beobachter lediglich als der Dolmetsch seines Herrn, und doch bahnte sich eben damals der entscheidende Umschwung an, insofern Mathias v. Held trotz seiner Anwesenheit am kaiserlichen Hoflager, wohin ihn die eifrig katholischen Elemente in Karl’s Umgebung, die Herzoge von Baiern und Herzog Heinrich von Braunschweig, in letzter Stunde gerufen hatten, gar keinen entscheidenden Einfluß auf die Führung der Geschäfte mehr gewinnen konnte. Am 5. April, gelegentlich der Reichstagseröffnung, als N. die kaiserliche Proposition nach Pfalzgraf Friedrich vorzulesen fortfuhr, wurde die große Wandlung auch Fernerstehenden bemerkbar; wenige Wochen später, Anfang Mai, verließ Mathias v. Held voll Unmuth den kaiserlichen Hof: seine politische Rolle war ausgespielt.

Gleich darauf übernahm N. dessen Obliegenheiten, mochte er auch noch nicht officiel zu seinem Nachfolger ernannt sein, wie wir denn den genauen Tag, von dem ab seine Reichsvicekanzlerschaft zu datiren ist, bisher überhaupt nicht anzugeben vermögen. In den wichtigen Verhandlungen mit Landgraf Philipp, die zu dem für die protestantische Sache so verhängnißvollen Regensburger Geheimvertrag vom 13. Juli 1541 führten, trat er, allerdings auch nur wieder neben Granvella und abhängig von dessen letzten Entschließungen, schon etwas selbständiger hervor. Jetzt erst lernte er die gewaltigen internationalen Machtmittel Karl’s V. kennen; er entwickelte sich in dieser großartigsten Schule für einen angehenden Diplomaten aus dem Politiker, dessen Anschauungen über das Verhältniß der Mächte zueinander meist noch in die engen Schranken eines kleinen Territorialstaates mit eng umzogenen Bedürfnissen gebannt waren, zu dem Staatsmann, welcher sich befähigt zeigen sollte, die weltumspannende Politik seines kaiserlichen Herrn von großen Gesichtspunkten aus an seiner Stelle zu leiten und durchzuführen. Er erkannte andrerseits – deutlicher und bedeutungsvoller als bei seinem ersten Auftreten in Deutschland im J. 1538 – daß die Isolirung einzelner Mitglieder des schmalkaldischen Bundes dasjenige Ziel sei, welches vorläufig die kaiserliche Politik zu erstreben habe, wenn sie die protestantische Fronde der Reichsfürsten und Reichsstädte niederwerfen oder doch ihren gefahrdrohenden Charakter paralysiren wollte. Hatten Kaiser Karl und Granvella vornehmlich in Regensburg durch die geschickte Einfangung des Landgrafen ihr Meisterstück geliefert, so war, wie wir noch sehen werden, Naves’ hauptsächlichstes Bestreben fortan darauf gerichtet, die andere geschlossene Einheit des schmalkaldischen Bundes, das Contingent der geldmächtigen Reichsstädte, der Bundesidee abspenstig zu machen: Bestrebungen innerhalb einer jeden einzelnen dieser Communen kamen diesen Plänen scheinbar recht lebhaft entgegen.

Es kann im folgenden nicht unsere Aufgabe sein, eine chronologisch genaue Aufzeichnung der Gesandtschaften und diplomatischen Actionen zu geben, welche [601] N. während der nächsten sechs Jahre, bis zu seinem im Februar 1547 erfolgten frühzeitigen Tode, übertragen wurden. Es hieße die Geschichte dieser bedeutungsreichen, für den deutschen Protestantismus so verhängnißvollen Jahre schreiben; denn nahezu bei jeder der damals innerhalb Deutschlands eingeleiteten und durchgeführten politischen Actionen war N. wenigstens bis zu einem gewissen Grade betheiligt. Fassen wir lieber vorerst – ungeachtet aller chronologischen Aufeinanderfolge – die ihn beherrschenden leitenden Ideen ins Auge.

Es ist nicht möglich, seine Haltung gegenüber der alle Güter so heftig bewegenden Frage des Jahrhunderts, seine Stellung zur neuen Lehre, genau zu umgrenzen. Daß er Zeit seines Lebens ein Anhänger der katholischen Kirche geblieben ist, steht außer Frage, trotzdem er seit seiner Jugend eine freiere Stellung gewissen Einrichtungen der Kirche gegenüber eingenommen hat. Soweit wir bei der Dürftigkeit der Quellen urtheilen können, war es vorwiegend der Politiker in ihm, der seine Haltung dictirte, der Wunsch, durch einige Concessionen den Andersgläubigen gegenüber den drohenden Bürgerkrieg zu vermeiden. Die Zugeständnisse, welche später im Augsburger Interim gemacht worden sind, finden sich schon bis zu einem gewissen Grade in seinem Programm, wie er sich gelegentlich darüber äußert. Wir wissen nicht, ob N. zu jener großen Vermittlungspartei während der 30er und 40er Jahre des 16. Jahrhunderts, deren Seele die Grafen und kleinen Dynasten am Niederrhein waren, persönliche Beziehungen gehabt hat; möglich, ja sogar recht wahrscheinlich ist es; in seinen politischen Zielen begegnete er sich mit ihnen aufs engste. Wenn N. weniger markant, nur gelegentlich und dann auch mehr improvisirt, seine Uebereinstimmung mit diesen versöhnlicheren Tendenzen betonte, so lag das vornehmlich an seiner bedeutsamen Stellung im Dienste des Kaisers; aus seiner Mißbilligung über die antinationale und besonders papistische Umgebung Karl’s V. hat er niemals ein Hehl gemacht.

Gerade diese seine liberalere Richtung in der kirchlichen Frage war es, welche ihm in den durch den sich immer mehr entwickelnden Territorialstaat bedrohten Reichsstädten das Vertrauen der Bürger erwarb; besonders seit dem Jahre 1541, zumal seit der Regensburger Declaration, an deren Zustandekommen N. eifrigst mitgewirkt hatte, wandten sie sich mit ihren mannichfachen Beschwerden immer wieder an ihn, baten sie immer wieder um seine Vermittlung bei dem im fernen Spanien weilenden Kaiser. Es war natürlich, daß N. diese Vertrauensstellung im eigensten Interesse seines kaiserlichen Herrn auszunutzen suchte. Damals schon – November 1541 – faßte er den kühnen Plan, unter der unmittelbaren Leitung Karl’s V. einen sich über ganz Deutschland erstreckenden allgemeinen Städtebund mit strikter Ausschließung sämmtlicher Territorialfürsten zu errichten. Es war eine Idee, welche in hohem Maaße sein politisches Denken während der nächsten Jahre beherrscht und beeinflußt hat, die aber nach Lage der wirthschaftlichen, staatsrechtlichen und politischen Verhältnisse innerhalb Deutschlands damals nicht und wol überhaupt niemals durchführbar war, selbst nicht mit den wesentlichen Modificirungen, welche sie später, seit dem Sommer 1543, durch das kaiserliche Cabinet erhielt. Sie bekundet uns nur aufs lebhafteste das Ziel ihres Urhebers: die Macht des schmalkaldischen Bundes innerhalb Deutschlands zu brechen. Noch unmittelbar vor Ausbruch des Krieges, im Juni 1546, griff N. bekanntlich darauf zurück, als er im Auftrage seines kaiserlichen Herrn in der Stunde der höchsten Gefahr versuchte, die mächtigsten der oberländischen Communen der Einungssache abspenstig zu machen; wie sich die Verhältnisse damals zugespitzt hatten, ohne Erfolg.

[602] In der auswärtigen Politik ist es vornehmlich das Verhältniß zu Frankreich, das N. in erster Linie beschäftigte, die Beziehungen der deutschen Stände zum westlichen Nachbar. Richtig erkannte er, daß vorzugsweise der unüberbrückbare Gegensatz zwischen Karl V. und König Franz I. die Existenz vieler deutschen Fürsten und ihre – wie er es von seinem Standpunkte aus nicht ohne eine gewisse Berechtigung empfand – anmaßende Geltendmachung nach außen hin bedinge. Mit Schmerz sah N., wie die Idee des Reiches, die Vertheidigung auch der Außenposten desselben, sich nur geringer Sympathien erfreue; zeitweise sollte er durch den Verlust der Heimath nach der Besetzung des Luxemburger Landes durch das französische Heer unter dem Herzoge von Orleans im J. 1543 diese nationale Gleichgültigkeit der deutschen Stände persönlich aufs bitterste empfinden. Es ist die Aufrechterhaltung der Macht seines kaiserlichen Herrn, worauf sich sein gesammtes po1itisches Denken concentrirt; nur unter diesem Gesichtspunkte kann man sein oft widerspruchsvolles Verhalten den deutschen Ständen gegenüber verstehen. Am deutlichsten zeigt sich das an seiner Stellungnahme in der bekannten braunschweiger Frage. Einen persönlichen Freund oder auch nur Gesinnungsgenossen Herzog Heinrich’s, wie Mathias v. Held, seinen früheren Vorgänger im Reichsvicekanzleramt, wird man N. unter keinen Umständen nennen dürfen. Wenn er sich zeitweise für ihn verwandte, so geschah das lediglich, um den Einbruch der Katastrophe von dem Glaubensgenossen, dem letzten Bollwerk des Katholicismus in Norddeutschland, nach Möglichkeit fernzuhalten; auch für die sichere, ungestörte Verfügung über die reichen Mittel der Niederlande im Interesse der habsburgischen Politik war die Selbständigkeit des streng katholischen Herzogs Heinrich von Braunschweig eine wesentliche Vorbedingung. Machten sich doch in den kaiserlichen Erblanden wie überhaupt in Niederdeutschland bereits protestantische Regungen allenthalben bemerkbar.

Skizziren wir noch kurz Naves’ äußeren Lebensgang vom Herbst 1541 ab bis zu seinem frühzeitigen Tode, im Februar 1547, freilich ohne jede einzelne Mission, zu der er ausgesandt, jede diplomatische Action, zu welcher er hinzugezogen wurde, zu erwähnen.

Den Höhepunkt seines gesammten politischen Wirkens müssen wir in die Zeiten von Karl’s V. Aufenthalt in Spanien setzen, von September 1541 bis Mai 1543, einer Epoche, wo in Karl V. der Plan zum Protestantenkrieg endgültig gereift ist: als er am 23. Mai 1543 in Genua landete, vom Reichsvicekanzler empfangen, da war er, so wird man wol behaupten dürfen, fest entschlossen, mit den verhaßten Ketzern gewaltsam Abrechnung zu halten. Zeit und Art des Vorgehens waren damals freilich noch nicht festgesetzt, aber alle seitdem unternommenen politischen Actionen zielten nur dahin, die mannichfachen Hindernisse, welche sich der Ausführung des kühnen Planes noch entgegenthürmten, aus dem Wege zu räumen: eine Darstellung der Geschichte des schma1kaldischen Krieges hat meines Erachtens mit der Landung des Kaisers in Genua, am 23. Mai 1543, einzusetzen.

Bald nach der Beendigung der Regensburger Reichstagsverhandlungen vom Jahre 1541 eilte N. seinem kaiserlichen Herrn nach, an den Berathungen mit dem Papst in Lucca (12.–18. September) nahm er Theil. Unmittelbar darauf wurde er – wahrscheinlich entgegen der ursprünglichen Absicht Karl’s V. – wieder nach Deutschland zurückgesandt, da der unglückliche Fortgang des Türkenkrieges, insbesondere die Eroberung Ofens, seine Anwesenheit im Reiche nothwendig machte. Zunächst begab sich N. nach Linz ans Hoflager König Ferdinand’s. Das Ergebniß ihrer Berathungen, über die wir im einzelnen nicht unterrichtet sind, war die Umwandlung des auf Grund des letzten Regensburger [603] Reichsabschiedes für den Beginn des kommenden Jahres nach Speier ausgeschriebenen Versammlungstages in einen Reichstag.

Naves’ Aufgabe bestand nach dieser Vereinbarung darin, möglichst viele Stände zum Besuche dieser Versammlung zu bewegen; persönlich besuchte er die Höfe von München, Stuttgart, Heidelberg und Mainz; auch an mächtige Reichsstädte wie Augsburg und Ulm wandte er sich. Von Erfolg waren seine Bemühungen nicht immer gekrönt, so lebhaft man auch an den meisten Orten die nicht wegzuleugnende Noth des Reiches zugeben mochte; zu viel persönliche, oft sehr berechtigte Interessen standen einer Erfüllung der Forderungen des Reichsoberhauptes, die doch im letzten Grunde eine Stärkung seiner Stellung im Reich bedeutete, gegenüber.

Es ist hier nicht der Platz, eine eingehende Darstellung der Verhandlungen des seit dem Februar 1542 tagenden Speierer Reichstages zu geben, auf dem N. als einer der Commissare des Kaisers, nachdem er sich nur kurze Zeit in seiner luxemburgischen Heimath aufgehalten hatte, fungirte. Die Noth des Reiches im Osten war so groß, daß an eine runde Ablehnung von Abwehrmaaßregeln gar nicht zu denken war. Der in dem gegenwärtigen Moment so durchaus unpolitische Versuch des durch eine eigene Gesandtschaft in Speier vertretenen französischen Königs, Spaltung unter den deutschen Ständen hervorzurufen, mußte unbedingt scheitern. Für N. war es eine dankbare Aufgabe, die Angriffe der französischen Politik auf seinen kaiserlichen Herrn in einer längeren Denkschrift thatkräftig zu widerlegen; der Boden für eine günstige Aufnahme seiner Darlegungen war bei der Noth des Vaterlandes trotz mannichfacher Hinneigungen bei den deutschen Ständen zu dem westlichen Nachbar gut bereitet.

Ueber Naves’ Thätigkeit als einer der kaiserlichen Commissare auf den nun folgenden beiden Reichstagen zu Nürnberg können wir kurz hinweggehen. Seine Aufgabe war vorzugsweise zu vermitteln; politisch trat er schon wieder etwas mehr in den Hintergrund, seitdem Granvella in Deutschland weilte. Bald darauf tritt er ganz zurück als irgendwie selbständiger Acteur, nachdem Karl V. wieder deutschen Boden betreten hatte. In Genua begrüßte ihn N., wie bereits erwähnt, bei der Landung am 23. Mai 1543; fortan blieb er bis zur Beendigung des clevischen Feldzuges in seiner unmittelbaren Umgebung, aber nur als Rathgeber, ja oft lediglich als Dolmetscher der Kundgebungen seines kaiserlichen Herrn wurde er herangezogen. Und doch gerade diese Zeit, die letzten vier Jahre seines Lebens, sind, soweit wir erkennen können, die bewegtesten seiner Laufbahn. Damals hat er durch seinen großen Eifer im Dienste seines Herrn das Vertrauen in glänzendster Weise gerechtfertigt, das einst Königin Maria und Kaiser Karl dem jungen unbekannten Beamten entgegengebracht haben; freilich hat er auch – das wird man ohne Bedenken behaupten dürfen, wenn es auch nicht möglich ist, den strikten Beweis dafür zu erbringen – eben damals durch sein im höchsten Grade aufreibendes Wanderleben als kaiserlicher Diplomat den Keim gelegt zu seinem frühen Ende.

Vornehmlich mit den rheinischen Fürsten hatte N. fortan zu verhandeln, in erster Linie natürlich mit Hermann v. Wied, dem Kurfürsten und Erzbischof von Köln, der eben damals von der alten Kirche abzufallen drohte. Persönlich scheint N. dem ehrwürdigen Kirchenfürsten nicht ohne gewisse Sympathien gegenüber gestanden zu haben, jedoch sie irgendwie in die That zu Gunsten Hermann’s umzusetzen, war er bei seiner Stellung im kaiserlichen Rath nicht der Mann. Unangenehm auch in politischer Hinsicht wird N. die Aufgabe gewesen sein, dräuend und drohend dem Freunde und baldigen Anhänger der Protestanten gegenüber zu treten. Die Sympathien, deren er sich [604] in den evangelischen Reichsstädten erfreute, konnten durch nichts schneller und radikaler vernichtet werden, als durch den Schein einer, wenn auch vielleicht unfreiwilligen Zustimmung zu Gewaltthätigkeiten gegen den gerade in diesen Kreisen wegen seines mannhaften Muthes so sehr verehrten Kirchenfürsten.

Bemerkenswerth, freilich nach einer anderen Richtung hin, ist eine Sendung des Kaisers, welche ihn im November 1545 nach Mainz gelegentlich der Neuwahl eines Erzbischofs nach dem am 24. October erfolgten Tode Albrecht’s von Hohenzollern führte. Karl beauftragte N., die Wahl des neuen Reichserzkanzlers zu überwachen und im kaiserlichen Sinne zu beeinflussen. Durch nichts wird die große Wendung deutlicher, welche in den letzten Jahren seit Naves’ Amtsverwaltung das Reichsvicekanzleramt durchgemacht hatte, als durch diesen Befehl. Der Vicekanzler war ursprünglich als Reichsbeamter gedacht, der seine Instructionen vom Erzbischof von Mainz als Reichserzkanzler empfing. Schon während des Regensburger Reichstages vom Jahre 1541 war Albrecht’s von Mainz Einfluß auf die Leitung der Geschäfte trotz seiner dauernden Anwesenheit am Sitz der Reichsversammlung wenig hervorgetreten. Wenn Karl V. jetzt, im November 1545, N. mit dem Auftrage entsandte, die Wahl seines zukünftigen Vorgesetzten zu überwachen, so wird man darin einen Fühler erblicken dürfen, wie weit er wohlverbriefte, wenn auch halb unbewußt, halb unfreiwillig ertheilte Rechte ignoriren könne. Die Gleichgültigkeit, mit welcher man diesem sicher sehr wohlberechneten Schritte damals begegnete, hat Karl V. nicht vergessen: nach Naves’ Tode zog er die Consequenzen aus dieser Haltung der deutschen Stände, indem er unmittelbar aus seinem Cabinet, ohne Befragung der rechtlichen Instanzen, die Berufung eines neuen Reichsvicekanzlers anordnete. Viel hat zu dieser Wandlung Naves’ Geschäftsführung beigetragen; wie er aus dem speciellen habsburgischen Dienste hervorgegangen war, so hat er sich stets viel mehr als unmittelbaren Diener seines kaiserlichen Herrn wie als Reichsbeamter gefühlt. Freilich, das muß man zu seiner Entlastung betonen, die politischen Verhältnisse, die überlegene Stellung Karl’s nach Beendigung des schmalkaldischen Donaufeldzuges kamen den kaiserlichen Bestrebungen zu statten. Die schließliche Folge war, daß dieses Amt für die nächste Zukunft ganz in den Behördenorganismus der habsburgischen Monarchie überging. An dieser Wandlung der Dinge müssen wir zu einem guten Theil N. die Schuld zumessen.

An den Reichstagen von Speier (1544), Worms (1545) und Regensburg (1546) nahm N. selbstverständlich Theil; doch wissen wir nicht, inwieweit er an dem Zustandekommen einzelner Beschlüsse betheiligt war; bestimmend trat er niemals hervor, so oft uns auch bei den verschiedenartigsten Verhandlungen über auswärtige und innere Politik sein Name begegnet. Daß er keinen entscheidenden Einfluß im Rathe seines Herrn gehabt hat, kann man schon daraus entnehmen, daß seine Versöhnungspolitik den protestantischen Ständen gegenüber völlig gescheitert ist; man wird wol annehmen dürfen, daß er in die geheimen Absichten Karl’s V. überhaupt nicht eingeweiht war. Von Fall zu Fall wurde er instruirt; der innere große Zusammenhang all der verschiedenen, oft sich kreuzenden Actionen wird ihm verborgen geblieben sein.

Es war nur eine logische Consequenz seiner früheren Haltung, wenn N. nach Ausbruch des schmalkaldischen Krieges immer wieder zu Versöhnung und Milde rieth. Deshalb fiel ihm vorzugsweise im Spätherbst 1546 nach dem Aufbruch der Verbündeten von Giengen die Last der Einzelverhandlungen mit den oberländischen Ständen, Fürsten wie Städten, zu. Mitten aus diesem Wirken, über das wir näher noch gar nicht unterrichtet sind, wurde N. in Ulm nach ganz kurzer Krankheit durch einen frühzeitigen Tod am 20. Februar [605] 1547 abberufen. Tags darauf setzte man ihn provisorisch in Söflingen bei; nach langen Jahren wurde seine Leiche in seine luxemburgische Heimath überführt. –

Hasenclever, Johann v. Naves aus Luxemburg, Reichsvicekanzler unter Kaiser Karl V. (Mittheilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung XXVI, 280–328. 1905).