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ADB:Philipp I. (Landgraf von Hessen)

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Artikel „Philipp I., Landgraf von Hessen“ von Walter Friedensburg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 765–783, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Philipp_I._(Landgraf_von_Hessen)&oldid=- (Version vom 8. November 2024, 22:03 Uhr UTC)
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Philipp: P. I., der Großmüthige, Landgraf von Hessen, geboren zu Marburg am 13. November 1504, † zu Kassel am 31. März 1567. – Im fünften Lebensjahre durch den Tod des Vaters, Landgraf Wilhelm II. von Hessen († 11. Juli 1509), zur Herrschaft berufen, welche zuerst ein Ausschuß der hessischen Landschaft unter dem Landhofmeister Ludwig von Boyneburg, seit 1514 aber die Mutter Anna von Mecklenburg für P. ausübte, wurde dieser schon am 16. März 1518 vom Kaiser für mündig und regierungsfähig erklärt und trat alsbald die Herrschaft im eigenen Namen an. Die Vernachlässigung, welche er namentlich in den Zeiten der Regentschaft Boyneburgs an Körper und Geist erfahren haben soll, vermochte seine bedeutenden Anlagen nicht zu ersticken, die vielmehr nur um so eher reiften. Die Nachrichten über ihn aus seiner Knabenzeit sind allerdings sehr dürftig; von seinem Bildungsgang wissen wir so gut wie nichts; kaum mehr als ein paar Namen seiner Lehrer. Und auch im übrigen werden uns nur ganz vereinzelte Züge berichtet, welche allerdings Mutterwitz und scharfen Verstand verrathen; auch erfahren wir, daß P. frühzeitig mit der Bibel bekannt wurde und an dem Formelwesen des herrschenden Gottesdienstes keinen Gefallen fand. Daneben steht eine große Leidenschaft zur Jagd, [766] die fast als der hervorstechendste Zug im Wesen des jungen Fürsten erscheint. Aber das Leben nahm diesen frühzeitig in die Schule. Kaum hatte P. die Regierung angetreten, so sah er sein Land unter nichtigem Vorwand von dem Ritter Franz von Sickingen überzogen und von der einheimischen Ritterschaft preis gegeben, die hinter den Wällen Darmstadts Schutz suchend ihrem Fürsten die Einwilligung zu schimpflichem Vertrage abnöthigte. Aber von nun an erhebt sich der junge Landgraf zu wirklicher Selbständigkeit. Weder den Landständen, deren seit der Zeit der Regentschaft gesteigerten Ansprüchen er noch im J. 1518 auf einem Landtag mit Nachdruck entgegentrat, noch seinen Räthen, die er allerdings zu schätzen und anzuhören verstand, hat er je einen überwiegenden Einfluß auf sich und die Angelegenheiten der Regierung zugestanden, sondern alle wichtigeren Fragen, die an ihn herantraten, selbständig erwogen und selbständig entschieden, wie die zahllosen Gutachten, die von seiner Hand noch vorliegen, und seine ausgebreiteten Correspondenzen zur Genüge erweisen. Und planvoll, mit einem seinen Jahren weit voraneilenden Ueberblick, geht P. von Anfang an vor. Seine nächste Sorge nach den unruhigen Zeiten der Vormundschaft und den Gefahren des Sickingenschen Ueberzugs ließ er es sein, das Land innerlich zu sichern, zunächst und vor allem durch Säuberung der Straßen von den fehdelustigen Rittern, die auch nach Sickingens Abzug das Land beunruhigten, – und seine Stellung nach außen hin zu heben. Er trat in den schwäbischen Bund ein, erneuerte die alte Erbeinigung seines Hauses mit Sachsen und gewann sich Herzog Heinrich d. J. von Wolfenbüttel zum Freunde. Dann erschien er 16jährig zu Worms auf dem Reichstage (1521), nahm seine Lehen vom Kaiser und vertrug sich hier mit dem feindseligen Mainz, sowie mit der Pfalz, mit der von den Zeiten des pfalzbaierischen Erbfolgekrieges her eine starke Spannung obwaltete. Auch mit dem Erzbischof von Trier, Richard von Greiffenklau, der schon auf dem Augsburger Reichstage von 1518 das Interesse des von Sickingen vergewaltigten Landgrafen eifrig vertreten hatte, bildete sich jetzt ein enges freundschaftliches Einvernehmen, welches schon im nächsten Jahre sich in folgenreichster Weise bethätigte. Als damals (1522) Franz von Sickingen dem Erzbischof Fehde ankündigte und ihn in seiner Hauptstadt Trier belagerte, war vor allen anderen Fürsten Landgraf P. thätig, dem Bedrohten zu Hilfe zu kommen. In ihm lebte der Gedanke der Solidarität der fürstlichen Interessen, den er mehrfach in seinem Leben durch Hilfeleistung an bedrohte Standesgenossen bethätigte; außerdem rächte er eigene Beleidigung. So sehen wir ihn mit Trier und Pfalz vereint im J. 1522 die Bundesgenossen Sickingens demüthigen und im folgenden Frühling den Ritter selbst in Landstuhl belagern. In der Tracht eines Landsknechts war der eifrige, junge Fürst überall zur Stelle. So ward Sickingen bewältigt; die Mauern seiner Burg erlagen dem Bombardement, die erwarteten Zuzüge blieben aus; endlich ward Sickingen selbst tödtlich verwundet. Am 6. Mai capitulirte er, schon im Todeskampfe; auch seine übrigen Burgen fielen; die Sieger aber theilten die Beute; doch hat P. später seinen Antheil an Land den alten Inhabern zurückgestellt. Hinterher sahen sich übrigens die Kriegsfürsten noch in einen Streit mit dem Reichsregimente, welches sich der Ansprüche einiger der Ritter annahm, verwickelt, doch gingen sie auch aus diesem Streit als Sieger hervor. Sie verstärkten die Zahl der Gegner, welche sich das Regiment gemacht, und trugen durch ihre Beschwerden wider dasselbe vielleicht am meisten zu dessen Sturze Anfang 1524 auf dem dritten Nürnberger Reichstage bei. So war ihr Unternehmen auf allen Seiten von wichtigen politischen Folgen begleitet; der Landgraf aber hatte die Scharte ausgewetzt, die ihm in den Zeiten hülfloser Kindheit geschlagen war, und stand jetzt, noch nicht 20jährig, geachtet und gefürchtet im Reiche da. Als einen Kriegsmann bezeichnet ihn Luther, [767] von Person klein, aber in Rath und Verstand mächtig und glückselig. In der That konnte die in Einer entschlossenen Hand zusammengefaßte Macht Hessens wohl nach mancher Seite hin den Ausschlag geben.

Um dieselbe Zeit trat P. in enge Beziehungen zu dem Herzog Georg von Sachsen, dessen Sohn Johann mit der einzigen Schwester Philipp’s, der etwas älteren Elisabeth, vermählt war. Jetzt 1523 vermählte sich P. selbst mit Christine, der Tochter Georgs. Doch sollten die Bahnen der beiden Männer bald gänzlich auseinandergehen, indem sich P. schon 1524 den Anhängern Luthers mit voller Entschiedenheit zugesellte. Sein Uebertritt erfolgte rasch, aber nicht unvorbereitet. Das Bibelstudium des jungen Landgrafen, dessen wir gedachten, hatte ohne Zweifel bereits den Boden in ihm bereitet, indem es seinen Blick für das Unwesentliche, wenn nicht Mißbräuchliche mancher Einrichtungen der bestehenden katholischen Kirche schärfen mußte. Dann sah und hörte er Luther selbst auf dem Reichstage zu Worms 1521 und nahm Interesse an ihm. Er besuchte den Reformator in seiner Herberge. Und der Eindruck, den P. von Worms nach Hause brachte, war stark genug um ihn zu vermögen, die Fragen, welche die Zeit bewegten, an der Hand der reformatorischen und Streitschriften zu studiren und zu überdenken. Den Ausschlag für Philipp’s förmlichen Anschluß an die Sache der Neuerer gab dann aber, soweit wir sehen, Melanchthons auf des Landgrafen Erfordern verfaßte und diesem gewidmete „Summe der christlichen Lehre, die Gott jetzt wiederum der Welt gegeben hat“ (1524), worin die Gerechtigkeit durch den Glauben im Gegensatz zur Lehre von der Verdienstlichkeit der guten Werke behandelt wird. Der Landgraf war überzeugt. Entsetzlich erschien ihm fortan die Anmaßung der Kirche, gegen und über die Gebote Gottes hinaus die Gewissen der Menschen zu richten und diese in die Fesseln mehr oder minder willkürlicher Satzungen und Ceremonien zu schlagen, wogegen er die echte biblische und christliche Weisheit in dem was Luther lehrte, wiederfand. Den eigentlich dogmatischen Fragen und Grübeleien stand P. ferner, wie denn auch später die einfachere Abendmahlslehre Zwingli’s dem offenen Sinne des Landgrafen verständlicher und darum sympathischer war als der Mysticismus Luthers.

Wie aber den jungen Fürsten weder die Abmahnungen der eigenen Mutter noch die Trübung seines Verhältnisses zu seinem väterlichen Freunde Georg von Sachsen in seiner Haltung erschütterten, so ließ er sich auch durch den Ausbruch des Bauernkriegs (1525), den ja die Gegner lediglich als Frucht der lutherischen Lehren zu bezeichnen keinen Anstand nahmen, nicht irre machen. P. war fast der erste unter den Fürsten, der sich mannhaft erhob. Nachdem er an den Grenzen Hessens den Aufstand rasch zu Boden geworfen und dadurch das eigene Gebiet vor dem Schrecken der Empörung fast völlig bewahrt hatte, zog er nach Thüringen den sächsischen Fürsten zu Hülfe, wo unter seiner thätigen Antheilnahme der Sieg von Frankenhausen erfochten und die Stadt Mühlhausen, der Sitz des Schwärmers Thomas Münzer, eingenommen wurde. Nur um so mehr aber traten jetzt, nach der Niederwerfung des Aufstandes der Unterthanen, die confessionellen Gegensätze bei den Obrigkeiten selbst hervor. Herzog Georg, der fanatische Gegner der Person und Lehre Luthers, berief die Kurfürsten Joachim von Brandenburg und Albrecht von Mainz und die Herzöge Heinrich und Erich von Braunschweig zum 19. Juli nach Dessau, wo man es, um künftigen Empörungen der Unterthanen vorbeugen zu können, für unerläßlich erklärte, daß vor allem die „verdammte lutherische Secte“, als Wurzel des Aufruhrs ausgerottet werde. Diese Erklärung wurde dann Kursachsen und Hessen mitgetheilt; man mochte hoffen, die beiden Fürsten einschüchtern zu können. Allein dies Vorgehen der Verbündeten hatte bei P. und Johann von Sachsen gerade die [768] gegentheilige Wirkung. Es bestärkte diese nicht nur in der Anhänglichkeit an die Reform, sondern gab ihnen auch Anlaß nunmehr ihrerseits auf Vertheidigung und Zusammenfassung ihrer Kräfte zu denken, was um so nothwendiger schien, als kurz darauf ein neues Reichstagsausschreiben des Kaisers dessen unverändert feindliche Stellung zur Neuerung klarlegte und schon sowohl die Dessauer Verbündeten wie die Capitel der Mainzer Erzdiöcese den Kaiser angingen, wider die Neuerer offensiv einzuschreiten. Dem gegenüber suchte nun Landgraf P. vor allem engsten Anschluß an das Kurhaus Sachsen. Schon im Frühling 1525 hatte er Gelegenheit genommen, auf einer Zusammenkunft Johann von Sachsen seiner Anhänglichkeit an das Evangelium zu versichern; im Herbst knüpfte er aufs neue an, lud den Kurprinzen Johann Friedrich zu sich nach Friedewald und brachte endlich, Februar 1526, in einem Augenblick, da der Kaiser durch den Frieden von Madrid freie Hand wider die Neuerer zu gewinnen schien, auf einer Gothaer Zusammenkunft ein förmliches Bündniß mit dem Kurfürsten zum Schutz der evangelischen Lehre zu Stande, welches den Ausgangspunkt für eine allgemeine Vereinigung der gesammten evangelischen Stände bilden sollte. In der That gelang es dem Kurfürsten von Sachsen, eine Reihe norddeutscher Stände zum Eintritt in das Bündniß der Evangelischen zu bringen. Dagegen hatte Landgraf P. bei den oberdeutschen Ständen keinen Erfolg, die namentlich noch, ehe sie verbindliche Zusagen ertheilten, den Ausgang des auf den Frühsommer 1526 ausgeschriebenen Speierer Reichstages abwarten wollten. In Speier erschien dann auch P. An der Spitze von zweihundert Rittern zog er am 12. Juli in die alte Reichsstadt ein, in dieselben Farben gekleidet wie Johann von Sachsen, der am 20. Juli anlangte, und mit demselben Abzeichen wie dieser (den Anfangsbuchstaben des evangelischen Sinnspruches Verbum domini manet in aeternum) versehen. Und während sich die beiden Fürsten über die Fastengebote der katholischen Kirche offen hinwegsetzten, verkündeten ihre Prediger unter gewaltigem Zulauf in täglichen Predigten die evangelische Lehre; vor allem auch machte P. selbst durch seinen Feuereifer für die von ihm als recht erkannte Sache und seine Belesenheit in der Bibel den größten Eindruck bei Freund und Feind; in fast allen Ausschüssen des Reichstages finden wir Hessen vertreten; bei der Wahl des „großen Ausschusses“ vereinte P. sogar die relativ größte Stimmenzahl in der fürstlichen Curie auf sich. Und so bedeutend waren die Aussichten der Evangelischen in Speier, daß Erzherzog Ferdinand endlich als äußerstes Mittel eine kaiserliche Erklärung mittheilte, die dem Reichstage jede Aenderung des kirchlichen Herkommens stricte untersagte. So wurde allerdings ein Abschied zu Gunsten der Neuerung hintertrieben; doch beschlossen die Stände, den Kaiser um Aenderung seiner Weisungen zu ersuchen, bis dahin aber den Status quo aufrechtzuerhalten. Aber P. blieb hierbei nicht stehen; durch den allerdings etwas zweideutigen Wortlaut der Formel des Reichsabschiedes, wonach sich jeder Stand so halten sollte, wie er es vor Gott und dem Kaiser verantworten könne, glaubte er sich zur förmlichen Umgestaltung der Kirche seines Landes berechtigt; unter Zustimmung des Landes selbst, auf einem Landtag oder einer Synode zu Homburg in Niederhessen, wurde bereits im October 1526 das Werk in Angriff genommen. P. selbst erschien in der Versammlung, umgeben von seinem vertrauten Rathe Balthasar von Schrautenbach, dem Kanzler Johann Feige von Lichtenau, dem Hofprediger Adam Krafft von Fulda und dem Franzosen Franz Lambert von Avignon, welcher ehemals Franciscanermönch, dann für die Reformation gewonnen, nach wechselvollen Schicksalen von P. kurz zuvor nach Hessen berufen war, wo er dann bei dem Reformwerk die eigentlich leitende Rolle spielte. Er legte der Synode jetzt 158 von ihm aufgestellte reformatorische Thesen, „Paradoxa“, vor, auf deren Grund in dreitägigen Verhandlungen, bei denen auch die [769] altgläubige Opposition zu Worte gekommen war (die sich allerdings im wesentlichen darauf beschränkt hatte, dem Fürsten und der Synode die Befugniß zur Vornahme der Reform zu bestreiten), eine Reformationsordnung vereinbart wurde, welche die hessische Kirche von Grund aus umgestaltete. Durch freiwilligen Beitritt sollten überall evangelische Gemeinden sich bilden, je von einem Bischof als Seelsorger, Aeltesten (Presbytern) zur Aufrechterhaltung der Lehre und Diakonen, hauptsächlich zur Handhabung der Armenpflege, geleitet. Sämmtliche Bischöfe aber und ein Vertreter jeder Gemeinde bilden zusammen mit dem Fürsten und den Grafen und Herren des Landes die Synode, die jährlich zusammentritt, um über alle kirchlichen Angelegenheiten zu berathen, sowie einen Ausschuß zur Geschäftsleitung und drei Visitatoren zu wählen. Diese Bestimmungen traten dann freilich weder auf einmal noch überhaupt ganz in dieser Weise ins Leben. Das Ideal der freien evangelischen Gemeinde ließ sich so, wie es dem Landgrafen und seinen Räthen anfangs vorschwebte, nicht verwirklichen; P. selbst richtete später als Grundlage für die kirchliche Eintheilung des Landes sechs Superintendenturen ein. Im übrigen erhielt die Kirche ihre weitere Ausbildung namentlich Ende der 30er Jahre auf Grundlage der Wittenberger Concordie und unter vorwaltendem Einfluß Martin Bucers. – An vielen Orten fand der Landgraf mit seiner Neuerung bei der Bevölkerung, selbst bei Klerus und Mönchen, das bereitwilligste Entgegenkommen; andererseits fehlte es auch nicht an Widersetzlichkeit, die zu besiegen P. zum Theil erst nach längerer Zeit gelang, so namentlich bei dem mächtigen in Hessen reich begüterten Orden der Deutschherren. Dagegen brachte er schon 1528 den kirchlichen Oberen des größten Theiles von Hessen, den Erzbischof von Mainz, zum Verzicht auf seine Rechte. Die überflüssig gewordenen Meßgeräthe etc. kamen großentheils in die allgemeinen Armen- oder Gotteskasten; das Gut der aufgehobenen oder auf den Aussterbeetat gesetzten Klöster aber fand, nach den Beschlüssen eines Kasseler Landtages von 1527, seine Verwendung zum Theil als Ausstattung der austretenden und Unterhaltung der im Kloster verbleibenden Ordenspersonen; ferner überwies man die Stifte Kauffungen und Wetter der Ritterschaft des Landes zum Zweck der Ausstattung armer Fräulein von Adel; sodann begründete der Landgraf zu Haina, Merxhausen, Hochheim und Gronau vier große Landeshospitäler. Die merkwürdigste Stiftung aber ist die der Universität Marburg, welche als erste auf der Basis der evangelischen Lehre gegründete Hochschule, reich ausgestattet, schon 1527 eröffnet werden konnte; unter den ersten Professoren begegnen die Theologen Lambert von Avignon, Adam Krafft und Erhard Schnepf von Heilbronn, der Jurist Johann Eisermann von Amöneburg (Ferrarius Montanus, erster Rector), der Mediciner Euricius Cordus, und unter den sechs Lehrern der Sprachen und freien Künste Hermann von dem Busche. – Auch für die Hebung der Sittlichkeit im Lande war P. besorgt; den reformatorischen Einrichtungen gehen verschiedene sittenpolizeiliche Verordnungen gegen das Zutrinken, Fluchen, geschlechtliche Ausschweifungen, sowie gegen übermäßigen Luxus u. s. w. zur Seite. – Indem dergestalt P. das, was er als seine obrigkeitliche Pflicht erachtete, mit Energie und Folgerichtigkeit angriff und durchführte, überwarf er sich freilich von Grund aus mit seinem Schwiegervater Herzog Georg. Ueberhaupt aber hatte damals, nachdem der Speierer Reichsabschied von 1526 die allgemein herbeigesehnte Entscheidung in der kirchlichen Frage nicht gebracht hatte und jede Aussicht auf ein allgemeines oder nationales Concil, angesichts des erneuten Kampfes der Weltmächte, geschwunden war, die Unsicherheit und Unklarheit der Verhältnisse nur noch zugenommen; jede Partei besorgte von der anderen vergewaltigt zu werden, zumal aber geberdeten sich die Altgläubigen [770] durchweg so feindlich und trotzig, daß die Angabe eines ungetreuen Beamten Herzog Georgs von Sachsen, Dr. Ottos von Pack, daß im Mai 1527 zu Breslau, wo damals einige der eifrigsten unter den altgläubigen Ständen beisammen gewesen waren, ein Offensivbündniß zur Vernichtung des Lutherthums und seiner hauptsächlichsten Bekenner abgeschlossen worden sei, bei dem Landgrafen Glauben fand und ihn bewog, nach Verständigung mit Kurfürst Johann, um dem drohenden Angriff zuvorzukommen, schleunigst zu rüsten und zunächst die Bischöfe von Bamberg und Würzburg, welche zu den Theilnehmern des Bündnisses gehören sollten, anzugreifen, indem er zugleich die Bündnißurkunde nach einer Abschrift, die ihm Pack geliefert hatte, veröffentlichte (Mai 1528). Allein der einstimmige, entschiedene Protest der sämmtlichen angeblichen Theilnehmer machte den Landgrafen stutzig; ohne den Glauben an die Wahrheit der Angaben Packs ganz aufzugeben, sah er doch ein, daß er sich von seinem Feuereifer zu weit habe führen lassen; die überzogenen Bischöfe mußten freilich seinen Angriff mit Geld abkaufen; auch mit dem Cardinal von Mainz rechnete der Landgraf bei dieser Gelegenheit ab; dann aber legte er die vorschnell ergriffenen Waffen aus der Hand. Pack wurde in Gewahrsam genommen, nachdem ein Verhör aber keine Klarheit gebracht hatte, entlassen; mit Herzog Georg kam erst nach Monaten eine äußerliche Versöhnung zu Stande; der schwäbische Bund, der eine drohende Haltung gegen den Landgrafen annahm, ließ sich endlich auch beschwichtigen. So gingen diese Pack’schen Händel ohne bedeutsamere Folgen vorüber; sie illustrirten die precäre Lage des Reichs, aber sie überzeugten die Anhänger des alten Systems keineswegs von der Nothwendigkeit, mit ihren evangelischen Mitständen ein friedliches Auskommen zu suchen. Noch immer dachte man daran, die reformatorische Bewegung mit Hilfe des Kaisers unterdrücken zu können. Das zeigte sich schon auf dem zweiten Speierer Reichstage, welcher, allerdings noch in Abwesenheit des mit dem Papste aufs neue verbündeten, wider Frankreich siegreichen Kaisers, im Frühling 1529 zusammentrat und in seinem Abschied die Bestimmungen von 1526 aufhob, die Vornahme fernerer Neuerungen verbot, dagegen ausdrücklich statuirte, daß niemand am Messehalten verhindert und kein geistlicher Stand in seinen Rechten verletzt werden dürfe. Durch Zustimmung zu diesen Beschlüssen einer altgläubigen Mehrheit würden die Evangelischen sich selbst aufgegeben haben; unter Vorantritt des Landgrafen erklärten sie, daß ein Majoritätsbeschluß in Sachen des Gewissens keine Statt haben könne. Als aber ihre Vorstellungen ungehört verhallten, traten die evangelischen Fürsten am 19. April mit einem Protest hervor, den sie zu den Acten des Reichstages zu nehmen ersuchten. Sie erklärten darin, daß der Abschied von 1526 nicht einseitig aufgehoben werden könne und daß sie daher fortfahren würden, nach dessen Wortlaut sich mit ihren Unterthanen in Hinsicht der Religion so zu verhalten, wie sie es gegen Gott und den Kaiser zu verantworten sich getrauten. Einige Tage später traten vierzehn Reichsstädte dem Protest bei, den dann der Landgraf, da die Reichstagsmehrheit die Annahme verweigerte, schon am 5. Mai durch den Druck veröffentlichte. Inzwischen aber ließen sich die Umstände immer gefahrdrohender für die „Protestanten“ – das wurde hinfort ihr Name – an. Der Kaiser gelangte im Laufe des Sommers nicht nur zu einer vollen Verständigung mit dem Papst, sondern auch – in dem Damenfrieden von Cambrai – mit Frankreich. Er erhielt die Hände frei und konnte endlich Spanien verlassen. Zu Bologna traf er mit dem Papste zusammen, der ihm hier am 24. Februar 1530, am Geburtstage Karls und dem Jahrestag des Sieges von Pavia, die kaiserliche Krone aufsetzte, in Abwesenheit fast sämmtlicher deutscher Fürsten, deren Stelle italienische Große und spanische Granden einnahmen. Schon vorher hatten die Protestanten sich an Karl gewendet um [771] ihr Verhalten vor ihm zu rechtfertigen; allein ihre Gesandtschaft fand zumal infolge der Ueberreichung einer Confessionsschrift, die der unerschrockene Landgraf mitgegeben hatte, einen sehr ungnädigen Empfang; die Gesandten schätzten sich glücklich, ohne Schaden an Leib und Leben wieder zurückzukehren. P. meinte zwar, es sei besser, daß der Kaiser dergestalt seine Absichten enthüllt, als wenn es einen „halben gnädigen“ Bescheid gegeben hätte; andererseits schien dann doch das Ausschreiben, durch welches Karl die Reichsstände nach Augsburg einberief, den Wunsch des Kaisers zu bekunden, auf Grund unparteiischer Prüfung und nach Anhören beider Theile die kirchliche Zwietracht beizulegen. Fast vollzählig erschienen die protestantischen Fürsten in Person zu Augsburg. Am 12. Mai ritt der Landgraf mit 150 reisigen Begleitern ein; alsbald wurde der evangelische Gottesdienst in Augsburg eingerichtet, nicht mehr wie vor vier Jahren zu Speier in den Herbergen der Fürsten, sondern in mehreren Kirchen der Stadt. Doch mußte das beim Herannahen des Kaisers, welcher am 15. Juni eintraf, abgestellt werden; dagegen verblieben die Protestanten auf ihrer Weigerung, sich an der Frohnleichnamsprocession (16. Juni) zu betheiligen. Diese feste Haltung bewahrten sie dann auch in den Verhandlungen des Reichstags selbst. Es schien das sogar auf den Kaiser nicht ohne Eindruck zu bleiben, der am 25. Juni die Verlesung der von Melanchthon verfaßten „Confession“ der Protestanten in seiner Gegenwart zuließ. Allein man konnte doch nicht lange darüber zweifelhaft bleiben, daß Karl, den Worten des Ausschreibens zuwider, die Angelegenheit des Glaubens nur nach vorgefaßter Ansicht zu behandeln willens sei. Bereits brannte dem ungeduldigen Landgrafen in Augsburg der Boden unter den Füßen; er ging den Kaiser um seine Entlassung an; als Karl dieselbe versagte, zog P. nichts destoweniger am 6. August heimlich von hinnen. Der Ausgang des Reichstags bestätigte seine Voraussicht. Der Kaiser und die Mehrheit der Stände erachteten die Confession durch die „Confutatio“ der katholischen Theologen für widerlegt; Melanchthons „Apologie“ blieb unberücksichtigt und der Reichsabschied vom 19. November 1530 verwarf alle Abweichungen von der herrschenden Lehre der Kirche und verlangte von den Protestanten, sich der Entscheidung eines künftigen Concils zu unterwerfen, bis zu dessen Zusammentritt aber sich aller Neuerungen zu begeben; andernfalls drohte der Kaiser zu thun, was seines Amtes sei.

Die Antwort der Protestanten auf den Reichsabschied von Augsburg war die Aufrichtung des Schmalkaldischen Bundes. Hatten, wie wir sahen, schon seit 1525 insbesondere Kursachsen und Hessen den Zusammenschluß aller evangelischen Reichsstände zum Zweck der Vertheidigung ihres Glaubens ins Auge gefaßt, so war dieser Plan von seiner Verwirklichung noch weit entfernt. Ja, es war sogar, indem Luther seit 1526 mit der zwinglianischen Auffassung des Abendmahls und einiger anderen Punkte in Streit gerathen, eine innere Spaltung im Protestantismus entstanden, indem Zwingli namentlich in Oberdeutschland viele Anhänger gefunden hatte, während Kursachsen, Brandenburg, Nürnberg u. a. streng lutherisch dachten. Nur der Landgraf besaß freien Blick genug, um eine vermittelnde Haltung zu behaupten: er suchte vor allem die Beilegung des Streites im Interesse des engen Zusammengehens aller evangelischen Elemente herbeizuführen. Auf seine Einladung kamen im Herbst 1529 zu Marburg auf dem landgräflichen Schlosse Luther und Zwingli, jeder von den angesehensten Prädicanten seiner Partei umgeben, zusammen, um über die unterscheidenden Punkte ihrer Lehren zu disputiren. Aber die Einigung scheiterte an der Unbeugsamkeit, mit der Luther an seiner Ansicht von der realen Gegenwart des Leibes Christi im Abendmahl festhielt. Da war denn auch kein politisches [772] Zusammengehen möglich. Noch auf dem Augsburger Reichstage mußten die zwinglianisch gesinnten Städte Straßburg, Constanz, Ulm und Reutlingen in der sog. Tetrapolitana ihre eigene Confessionsschrift einreichen. Ohnehin hatte der Bündnißgedanke den Beifall Luthers nicht, der zumal die Gegenwehr wider den Kaiser, die von Gott eingesetzte Obrigkeit, als unchristlich verwarf und in dieser Ansicht auch bei Kursachsen und den Uebrigen Zustimmung fand. Nur Landgraf P. dachte anders. Er lebte, besonders seit dem Marburger Religionsgespräch, in dem Gedanken, alle dem Kaiser, als dem Hauptgegner der Evangelischen, feindlichen Elemente in Europa zu einem großen Bündniß zu vereinigen. P. stand hier zumal unter dem Einfluß der mächtigen Persönlichkeit Zwingli’s, mit dem er von dem Religionsgespräch bis zu dessen Tode einen vertraulichen politischen Briefwechsel unterhielt. Hier richten sich die Gedanken auf die gesammte Lage der Welt; die nahen und die weitesten Ziele werden neben einander ins Auge gefaßt: ein hessisch-schweizerisches Bündniß, welches denn auch durch den Eintritt Philipp’s in ein sogenanntes Burgrecht mit Zürich, Basel und Straßburg (November 1530) angebahnt wurde, und die Rückführung Ulrich’s von Würtemberg in sein Land; die Hineinziehung des ganzen Nordens Deutschlands in das schweizerische Burgrecht, Verhandlungen mit Venedig, mit Dänemark, mit Frankreich, ein Bund der ganzen nichthabsburgischen Welt, getragen von dem Grundgedanken des Evangeliums und des Gegensatzes gegen die spanisch-habsburgische Monarchie, die man zertrümmern will; plant man doch sogar, dem Kaiser den Eintritt in Deutschland zu sperren. Allerdings blieben diese Gedanken meist auf dem Papiere; ihre Ausführung scheiterte besonders an dem anfänglich friedfertigen Gebahren des Kaisers und dem schroffen Verhalten der Lutherischen gegen die Zwinglianer und Oberdeutschen. Aber noch auf dem Augsburger Reichstage selbst, als die Aussicht auf eine Verständigung mit den Katholischen sich immer mehr trübte, fand eine Annäherung zwischen den Sachsen und den Oberdeutschen statt. Die theologischen Bedenken Luthers über den Widerstand gegen den Kaiser traten vor den Ansichten der Juristen und Staatsmänner zurück. Sachsen regte jetzt eine Gesammtverbindung der evangelischen Partei, die es früher, zumal schon in Speier 1529, zurückgewiesen hatte, seinerseits an. Es waren nicht die ausschweifenden Gedanken eines Bundes mit Frankreich und Venedig, eines Offensivkrieges, einer Absperrung Deutschlands gegen die katholische Weltmonarchie; wol aber eine Zusammenfassung der gesammten germanischen protestantischen Welt und der Wille entschlossenster gemeinsamer Vertheidigung. So kam am 31. December 1530 auf einer Tagfahrt zu Schmalkalden der Entwurf eines Bündnisses zu Stande, zwischen den Fürsten von Sachsen, Lüneburg, Brandenburg-Ansbach, Hessen, Anhalt, und fünfzehn theils nieder- theils oberdeutschen Reichsstädten (darunter alle vier Unterzeichner der Tetrapolitana, die sich allerdings zum Theil den definitiven Beitritt noch vorbehielten), zunächst zur Herbeiführung einer Milderung des Augsburger Abschiedes, aber auch zur Erhaltung christlicher Wahrheit und Friedens und zur Abwehr unbilliger Gewalt. In der Folge wurde dann über den Beitritt der evangelischen Schweizer zu dem Gesammtbündniß und zugleich über ihre dogmatische Vereinigung mit den Katholischen auf Grundlage einer von Bucer abgefaßten vermittelnden Formel verhandelt; aber Zwingli und die Seinen konnten sich nicht sogleich entschließen, die gebotene Hand anzunehmen. Doch hielt P. an der Verbindung mit den Schweizern fest, durch die er aufs neue mit Frankreich anknüpfen ließ, während er selbst sich dem mit Habsburg rivalisirenden Hause Baiern, welches an der Anfang 1531 gegen den Protest Kursachsens erfolgten Wahl Ferdinands zum römischen Könige den größten Anstoß nahm, näherte. Aber schon im October kreuzte die Katastrophe in der Schweiz [773] – der Tod Zwingli’s und der ungünstige Friede von Kappel – die Pläne des unermüdlichen Fürsten. Damit war der Gedanke des evangelischen Gesammtbündnisses definitiv aufgegeben; die Geschicke Deutschlands schieden sich – und zwar für immer – von der Schweiz. Die oberländischen Städte, welche bis dahin nach der Schweiz gravitirt hatten, verloren mit Zwingli ihren besten Rückhalt; sie waren fortan auf den Schmalkaldischen Bund angewiesen, dem sie dann auch im December 1531 auf einer zweiten Versammlung zu Frankfurt in aller Form beitraten. So schien Sachsen und das Lutherthum über den Landgrafen und die Oberdeutschen gesiegt zu haben. Selbst der Kaiser sah sich schon 1532 bewogen, in dem sogenannten Nürnberger Religionsfrieden, unter dem Eindruck einer neuen Unternehmung der Türken, den Lutherischen das zu gewähren, was er in Augsburg 1530 versagt hatte: einstweilige Duldung; freilich auch nur den Lutherischen, den Anhängern der Confessio Augustana, und auch diesen nur bis auf weiteres und ohne daß etwas darüber ausgemacht war, ob solche Stände, die sich künftig zum Lutherthum bekennen würden, in den Frieden eingeschlossen sein sollten. Unter diesen Umständen sträubte sich der Landgraf anfangs diesem beizutreten und bezichtigte die Sachsen schimpflicher Nachgiebigkeit. Wenn er sich dann aber auch nothgedrungen anschloß, so gab er seine weitergehenden Pläne, in denen er lebte und webte, keineswegs auf. Nur um so eifriger suchte und unterhielt er Beziehungen zu den rheinischen Kurfürsten, den Herzögen von Baiern, zu Dänemark-Holstein und Frankreich. Im Mittelpunkt seiner Bestrebungen aber steht von jetzt ab das Project der Rückführung des vertriebenen Herzogs Ulrich von Würtemberg in sein Land, welches, den Habsburgern überliefert, die österreichische Machtstellung in Oberdeutschland erheblich verstärkte. Dem flüchtigen Herzog, der sich inzwischen den Evangelischen angeschlossen hatte, gewährte Landgraf P. schon seit 1527 Obdach und Schutz; längere Zeit trug er sich auch bereits mit dem Gedanken, Ulrich herzustellen; während der Pack’schen Händel sowie nach dem Speierer Reichstag von 1529 und bei anderen Anlässen war ernsthaft davon die Rede. Jetzt aber war die Zeit gekommen. Den unermüdlichen Anstrengungen Philipps gelang es zunächst den Schwäbischen Bund, obwohl der Kaiser dessen Erneuerung wünschte, zu sprengen. Ferner suchte er insbesondere auch Baiern, welches zwischen der Besorgniß vor der habsburgischen Macht und dem Wunsche den Katholicismus aufrechtzuerhalten unentschieden hin- und herschwankte, zu gewinnen und wenigstens so viel wurde erreicht, daß Baiern die Restitution Ulrichs zuließ; directe Hilfe dagegen, wenn auch nur in Gestalt von Geld, versprach K. Franz von Frankreich, mit dem der Landgraf Anfang 1534 in Barleduc eine Zusammenkunft abhielt, nicht um sich den Plänen französischen Ehrgeizes zur Verfügung zu stellen, sonderlich lediglich, um den schnöden Rechtsbruch der Habsburger, ihre Verletzung deutscher Reichsfreiheit zu ahnden. Der französischen Bundesgenossenschaft sicher, trat dann P. im April, muthvoll, wenn auch ohne sich über die Schwierigkeiten des Unternehmens zu täuschen, seinen Zug nach Würtemberg an. Mit etwa 24 000 Mann drang er in das Land ein; bei Lauffen unweit der Grenze stellte sich ihm der Statthalter Ferdinands, Pfalzgraf Philipp, der ruhmvolle Vertheidiger Wiens[WS 1], vom Jahre 1529 entgegen, freilich mit unzulänglicher Macht. In einem ersten Scharmützel am 12. Mai wurde der Pfalzgraf verwundet; am nächsten Tage folgte die Entscheidung: ein rascher Flankenangriff des Landgrafen bewog die Gegner, welche in einem engen Thalkessel zwischen Neckar und Zaber aufgestellt waren, um nicht umzingelt zu werden, einen gedeckten Rückzug anzutreten, der dann aber, durch die hessischen Reiter beunruhigt, in eine verlustreiche Flucht ausartete und, ohne daß es zu einer eigentlichen Schlacht gekommen war, dem Sieger das Land öffnete. Ulrich, der sich [774] in Person beim Heere befand, konnte fast widerstandslos von seiner Herrschaft Besitz nehmen; die Bevölkerung war ohnehin dem österreichischen Regimente gram und begrüßte den angestammten Fürsten mit Freuden. Selbst die Festungen gingen rasch über. Und schon am 29. Juni kam es unter Vermittlung Kursachsens und anderer Fürsten zum Frieden mit Ferdinand (zu Kadan bei Annaberg in Böhmen) wonach Ulrich, allerdings unter Vorbehalt der österreichischen Oberlehnsherrlichkeit, sonst aber mit den Rechten eines Reichsfürsten, Würtemberg zurückerhielt. Außerdem mußte Ferdinand – gegen Anerkennung seines römischen Königthums durch die Schmalkaldener – diesen die Errungenschaften des Nürnberger Friedens sanctioniren und, was über diesen Frieden noch hinausging, dem Herzog von Würtemberg die Erlaubniß zur Kirchenreformation im wiedererlangten Herzogthum gewähren, eine Erlaubniß, von welcher Ulrich natürlich alsbald Gebrauch machte; auch sein katholisch erzogener Sohn Christoph wurde in der Folge für die evangelische Lehre gewonnen. So war in die österreichische Machtstellung in Oberdeutschland ein gewaltiger Keil eingetrieben und zugleich dem Protestantismus daselbst eine sichere Stätte und ein Mittelpunkt für weitere Ausdehnung bereitet, ein Ergebniß, welches der kühnen Initiative des Landgrafen P. in erster Linie zu danken war. Nicht so glücklich war P. in seinen Hoffnungen, den Bischof von Münster, Franz von Waldeck, durch Unterstützung gegen seine aufständische Hauptstadt, in der die Wiedertäufer die Oberhand erlangt, für das Evangelium zu gewinnen; der Sturz der letzteren zog hier die Restitution des schroffsten Katholicismus nach sich. Dagegen gelang P. ein anderes ungleich wichtigeres Werk, nämlich die religiöse Vereinigung zwischen den Evangelischen Nieder- und Oberdeutschlands. Unter seinen Auspicien großentheils wurden die Verhandlungen betrieben, welche schließlich dahin führten, daß Luther eine von Bucer aufgestellte, der seinigen angenäherte Formel über die Bedeutung der Einsetzungsworte des Abendmahls annahm und daraufhin die Oberländer als Brüder anerkannte; letztere nahmen dann die Augsburgische Confession und deren Apologie als das eigene Bekenntniß an; sie fielen also fortan auch unter die Bestimmungen des Nürnberger Friedens, dem man jetzt unter Connivenz Ferdinands und des Kaisers die Ausdehnung gab, daß auch die zur Confessio Augustana neu hinzutretenden Stände eingeschlossen seien. Auf dieser Grundlage breitete sich der Protestantismus in Ober- wie in Niederdeutschland gewaltig aus; im Besonderen kam den Neugläubigen der Tod Joachims I. von Brandenburg (1535) und Georgs von Sachsen (1539) zu statten, da deren Nachfolger in kurzem der evangelischen Lehre in den beiden Ländern zum Sieg verhalfen; schon etwas früher war auch der Bundesgenosse des Landgrafen, König Christian III. von Dänemark, dieses Landes völlig Herr geworden und hatte ebenfalls die neue Lehre durchgeführt. Die Protestanten konnten es jetzt unbedenklich wagen, die Bemühungen des neuen Papstes Paul III. (seit 1534) um das Zustandekommen eines Concils, welches ihnen keine Garantie unparteiischer Prüfung ihrer Lehren bot, zu verwerfen; auch der Nürnberger Bund der katholischen Stände von 1538 schreckte sie nicht; in der That mußte ihnen in dem Frankfurter „Anstand“ vom April 1539 zugestanden werden, daß die Religionsprocesse, mit denen das Kammergericht die Protestanten zu verfolgen nicht aufhörte, auf achtzehn Monate eingestellt und inzwischen der Versuch gemacht würde, die kirchliche Frage statt auf dem Wege des Concils durch eine rein deutsche interne Lösung zum Abschluß zu bringen. Im Sommer 1540 sollte ein Ausschuß von Laien und Gelehrten die Verhandlungen darüber beginnen. Doch war auf den Kaiser, dessen Ankunft man damals wieder entgegensah, kein Verlaß. Mit Frankreich seit 1538 im Frieden, mit der Curie aufs neue in enger Verbindung, weigerte er auf Wunsch derselben die Ratification des [775] Frankfurter Anstandes. Da mußten die Protestanten wol besorgt sich fragen, was seine Ankunft im Reiche ihnen bedeuten werde. Allein sie standen nicht mehr allein wie vor zehn Jahren. In ganz Deutschland konnte einzig Herzog Heinrich von Wolfenbüttel als Anhänger des Kaisers gelten, sonst war diesem Aller Stimmung entgegen. Man wünschte im Reiche auf beiden Seiten den Frieden, dem nur die Vergrößerungsgelüste des Hauses Habsburg entgegenzustehen schienen. Zumal die Gelüste Karls auf Geldern mußten weithin Besorgnisse erwecken und Widerstand hervorrufen. Mit Geldern hätte Karl nicht nur am Unterrhein die beherrschende Position gewonnen, sondern er wäre in Norddeutschland überhaupt, wo soeben der Protestantismus zu voller Entfaltung gekommen war, der mächtigste Herrscher gewesen. Auch war zu besorgen, daß er bei Geldern nicht stehen bleiben würde. Hatte er soeben die Bisthümer Utrecht und Lüttich eingezogen, so traute man ihm die Absicht zu, die Bisthümer des Reichs überhaupt zu säcularisiren und ihre politische Macht an die Krone zu nehmen – eine Gefahr, der gegenüber in dem deutschen Episcopat sogar die Idee einer Umwandlung der Stifter in weltliche Fürstenthümer auftauchte. Aber auch die auswärtigen Mächte, England, Frankreich, Dänemark konnten die drohende Ausdehnung der burgundischen Macht nicht gleichgiltig ansehen; zumal Heinrich VIII. machte Miene eine solche nicht zuzugeben; er vermählte sich eben damals mit Anna von Cleve, der Schwester des vom Kaiser bedrohten Herzogs Wilhelm von Jülich-Cleve und Geldern. So fehlte es nicht an Kräften, die dem Kaiser feindlich waren; und es wäre nur darauf angekommen, diese alle unter sich zu verbinden, zu einem großen Schlage zu vereinigen. In diesem Gedanken aber erscheint nun vor allem wiederum Landgraf P. thätig. Er steht in der Mitte aller dieser Wünsche und Versuche; viele gingen von ihm aus; andere gelangten an ihn, damit er ihnen Verbreitung und Ausführung verschaffe; mit allen Parteien stand er in Verbindung, mit den Schmalkaldenern und den katholischen Fürsten und Bischöfen, ebenso wie mit den auswärtigen Mächten, den Königen von Frankreich, England, Dänemark. Aber die Zerklüftung und die auseinandergehenden Interessen der einzelnen Mächte erwiesen sich als zu stark; nach den eifrigsten Verhandlungen sah sich P. im Frühling 1540 eben soweit wie im Herbst 1539, oder vielmehr, es hatte sich inzwischen gezeigt, daß eine Verbindung aller dieser heterogenen Elemente wider den Kaiser unmöglich sei. Furcht und Mißtrauen, Kleinmuth, Selbstsucht herrschten im protestantischen wie im katholischen Lager; die Bischöfe kamen von ihren Reform- und Umwandlungsideen zurück, Baiern erwies sich doppelzüngiger und hinterhaltiger als je; eine Sendung nach England mißglückte vollständig; die Beilegung der Irrungen unter den verschiedenen Ständen zeigte sich aussichtslos. Dazu kam, daß eine unmittelbare Gefahr nicht vorzuliegen schien. Der Kaiser ließ sich eben jetzt, da er sich dem Reiche näherte, ungemein friedlich vernehmen und wenigstens die deutschen Stände hätten es doch immerhin, so viel Ursache sie auch hatten, der Sprache des Kaisers zu mißtrauen, am liebsten gesehen, wenn sie im Frieden mit Karl hätten auskommen können. Vor allen Landgraf P. selbst. In ihm lebte der Reichsgedanke, der Sinn für die Aufrechterhaltung von Kaiser und Reich; er hat stets die Zugehörigkeit zum Reiche als eine persönliche Verpflichtung gegen den Kaiser gefühlt. Und nachdem er seiner Pflicht gegen Ulrich von Würtemberg genügt, war es das Ideal seines Strebens, im Dienste des Kaisers die Reichsfeinde, womöglich die türkischen Bedränger des christlichen Glaubens zu bekämpfen. Schon 1535 ging er selbst nach Wien, um seine Dienste anzubieten. Hier traute man zuerst der anscheinend so plötzlichen und unvermittelten Schwenkung des Landgrafen nicht; man besorgte eine List. Als man sich freilich von seiner Aufrichtigkeit überzeugt hatte, wetteiferten [776] die habsburgischen Diplomaten förmlich ihn festzuhalten und zu bestricken. Jahrelang hielt man den Arglosen mit den lockendsten Aussichten hin, um ihn schließlich zu verderben. Die Reise nach Wien war der erste Schritt Philipp’s auf der schiefen Bahn, die ihn ins Verderben brachte. Im Jahre 1539 freilich, unter Einwirkung der geschilderten Sachlage, schien der Landgraf die Stricke zerrissen zu haben, die ihn fesseln sollten. Er stand als Führer und Vermittler im Centrum aller antihabsburgischen Bestrebungen. Aber das Mißlingen aller seiner Anstalten, die Abweisungen die er dabei sogar von den besten Freunden erfuhr, führten ihn umsomehr in die alte Bahn zurück. Schon im Anfang März 1540 sehen wir einen vertrauten Rath Philipp’s mit dem kaiserlichen Minister in Köln conferiren. Und in demselben Augenblick that P. noch einen anderen folgenreichen Schritt. Er vollzog (4. März 1540) seine vielberufene Nebenehe mit dem sächsischen Hoffräulein Margaretha von der Saal. P. hatte schon seit langem nicht mehr vermocht, seiner Gemahlin Christine von Sachsen, die dem achtzehnjährigen angetraut worden, die eheliche Treue zu bewahren; er hat zwar von ihr sieben Kinder erzielt, aber sie genügte seinen Sinnen nicht. Andererseits schädigten ihn seine Ausschweifungen an Körper und Geist; körperlicher Krankheit gesellten sich bittere Seelenqualen hinzu: er fürchtete das Himmelreich zu verlieren; freiwillig schloß er sich vom Genuß des Abendmahls aus, schon seit 1525, so schwer es ihn ankam. Da er an Scheidung von Christinen nicht denken mochte, so wurde seine Lage nachgerade unerträglich, bis er, der eifrige Bibelleser, auf den Gedanken verfiel, eine zweite Frau heimzuführen, wie die Patriarchen des alten Testaments. Und er fand auch im neuen Testament kein Verbot der Bigamie. P. wandte sich an die Wittenberger Theologen, um ihre Billigung seines Planes zu erlangen. Natürlich erschraken sie heftig und widerriethen den Schritt; da sie aber P., der sogar andeutete, daß er andernfalls sich an den Kaiser wenden werde, entschlossen sahen, gaben sie nach; ebenso der Kurfürst von Sachsen. Nur bestanden alle auf größter Geheimhaltung. Aber, nachdem der Landgraf die Ehe eingegangen war, konnte doch das Geheimniß nicht durchaus gewahrt bleiben; wenigstens Gerüchte davon kamen ins Publicum. P. selbst, in seinem Gewissen über die Rechtmäßigkeit seines Schrittes beruhigt, wollte sich kaum zur Ableugnung verstehen. Aber wenn das Geheimniß an den Tag kam, bedrohten den Fürsten nicht die Strafen, die die peinliche Halsgerichtsordnung Karls auf Bigamie gesetzt? Es war klar, vor der Welt konnte ihn nur der Kaiser vor den Folgen seines Thuns schützen. Ohnehin gerieth der Landgraf mit den Seinen, seiner Schwester der Herzogin von Rochlitz, mit dem Kurfürsten von Sachsen in die ärgerlichsten Zänkereien; da lag es denn um so näher, daß Philipp seinen Halt an dem Kaiser suchte, dessen Minister ihm so freundlich entgegenkamen. So trug der Ehehandel des Landgrafen nicht wenig dazu bei, diesen einer Verständigung mit dem Kaiser, der fortfuhr, seine friedlichen auf Ausgleich der Religion gerichteten Absichten zu betonen, geneigt zu machen. Auf dem Reichstage zu Regensburg 1541, wo der Kaiser, nachdem die Religionsgespräche zu Hagenau und Worms (1540) und in Regensburg selbst, wo der Landgraf die Verhandlungen mit dem größten Eifer betrieb, trotz anfänglicher Annäherung zwischen den Parteien resultatlos verlaufen waren, den Protestanten eine „Declaration“ gewährte, wodurch dieselben im Besitz der eingezogenen Kirchengüter sichergestellt und der künftige Zutritt zu ihrer Religion freigegeben wurde, schloß P. seinen Sondervertrag mit dem Kaiser und versprach, das Zusammengehen der Schmalkaldener mit Frankreich und England zu hintertreiben, wofür ihn der Kaiser in seine Freundschaft und seinen besonderen Schutz aufnahm. Damit war aber P., die eigentlich treibende Kraft im Schmalkaldischen Bunde, lahmgelegt und [777] dieser außer Stand gesetzt, die Verlegenheiten, in welche der Kaiser in den folgenden Jahren durch Niederlagen in Ungarn und Algerien und durch den Wiederausbruch des Krieges mit Frankreich gerieth, im Sinne dauernder Sicherung der Position des Protestantismus im Reiche voll auszunutzen. Einen Erfolg freilich gewährte die Gunst der Lage. Es gelang den Schmalkaldenern, ihren grimmigsten Gegner in Norddeutschland, Herzog Heinrich von Wolfenbüttel, und damit den einzigen deutschen Fürsten, der dem Kaiser unbedingt ergeben war, zu beseitigen. Der Bruch war über die Städte Goslar und Braunschweig, Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes, erfolgt, welche Heinrich unablässig bedrängte und seiner Hoheit zu unterwerfen trachtete. Schließlich war vom Kammergericht, welches aller an die Protestanten ergangenen Zusicherungen ungeachtet fortfuhr, wider protestantische Stände einzuschreiten, über Goslar die Acht ausgesprochen und der Herzog mit der Execution beauftragt worden. Freilich wurde dann auf Betreiben des Kaisers die Acht suspendirt, aber Heinrich achtete dessen nicht. Schon entspann sich ein leidenschaftlicher Federkrieg zwischen den Häuptern des Schmalkaldischen Bundes und dem Welfen, dem ehemaligen vertrauten Freunde des Landgrafen. Vergebens legte dann in Regensburg der Kaiser beiden Theilen Schweigen auf. Heinrich fuhr fort die Städte zu bedrängen, die Schmalkaldener aber schritten zur That. Im Juli 1542 übersandten sie dem Herzog ihren Fehdebrief, dem sie mit starker Macht auf dem Fuße folgten. In kurzem war das ganze Herzogthum in ihren Händen; selbst Wolfenbüttel ergab sich nach kurzer Beschießung. Eine gemeinsame kursächsisch-hessische Regierung wurde eingesetzt und Bugenhagen berufen, um das Land zur Reformation überzuführen. Vergebens suchte der Herzog, welcher fliehend das Land seiner Väter verlassen hatte, bei den katholischen Mächten Hilfe; der Kaiser, der noch immer nicht den Augenblick gekommen sah, um die Maske abzuwerfen, regte keine Hand für ihn. Endlich im Jahre 1545 verlangte der Monarch, daß ihm das Land in Sequester gegeben werde. Aber damit war Heinrich am wenigsten zufrieden; er mochte an Würtemberg denken; so rüstete er auf eigene Hand und fiel mit einigen tausend Knechten im Herbst 1545 in sein Herzogthum ein, welches er im ersten Augenblick ohne Widerstand einnahm; nur Wolfenbüttel behauptete sich. Aber schon eilte der Landgraf herbei; sächsische Truppen vereinigten sich mit ihm und am 21. October kam es nahe Northeim zum Treffen. Heinrichs Söldner hielten nicht Stand; er sah sich verlassen und von den feindlichen Schaaren umzingelt und ergab sich mit seinem Sohne Karl Victor dem Landgrafen, der ihn in der hessischen Festung Ziegenhain interniren ließ.

Inzwischen aber bereitete der Kaiser den entscheidenden Schlag schon vor, den zu führen ihn vor allem die Vertrauensseligkeit der Schmalkaldener in den Stand gesetzt hatte. Landgraf P. selbst hatte die Aufnahme des Herzogs von Jülich und Geldern in den Schmalkaldischen Bund hintertrieben; die Folge war, daß der Kaiser im Herbste 1543 über den allseitig verlassenen Fürsten herfallen konnte. Wilhelm mußte Geldern abtreten und zum Katholicismus zurückkehren. Das war der erste große Triumph, der nicht nur die Lage des Kaisers wesentlich besserte, sondern diesem auch die Ueberzeugung gab, daß er es nicht minder mit den Schmalkaldenern werde aufnehmen können. Aber vorerst bedurfte Karl der Hilfe der Protestanten noch wider Frankreich; so brachte ein Speierer Reichstag jenen neue Zugeständnisse: die Gewährleistung ihres kirchlichen Besitzstandes und die Zusicherung, daß die Beilegung des religiösen Zwiespalts auf einem freien Concil oder einem Reichstage erfolgen solle (Juni 1544). Gegen P. von Hessen, dem der Kaiser den Oberbefehl für einen demnächstigen Türkenkrieg in Aussicht stellte, erwies sich Karl in dem Maße zuvorkommend, [778] daß jener sich schon als Vermittler zwischen Habsburg und Frankreich träumte: er hielt damals für möglich, daß der Kaiser Mailand an Frankreich abtrete und sich dafür an den päpstlichen Besitzungen schadlos halte. Aber der unerwartet schnelle Friedensschluß mit Frankreich (zu Crespy September 1544), in welchem dieses u. a. seine Mitwirkung zur Wiedervereinigung der Christenheit versprach, änderte die ganze Sachlage. Es folgte die Berufung eines Concils durch Papst Paul III. nach der Stadt Trient und ein Friedensschluß des Kaisers mit den Türken. Fortan stand es für Landgraf P. fest, daß über kurz oder lang geschlagen werden müsse. Und wiederum finden wir ihn in diesen Jahren nach allen Seiten rastlos thätig bei ganz oder halb gewonnenen Glaubensgenossen wie bei katholischen Ständen, und emsig bemüht der nahenden Gefahr einen genügend starken Damm entgegenzusetzen. Ein von dem Landgrafen im Herbste 1545 projectirter allgemeiner deutscher Fürstentag kam freilich nicht zu Stande; doch eröffneten sich dem Schmalkaldischen Bunde und dem Protestantismus eben damals noch große Aussichten. Hermann von Köln trat offen auf die Seite der Neugläubigen und bemühte sich, sein Stift evangelisch zu machen, und der nicht ohne Mitwirkung Philipp’s erhobene neue Erzbischof von Mainz, Sebastian von Heusenstam, schien Hermanns Beispiel folgen zu wollen. Der Kurfürst-Pfalzgraf Friedrich II. verhandelte über seinen Zutritt zum Schmalkaldischen Bund. Allein inzwischen traf auch der Kaiser seine Maßnahmen; sein Bund mit der Curie festigte sich, zumal da die Protestanten das Tridentiner Concil nicht als das ihnen verheißene freie allgemeine Concil anerkennen wollten; Frankreichs war der Kaiser umsomehr sicher, als es damals mit England noch im Kriege lag; Baiern wurde durch die Aussicht auf die pfälzische Kur gewonnen; selbst protestantische Elemente schlossen sich dem Kaiser an. Es fehlte auf protestantischer Seite an festem Zusammenhalt; vor allem gefährlich war die Spannung, welche über territoriale und jurisdictionelle Fragen zwischen dem Kurfürsten von Sachsen und dem jungen hochstrebenden Albertiner Herzog Moritz bestand. Der Landgraf, dessen Schwiegersohn Moritz war, erwies sich zwar unermüdlich in Vermittlungsversuchen, aber der Kurfürst war ebenso eigensinnig wie Moritz ehrgeizig und auf die Kurlinie eifersüchtig. Um so besser gelang es der überlegenen kaiserlichen Diplomatie, Moritz zu umstricken. Auf dem Regensburger Reichstage im Frühsommer 1546, der auf das ergebnißlose Speierer Religionsgespräch im März gefolgt war, kam ein festes Bündniß zwischen Karl und Moritz zu Stande, dem für thätliche Hilfe im Kriege die sächsische Kur in Aussicht gestellt wurde. Der Kaiser aber beschloß jetzt unverzüglich loszuschlagen. Er machte kein Hehl mehr aus seinen Absichten und noch auf dem Reichstage erfolgte – ohne vorgängiges Rechtsverfahren – die kaiserliche Achtserklärung gegen Johann Friedrich und P. als pflicht- und eidbrüchige Rebellen und aufrührerische Verletzer kaiserlicher Majestät (20. Juli 1546). Aber der Kaiser sah sich nicht, wie er gehofft hatte, zwei verlassenen Fürsten, sondern dem größeren Theile des auf dem Boden des Evangeliums geeinten Deutschlands gegenüber. Die Schmalkaldener, die sich in letzter Zeit allerdings trotz der unablässigen Mahnungen Philipp’s sehr lau gezeigt, erklärten jetzt den Krieg als Religionssache und damit für Bundespflicht. Und Karl, dessen Werbungen noch nicht abgeschlossen und dessen Hilfsvölker noch fern waren, lag mit ein paar tausend Knechten bei Regensburg, als die Schmalkaldener bereits 50 000 Mann in Waffen hatten. Schon Ende Juli erschienen Johann Friedrich und P. mit vereinter Macht am Main; das Heer der oberländischen Stände aber operirte im äußersten Süden mit Glück, bemüht die Pässe zu sperren, durch welche die kaiserlichen und päpstlichen Hilfstruppen aus Italien heranziehen sollten. Aber die kurzsichtige Kriegsleitung rief sie zurück, aus Besorgniß, Baiern, an dessen Neutralität man noch glaubte, als es [779] längst seinen Vertrag mit dem Kaiser gemacht hatte, zu verletzen. So concentrirte sich die oberländische Kriegsmacht bei Donauwörth und hier stießen die Fürsten zu ihr – abermals ein schwerer strategischer Fehler; wären sie direct gegen Regensburg gezogen und hätten dort den Oberländern die Hände gereicht, so würde der Kaiser sich unmöglich haben behaupten können. So aber gewann Karl Zeit, die italischen und die niederländisch-spanischen Hilfsvölker an sich zu ziehen. Mit diesen aber war er den Gegnern gewachsen, wo nicht überlegen. Ergebnißlos manövrierten beide Heere ein paar Monate lang wider einander. Die Schmalkaldener boten wohl die Schlacht, aber einen ernsten Angriff unternahmen sie nicht. Einmal, am 30. August, war es nahe daran; die Schmalkaldener hatten in günstiger Position eine heftige Kanonade wider die Gegner eröffnet; der Landgraf drang auf einen Angriff mit gesammter Macht, aber die Bedächtigkeit des Kurfürsten und der Kriegsräthe, an deren Mitwirkung P. bei Führung des Oberbefehls gebunden war, ließ es nicht dazu kommen. So kam der Spätherbst heran; die Truppen litten unter der Ungunst der Witterung; mehr freilich die fremden Hilfsvölker im kaiserlichen Lager als die deutschen Mannen der Schmalkaldener. Trotzdem vermochte der Kaiser sein Kriegsvolk länger beisammen zu erhalten als diese, zumal da die oberländischen Städte in unzeitiger Sparsamkeit mit Darbietung der erforderlichen Geldmittel kargten. Dazu kam die Nachricht, daß Herzog Moritz, dem inzwischen vom Kaiser die sächsische Kur in aller Form zugesichert worden war, in die Kurlande eingefallen sei und dieselben großentheils eingenommen habe. So löste sich das protestantische Heer auf; nicht einmal konnte man, wie anfangs geplant, eine geringe Macht im Winterlager halten. Alles ging aus einander. Der Kaiser sah sich jetzt in der Lage, die oberländischen Städte und den Herzog von Würtemberg einzeln zur Unterwerfung zu bringen; dann zog er im Frühling 1547 nach Sachsen, gegen Johann Friedrich, dem es gelungen war, Moritz zurückzutreiben. Doch hatte der Kurfürst es abermals nicht verstanden, seinen Vortheil zu verfolgen; fast wehrlos wurde er vom Kaiser bei Mühlberg an der Elbe ereilt, geschlagen und gefangen genommen. Aber der Kaiser war mit dem Fang des Einen nicht zufrieden; er glaubte nicht eher Sieger zu sein, als bis er auch Philipp’s habhaft geworden sei. Dieser war Ende 1546 unmuthig, verzweifelnd in sein Land zurückgekehrt; er empfand vollauf die Niederlage, welche die protestantische Sache in Oberdeutschland erlitten. Dabei glaubte er sich von Verrath umgeben; zumal dem landsässigen Adel mißtraute er. Noch im Winter begannen die Verhandlungen mit dem Kaiser, ernstlicher wurden dieselben, unter Vermittlung des neuen Kurfürsten Moritz und Joachims von Brandenburg, seit der Katastrophe von Mühlberg betrieben; aber der Landgraf konnte sich lange nicht entschließen, die Bedingungen des Kaisers, welcher die Auslieferung alles Geschützes und die Schleifung aller Festungen bis auf eine, dazu eine Strafsumme von 150 000 Gulden und eine förmliche Unterwerfung auf Gnade und Ungnade verlangte, anzunehmen. Als aber die vermittelnden Kurfürsten über diese letzte Bedingung den Landgrafen dahin beruhigten, daß er an Leib und Gut nicht bestraft, auch nicht mit Gefängniß belegt werden solle, nahm er, um seinem Lande die Schrecken eines Verzweiflungskampfes zu ersparen, das von den Kurfürsten im Namen des Kaisers ausgestellte Geleit an, kam nach Halle und fiel vor dem Kaiser auf die Knie, während der neben ihm knieende Kanzler Günderode die Abbitte verlas, auf die dann der kaiserliche Kanzler mit einer Erklärung antwortete, wonach die Ergebung des Landgrafen angenommen und er nicht mit ewigem Gefängniß bestraft werden sollte. Noch aber hatte der Landgraf kein Arg. Wie ein Donnerschlag traf ihn am Abend die Ankündigung des Herzogs von Alba, bei dem er als Gast verweilte, daß er das Haus nicht [780] verlassen dürfe. P. war gefangen, überlistet vom Kaiser. Wol hat dieser nie förmlich die Zusage gegeben, den Landgrafen nicht einige Zeit gefangen zu halten; ganz im Gegentheil hatte er anfangs den vermittelnden Fürsten es als seine Absicht erklärt, P. dasselbe Schicksal wie dem entsetzten Kurfürsten zu bereiten; aber in den späteren Verhandlungen war davon nicht nur nicht mehr die Rede gewesen, sondern in der schließlich vereinbarten Capitulation waren Dinge enthalten, welche die alsbaldige Rückkehr des Landgrafen zur Voraussetzung zu haben schienen, sodaß die vermittelnden Kurfürsten nicht anders glaubten, als daß der Kaiser auf seine anfängliche Forderung verzichtet habe; sie hatten daher dem Landgrafen auch seine unverzügliche Heimkehr in der bestimmtesten Weise gewährleistet und zwar eben, wie wenigstens P. nicht anders annehmen konnte, im Namen des Kaisers; dieser freilich kannte ihren Irrthum, hütete sich aber wohl, sie aus demselben zu befreien. Sind daher die Kurfürsten von Unvorsichtigkeit nicht freizusprechen, so noch viel weniger der Kaiser von schnöder Hinterlist; nur durch Betrug ist er des Landgrafen Herr geworden. Und über fünf Jahre hat der Fürst in der Gefangenschaft eines unversöhnlichen Gegners schmachten müssen, der es darauf angelegt zu haben schien, durch unwürdige Behandlung und Entbehrungen aller Art sein Opfer körperlich und geistig zu schwächen. Es war vergebens, daß die Kurfürsten, die sich betrogen und an ihrer Ehre verletzt fühlten, dem Kaiser die dringendsten Vorstellungen machten; daß die Gattin des Landgrafen Christine einen Fußfall vor dem Kaiser that; daß P. auch von seinem Gefängniß aus dafür sorgte, die Bedingungen seiner Capitulation pünktlich zu erfüllen und sich noch darüber hinaus zu den größten Opfern und Diensten erbot; daß er sogar das Augsburger Interim rückhaltslos annahm und dessen Einführung in Hessen betrieb und anbefahl: er blieb gefangen und mußte sogar dem Kaiser in die Niederlande folgen, wo er erst zu Oudenarde, dann zu Mecheln gefangen gehalten wurde, der Willkür übermüthiger spanischer Officiere und ihrer rohen Mannschaften preisgegeben. Zumal nachdem ein Fluchtplan des Gefangenen entdeckt worden war, hatte er, in eine enge vergitterte Kammer gesperrt, Unsägliches zu leiden. Erst nach und nach gewann der leidenschaftliche Fürst, zu dessen Leiden sich noch das peinigende bittere Gefühl gesellte, nur durch Trug und Hinterlist in eine so unwürdige Lage gebracht zu sein, die innere Ruhe und Ergebenheit in sein Geschick. Seine Hoffnung und sein Vertrauen auf Gott setzend, wollte er anfangs von den Machinationen seines Sohnes und des Kurfürsten Moritz, dem Kaiser seine Erledigung abzuzwingen, nicht viel wissen; doch würde er auf anderem Wege schwerlich die Freiheit wieder erlangt haben, da vielmehr der Kaiser bereits die Absicht hatte, ihn nach Spanien führen zu lassen, von wo er wol schwerlich je wieder zum Vorschein gekommen sein würde. Aber die Empörung des Kurfürsten Moritz und des jungen Landgrafen Wilhelm und ihrer Verbündeten im J. 1552 wendete auch Philipp’s Geschick; in dem Augenblick, als Karl den Passauer Vertrag definitiv annahm, gab er auch Befehl, den Gefangenen zu erledigen. Sofort kehrte der Landgraf in sein Land heim; am 12. September traf er in Kassel ein.

Mancherlei Aufgaben harrten seiner, sowohl in seinem Lande wie auch im Reiche, wo die Zustände auch durch den Passauer Vertrag, der dem widerstrebenden Kaiser mühsam abgerungen war, und der überhaupt nur ein Provisorium schuf, noch durchaus nicht gefestigt waren. Selbst der Augsburger Religionsfriede 1555 sicherte die Stellung der Evangelischen im Reiche keineswegs; war man doch in zwei der wichtigsten Materien nicht einmal zu einer äußerlichen Verständigung gekommen. Und auch die folgenden Jahre brachten keine Beruhigung; das alte Mißtrauen zwischen den Confessionen blieb bestehen; die ferneren Versuche einer Beilegung des Schismas auf dem Colloquium zu Worms 1557 und [781] dem Reichstage daselbst 1559 scheiterten sofort, da die Parteien von vornherein gänzlich unvergleichbare Standpunkte einnahmen. Dazu kam die Wiedereröffnung des Tridentiner Concils, welches durchaus in den alten Formen verharrte; und schon begann die endlose Reihe der beiderseitigen Beschwerden wegen Bruchs und Umgehung des Religionsfriedens. Während aber unleugbar die Katholiken der protestantischen Partei an Machtmitteln nicht gewachsen waren, litten die Protestanten unter inneren Spaltungen, welche sie trotz allem zur Ohnmacht zu verurtheilen schienen. Den Anlaß zu den dogmatischen Kämpfen in der protestantischen Kirche bot die Entstehung einer Partei strenger Lutheraner, welche, zumal in Nieder- und Mitteldeutschland und auf der Universität der sächsischen Ernestiner zu Jena vertreten, alle auch nur im mindesten abweichende Meinungen, zumal die Melanchthonische Richtung in Wittenberg und die oberdeutschen gemäßigten Anschauungen als schlechthin ketzerisch in fanatischer Polemik bekämpften. Da war denn natürlich auch an ein politisches Zusammengehen nicht zu denken. Die Sachlage war ähnlich, nur daß freilich der Streit viel hitziger geführt wurde, wie vor 30 Jahren zwischen den Lutheranern und den Oberdeutschen und Schweizern. Wie aber damals Landgraf P. vor allen andern den Gedanken der religiösen und politischen Union aller Parteien des Protestantismus hochhielt, so sehen wir ihn auch jetzt wieder als den hervorragendsten Vertreter dieser Einungstendenzen sich geberden. Im speciellen aber suchte P. bei Ausbruch der Religionskriege in Frankreich den Hugenotten, welche mit Hülfe katholischer deutscher Stände von den Guisen bekämpft wurden, die Unterstützung des protestantischen Deutschlands zuzuwenden. Und er hat es denn auch nach unendlichen Anstrengungen durchgesetzt, daß den Hugenotten im J. 1562 eine Geldhülfe aus Deutschland zukam; P. selbst aber beurlaubte seinen Marschall Friedrich von Rollshausen, um mit einigen tausend meist in Hessen geworbenen Reitern und Hakenschützen nach Frankreich zu gehen, wo in der blutigen unentschiedenen Schlacht von Dreux die Hessen auf hugenottischer Seite wacker mitstritten (December 1562); worauf es im März 1563 zu dem Toleranzedict von Amboise kam, welches, wenigstens solange P. noch lebte, Frankreich in leidlichem Frieden erhielt. Andererseits gelang es dem Landgrafen freilich weder die Lehrstreitigkeiten in der deutschen protestantischen Kirche beizulegen oder auch nur ihre Heftigkeit zu mildern, noch auch die protestantischen Fürsten Deutschlands politisch zu einigen, wenn schon er selbst, zumal mit Sachsen beider Linien, Pfalz und Würtemberg die besten Beziehungen bewahrte und auch über Deutschland hinaus, namentlich zu Elisabeth von England von deren Regierungsantritt an, ein herzliches Vernehmen unterhielt, wenn schon ein engeres Bündniß Englands mit dem protestantischen Deutschland an der Uneinigkeit des letzteren scheiterte. – Der wichtigste Erfolg aber, den P. im letzten Jahrzehnt seines Lebens noch errang, betraf die speciellen Angelegenheiten des Hessenlandes; es war die Sicherung des Katzenelnbogischen Erbes, welches ihm von Nassau-Dillenburg, das sich auf die Gunst Karls V. stützte, lange Zeit streitig gemacht wurde; nach Philipp’s Ergebung war sogar Nassau in den Besitz des Landes gesetzt worden, den es freilich nur bis 1552 behauptete. Neu eröffnete Unterhandlungen führten dann aber 1557 zu endlichem Abschluß, so zwar, daß Nassau mit 600 000 Gulden (zu deren Ausbringung die hessischen Stände eine namhafte Tranksteuer bewilligten) abgefunden wurde; dafür blieb Hessen die katzenelnbogische Erbschaft nunmehr gesichert. Auch die übrigen Nachtheile, die die Capitulation von 1547 dem Landgrafen in seinem Lande gebracht, war er bemüht zu beseitigen; so ließ er die geschleiften Festungen herstellen und neu armiren und verstärken. Schon 1559 bei der erneuten Belehnung Philipp’s durch Ferdinand als Kaiser und der Restitution aller reichsfürstlichen Gerechtsame erlangte er auch die alte Lehnsherrlichkeit [782] über die Grafen von Rittberg, Schaumburg-Lippe, Hoya und Diepholz zurück; er war dann auch mit Erfolg bemüht, im übrigen die Lehn- und Schutzverhältnisse (z. B. mit Solms, Henneberg, Waldeck, Stift Corvey), welche der Machtspruch des Kaisers und der Krieg aufgelöst oder zerrüttet hatten, wieder anzuknüpfen; ebenso behauptete der Landgraf die säcularisirten Klöster des Landes und erlangte die Neubelehnung von Mainz (Erzbischof Daniel Brendel von Homburg aus Hessen), Fulda und Hersfeld; mit Abt Michael von Hersfeld, der sich einen evangelischen Hofprediger hielt, stand P. im engsten Einvernehmen. Nur den Widerstand des Deutschordens vermochte P. nicht völlig zu brechen, doch konnte dieser Widerstand die Befestigung der Kirchenreform im Lande um so weniger hindern, als P. Zeit seines Lebens der von ihm gegründeten hessischen evangelischen Kirche sein besonderes Augenmerk zuwandte, wie er denn noch in seinem letzten Lebensjahre – insbesondere wohl auch um den inneren Hader von ihr fernzuhalten – eine sehr ausführliche Kirchenordnung veröffentlichte, die letzte in der Reihe der von P. herrührenden Landesordnungen, welche alle Seiten des öffentlichen und bürgerlichen Lebens betreffen und den Beweis liefern, daß P. die Angelegenheiten seines Landes und seiner Unterthanen über seinen allgemeineren Zielen nicht verabsäumte. Auch bezeugt er selbst in seinen Testament, daß unter ihm sich die Hülfsquellen des Landes vermehrt und dessen Erträgnisse gehoben hätten. So mochte der Landgraf am Abend seines Lebens mit Zufriedenheit auf sein Wirken und seine Erfolge zurückblicken. Vor allem war sein unablässiges Bemühen, das wiedergebrachte Gotteswort auszubreiten und zur Anerkennung zu bringen, obwohl er selbst darüber zum Märtyrer geworden, nicht vergebens gewesen: der Protestantismus hatte zwar nicht die Alleinherrschaft im Reiche, aber die fast völlige Gleichstellung mit der alten Lehre erlangt – ein Erfolg, zu dem der Landgraf, als der begabteste und thatkräftigste Vertreter der eigentlich entscheidenden Macht im Reiche, nämlich des territorialen Fürstenthums, fast mehr als irgend eine andere einzelne Persönlichkeit beigetragen hat. Sein Name erscheint daher mit der Geschichte der Anfänge des Protestantismus aufs engste und unzertrennbar verbunden. Auch persönlich aber ist P. eine hervorragende, erfreuliche Erscheinung: offen und zuverlässig, warmherzig und großmüthig stellt er sich dar; freilich erscheint er auch – hierin ein echtes Kind seiner Zeit – derb und sinnlich angelegt; aber durchweg zeigt er sich von großer Gesinnung und auf das Wahre und Edle gerichtet, mit einem idealen Anflug in allem was er unternimmt, furchtlos und durch keine niedere Rücksicht zurückgehalten in der Vertretung dessen, was er für Recht erkannt hat, dabei aber doch in seltener Weise duldsam gegen Andersdenkende, leutselig und zugänglich – alles in allem eine ebenso bedeutende wie anziehende Persönlichkeit. –

Eine reiche Nachkommenschaft ist P. zu Theil geworden. Von Christine hatte er fünf Töchter, die er in die Häuser Sachsen, Pfalz, Holstein u. a. vermählte, und vier Söhne: Wilhelm, Ludwig, Philipp und Georg, unter welche er sein Land theilte, und von denen der älteste und der jüngste die Stammväter der Linien Hessen-Cassel und Hessen-Darmstadt geworden sind. – Mit Margaretha von der Saal erzielte er außer einer Tochter sieben Söhne, welche den Titel Grafen von Dietz führten, insgesammt aber ohne Nachkommenschaft starben.

Das Hauptmaterial zur Geschichte Philipps liegt im hessischen Staats- und Sammtarchiv zu Marburg, aus dem verhältnißmäßig wenig veröffentlicht ist; am wichtigsten Lenz, Briefwechsel Landgraf Philipp des Großmüthigen von Hessen mit Bucer I, 1880 (Publicationen aus den k. preuß. Staatsarchiven V). – Aus den Materialien in Brüssel und Darmstadt Duller, [783] Neue Beiträge zur Geschichte Philipps des Großm., Landgrafen von Hessen (Briefe Philipps und seiner Zeitgenossen) 1842. – Ein reichhaltiges Material, wiewohl nach keiner Richtung hin erschöpfend, verarbeitet Rommel in seiner Biographie Philipps (Hessische Geschichte, Thl. III, 1 und III, 2; auch Sonderausgabe in 2 Theilen; dazu als dritter ein Urkundenbuch, Gießen 1830). – Einzelne Abschnitte des Lebens Philipps behandeln auf urkundlicher Basis u. a. Lenz, Zwingli und Landgraf Philipp (in Briegers Zeitschr. f. Kirchengesch. III, 28 ff., 220 ff., 429 ff.); – Wille, Philipp der Großmüthige von Hessen und die Restitution Ulrichs von Würtemberg 1526–1535. 1882; – Heidenhain, Die Unionspolitik Landgraf Philipps des Großm. von Hessen und die Unterstützung der Hugenotten im ersten Religionskriege. 1886. – Einen zeitgenössischen Biographen hat Philipp an Wigand Lauze gefunden: Leben und Thaten … Philippi Magnanimi, Landgraffen von Hessen (s. A. D. B. XVIII, 80, Art. Lauze).


Anmerkungen (Wikisource)

  1. korrigiert, Vorlage: Vertheidige rWiens