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ADB:Sickingen, Franz von

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Artikel „Sickingen, Franz von“ von Heinrich Ulmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 151–158, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sickingen,_Franz_von&oldid=- (Version vom 16. Dezember 2024, 02:55 Uhr UTC)
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Sickingen: Franz oder eigentlich Franciscus v. S., einziger Sohn des Ritters und kurpfälzischen Hofmeisters Schwicker v. S. und seiner Gemahlin Margarethe v. Hohenburg, war am 2. März 1481 auf der Ebernburg bei Kreuznach geboren. Schon im März 1505 sah sich der junge Mann durch den Tod des Vaters, welcher zu Landshut während der Wirren des pfälzisch-bairischen Erbfolgekrieges gestorben war, an die Spitze seines Hauses und eines ansehnlichen Besitzes gestellt. Wenn man nach den Gründen des glänzenden wenn auch kurzen Aufschwungs des Stammes forscht, so enthüllt der eigene Schwager des Helden das Geheimniß durch die charakteristische Bezeichnung „in allen bürgerlichen und Kriegshändeln anstellig“. S. verstand sich ebenso gut auf die Verwaltung wie auf das Heerwesen. So konnte unter seinen geschickten Händen das Besitzthum des Hauses stetig an Bedeutung gewinnen. Zu dem Alleinbesitz der ererbten Besitzungen Ebernburg, Landstuhl, Hohenburg traten sorglich gepflegte ganerbschaftliche Beziehungen in Steinkallenfels, Dhaun, Lützelburg u. s. w. Zu den Erträgnissen derselben gesellte sich der Segen des Bergbaues, den Franz in lucrativer Weise zu beleben verstand.

In großartiger Weise wurde für Befestigung und Ausrüstung der Hauptburgen gesorgt. Dienstverträge mit fürstlichen Herren, wie Pfalz und Mainz, gestatteten dem Schloßherrn den Luxus, dauernd kleinere Geschwader reisiger Mannen um sich zu haben. Solche Verpflichtungen machten für den bald geschätzten Hauptmann zahlreiche Verbindungen mit dem benachbarten Adel unerläßlich und vortheilhaft. Die Gunst des dem Hause von Alters her gewogenen Kurfürsten von der Pfalz gab dazu breiten Spielraum. S. erschien so bereits in seinen Anfängen wie ein Kriegsoberst, dessen Dienste man sich im Frieden gern für den Kriegsfall sicherte.

Von vornherein tritt bei seinen Kriegszügen auf eigene Faust, im Unterschied von sonstigen ritterlichen Raub- und Raufhändeln, die Verwendung gemischter Waffengattungen hervor. Ueberraschend, mit Uebermacht traf er die Gegner: neben reisigen Geschwadern führte er Landsknechte ins Feld, auch an Geschütz gebrach es dem reichen Edelmann nicht, der durch Verbindung mit ähnlich gestellten Dynasten in den deutsch-französischen Grenzländern, wie dem gefürchteten Robert von der Mark, zeitig eines fast fürstlichen Ansehens in und außerhalb seines Standes sich erfreute.

Es versteht sich, daß Beamtungen wie die eines Oberamtmannes der Rheingrafen und nachher eines pfälzischen Amtmanns zu Kreuznach, erwünscht in finanzieller und autoritativer Beziehung, mehr nur ein Zierrath der auf eigener Kraft beruhenden Stellung waren. Wie die Dinge in Deutschland standen, waren solche Amtspflichten kein Hemmniß für Geltendmachung von Standes- und Sonderinteressen.

Solchen dienten Sickingen’s Fehden. Daß durch die jüngste Reichsgesetzgebung dem niederen Adel das Recht zur Kriegführung in eigener Sache entzogen war, kümmerte weder die Realisten noch die Idealisten des Ritterstandes. Wie S. sich hierin den Fürsten gleichstellte, hat auch Hutten in seinem erst neuerlich entdeckten Ausschreiben wider den Kurfürsten von der Pfalz es für eine alte und unsträfliche Gewohnheit erklärt, die Fehde zur bewaffneten Vertheidigung der eigenen Sache sowie zur Beschirmung Unschuldiger gegen Vergewaltigung der Machthaber zu erheben. In einer Zeit des Ueberganges aus alten zu neuen Lebensformen ist es verständlich, wenn die in die Ecke gedrängte Ritterpartei die [152] freie Bahn um sich her mit geschwungenem Schwerte zu behaupten sich anschickte. Aber wie steht’s mit jener vermeinten Schirmerrolle des Adels für die Vergewaltigten? Es sind ganz neuerdings wieder Stimmen laut geworden, welche S. in den mannigfachen Fällen des Einschreitens zu Gunsten angeblich von den herrschenden Gewalten Benachtheiligter, nicht nur ehrliche Ueberzeugung von dem Recht seiner Schützlinge, sondern sogar die großartige Gesinnung beimessen wesentlich nur um jener willen, aus Gerechtigkeit, den Kampf zu wagen.

Ich habe längst eine andere Auffassung begründet und kann nur an derselben festhalten. Hier sei nur wieder darauf hingewiesen, daß ein ritterlicher Ehrenmann und frommer Vorkämpfer des Rechts, wie der verwandte und befreundete Hartmuth v. Kronberg, ausdrücklich eingeräumt hat, daß die Anlässe zu Franzens Fehden viel zu gering zu so schweren Händeln gewesen sein. Mit der Heckenreiterei eines Götz v. Berlichingen hat dagegen S. auch in seinen Anfängen nichts gemein.

Die Wormser Fehde hat zuerst die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt. Die Stadt Worms, zur Reichsfreiheit hinstrebend und längst in Hader sowohl mit dem kurpfälzischen Nachbar als mit dem eigenen Bischof wurde im J. 1513 durch wiederholte Erhebung eines Theils der Gemeinde wider den Rath in Verwirrung gestürzt. Mit kaiserlicher Unterstützung ward unter herkömmlicher Bestrafung der Schuldigen an Leib oder Gut die Herrschaft der Geschlechter wieder aufgerichtet. Dem Strafverfahren hatte sich eine Anzahl Verdächtiger durch Entfernung entzogen, darunter der bischöfliche Notar Balthasar Schlör. Seiner, den deshalb Beschlagnahme der Habe und Ansprüche betroffen, nahm auf Anrufen Sickingen sich an. Er versuchte die Schuldner, und als das nichts half, die Stadt selbst zur Herausgabe der Besitzstücke zu drängen. Um das in Worms sitzende Reichskammergericht, das ihn auf den Rechtsweg wies, kümmerte er sich nicht. Er wollte die Sache seines Schützlings und nunmehrigen Dieners zugleich mit dem Conflict zwischen Stadt und Bischof, dessen Lehensmann er war, zum Austrag bringen. Den Trotz der Bürger empfindlich zu demüthigen, überfiel er am 22. März 1514 eine Anzahl, die zu Schiff zur Frankfurter Messe wollte, und zwang sie durch Kanonenschüsse zur Ergebung. Des Ihren beraubt und soweit vermöglich noch um schweres Lösegeld erleichtert kehrten die Erbitterten heim. Natürlich traf den Frevler wider den Reichsfrieden jetzt Acht und Aberacht in schärfster Form. Aber uneingeschüchtert griff S. im Juli des gleichen Jahres mit einem Heere von etwa 7000 Mann die Stadt selber an. Wenn diese auch widerstand, die Fehde dauerte Jahre lang fort unter Verwüstung von Aeckern und Weinbergen sowie Hemmung des gesammten Handels und Verkehrs. Weder waren die Schwesterstädte im Reiche muthig genug der Bedrängten beizuspringen, noch brachte die vom Kaiser verfügte Rüstung des oberrheinischen Kreises und später der Reichskreise überhaupt Erleichterung. Der pfälzische Geleitsherr begnügte sich mit papiernen Mahnungen: die Acht zu vollziehen, fiel keinem Menschen ein. S. ist so schließlich aus diesem Kampfe als Sieger hervorgegangen: aber von Anfang an bereits hatte sein keckes Unterfangen ihn zum bewunderten Heros seiner Standesgenossen gemacht. Nur so versteht es sich. wie ihm im J. 1516 von Graf Geroldseck der Vorschlag eines Angriffs auf einen Reichsfürsten, den Herzog von Lothringen, gemacht werden konnte. An die allgemeine Verknüpfung dieser Fehde in die europäische Kriegspolitik, innerhalb deren sie als eine vom Kaiser gewollte und durch seine Vermittlung mit englischem Golde genährte Digression erscheint, kann hier nur hingedeutet werden. Indirect im Sinne und Auftrag des Kaisers, dessen Achtdecret ihm Namen und Stamm abgesprochen, zauste S. im Sommer 1516 den franzosenfreundlichen Lothringer so derb, daß dieser ihn [153] durch Gewährung eines Jahrgeldes als Officier für den Kriegsfall annahm. Die schon früher geknüpfte Verbindung mit Robert von der Mark führte wenig später den aus dem Reichsrecht gestoßenen Condottiere in die Arme des gefährlichsten Rivalen des kaiserlichen Habsburgers. In Amboise von König Franz I. von Frankreich mit gewinnender Zuvorkommenheit empfangen, verpflichtete er sich demselben gegen Zusicherung eines Jahrgeldes zum Dienste wider Jedermann, ausgenommen das Haus derer von der Mark. Demselben Bedürfniß nach Rückendeckung gegenüber kaiserlicher Ungnade entsprach nicht lange nachher ein Dienstvertrag mit Herzog Ulrich von Württemberg, der gleich ihm mit dem Reichsoberhaupte zerfallen war. Dessen Vorgang bildete nicht das einzige üble Beispiel, auf welches S. sich berufen durfte: die nie rastende Selbstsucht, die frevelnde Rücksichtslosigkeit des hohen Adels deutscher Nation bildet die wirksamste Erklärung für das Thun eines Mannes wie S. und gleich stehender Standesgenossen. Um bei Fortgang der Wormser Fehde die Städte noch mehr einzuschüchtern verübte S. am 25. März 1517 bei Mainz einen frechen Raubanfall auf Kaufmannsgüter, welche Bürgern von Augsburg, Nürnberg, Ulm, Ravensburg u. s. w. gehörten und unter pfälzischem Geleit standen: nicht allzu klug, weil er dadurch seinen nachsichtigen Gönner, den Kurfürsten, den Schadlosforderungen der Städte und des schwäbischen Bundes aussetzte. Bei derselben Gelegenheit waren, angeblich wegen eines unbefriedigten Rechtsanspruches gegen Mailand, auch die Waaren französischer Unterthanen aus diesem Herzogthum in des Ritters Hände genommen worden. Vielleicht ist auf die deshalb erhobene Reclamation der Geschädigten die Einhaltung der verheißenen französischen Pension, aus der S. nachher den Anlaß zur Lösung seines Dienstverhältnisses schöpfte, verfügt worden. Auch die Stadt Landau hatte damals seinen Zorn zu fühlen, weil in ihren Mauern die zur Abwehr wider ihn bestimmte Versammlung des oberrheinischen Kreises stattgefunden hatte. So durfte es nicht weiter gehen! Der Kaiser, von den Ständen nicht unterstützt, entschloß sich den kriegsgewaltigern der beiden inneren Störenfriede wider den anderen auszuspielen, wobei der Gedanke mitwirkte, angesichts der nahegerückten Frage der Nachfolge im Reiche einen nicht unwichtigen Parteigänger an sich zu fesseln. Nachdem er den Ritter, der sich schon seit Anfang 1517 wieder um einen „gnädigen Kaiser“ bemüht hatte, zur Verantwortung vor die im J. 1517 zu Mainz versammelten Kurfürsten zugelassen, enthob er ihn plötzlich der Acht. Dafür ging am 16. August S. auf einen Waffenstillstand mit Worms ein und verpflichtete sich Sr. Majestät zu einem Dienste wieder den Herzog von Württemberg. Da auch Robert von der Mark zeitweise zur habsburgischen Partei übergetreten war, fand S. kein Arg dabei um Ostern 1518 zu Innsbruck, nach persönlicher Aussprache mit Maximilian, der alles für ein Mißverständniß erklärte, gegen eine Pension aus den französischen in kaiserliche Dienste zu treten. Das Verhältniß war auch hier so, daß er für den Bedürfnißfall seine Dienste als Kriegsoberst zugesichert hatte. Mittlerweile glaubte er sich durch das neue Band so wenig behindert, daß er im gleichen Sommer mit Heereskraft erst die Stadt Metz angriff und zum Abkauf zwang, sodann unter nicht viel besserem Vorwande einen hervorragenden Reichsfürsten, den jungen Landgrafen Philipp von Hessen, überfiel und zur Genehmigung eines seiner in Darmstadt belagerten Ritterschaft abgepreßten nachtheiligen Vertrags nöthigte. Gerade der letztere, in welchem nicht nur Sickingen’s persönliche Forderungen, sondern zugleich eine Menge von ihm gleichsam in Entreprise genommener Ansprüche Dritter an Hessen befriedigt wurden, erhöhte den Ruf seiner Findigkeit und Furchtbarkeit allenthalben außerordentlich. Unbekümmert um die auf Anrufen der Standesgenossen Philipp’s erlassenen kaiserlichen Einhaltsbefehle war S. weiter gegangen, unbekümmert um das Gebot Maximilian’s jene ganz [154] ungebührlichen Vertragspunkte nur vor seinem Richterstuhl zu verfolgen, hatte er die hessischen Bürger aufs heftigste an ihrer Ehre angegriffen. Schon vorher hatte er mit Frankfurt a. M. angebunden und durch Fehdeansage den Rath zu einer Zahlung genöthigt. Im October d. J. wurden Drohungen laut, die er gegen Erfurt und die sächsischen Fürsten ausgestoßen haben sollte, und um dieselbe Zeit mußte der Kaiser es rügen, daß Graf W. v. Fürstenberg der Stadt Besançon um die Zeit der Metzer Fehde S. auf den Hals gehetzt hatte. In Basel und Mühlhausen erscholl das Gerücht, der gefürchtete Parteigänger wolle diese zu den Eidgenossen übergetretenen Gemeinwesen wieder unter das Reich zurückzwingen. Der Tod des Kaisers Max änderte zunächst weder an der rasch wachsenden Geltung noch an der habsburgischen Parteistellung des Mannes das Mindeste. Gegen den franzosenfreundlichen Ulrich von Württemberg führte auf Bestallung des schwäbischen Bundes im Frühjahrsfeldzuge von 1519 unser Ritter eine stattliche reisige Schaar. Gegenüber französischen Wahlbestrebungen hat dann die seit Ende Mai mit unter seinem Befehl bei Höchst aufgestellte Kriegsmacht des Königs von Castilien eine wesentliche Bedeutung gewonnen für die Wahl Karl’s V. Am 25. October 1519 erhielt er seine Bestallung als kaiserlicher Rath, Kämmerer und Diener vorläufig auf fünf Jahre. Noch enger wurde das Verhältniß als, um gewissen Gefahren bei der Behauptung Württembergs zu begegnen, der Ritter, bei der Krönung in Aachen mit Auszeichnung behandelt, bald darauf dem Kaiser auf sein bloßes Wort und ohne Pfand zwanzigtausend rheinische Gulden vorgeschossen hatte. Fester als durch alle Bestallungen mußte er sich durch solche Beziehungen an das Glück von Habsburg gefesselt fühlen. In der kaiserlichen Huld erblickte er offenbar eine Rückendeckung gegen die Folgen seiner früheren Thaten: er war sich bewußt, daß diese neue Stellung gewisse Rücksichten von ihm fordern würde. Ein Irrthum war es, wenn er ebensolche meinte für sich erwarten zu dürfen, auch wenn er einmal wieder seines eigenen Weges ginge.

Man tritt derb praktischen Persönlichkeiten wie S. zu nahe, wenn man sie neben Zeitgenossen stellt, die ganz in ihren idealen Zielen aufgehen, wie Luther. Gleich dem Ritterstande zur Kreuzzugszeit, der, daheim nicht minder in wilde Fehden verstrickt, den Segen einer idealen Aufgabe in glänzendem Emporsteigen an sich erfahren hatte, entbehrte S. nicht des Schwunges der Seele und blieb nicht unberührt von den höheren Zeitströmungen. Sein Anschluß an die Kaiserpolitik war zum Theil hervorgerufen durch den nationalen Zug, der mächtig gerade die mittleren Schichten unseres Volkes in jenen Tagen ergriffen hatte. Noch ganz anders wurde er erfaßt durch die religiöse Bewegung, deren Träger Martin Luther war, um so mehr seit dieser selbst unzweifelhadt einen starken Hauch jenes nationalen Geistes erfahren hatte.

S. ist durch Ulrich v. Hutten in diesen Gedankenkreis gezogen worden, auf den wohl der nahe verwandte Hartmuth v. Kronberg ihn schon vorbereitet hatte. Jener geistreiche Standesgenosse war ihm seit dem württembergischen Feldzug näher getreten und hatte rasch so starken Einfluß auf ihn gewonnen, daß sich Franz auf sein Zureden des bedrängten Reuchlin gegen seine ketzerriechenden Peiniger, die Predigermönche, angenommen hatte. An sich ohne litterarische Bildung besaß S. Geist und Empfänglichkeit für Höheres. Auf seinen Wunsch hatte ihm Hutten die Uebertragung seines Dialogs „Fieber“ zugeeignet. S. war es dann gewesen, der den kühnen Publicisten aus dem Traume eines gelehrten Stillebens in Bamberg weggerufen durch den von ihm vermittelten Antrag des Hofdienstes bei Erzherzog Ferdinand in Brüssel. Als sich das zerschlagen hatte und Hutten, nach Deutschland heimgekehrt, sich in Gefahr glaubte vor den Verfolgungen der Römlinge, da hat ihm S. gastlich den Schutz seiner Burgen [155] gewährt. Da schmiedeten denn im Winter 1520/21 die beiden Ritter, so verschieden nach Anlage, Sinnesart und Zielen, auf der Ebernburg ihre Pläne für das Vaterland und die Freiheit. Hutten wußte den tapferen und thatkräftigen Burgherrn zu begeistern, zunächst für die nationale Richtung gegen das römische Papalsystem, wobei freilich für diesen die Rücksicht auf den Kaiser, dessen Stellungnahme erst allmählich erkennbarer wurde, nicht außer Acht blieb. Die Denkart, mit welcher Leute vom Schlage Sickingen’s gegenüber den positiven Satzungen des weltlichen Rechtes im Sinne einer höheren Gerechtigkeit sich bisher eine Kritik angemaßt, mußte es erleichtern, gewissermaßen aus dem Geiste wahren Christenthums heraus dem Bestehenden in der Kirche das Recht der Gültigteit abzusprechen. Damit ist aber keineswegs innere Ueberzeugung des Ritters von der Wahrheit der Lehren Luther’s ausgeschlossen. Wenn er, ebenso wie sein Lehrmeister Hutten, gewissen dogmatischen Grundvorstellungen Luther’s gleichgültig gegenüberstand, ist es doch vollkommen sicher, daß er sich in den deutschen Schriften Luther’s gut auskannte und ernstlich für eine Reformation gewonnen war. Er selbst richtete eine Schrift an Diether v. Handschuchsheim, hinsichtlich des Abendmahls in beiderlei Gestalt, der Messe, der Ehelosigkeit der Geistlichen und der Anrufung der Heiligen, um ihn, der wohl gleich anderen Gesippten scheel blickte auf den gefährlichen neuen Geist, der auf der Ebernburg eingezogen war, zu bekehren. Bald bot S. dem wittenbergischen Reformator für den Nothfall großmüthig seinen Schutz an. Mit hohem Stolz blickte Hutten auf seinen Freund, dessen schirmende Burgen ihm jetzt, wo er jenem die deutsche Uebersetzung seiner Dialoge widmete (December 1520), als „Herbergen der Gerechtigkeit“ erschienen. In der Praxis freilich differirten beide mannigfach. Hutten’s sehnlichster Wunsch war gegen die zum Reichstag erschienenen päpstlichen Legaten und gegen die verhaßte Gesellschaft der Curtisanen mit der That vorzugehen. Man wußte längst, daß S. es war, der seinen Eifer gezügelt hat. Aber erst ganz neuerdings ist es an den Tag gekommen, daß er als kaiserlicher Diener außer Stande, seine Burgen zu Stützpunkten eines völkerrechtswidrigen Anfalles herzugeben, für den Freund, der sich erst gar nicht bändigen lassen mochte, einen Unterschlupf bei Robert von der Mark, der inzwischen wieder französisch geworden war, nachgesucht hat. Aber nicht, wie man gemeint, zum Schutz, sondern nur zum Trutz hat S. die Offenhaltung seiner Burgen dem Freunde im Januar 1521 versagt. Nach wie vor war er fest entschlossen gegen Vergewaltigung ohne rechtliches Verhör ihn zu schützen. Hutten blieb denn auch auf der Ebernburg, da ihm der Aufenthalt in „fremder Art“, schon bei dem angetragenen Dienste Erzherzog Ferdinand’s bedenklich, jetzt, mitten drinn im Kampfe um deutsche Geistesfreiheit, erst recht nicht behagen mochte.

S. hielt weiter an sich. Er hatte die Hoffnung auf Karl V. noch nicht aufgegeben: noch wagte er eine Wendung zu hoffen, wenn der junge Kaiser die etwa ins Französische übersetzten Schriften Luther’s lesen würde. Bei dem Besuche des Kämmerers Armstorf und des Beichtvaters Glapion bot er die Hand zu dem hinsichtlich Luther’s gemachten Compromißvorschlage. Aber bekanntlich ließ sich der letztere auf nichts ein und zog stracks gen Worms. Sickingen’s thatsächliche Stellung und die Meinung, die man sich von ihr im Kreise der päpstlich Gesinnten zu Worms machte, hat unzweifelhaft ihre Wirkung auf den Gang der Dinge im Reichstage nicht verfehlt. Des letzteren kann hier nicht weiter gedacht werden. S., unzufrieden mit der im antinationalen Sinne gefällten Entscheidung, hielt fest an Luther, der ihm aus der Verborgenheit am 1. Juni 1521 seine Schrift über die Beichte zueignete. Wenn er selber nicht, wie vielfach geglaubt worden war, bei Sickingen Unterschlupf gesucht hatte, so fanden sich auf dessen Burgen doch bald andere Opfer religiöser Ueberzeugung [156] zusammen, ausgetretene Mönche wie M. Bucer und Oecolampad sowie Johann Schwebel und Aquila. Welcher Art die Beziehungen zu Heinrich v. Kettenbach waren, ist nicht bekannt. Einige blieben bei S. als Burggeistliche, nachdem sie sich zum Theil verheirathet. Durch Oecolampad wurde 1522 auf der Ebernburg die Reform des Cult in evangelischem Sinn selbständig in Angriff genommen. Während man an die Formen der Messe noch nicht rührte, begann man Evangelium und Epistel dabei deutsch zu verlesen und zu erläutern.

S. hat wohl gewußt, weshalb er es mit Karl V. nicht durch voreiliges Losbrechen wider die Legaten verderben durfte. Bis in die Zeit des kaiserlichen Aufenthaltes in Worms gehen Unterhandlungen zurück, bestimmt, unsern Ritter in dem wider Frankreich begonnenen Kriege zu verwenden. Wieviel ihm daran lag zeigt, daß er sich im Juli 1521 ohne weitere Sicherung als den kaiserlichen Auftrag bereit finden ließ, auf seinen und seiner Freunde Credit ein Heer von etwa 15000 Mann zu werben und zur Unterstützung des Grafen von Nassau, als Höchstcommandirenden, nach Lothringen zu führen. Nachdem im August die Vereinigung vollzogen, nahm S. erst Theil an der Einnahme von Sedan und dem Abschluß eines Waffenstillstandes mit Robert von der Mark, sodann an der Eroberung von Mouzon und der Belagerung des tapfer vertheidigten Mezières. Franz würde lieber einen Vorstoß in das Herz des feindlichen Gebiets gewagt haben. Aber er mußte sich dem Befehle Nassau’s hierbei ebenso fügen wie bei jenem während der Belagerung vollzogenen Rückgang (* die historiographische Notiz am Schlusse) vom westlichen auf das östliche Maasufer, der unverdienter Weise ihm zu schwerem Vorwurfe gereicht hat. Bekanntlich ging das Unternehmen seitdem den Krebsgang: das Heer trat den Rückzug an und S. mußte, da ihm keine Bezahlung geworden war, sein Heer, so gut es ging befriedigt, entlassen. Vergebens waren alle Bemühungen, auch persönliche in Brüssel, zu seinem Gelde zu gelangen. Um bei dem leicht argwöhnischen Kriegsvolke nicht ganz seinen Glauben einzubüßen, hat er, so wird behauptet, dem Kaiser damals den Dienst aufgekündigt: Karl V. aber hat darauf bestanden, daß er den Rest seiner Dienstzeit aushalte und S. hat sich gefügt.

Sein Credit bei den alten Genossen hoch angespannt, beim gemeinen Kriegsvolk bedenklich mitgenommen: dazu Geschütz und Munition aus eigenem Vorrath unter Entblößung seiner Schlösser auf papierne Zusagen hin drangegeben: das war ein unerfreuliches Resultat des Dienstes unter Habsburgs Fahnen.

Dazu hatte sich bei dem erst vierzigjährigen Kriegsmanne ein übler Gast, das Podagra, bereits angemeldet. War es Krankheit, war es eine Folge obigen Rückschlags auf alle seine Verhältnisse: es ist ziemlich still von S. in dieser Zeitspanne, nachdem Jahrs zuvor alle Welt vor ihm gezittert. Seine reformatorischen Maßregeln fallen zum Theil in den Winter 1521/22. Damit würde stimmen die neuerdings wieder ans Licht gezogene Notiz, wonach S. die damals von Hutten durch Fehdedrohung an oberdeutsche Stifter geübte praktische Exclusive aller Curtisanen hätte unterstützen wollen. Ferner ist es psychologisch ganz begreiflich, daß der Ritter, als Einzelner in seiner Bedeutung zurückgeworfen, wieder mehr Anschluß suchte an die gemeinsamen Anliegen seiner Standesgenossen. Nicht zum Heil dieses Standes, dessen dumpfe Mißstimmung mit der neuen Rechtsentwicklung zu Gunsten des Fürstenthums sich fortwährend noch erhitzte, diente es jedoch, wenn ein Sickingen sich an seine Spitze stellte. Der auf seine Aufforderung im August 1522 zu Landau gestiftete Ritterverein war im Grunde eine Organisation zum Rechtsschutze. Aber wer wollte spähendem Argwohn verwehren dahinter ganz andere revolutionäre Tendenzen zu vermuthen, wenn in Landau S. zum Hauptmann erkoren wurde, eine ohnedies viel zu ausgesprochene Persönlichkeit, die obendrein in denselben Stunden die letzten Vorkehrungen [157] traf zum Losschlagen gegen einen der hervorragendsten geistlichen Fürsten des Reiches.

Die Anlässe der Fehde wider den Kurfürsten Richard von Trier sind nicht besser und nicht schlechter als gemeinhin bei unserem Ritter der Fall war. Vielleicht hat den vielen Warnungen von nahestehender Seite der Wunsch die Wage gehalten, sein erschüttertes Ansehen durch eine kühne Unternehmung wiederherzustellen. S. hatte Grund zum Groll gegen den Erzbischof, aber er unterschätzte ihn. Sein Plan dürfte dahin gegangen sein, diesmal nicht bloß den Gegner zu beschädigen, sondern durch seine Vernichtung sich eine Staffel zum eigenen Emporkommen, zum Emporsteigen in fürstlichen Stand zu schaffen. Gelang der Streich, so war durch das Verschwinden eines Krummstabsgebietes in der That „dem Evangelium eine Oeffnung gemacht“, der ritterliche Adel eines unverächtlichen Widersachers ledig.

So kündete er denn im August 1522 kecklich dem Reichsfürsten Fehde an und brach mit etwa 7000 Mann, darunter 1500 Reitern, in das Erzstift ein. Weitere Verstärkungen zogen zur Vereinigung im Feindeslande heran. Aber, durch wachsame Bundesgenossen des Trierers abgefangen, ließen sie sich vergebens erwarten. Franz hatte mittlerweile St. Wendel eingenommen und nach einem Umwege am Abend des 8. September sich vor Trier gelagert. Hier war inzwischen der entschlossene Erzbischof selber eingetroffen. Sickingen’s Angriffe blieben erfolglos, und schon am 14. September, bevor noch den Eingeschlossenen Hülfe geworden, brach er die Belagerung ab und zog heimwärts. Während des Feldzuges hatte er listig den falschen Schein zu erwecken versucht, als ob er Namens des Kaisers an dem 1519 französisch gesinnten Erzbischof ein Amt ausübe. Jetzt wünschte er mit seiner Truppe im kaiserlichen Dienste wider Frankreich verwendet zu werden. Der Kaiser, und ebenso seine Angehörigen, ließ aber keinen Zweifel bestehen, daß er das Unterfangen des Ritters mißbillige. Vom Nürnberger Reichsregiment, dessen Friedensgebot er vor Trier mit schnöder Nichtachtung in den Wind geschlagen, war er, nach längerem Schwanken, ohne vorherige Citation, am 10. October 1522 als Landfriedensbrecher in die Reichsacht erklärt worden.

Mit diesem bald bereuten Spruch, der von einem Gesichtspunkte aus verspätet, von einem anderen verfrüht erscheint, hatte das Regiment den Gegnern Sickingen’s, die zum Theil auch die eigenen waren, die Waffen in die Hände gegeben. Jene, Erzbischof Richard und seine Bundesgenossen, der seit geraumer Zeit dem Ritter entfremdete Kurfürst von der Pfalz und der tödtlich beleidigte Landgraf von Hessen, beschlossen die erforderliche Abrechnung selber vorzunehmen. Taub gegen alle Vermittlungsversuche haben sie den Winter über dafür gesorgt, dem Ritter durch rücksichtsloses Einschreiten gegen seine Bundesgenossen oder vermeinten Gönner das Wasser abzugraben. Das gelang, wie hier nicht weiter erzählt werden kann, so gut, daß S. fast ganz vereinzelt war, als im Frühjahr 1523 die Vergeltung nahte. Die Männer, die bei ihm Zuflucht gesucht, hatte er selbst fortgesandt, um sie nicht in sein Schicksal zu verwickeln.

Nachdem die drei Kriegsfürsten sich bei Kreuznach vereinigt, wandten sie sich mit plötzlicher Schwenkung gegen Landstuhl, wo sie den Vogel im Neste zu treffen erwarteten. Ende April begann die Beschießung, der die zu neuen Mauern um so weniger Widerstand leisten konnten, als die Geschosse von überhöhender Stellung aus auf das Schloß geschleudert werden konnten. Als der Burgherr nach einigen Tagen den angerichteten Schaden in ungedeckter Stellung sich besah, erlitt er eine tödtliche Verletzung. Da die ohnedies schwache Hoffnung auf Entsatz sich nicht verwirklichte, die Fürsten sich jede Vermittlung verbeten hatten und am 7. Mai den zerschossenen Trümmerhaufen mit Sturm zu nehmen sich anschickten, entschloß er sich mit Rücksicht auf seinen hoffnungslosen [158] Zustand zur Ergebung. Nachdem er seine Bezwinger noch an seinem Schmerzenslager in kugelsicherem Felsgewölbe gesehen, verschied der unruhige Kriegsmann am 7. Mai 1523. Im Flecken unter der Burg ist er begraben worden.

Wie Landstuhl wurden bald auch die Ebernburg und die anderen Sitze des Ritters sowie die, an denen er ganerbschaftlich betheiligt war, eingenommen und als gute Beute von den Siegern vertheilt. Erst nach fast zwei Jahrzehnten ist eine Herstellung des Geschlechtes in den Besitz des Hauses erfolgt.

In Franz v. Sickingen haben weite Kreise des deutschen Volkes damals den Mann der That erblickt, den man vermißte zur Durchführung der nationalen Aufgaben. In Wahrheit hat er zumeist am Bau der eigenen Größe gezimmert. Wuchtig und unerschrocken ist er daneben eingetreten für das Ringen des niederen Adels nach bleibender politischer Bedeutung sowie für eine Reformation der Kirche im deutschen Interesse. Für beide Ziele sind seine Fehler und deren verdiente Sühne in eigenthümlicher Weise von unbeabsichtigter Wirkung gewesen.

Der Darstellung liegt mein „Franz v. Sickingen“, Leipzig 1872 zu Grunde. Hie und da sind Archivalien benutzt, die ich später gefunden. Unter *) habe ich einiges richtiggestellt aus einer Denkschrift der Söhne Sickingen’s an den Kaiser, die mir Herr Dr. S. Szamatólski in einer Abschrift des Birkenfelder Archives zur Verfügung gestellt hat, offenbar demselben Actenstück, aus dem Münch, Sickingen II, 105 ff. ein Bruchstück gegeben hatte (s. meinen Sickingen 200). Von Werth war mir die neue Ausgabe der Flersheimer Chronik von O. Waltz und S. Szamatólski: U. v. Hutten’s deutsche Schriften, Straßburg 1891. In der Schrift von F. P. Bremer: F. v. Sickingen’s Fehde gegen Trier und ein Gutachten C. Cantiunculas, Straßburg 1885 kann ich keine Förderung des Gegenstandes erkennen. An Vermehrung des Quellenmaterials im einzelnen merke ich noch an: Augsburg Allgem. Zeitung, Beilage 1873 Nr. 84. – Forschungen zur deutschen Geschichte 18, 650 ff. – Amtl. Sammlung eidgenöss. Abschiede III, 2, S. 1051, 1057, 1059 in Verbindung mit Anzeiger f. Schweiz. Gesch. 1891 Nr. 1, S. 152. – Mossmann, Cartul. de Mulhouse Bd. V.