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ADB:Bucer, Martin

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Artikel „Butzer, Martin“ von Johann Jakob Herzog in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 664–667, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bucer,_Martin&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 02:38 Uhr UTC)
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Butzer: Martin B., latinisirt Bucerus, geb. 1491, † 28. Februar 1551. Geboren zu Schlettstadt von ehrbaren Eltern (der Vater war Küblermeister) blieb er, als diese zu Anfang des 16. Jahrhunderts nach Straßburg zogen, wo der Vater Bürger ward, bei dem in Schlettstadt wohnenden Großvater; dieser sorgte für des Knaben Unterricht. Als die sogenannten reformirten Dominicaner sich in der Stadt niederließen, trieb er den Enkel an, in das Kloster zu treten, indem er ihm im Falle der Weigerung alle fernere Unterstützung zu entziehen drohte. So wurde B. im J. 1516, im fünfzehnten Lebensjahre, aus Verzweiflung, wie er sagte, Mönch – voll von Lernbegierde, die aber im Kloster keine befriedigende Nahrung fand. Der Prior, ein verständiger, wohlwollender Mann, der die Geistesgaben des jungen Mönches besser zu schätzen wußte als die meisten der übrigen Conventualen, versetzte ihn in das Kloster zu Heidelberg, wo er Baccalaureus der Theologie und Lehrer der Novizen wurde und Anlaß fand zur eigenen Fortbildung; in Mainz wurde er zum Priester geweiht. In Heidelberg sah es zwar in der theologischen Facultät noch sehr finster aus; aber mehrere Humanisten waren in der philosophischen Facultät und hielten Vorlesungen. Wenn B. schon von dieser Seite wohlthätige Anregung erhielt, so noch mehr durch die persönliche Berührung mit Luther, der im J. 1518 in Heidelberg eine Disputation hielt, den B. außerdem noch sprach, dessen Schriften er las; besonders sagte ihm die Auslegung des Briefes an die Galater zu, daher er mit dem Heimgekehrten Briefe wechselte. Es kam bald dahin, daß er das Klosten verließ, – welcher Schritt, wie es scheint, durch die Oberen nicht zu sehr erschwert wurde. Bei Franz von Sickingen, auf der Ebernburg, fand er Zuflucht nebst mehreren anderen Freunden der Reformation. Hier erhielt er die frohe [665] Nachricht, daß das päpstliche Dispensationsbreve betreffend seinen Austritt aus dem Kloster und Eintritt in den Weltpriesterstand bereits unterzeichnet sei. Im April 1521 wurde durch den Weihbischof von Speier, nach Inhalt des päpstlichen Breve, B. von den Obliegenheiten seines Mönchsstandes entbunden. Am wenigsten paßte der vor anderen verhaßte Dominicanerhabit zu Butzer’s Gesinnung. Nachdem er nur für kurze Zeit Hofcaplan des Pfalzgrafen Friedrich gewesen, nahm er eine Pfarrstelle in Landstuhl an und trat in die Ehe mit einer ehemaligen Nonne 1522. Darauf wurde er Prediger in Weißenburg. Hier begann er eigentlich seine reformatorische Laufbahn. Er eröffnete sein Predigtamt damit, daß er seinen Pfarrkindern das Lesen des N. Test. von Luther empfahl. Als der Kriegszug der gegen Franz v. Sickingen verbündeten Fürsten für die Stadt gefährlich zu werden drohte, verließ er auf Bitten des Rathes mit einem gleichgesinnten Pfarrer Weißenburg und wendete sich nach Straßburg 1523. Hier verweilte er nun bis zum Jahre 1548, mannigfaltig thätig für die Reformation innerhalb der Stadt und außerhalb derselben. Der Boden in Straßburg war von früherer Zeit her vorbereitet durch Geiler von Kaisersberg, der im Sinne einer inner-katholischen Reformation gewirkt hatte. Der Pfarrer Matthäus Zell machte in seinen Predigten den Anfang der eigentlichen Reformation und fand in der großentheils gutgesinnten Bürgerschaft Anklang. B., dem anfangs sein Ehestand im Wege stand, war mündlich thätig. Seine Erklärung des Römerbriefes und der anderen Bücher des N. T. fanden die beste Aufnahme; er wurde im J. 1524 zum Leser der heiligen Schrift bestellt und legte so den Anfang zur Universität von Straßburg. An Capito (s. d. Art.) hatte er einen erfahrenen Gehülfen, der mit Weisheit und Liebe die Bewegung zu leiten verstand; neben ihm und B. arbeitete eine Zeit lang Lambert v. Avignon. Doch nichts wurde überstürzt: im J. 1524 wurde die erste deutsche Messe gehalten, zur großen Freude auch der benachbarten Landbewohner, die gerne in die Stadt kamen, um die deutsche Messe zu hören. Doch vergingen noch einige Jahre, bis die Reformation eigentlich durchdrang; die Wiedertäufer nisteten sich in Straßburg ein; B. überwand sie in einer öffentlichen Disputation. Der Bauernaufruhr erstreckte sich auf das Elsaß und trug auch dazu bei, daß energische Maßregeln zur Durchführung der Reformation verschoben werden mußten. Der Bischof und das Domcapitel widersetzten sich natürlich aus allen Kräften. Doch die Bürgerschaft, die schon seit einiger Zeit erklärt hatte, sie wolle bei dem Worte Gottes Leib und Gut lassen, drang mehr und mehr auf Abschaffung der Messe. B. verfaßte (1528) eine eigene Schrift zur Widerlegung derselben. Im Januar 1529 wurde die Messe abgethan. Der gegen die Reformation feindlich gewordene Erasmus konnte nicht umhin zu bekennen, daß nirgends die Bewegung mit mehr Mäßigung und mit weniger Tumult und Aufruhr vor sich gegangen sei. Ein Hauptverdienst Butzer’s war seine Fürsorge für die Stiftung guter Schulen, wodurch die begonnene Reformation fester begründet werden sollte. B. erstreckte sein Wirken außerhalb Straßburgs. Er nahm mit Oekolampad Theil an der Reformation in Schwaben, er half dem Kurfürsten von Köln bei der Reformation seiner Lande, die bald wieder ein Ende nehmen sollte. – Er nahm sich der Waldenser an und gab dem Georg Morel, dem Abgesandten derselben, auf dessen Frage eine weitläufige Antwort, deren Original erst vor einigen Jahren auf der Straßburger Bibliothek wieder entdeckt worden ist. Er verfaßte mit Capito die sogenannte „Confessio tetrapolitana“ und übergab sie in Augsburg 1530 dem Kaiser.

Dies führt uns zu derjenigen Seite seiner Thätigkeit, wodurch besonders er eine Stelle in der Geschichte der Reformation erhalten hat, wobei er aber am wenigsten Erfolg hatte. Es läßt sich nicht leugnen, daß B. im Interesse der [666] Vermittlung zwischen den streitenden Parteien in der das Abendmahl betreffenden Frage in einigen Punkten gefehlt hat, und nicht immer mit der gehörigen Offenheit verfahren ist, so daß wir begreifen, wie Luther in Marburg ihm sagen konnte: „Ihr seid ein Schelm“, und daß auch die Schweizer mit ihm unzufrieden waren. Zu seiner Entschuldigung dient folgendes, was gewöhnlich nicht genug beachtet wird. B. gelangte bald zur Verwerfung der katholischen Lehre von der Wandlung, womit ihm folgerichtigerweise auch die Annahme der lutherischen Consubstantiation dahin fiel. Er war nun von gerechtem Schmerze erfüllt über die unselige dadurch hervorgerufene Spaltung, er konnte sich in den Gedanken nicht finden, daß um solch eines untergeordneten Punktes willen der so nöthige Friede zwischen den evangelischen Kirchen gestört werden sollte. Sein Bestreben, Frieden zu stiften, war von den reinsten Beweggründen eingegeben und geleitet. Man darf auch nicht vergessen, daß Luther, wenngleich er immer die Idee der leiblichen Gegenwart im Abendmahle, öfter sogar in der crassesten Weise verfocht, doch eben so oft das letztere nicht Wort haben wollte und den Begriff vom Leibe des Herrn dann wieder so vergeistigte, daß B. glauben mußte, er sei nicht mehr weit von der oberdeutschen Auffassung entfernt, und mittelst einiger Anbequemung an die lutherische Terminologie werde die Sache gütlich beigelegt werden; daher kommt, daß es den Straßburger Evangelischen sehr am Herzen lag, Frieden zu haben mit den deutschen Kirchen, schon aus politischen Gründen. Nachdem B. besonders die Schweizer zu bearbeiten gesucht, schlug er eine mündliche Besprechung zwischen den Führern beider Parteien vor. Dieser Gedanke wurde im Marburger Gespräch 1529 durch den Landgrafen Philipp von Hessen verwirklicht, ohne daß der Zwiespalt ausgeglichen worden wäre. Hingegen gelang es B., im J. 1530 zu Coburg Luther von seiner Rechtgläubigkeit in der Lehre vom Abendmahl einigermaßen zu überzeugen. Die Straßburger Abgeordneten wurden daher vom Convente zu Schmalkalden freundlich aufgenommen und unterschrieben zu Schweinfurt die Augustana ungeachtet ihres Festhaltens an der Tetrapolitana. Vergebens aber suchte B. die Schweizer für seine vermittelnden Formeln zu gewinnen; er gerieth bei ihnen vielmehr in den Verdacht, die lutherische Lehre angenommen zu haben; das war nicht eigentlich der Fall, sondern unter lutherischen Ausdrücken verbarg er einen andern Sinn. Einige Jahre später kam es zur Wittenberger Concordie 1536; sie war ein gemeinsames Werk von Luther, Butzer, Capito und zwei anderen Theologen, in Wittenberg versammelt. Diese Concordie stellte die eigenthümliche lutherische Lehre auf, nur ohne die crassen Ausdrücke, die Luther noch kurz zuvor in der Instruction an den nach Cassel reisenden Melanchthon gebraucht hatte. Der Unionsversuch mißlang; die Berner schienen zwar einige Zeit hindurch Butzern geneigt zu sein; doch in Bern so wenig wie in Zürich und der übrigen protestantischen Schweiz wurde die Concordie angenommen. Als in Folge des Schmalkaldischen Kriegs Straßburg sich dem Interim unterwarf, war für B., der das durchaus mißbilligte, die Zeit gekommen, wo er aus seiner gesegneten Wirksamkeit in dieser Stadt scheiden sollte. Im J. 1548 erhielt er durch Vermittlung von Cranmer[WS 1], mit dem er schon früher in Verbindung stand, einen Ruf nach Cambridge[WS 2] als Lehrer der Theologie. Soweit seine leidende Gesundheit es zuließ, war er in Cambridge sehr thätig, auf dem Katheder, selbst auch auf der Kanzel, sodann in Disputationen mit den katholischen Gegnern, endlich als Schriftsteller in der Schrift „De regno Christi“. Er starb 28. Febr. 1551. Seine sehr zahlreichen Schriften (s. bei Baum unten) legen Zeugniß ab von seiner Arbeitskraft so wie von seiner dem starren Dogmatismus abgeneigten Denkweise. Seine zweite Frau, die ihn überlebte, Willibrandis Rosenblatt, war die Wittwe von Oekolampadius und Capito.

[667] Capito und Butzer, von J. W. Baum, Professor etc. Elberfeld 1860. – Zeitschrift für historische Theologie, 1866. 3. Heft. – Die romanischen Waldenser von Dr. Herzog, 4. Buch. – Der Kampf der lutherischen Kirche um Luther’s Lehre vom Abendmahle von Dr. H. Schmidt. 1866


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Thomas Cranmer (1489–1556), Erzbischof von Canterbury.
  2. Vorlage: Cambrigde