ADB:Lambert, Franz
[549] Barfüßerkloster seiner Vaterstadt. Da er sich dort als Kanzelredner hervorthat, wurde er 1517 zum Wanderprediger bestimmt, in welcher Eigenschaft er Italien und Frankreich besuchte. Später erregten jedoch seine Predigten bei seinen Ordensgenossen Anstoß. Deren hergebrachte Weise verlassend, begann er nämlich die hl. Schrift und namentlich ihre mystischen Bücher in seinen Vorträgen auszulegen. Zugleich arbeitete er sich im Kampfe gegen Scrupel und gegen eine sehr lebhafte Sinnlichkeit, welche er vergebens durch die strengsten Bußübungen zu ersticken suchte, zu Anschauungen durch, welche ihn das äußerliche Kirchenthum geringer schätzen und die rein mechanische Auffassung der Heilswirkung, den Ablaßhandel u. dgl. mißbilligen ließen, und auch diese Anschauungen gab er auf der Kanzel kund. Obendrein kannte sein zelotischer Eifer keine Rücksicht und griff sogar Standesgenossen und kirchliche Würdenträger vor der Oeffentlichkeit an. Neid über seine Erfolge einerseits, sein anmaßendes und unverträgliches Wesen anderseits verschärften den Zwiespalt. Es kam dahin, daß L. in den Karthäuserorden übertreten wollte, doch wußten ihn die Minoriten zu beschwichtigen. Bald danach erhielt er einen Auftrag vom Orden nach Rom. Er beschloß, denselben, wie es die in seinem Orden herrschende Zuchtlosigkeit ermöglichte, zu benutzen, um zunächst die Schweiz und Deutschland predigend zu durchwandern. Zu Genf, Lausanne, Freiburg i. U. und Bern predigte er längere Zeit. Seine theologischen Ansichten hatten sich inzwischen – wol nicht ohne den Einfluß von Schriften Luther’s, welche ihm zugekommen waren – weiter entwickelt. Er trat zu Bern in Verkehr mit Berchtold Haller und ließ sich von diesem an Zwingli empfehlen. Indeß hatte er sich doch noch so wenig von der römischen Lehre entfernt, daß er es in Zürich am 17. Juli 1522 unternahm, gegen Zwingli und zwar über die Heiligenverehrung zu disputiren. Er unterlag dabei völlig und wurde so einen Schritt weiter geführt. In Basel scheint er dann durch Pellican und Andere vollends für die reformatorischen Lehren gewonnen worden zu sein: er ließ sich nun Empfehlungen an Luther geben. Von da an verschwindet seine Spur. Erst vier Monate später, im November 1522, taucht er unter dem Namen Johann Serranus zu Eisenach wieder auf. Das Ordenskleid hatte er inzwischen abgelegt. Er bemühte sich von dort aus, den Schutz und die Unterstützung des Kurfürsten von Sachsen und die Erlaubniß zu einem Besuche in Wittenberg zu erhalten. Luther fürchtete jedoch, daß L. ein Sendling seiner Feinde sei. Um dieses Mißtrauen zu beseitigen, hielt L. zu Eisenach Vorträge über das Johannesevangelium und stellte, zur Disputation herausfordernd, Thesen auf, die er öffentlich erläuterte. Dadurch gelang es ihm, die Erlaubniß und die Mittel zur Reise nach Wittenberg zu erhalten. Mitte Januar 1523 langte er dort an und nahm nun seinen wahren Namen wieder an. Er beabsichtigte in Wittenberg zu bleiben. Vergeblich bemühte er sich jedoch, durch Vorlesungen über die Bibel und durch Schriftstellerei seinen Unterhalt zu gewinnen, und eine Unterstützung, welche ihm der Kurfürst nach langem Zögern auf Verwendung Luther’s gewährte, reichte nicht aus, weil L. sich am 13. Juli mit einer Magd, Christine, einer Bäckerstochter aus Herzberg, verheirathete. Deshalb zog er, einer an ihn ergangenen Einladung folgend, im Februar 1524 nach Metz und als er sich dort durch die Geistlichkeit gefährdet glaubte, nach Straßburg, wo er Mitte April ankam. Bald betheiligte er sich hier an Vorlesungen über die hl. Schrift, durch welche Bucer und Capito den Barfüßerguardian Thomas Murner bekämpften. Auch später setzte er diese Thätigkeit fort. Nebenher predigte er den nach Straßburg kommenden Franzosen. Vornehmlich aber beschäftigte er sich, wie schon zu Wittenberg, damit, Briefe und Bücher zu verfassen, welche der Reformation in den Ländern französischer Zunge Bahn brechen sollten. Seine anmaßenden und schroffen Mahnungen [550] zur Duldung und zur Annahme der evangelischen Lehre mißfielen indeß bald auch seinen Glaubensgenossen. Tossanus verwahrte sich schon Ende 1524 gegen die „dummen“ und lediglich Schaden stiftenden Bücher und Briefe, welche L. an die Metzer und Andere sende, und der Rath von Straßburg verbot ihm 1526, ferner noch Etwas ohne seine Genehmigung drucken zu lassen. Seit Mitte 1525 zerfiel L. überhaupt mit den Predigern zu Straßburg und den dorthin geflüchteten französischen Vorkämpfern der Reformation. Den Hauptanlaß hierzu gab vermuthlich das durch den Streit über die Abendmahlslehre herbeigeführte Zerwürfniß jener mit Luther. Zu diesem blieb nämlich L., obgleich er sich der zwinglischen Auffassung zugewandt hatte, in engen Beziehungen und er berichtete ihm fort und fort in aufreizender Weise über Alles, was in Straßburg geschah. Sein Hochmuth steigerte die dadurch hervorgerufene Feindseligkeit; sogar mit Gerbel, dem eifrigen Anhänger Luther’s, überwarf er sich durch seine fanatische Verdammung weltlicher Wissenschaft. Die Bürger endlich ärgerte sein und seiner Frau „protziges Thun“ und sie murrten darüber, daß der Rath ihm, nachdem er das Bürgerrecht angenommen hatte, eine Unterstützung von jährlich 50 Gulden gewährte, weshalb ihm jener Anfang 1526 bedeutete, er möge sich bis übers Jahr selbst eine Versorgung suchen. All das mußte L. den Aufenthalt verleiden. Wahrscheinlich kehrte er nach Wittenberg zurück und wurde dann von Luther, um ihn zu versorgen, dem Landgrafen Philipp von Hessen zugesandt, der die von ihm beschlossene Einführung der Reformation durch eine Synode und ein Glaubensgespräch einzuleiten gedachte. Zu diesem forderte L., als die Synode am 21. October 1526 zu Homberg zusammentrat, durch eine lange Reihe von Thesen heraus. Der Wortführer der Katholiken, Nicolaus v. Herborn, Barfüßerguardian zu Marburg, lehnte jedoch das Zwiegespräch ab, weil er den Landgrafen nicht als Glaubensrichter anerkennen könne, und ließ sich weder durch die Mahnungen Philipps und seiner Räthe, noch durch die bis zur Rohheit ausschreitende Heftigkeit Lambert’s bewegen, in eine Erörterung einzutreten, welche er von vornherein für ein Trugspiel erachten mußte. Ein Landpfarrer, Johann Sperber, welcher sich dann gegen L. erhob, wurde von diesem rasch niedergedonnert. Schon am 23. ging die Synode auseinander, nachdem sie drei Pfarrer mit der Abfassung einer Reformationsordnung beauftragt hatte. Der Entwurf, welcher als solche nach drei Tagen vorgelegt wurde, war im wesentlichen das Werk Lambert’s. Er ist nicht aus den Anschauungen und Kirchenbildungsversuchen Zwingli’s, der Straßburger oder der französischen Reformatoren hervorgegangen, sondern suchte lediglich in Lambert’s die äußersten Folgerungen ziehender und schematisirender Weise das Ideal einer Gemeinde, welches Luther in seinem Büchlein von der deutschen Messe aufgestellt hatte, zu verwirklichen. Nur in Einzelheiten gibt sich der Einfluß der Oberländer und der eigenthümlichen Anschauungen Lambert’s kund. Als erster Versuch einer reformirten Kirchenbildung kann der Entwurf nur insofern bezeichnet werden, als die ursprüngliche Auffassung Luther’s von der Kirche im Kern dieselbe ist wie die reformirte. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Homberger Kirchenordnung und den reformirten liegt jedoch darin, daß diese eine Gemeinde der Heiligen zu erziehen bezwecken, während jene eine solche aus der Masse der Sünder ausscheiden will. Zur Einführung der Homberger Ordnung wurde, da Luther dieselbe auf Anfrage des Landgrafen für unmöglich erklärte, kein Versuch gemacht und sie hat auf die Gestaltung der hessischen Kirche nicht den mindesten Einfluß geübt. Ebensowenig scheint L. persönlich an dieser Antheil gehabt zu haben. Er blieb zunächst in Kassel und trat am 23. Januar 1527 nochmals bei einem Religionsgespräche auf, welches die Aufhebung der Klöster vorbereiten sollte. Dann erhielt er, nachdem am 30. Mai des gedachten Jahres die Hochschule [551] zu Marburg eröffnet worden war, an dieser als Professor Primarius der Theologie eine Anstellung und hielt in der Folge vermuthlich exegetische Vorlesungen. Seine schriftstellerische Thätigkeit ließ nun bedeutend nach. Predigten hielt er wol nur noch in Frankfurt, wohin er gewöhnlich zu den Messen ging, vor seinen dorthin kommenden Landsleuten. Seine Kenntniß der französischen Sprache ließ ihn der Landgraf mitunter in Uebersetzungen zu politischen Zwecken verwenden. Zufriedenheit fand L. auch in Marburg nicht dauernd. Seine Vorlesungen wurden, wie es scheint, nur spärlich – vornehmlich von Ausländern – besucht und bei seinen Amtsgenossen stand er wol nicht sehr in Ansehen; von dem Humanisten Hermann von dem Busche wenigstens wird berichtet, wie er L. wegen seiner Neigung für gute Mahlzeiten auf Kosten Anderer, wegen seiner Geldliebe und wegen seiner geschwätzigen Leichtgläubigkeit zu hänseln pflegte. Bitteren Haß und tiefe Verachtung athmen die zahlreichen Epigramme, in welchen der Mediciner Euricius Cordus den kurzsichtigen, langnasigen Gallier als aufgebläht von maßloser Eitelkeit, als voll von Heuchelei, Streitsucht, Unbeständigkeit, Schwatzhaftigkeit, Neugier und Habsucht und als den unwissendsten Feind des Humanismus schildert. Auch mit seinen Fachgenossen, Adam Kraft und Erhard Schnepf verfeindete sich L., als er nach dem Marburger Religionsgespräch zwischen Luther und Zwingli zu des letzteren Ansicht über die Abendmahlslehre zurückkehrte, welche er nach seiner Entfernung aus Straßburg noch vor der Homberger Synode mit einer der lutherischen Auffassung nahestehenden vertauscht hatte. Dazu kam endlich, daß er, der immer Zelot blieb, unter den Anhängern der Reformation Gottlosigkeit und Lasterhaftigkeit in wachsendem Maße Platz greifen sah. Im März 1530 sprach er daher gegen Bucer den Wunsch aus, eine Pfarrei in der Schweiz zu erhalten. Schon am 18. April raffte jedoch ihn und seine ganze Familie zu Frankenberg an der Eder der englische Schweiß hinweg, vor welchem er aus Marburg geflohen war. – L. verfaßte eine Reihe meist exegetischer oder polemischer Schriften in lateinischer Sprache, von welchen manche wiederholt aufgelegt oder nachgedruckt, einzelne ins Deutsche und in andere Sprachen übersetzt wurden. Während seines ersten Aufenthaltes in Wittenberg übersetzte er auch einige kleine Schriften ins Französische und ebenso übertrug er 1529 ein Büchlein auf Befehl des Landgrafen Philipp. Daß er außerdem französische und italienische Schriften oder Uebersetzungen fertigte, ist nicht nachzuweisen. Seine erhaltenen Bücher sind in schlechtem Latein, flüchtig und ohne strengen Zusammenhang geschrieben, aber einfach, leichtverständlich, lebhaft und leidenschaftlich in der Polemik. In seinen Ausführungen ist er oberflächlich und nicht selten kleinlich und sophistisch. Seine Anschauungen sind von vornherein auffallend schroff und er liebt es, die Dinge auf die Spitze zu treiben. Auf dogmatische Fragen geht er selten tiefer ein und zeigt da bisweilen Unklarheit, besonders in der Abendmahlslehre. Ueberhaupt ragt er weder durch Gedankentiefe, noch durch Innigkeit des religiösen Gefühles, noch durch Gelehrsamkeit hervor. Gegen alle nicht theologische Wissenschaft und namentlich gegen die Philosophie, trägt er heftigen Haß. Sein Charakter war, soweit sich urtheilen läßt, lauter, wenn auch nicht ohne große Fehler und Schwächen. Seine Bedeutung für die Reformation ist in neuerer Zeit weit überschätzt worden.
Lambert: Franz L., geb. 1485–87, † 1530. Er war der – wahrscheinlich uneheliche – Sohn eines päpstlichen „Legations- und Pallast-Secretärs“ zu Avignon. Kurz nach seines Vaters Tode trat er, 15 Jahre alt, in das- J. W. Baum, Lambert von Avignon, 1840; F. W. Hassenkamp, desgl. 1860; Pressel, Franz Lambert in Herzogs Encyklopädie für Theologie s. v.; F. Stieve, De Francisco Lamberto Avenionensi, 1867; F. W. Hassenkamp, Hessische Kirchengeschichte im Zeitalter d. Reformation; F. C. Vilmar, Gesch. des Confessionsstandes der evangel. Kirche in Hessen; W. Ebert, Gesch. der evangel. Kirche in Kurhessen.