ADB:Haller, Berchtold

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Haller, Berthold“ von Theodor Schott in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 10 (1879), S. 427–429, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Haller,_Berchtold&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 10:46 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 10 (1879), S. 427–429 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Berchtold Haller in der Wikipedia
Berchtold Haller in Wikidata
GND-Nummer 104180536
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|10|427|429|Haller, Berthold|Theodor Schott|ADB:Haller, Berchtold}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=104180536}}    

Haller: Berthold H., geb. 1492 (Stälin, Wirtemb. Gesch. IV. 297, gibt 1490 an) in Aldingen O/A. Spaichingen in Würtemberg, † am 25. Febr. 1536 in Bern, der Reformator Berns. Seine Eltern, obgleich unvermögliche Landleute, schickten ihn in die lateinische Schule zu Rottweil, welche der tüchtige Philologe Michael Rubellus leitete, von dort nach Pforzheim zu Georg Simler, 1510 bezog er die Universität Cöln, wurde Baccalaureus der Theologie, kehrte aber schon nach 2½ Jahren nach Rottweil zurück, um eine niedere Lehrstelle anzunehmen. Ein Ruf seines Lehrers Rubellus führte ihn an die Schule nach Bern (Pfingsten 1513); die eidgenössische Stadt, in welcher er manche schwäbische Landsleute traf, z. B. den hochberühmten Arzt und Geschichtschreiber Valerius Anshelm, ist seine zweite Heimath geworden, er hat sie nie mehr für längere Zeit verlassen, sie wurde der Schauplatz einer reichen bedeutungsvollen Wirksamkeit; der bescheidene, anspruchslose, gemüthliche, aber pflichttreue Mann gewann rasch das Vertrauen seiner Mitbürger; die Bäckerzunft wählte ihn zu ihrem Caplan, am 1. Mai 1519 wurde er zum Prädicanten angenommen, am 18. Mai 1520 wurde er Chorherr am Münster. Von da an war die Stellung, welche er zu der alle Welt aufregenden Frage, zu der Reformation einnahm, entscheidend. In Rottweil war er mit Melchior Volmar, dem nachmaligen Lehrer von Calvin und Beza, in Pforzheim mit Melanchthon bekannt geworden, die Jugendfreundschaft währte durchs Leben, sie führte ihn aber auch ein in die humanistisch gebildeten, der Reformation zugeneigten Kreise, von Anfang seines öffentlichen Auftretens an finden wir ihn der neuen Richtung zugethan und bestrebt, dieselbe zu verbreiten. Sehr günstig war der Boden dafür in Bern nicht; zwar fehlte es nicht an Klagen über die Ueppigkeit der Geistlichen, der Skandal mit dem Schneider Jezer hatte viel Aufsehen erregt, der Ablaßhandel Samson’s ebenfalls viele Widersacher gefunden, aber das Gemeinwesen an der Aar mit seiner Verschlossenheit gegen höhere geistliche und wissenschaftliche Interessen, mit seiner aristokratischen, conservativen Regierung, welche volle Herrschaft über den Clerus hatte, bewahrte bis tief ins 16. Jahrhundert dem Katholicismus eine ungebrochene Treue. So zeigte sich zähes Festhalten am Alten und jahrelanges Hin- und Herschwanken als das Charakteristische der Berner Kirchenpolitik und H., der die Lücken seiner zu frühe unterbrochenen Bildungslaufbahn schmerzlich empfand und beklagte, überdies ängstlicher Natur war und die Gabe der Initiative nicht besaß, um so mehr aber die der ausdauernden Beharrlichkeit, war nicht der Mann, die Sache in raschen Fluß zu bringen, wol aber ruhig und besonnen zur Entscheidung hinzuleiten. Seine Predigten waren von Anfang an evangelisch, 1521 trat er mit Zwingli in Verbindung, enge schloß er sich an ihn an, holte in vielen Fällen seinen Rath ein und theilte seine theologische Richtung; um ihn und seine Genossen Thomas Wittenbach und Sebastian Maier sammelte sich bald eine der Reformation günstig gesinnte Partei, nicht stark an Zahl, aber bedeutend durch ihre Mitglieder Claudius Mai, Bernhard Tillmann und besonders durch den geistvollen Maler und Dichter Niclaus Manuel, welcher mit seinem Malerstift, wie mit seinen Gedichten, besonders den Fastnachtsspielen von 1522 der Sache der Reformation mächtigen Vorschub leistete. Juli 1522 predigte auf H.’s Veranlassung der Franciscaner Lambert von Avignon unter großem Zulauf die evangelische Lehre, am 15. Juni 1523 erschien das erste der Reformation günstige Mandat, welches die freie Predigt des Evangeliums gebot, aber in den nächsten Jahren hatte die rückläufige, der Reformation abgeneigte Bewegung die Oberhand. 1524 mußte Valerius Anshelm [428] und Sebastian Maier die Stadt verlassen, H. stand allein, vielangefochten; am 7. April 1525 erschien ein neues Mandat, welches an den sieben Sacramenten festhielt, aber die Priesterehe freigab, den Ablaß um Geld verbot, die Rechte der Obrigkeit über kirchliche Personen und Verhältnisse immer mehr erweiterte. Den mancherlei Nachstellungen nach seinem Leben entging H. glücklich, von dem Verdachte einer Zuneigung zu den Wiedertäufern wußte er sich leicht zu reinigen, auf Befehl des Kleinen Rathes nahm er 1526 an dem Religionsgespräch in Baden Theil und trat offen gegen Eck, den Vertheidiger des Meßopfers, auf. Vom Kleinen Rathe verurtheilt, vom Großen freigesprochen, blieb er bei seiner Weigerung, Messe zu lesen, und verlor deshalb seine Pfründe. Aber der Umschwung war nahe; es gelang der reformatorisch gesinnten Partei, am 22. April 1527 eine Verfassungsänderung durchzusetzen, wonach der Kleine Rath von dem Großen gewählt werden solle, die Anhänger der alten Kirche wurden hinausgedrängt, am 17. Novbr. beschloß der Große Rath, ein großes Religionsgespräch zu veranstalten, das vom 7.–26. Januar 1528 in Bern stattfand. H. und sein Freund Franz Kolb hatten die Thesen dazu verfaßt, H. hielt die Eröffnungs- und Schlußrede, vertheidigte auch die Thesen; Zwingli, Bullinger, Oecolampad, Butzer, Capito, C. Sam, Althamer, Farel und mehrere hundert Geistliche hatten daran Theil genommen, der Verlauf entschied glänzend für die Reformation, am 7. April wurde das von H. entworfene allgemeine Religionsedict erlassen, die neue Lehre und Ordnung allmählich im ganzen Canton, wenn auch unter mancherlei Kämpfen durchgeführt. Haller’s Thätigkeit erhielt dadurch einen weiteren Wirkungskreis, faktisch stand er an der Spitze des Berner Kirchenwesens, er war der Berather der Obrigkeit, eine umfangreiche Correspondenz verband ihn mit allen bedeutenden der Reformation zugeneigten Gelehrten und Geistlichen der Schweiz. Die Arbeitslast war dem von Jugend auf leidenden Manne zu groß, auf seine Bitte schickte Zwingli die Theologen Hofmeister, Rhellikan und Megander als Unterstützung, aber die unruhige Leidenschaftlichkeit des letzteren, welcher Bern in die kriegerische Stimmung, wie sie durch Zwingli in Zürich herrschte, hineinreißen wollte, führte bald zu ernsten Zerwürfnissen zwischen Beiden. Januar 1530 ging H. nach Solothurn, um dort durch seine Predigten dem Evangelium den Sieg zu verschaffen, aber ohne den gewünschten Erfolg. Der Krieg zwischen Zürich und den katholischen Cantonen (1531) drohte die schlimmsten Folgen für die Reformation herbeizuführen; der friedfertige H. hatte im Einklang mit der Berner Regierung stets zum Frieden gemahnt; Megander wurde wegen seiner aufreizenden Predigten von seinem Amte suspendirt, der Tod Zwingli’s bei Cappel erschütterte H. aufs schmerzlichste, seinen väterlichen Freund und Berather, seinen theologischen Leiter hatte er in ihm verloren; zwischen Bern und Zürich war eine tiefe Erkaltung eingetreten, trübe sah H. in die Zukunft, da gelang es Capito auf der Berner Synode am 9. Januar 1532, Megander und die Zürich geneigte Geistlichkeit mit den übrigen Geistlichen, wie mit dem Rathe zu versöhnen. Die zu gleicher Zeit unter Haller’s Mitwirkung verfaßte Kirchenordnung, ein wahres Meisterstück auch noch in unserer Zeit, legte ihm neue Pflichten auf, z. B. die regelmäßigen Kirchenvisitationen, die Sorge für die Schulen, für die Bildung der Geistlichen etc.; seine milde Gesinnung zeigte sich in seinem Verhalten zu den fortwährend auftretenden Wiedertäufern, gegen welche er das Schwert nicht angewendet wissen wollte. Gegen die Einigungsversuche Butzer’s verhielt sich der gut zwinglisch gesinnte, den Subtilitäten der theologischen Fragen fern stehende H. stets ablehnend, die angebahnte Einigung der Schweizer Kirchen hat er nicht mehr erlebt. Aber seinen durch viele Krankheiten getrübten Lebensabend erhellte der glückliche Fortgang der Reformation in den Landschaften um den Genfer See. Schon am 2. März 1527 [429] wurde auf seinen Betrieb der feurige Wilhelm Farel durch den Rath zum Prediger in Aigle ernannt, der erste Schritt zu dem mächtigen Eingreifen Berns in die Verhältnisse der Waad war damit gethan, die Stadt an der Aar war seitdem das Bollwerk des Protestantismus nach Westen, in Neuenburg, Biel, Murten bürgerte sich unter seinem Schutze derselbe ein, die Entscheidung erfolgte, als Anfang 1536 Genf, von seinem Bischof bedrängt, Berns Hülfe nachsuchte; todtkrank bestieg H. die Kanzel und ermahnte seine Mitbürger zur Standhaftigkeit und Tapferkeit, beim göttlichen Wort zu bleiben, in sein ersterbendes Ohr drang die Siegesnachricht von der Eroberung der Waad, von dem Einzug in Genf (2. Februar). Wenn Genf von dort an ein Hort und Centralpunkt des Protestantismus wurde, der seine Wellen über Frankreich, Italien, die Niederlande und Schottland ergoß und die Stadt am Leman eine welthistorische Stellung einnahm, hat zu diesem glänzenden Erfolge der Politik und des Glaubenseifers von Bern die stille, treue, aufopfernde Thätigkeit Haller’s ihr gutes Theil beigetragen und darin liegt auch die ganze Bedeutung dieses Mannes, der ein Reformator war, ohne ein großer Theologe zu sein, der erste einflußreiche Geistliche eines in sich abgeschlossenen Gemeinwesens, das nicht seine Heimath gewesen, ein Mann zweiten Ranges, aber von den ersten seiner Zeit ihrer Freundschaft, ihrer Achtung in vollem Maße gewürdigt. Am 25. Februar 1536 starb er nach langem Leiden, von ganz Bern tief betrauert; seine Gattin, mit welcher er seit August 1530 in kinderloser Ehe gelebt, starb erst am 21. Decbr. 1574; ihren Namen gibt merkwürdigerweise keines der Geschichtsbücher an. Schriftstellerisch war H. nie thätig; von seinen Briefen, welche in den Bibliotheken und Archiven von Bern, Zürich, St. Gallen, Basel etc. zerstreut sind, finden sich einzelne veröffentlicht in Füßli, Epistolae reformatorum, 1742; Zwingli, Opera ed. Schultes, T. VII et VIII; Corpus reformatorum; Herminjard, Correspondance des réformateurs dans les pays de langue française, T. 1–3, 1866–72, sie wären einer Sammlung und Herausgabe wol werth.

Bernisches Mausoleum 1740; nach demselben und mit Briefen von Haller vermehrt: Kuhn, Die Reformatoren Berns im 16. Jahrhundert, 1828; Kirchhofer, Bertold Haller, 1828, ausführlich und zuverlässig; Pestalozzi, Bertold Haller, in: Leben und Schriften der Väter der reformirten Kirche IX. (Supplement-) Theil, 1861; Stürler, Urkunden zu der bernischen Kirchenreformation, 1862; Strickler, Actensammlung zur schweizerischen Reformationsgeschichte, 1. 1878; Grüneisen, Niclaus Manuel, 1837; Bächtold, Niclaus Manuel, Bibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz, Bd. II, 1878; Hundeshagen, Die Conflikte des Zwinglianismus, Lutherthums und Calvinismus in der bernischen Landeskirche, 1842.