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ADB:Volmar, Melchior Rufus

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Artikel „Volmar, Melchior Rufus“ von Theodor Schott in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 270–272, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Volmar,_Melchior_Rufus&oldid=- (Version vom 10. Oktober 2024, 16:22 Uhr UTC)
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Volmar: Melchior Rufus (Rüd) V., geboren 1497 in Rottweil (Württemberg), Professor in Orléans, Bourges und Tübingen, † 1561 in Isny. Von seiner Vaterstadt Rottweil, die seit 1465 mit den eigenössischen Orten im Bunde stand, ging er als Knabe nach Bern, um die dortigen besseren Schulen zu besuchen; wahrscheinlich hat ihn sein Verwandter Valerius Anshelm, welcher die von Heinlin von Stein (lapide) gegründete, von Heinrich Wölflin (Lupulus) weitergeführte lateinische von der Kirche unabhängige Litterarschule übernommen hatte, dazu veranlaßt und in sein Haus aufgenommen (1510); dort kam er auch mit seinen Landsleuten Rubellus und Berthold Haller, dem nachmaligen Reformator Berns, zusammen. Am 20. October 1514 inscribirte er in Tübingen und wurde 1. März 1516 Baccalaureus. Daß er in Tübingen mit Philipp Melanchthon und dessen Kreise in Berührung trat, ist sicher anzunehmen, ebenso aber auch, daß in dem strebsamen, begabten und feingebildeten Jüngling neben der Liebe zu den classischen Wissenschaften auch die Theilnahme an der religiösen Neuerung einen Freund und Anhänger fand. Im J. 1519 soll er in Freiburg i/B. gewesen sein, sicher ist, daß er vom Frühjahr 1520 an längere Zeit sich in Paris aufhielt; die lebhafte Sehnsucht, die griechische Sprache gründlich zu erlernen, hatte ihn, wie z. B. seinen Landsmann M. Hummelberger, dorthin getrieben. Ob er unter Melanchthon schon in Tübingen das Studium dieser Sprache angefangen, ist zweifelhaft; in einem Brief vom 1. Januar 1545 an A. Blaurer schildert er ausführlich, wie er, auf eigene Faust die Sprache erlernend, lateinischen Vorbildern folgend, sich 2 Jahre lang mit Homer, Hesiod, Theokrit und anderen Dichtern abgequält habe, bis er durch Jak. Thusanus zu den Prosaikern geführt worden sei, und durch Petrus Danesius die Grammatik des Demetrius Chalcondylas erhielt, die er dann später selbst herausgab; von seinen übrigen Lehrern sind noch W. Budé und Lascaris zu erwähnen. 1522 erhielt er unter 100 Collegen die erste Stelle als Licentiat (Magister) der freien Künste. Drei Jahre lang lehrte er selbst in Paris; seine deutschen Landsleute, seine wissenschaftliche Tüchtigkeit richtig schätzend, wählten ihn 1524 zum receptor oder procurator ihrer Nation. Den Lehren der Reformation muß er sich immer mehr zugeneigt haben, auch mit Faber Stapulensis stand er in Verbindung. Diese ketzerischen Neigungen, die nicht unbemerkt blieben, nöthigten ihn Paris (wann?) zu verlassen; er begab sich nach Orléans, wo er 1527 eine Privatschule, eine Art Pensionat errichtete, welches den größten Erfolg hatte; denn dem trefflichen, feinen Mann, der eine ganz besondere Gabe hatte, die Jugend an sich zu fesseln, der nicht bloß gründlich unterrichtete, sondern auf den Charakter veredelnd einwirkte, strömten Knaben und Jünglinge, besonders aus vornehmen Ständen zu; seine Pariser Freunde z. B. Nicolaus Beroald, Pierre d’Estoile und andere, sowie die, welche er sich in Orléans erworben, wiesen ihm dieselben zu, so den vielversprechenden Theodor Beza, der, ein 9jähriger Knabe, am 5. December 1528 zu ihm nach Orléans kam und 7 Jahre lang in seinem Hause, auch in Bourges, zubrachte. Mit der größten Anhänglichkeit, Dankbarkeit und Begeisterung spricht Beza von seinem Lehrer, dessen Vornamen hübsch umgebildet, gerne Melior genannt wurde; nicht bloß in die ganze lateinische und griechische Schriftstellerwelt, sondern was er noch höher schätze, in die Kenntniß der wahren Religion sei er dort eingeführt worden. So lange er lebte, stand er mit ihm in reger Correspondenz, in seinen Gedichten hat er sein Lob gesungen, es war in jeder Hinsicht ein schönes Freundesverhältniß zwischen Schüler und Lehrer. Dasselbe fand auch statt mit Volmar’s größtem Schüler, Joh. Calvin. Während seiner Studienzeit in Orléans lernte Calvin den schwäbischen Humanisten kennen, saß lernend zu seinen Füßen. In Bourges, wohin Margaretha von Navarra (wann?[1]) V. an ihre Universität als humanistischen Lehrer mit [271] einem ansehnlichen Jahresgehalt berufen hatte, und wohin Beza ihn begleitet hatte, traf Calvin wieder mit ihm zusammen und schloß sich noch enger an ihn an, im Griechischen und Hebräischen wurde er von V. unterrichtet. Wie tief Volmar’s religiöse Einwirkung auf den späteren Reformator war, läßt sich leider nicht mehr mit Sicherheit bestimmen, da von der Correspondenz dieser beiden, die besonders während des Aufenthalts Calvin’s in Straßburg eifrig gepflegt wurde, leider nur sehr wenige Bruchstücke vorhanden sind. Florimond de Remond hat, wahrscheinlich durch französischen Patriotismus verleitet, V. die Hauptrolle bei der Bekehrung Calvin’s zum Protestantismus zugewiesen; Calvin selbst erwähnt nichts davon, ebensowenig V.; Beza und Colladon, die ältesten zeitgenössischen Biographen Calvin’s ebenfalls nichts. Als sicher ist anzunehmen, daß die humanistischen Studien, die Calvin unter Volmar’s Leitung betrieb, den jungen Studirenden der Rechte, der dieses sein Fachstudium wenig liebte, immer mehr von demselben abzogen, ihm aber auch zugleich die gelehrte Ausrüstung gaben, die ihn später so sehr auszeichnete. Die starke reformationsfreundliche Bewegung, die in Bourges damals herrschte und die kirchenfeindlichere Stellung, welche der Humanismus in Frankreich einnahm, mochten Calvin’s Neigung zur Ketzerei, die durch Olivetan und durch Einflüsse in der Familie schon geweckt war, steigern. Bei Volmar’s offenkundiger Hinneigung zum Protestantismus und der innigen Gemeinschaft zwischen Schüler und Lehrer, drängt sich die Annahme beinahe nothwendig auf, daß V. durch sein Zusammensein mit Calvin durch Gespräche und Bücher u. s. w. auch in religiöser Hinsicht bestimmenden Einfluß auf Calvin ausübte. Der Tod seines Vaters 1531 rief Calvin nach Noyon: V. und er haben sich dann meines Wissens nicht mehr gesehen; der dankbare Schüler blieb aber wie gesagt mit seinem Lehrer stets in Verbindung, sandte ihm seine neu erscheinenden Schriften (der Commentar zum Johannesevangelium 1553 mit Calvin’s eigener Unterschrift befindet sich in einem der Schaukästen des britischen Museums) und widmete ihm auch den Commentar zum zweiten Corintherbriefe.

Seinen Aufenthalt in Bourges unterbrach V. mehrmals durch Reisen in die Heimath, jüngere Gelehrte versahen unterdessen seine Stelle bei den Zöglingen; 1530 oder 31 (?) (im October 1530 war er jedenfalls in Reutlingen) holte er sich eine Frau Margaretha (Geschlechtsnamen nirgends erwähnt) aus Isny. In Bourges war sein Haus der Sammelpunkt für deutsche und schweizerische Studenten, gern nahm er sich ihrer an, den Aermeren leistete er mannichfachen Vorschub (so Konrad Gesner). Aber die zunehmende Verfolgung des Protestantismus in Frankreich zwang ihm den Wanderstab in die Hand; 1. Mai 1535 verließ er rasch, beinahe fluchtartig Bourges; über Basel, Zürich, St. Gallen begab er sich zu seinem Schwiegervater nach Isny, dort die Entscheidung seiner Zukunft abwartend; eine Berufung nach Tübingen, das Herzog Ulrich mit evangelisch gesinnten Lehrern besetzte, war eingeleitet, wann und auf welche Weise läßt sich nicht bestimmen. Am 4. December 1535 wurde er durch Phrygius dem akademischen Senat als Lehrer der Rechte vorgestellt, deren Studium unter Alciat er in Bourges betrieben hatte. Zwanzig Jahre lang blieb er in Tübingen ein hochangesehener Lehrer; eine formelle Schwierigkeit hatte sich ergeben wegen seines Doctorgrads: sein Diplom war nur von Andreas Alciat gestellt und wurde deshalb beanstandet, die Angelegenheit blieb mehrere Jahre lang in der Schwebe und erhielt erst dadurch ihre praktische Lösung, daß V. nach dem Weggang von J. Camerarius 1541 in die niedere Artistenfacultät übertrat und Lateinisch und Griechisch las, z. B. im J. 1545 Virgil, Livius, Aeschines, Demosthenes und Homer, aber doch dem Senat angehörte, wie er die für die damalige Zeit sehr hohe Besoldung von 200 fl. hatte. 1549 wurde er Decan seiner Facultät und [272] in demselben Jahre Rector. Herzog Ulrich, der wie es scheint, großes Vertrauen zu ihm hatte, sandte ihn August 1539 mit Graf Wilhelm von Fürstenberg und Christoph v. Veringen, und wieder Mai 1540 mit Claus von Grafeneck als Gesandten (wahrscheinlich als Dolmetscher) an den französischen Hof: Streitigkeiten Ulrich’s mit seinem Sohn Christoph, sowie wegen der noch ausstehenden französischen Pension, die der Herzog bezog, waren die Veranlassung dazu. Bei der ersten Reise hatte er die Freude, seinen geliebten Beza wieder zu sehen, der dem verehrten Lehrer zu Liebe ein solennes Gastmahl veranstaltete. Im August 1549 erwiederte Beza diesen Besuch in Tübingen, wobei er mit seinem väterlichen Freunde die Gründung einer großen Druckerei in der Schweiz besprach, ohne daß aber der Plan ausgeführt wurde. Schwer litt V. unter dem Interim, „wo man unter dem Namen der Frömmigkeit Deutschland beraube und entvölkere“. Im J. 1553 war P. P. Vergerius sein Hausgenosse, auf seine Veranlassung übersetzte er Verger’s italienische Vorrede zu dem Syntagma suevicum ins Lateinische oder Deutsche. Auch in Tübingen hatte er Zöglinge in seinem Hause, meistens aus vornehmen Häusern, da sein Pensionspreis ein hoher war. Im engsten Briefwechsel mit der gelehrten protestantischen Welt weit und breit stehend (außer Calvin und Beza correspondirte er mit H. Bullinger, A. Blaurer, W. Musculus, Vadian, Viret, Glareanus, Camerarius und andern) brachte er die nächsten Jahre in Tübingen zu, von Krankheit häufig heimgesucht, so daß er öfters das Wildbad gebrauchen mußte; mit der zunehmenden lutherischen Richtung in Kirche und Theologie Württembergs war er nicht einverstanden, ja als Zwinglianer mannichfach angefeindet. Bei seinen Gesandtschaftsreisen 1555 und 1557 zu Herzog Christoph hat ihn Beza, wie es scheint, nicht besucht, ebenso wenig Calvin, als er 1541 nach Regensburg reiste. Wegen zunehmender Kränklichkeit nahm V. 1556 seine Entlassung, 1557 zog er nach Isny, wo er 1561 an einem Tage mit seiner geliebten Frau starb, auch in einem gemeinsamen Grab mit ihr seine Ruhestätte fand. So bedeutend V. als Erzieher und Lehrer war, so wenig hat der stille, zurückhaltende und bescheidene Mann sich als Schriftsteller an die Oeffentlichkeit gewagt. In Paris soll er die 2 ersten Bücher der Ilias 1523 mit Anmerkungen herausgegeben haben; dort erschien auch die von ihm besorgte Ausgabe der Grammatik der Chalcondylas, 1525, noch einmal aufgelegt mit einer ausführlichen an Blaurer gerichteten Vorrede, Basel 1546; ebenso wird ihm die Uebersetzung der württembergischen Confession ins Französische zugeschrieben, Tübingen 1554.

Ueber ihn s. Beza, Icones. – Schelhorn, Beyträge zur Erläuterung der Geschichte IV, 208 ff. – Schnurrer, Erläuterungen d. Würtemb. Kirchengeschichte, S. 361 ff. – Ruckgaber, Geschichte von Rottweil II, 2, 496 ff. – Baum, Th. Beza I, 10 ff. – Kampschulte, J. Calvin I, 229 ff. – Herminjard, Correspondance des réformateurs T. 2. 3.Corpus reformatorum, Th. 41, 43, 44. – Lefranc, La jeunesse de J. Calvin, p. 80 ff. – Briefe, z. Th. noch ungedruckte, aus der Simlerischen Sammlung in Zürich, aus der St. Galler Stadtbibliothek, Mittheilungen aus den Acten der Universität Tübingen und aus dem K. Haus- und Staatsarchiv Stuttgart.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 270. Z. 1 v. u. st. „wann?“ l. 1530. [Bd. 45, S. 675]